Ausgabe 2 / 2010 Artikel von Nathalie Sopacua

Täterinnen im Visier

Zahlen, Fakten, Hintergründe

Von Nathalie Sopacua


Noch immer gilt Mann-Sein als das Maß aller Dinge. Auch in der Welt der Kriminologie, wo die Täterin bis heute – trotz steigendem Anteil insbesondere der jugendlichen Gewalttäterinnen – als „Abweichung von der Abweichung“ gilt.

Der Sonderstatus der Täterin ist geblieben: Wenn eine Frau Gewalt ausübt oder kriminell wird, verstößt sie nicht nur gegen allgemein gültige Normen, sondern zusätzlich gegen die traditionelle Geschlechterordnung.

Zahlenmäßig sind Täterinnen nach wie vor deutlich in der Minderheit: Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS)(1) war im Jahr 2007 im gesamten Bundesgebiet von knapp 2,3 Millionen Tatverdächtigen fast jede/r vierte (24 Prozent) weiblich. Leicht über diesem Durchschnitt liegt der Anteil weiblicher Tatverdächtiger bei Kindern ab zwölf Jahren (31,7 Prozent), bei Jugendlichen unter 16 Jahren (31,8 Prozent) und bei Erwachsenen älter als 40 Jahre.


Mehr Straftäterinnen

Doch obwohl Frauen in der Kriminalstatistik die Minderheit sind, sticht bei der Betrachtung von Geschlecht und Kriminalität ins Auge, dass in den vergangenen Jahren die Zahl weiblicher Tatverdächtiger deutlich angestiegen ist. So geht die Zunahme an allen Tatverdächtigen im Zeitraum von 1993 bis 2007 vor allem auf das Konto von Frauen: Während der Gesamtzuwachs an Tatverdächtigen in dieser Zeit den PKS-Zeitenreihen (1987-2007) zufolge bei knapp zwölf Prozent lag, machen Frauen hiervon fast die Hälfte (47 Prozent) aus. Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der Kommission Strafrecht beim Deutschen Juristinnenbund, vermutet, dass der Anstieg weiblicher Kriminalität auch auf die „zunehmende gleichberechtigte Teilnahme von Frauen am Leben“ zurückzuführen ist.


Frage des Alters

Zugenommen haben Straftaten vor allem bei den jugendlichen Tatverdächtigen: Während von den 14- bis 18-Jährigen im Jahr 1993 lediglich ein Fünftel aller Tatverdächtigen weiblich war, waren es in dieser Altersgruppe im Jahr 2007 bereits mehr als ein Viertel (27,5 Prozent). Die Zuwachsrate bei den männlichen jugendlichen Tatverdächtigen betrug von 1993 bis 2007 knapp ein Viertel und liegt damit angesichts eines Zwischenhochs von fast 40 Prozent im Jahr 2001 eher niedrig. Die Zuwachsrate in der Gruppe der weiblichen Tatverdächtigen liegt dagegen im gleichen Zeitraum drei Mal so hoch und stagniert seit 2005 bei 75 Prozent. Für Berlin hat Claudia Kreienbaum, vorübergehendes Mitglied der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, die Kriminalstatistik ausgewertet. Die Staatsanwältin plädiert für eine realistische Deutung der Zahlen: „Von einer dramatischen Zunahme weiblicher Jugendgewaltdelinquenz in Berlin kann insgesamt nicht gesprochen werden. Hier muss man berücksichtigen, dass die Ausgangszahlen bei den Mädchen insgesamt sehr viel niedriger lagen als bei den Jungen.“

Kreienbaum stellt zudem klar: „Die Frage ist doch, ob der gestiegene Anteil an weiblichen Tatverdächtigen unter 21 Jahren auf ein lebhafteres Anzeigenverhalten in der Bevölkerung oder eine tatsächliche Zunahme von Gewalt zurückzuführen ist.“
Ein Gespräch mit ExpertInnen habe ergeben, so Kreienbaum weiter, dass Mädchen vor allem auch deshalb eher wahrgenommen würden, „weil sich die Ausdrucksformen von Gewalt bei Mädchen verändert haben, so dass sie nach außen sichtbarer im Bereich von Delinquenz liegen“.

Nicht so stark wie bei den Jugendlichen ist die Zahl der kriminell Auffälligen gestiegen, die älter als 21 Jahre waren. Sie machen etwa drei Viertel aller Tatverdächtigen aus. Hier erhöhte sich die Rate von männlichen Tatverdächtigen mit fünf Prozent nur leicht, während sie bei den weiblichen von 1993 bis 2007 um 17 Prozent zugenommen hat. Besonderes Augenmerk ist zu richten auf die Gruppe der Jungerwachsenen im Alter von 21 bis unter 25 Jahren: Zwar wurde hier von 1993 bis 2007 ein Gesamtrückgang der absoluten Zahlen um neun Prozent registriert. Doch während in diesem Zeitraum 14 Prozent weniger männliche Tatverdächtigte verbucht wurden, hat es bei den weiblichen Jungerwachsenen einen Zuwachs von etwas mehr als 14 Prozent gegeben.

Vergleicht man deutsche und nichtdeutsche weibliche Tatverdächtige miteinander, zeigt sich keine besonders deutliche Abweichung.(2) Im Jahr 2007 betrug der weibliche Anteil an allen deutschen Tatverdächtigen 24,6 Prozent, an allen nichtdeutschen Tatverdächtigen 22,5 Prozent. Die höchste Frauenquote mit jeweils 17,4 Prozent weist sowohl bei den deutschen als auch bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen die Gruppe der über 21-Jährigen auf. Ein grundlegender Unterschied zwischen deutschen und nichtdeutschen weiblichen Tatverdächtigen zeigt sich allerdings: Während im Jahr 2007 bei den deutschen eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr um 1,8 Prozent registriert wurde, sank die Quote bei den nichtdeutschen weiblichen Tatverdächtigen im gleichen Zeitraum um 2,6 Prozent.


Diebstahl und Betrug

Auch in der Art der Straftat, die sie begehen, unterscheiden sich Frauen und Männer erheblich: In der Gesamtschau verüben Frauen deutlich weniger schwere Delikte als Männer. Einfacher Ladendiebstahl und Betrug gehören zu den Delikten mit dem höchsten weiblichen Anteil an Tatverdächtigen. Beim Diebstahl ohne erschwerende Umstände (33,2 Prozent) wurde der durchschnittliche Anteil weiblicher Tatverdächtiger von rund 24 Prozent im gesamten Bundesgebiet 2007 deutlich überschritten. Von allen wegen Betrugs registrierten Personen war im gleichen Jahr fast jede dritte weiblich. Ein großer Teil von ihnen (45 Prozent) war wegen Sozialleistungsbetrugs angezeigt worden. Vergleichsweise hoch lag der Frauen-/Mädchen-Anteil mit rund 27 Prozent auch beim Delikt „Beleidigung“.

Auch der Anteil von weiblichen Tatverdächtigen bei Mord (13,6 Prozent), gefährlicher und schwerer Körperverletzung (13,9 Prozent) ebenso wie bei vorsätzlicher leichter Körperverletzung (16,3 Prozent) lag 2007 klar unter dem der männlichen Tatverdächtigen. Im Bereich der schweren Körperverletzung fällt allerdings auf, dass bei Misshandlung von Kindern mehr als zwei von fünf Tatverdächtigen weiblich waren.

Die geringste Quote an weiblichen Personen wurde bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung (0,1 Prozent) sowie Verletzung der Unterhaltspflicht (4,1 Prozent) verbucht.


Öfter verurteilt

Zugenommen hat die Zahl der verurteilten Mädchen und Frauen – im Zeitraum von 1995 bis 2006 ist ein Rückgang an Verurteilungen bei den Männern, aber ein Anstieg um knapp 20 Prozent bei den Frauen zu verbuchen. Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund hält das für eine zwangsläufige Folge aus dem Gesamtanstieg an weiblichen Tatverdächtigen: „Wenn es einen höheren Input gibt, kommt es auch zu mehr Verurteilungen.“

Gleichwohl war im Jahr 2006 nicht einmal jede fünfte verurteilte Person eine Frau (18 Prozent). Insgesamt 15 bis 16 Prozent aller Jugendlichen, Heranwachsenden und Jungerwachsenen, die verurteilt wurden, waren weiblich, bei den 40-Jährigen waren es rund 20 Prozent. Das bedeutet, auch wenn ein direkter Vergleich aufgrund der unterschiedlichen Bezugsgrößen hinkt: Insgesamt werden deutlich weniger Frauen verurteilt, als es ihrem Anteil an allen Tatverdächtigen entspricht.

Den weiblichen Verurteiltenzahlen zufolge waren im Jahr 2006 etwa ein Drittel der wegen Betruges verurteilten Frauen. Mit mehr als einem Drittel ist der Frauenanteil bei den Heranwachsenden am größten, mit einem guten Viertel bei den über 50-Jährigen am geringsten. Beim Diebstahl(3) hingegen gilt: Je älter, desto höher ist der Anteil von Frauen. Mit zwischen 6 und 8 Prozent deutlich weniger Frauen waren 2006 unter den wegen Körperverletzung Verurteilten. Bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung lag der Frauenanteil etwa gleich hoch, im Alter der (über) 30-Jährigen erreicht er allerdings jeweils um die 10 Prozent.(4)


Dunkelfeld

Konsequenzen scheinen angesichts der zunehmenden Bedeutung von Frauenkriminalität auch in der öffentlichen Wahrnehmung durchaus angebracht. Doch trotz aller belegbarer Zahlen:
Die offizielle Kriminalstatistik spiegelt Frauenkriminalität nur im so genannten Hellfeld, also im Bereich der offiziell bekannt gewordenen Fälle, wider. Außer Acht gelassen ist hier das Dunkelfeld. Um aber eine zuverlässige Einschätzung des Frauenanteils am Gesamtaufkommen vorzunehmen, bräuchte es „(wiederholter) repräsentativer TäterInnenbefragungen zum Dunkelfeld über alle Altersgruppen hinweg. Solche liegen nicht vor“, schreiben Kirsten Bruhns und Svendy Wittmann vom Deutschen Jugendinstitut in ihrem Beitrag „Mädchenkriminalität – Mädchengewalt“ (2003).

Auch die Juristin und Pädagogin Jutta Elz wollte etwas Licht ins Dunkel der Täterinnen bringen. Sie hat deshalb mit dem Band „Täterinnen. Befunde. Analysen. Perspektiven“ eine gleichnamige Tagung der Kriminologischen Zentralstelle dokumentiert. Elz war es ein wichtiges Anliegen, mit dem Sonderstatus der Täterin aufzuräumen, denn nur „wer Frauen als ‚wirkliche' Täterinnen – und zwar auch und gerade im Gewalt- und Sexualbereich – akzeptiert, kann zum einen ihre Opfer bemerken und zum anderen ihre geschlechtstypischen Sozialisations- und Lebensbedingungen wahrnehmen.“ Das sei für die erfolgreiche Arbeit mit ihnen und für die Prävention weiterer Taten unabdingbar, meint die Pädagogin.

Nathalie Sopacua arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Im Anschluss an ihr Redaktionsvolontariat hat die 37-Jährige als Redakteurin und in der politischen Kommunikation gearbeitet. Ihr Steckenpferd sind frauen- und gleichstellungspolitische Themen. Unter anderem betreut sie www.frauenrat.de, die Website des Deutschen Frauenrates.
Jutta Elz (Hg.): Täterinnen. Befunde, Analysen, Perspektiven. Wiesbaden: KrimZ, 2009. (Kriminologie und Praxis Bd. 58)

Anmerkungen:
1
siehe www.bka.de/pks
2 Ausschlaggebend für die Unterscheidung von deutsch und nichtdeutsch ist dabei nicht der Migrationshintergrund, sondern allein die im Pass eingetragene Staatsangehörigkeit.
3 Frauenanteil an den Verurteilten in allen Altersgruppen zwischen knapp 25 und über 35 Prozent
4 Zum Anteil der Frauen im Strafvollzug siehe S. 67

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