Alle Ausgaben / 2006 Andacht von Hanna Sauter-Diesing

Tanz im Tempel?

Andacht, in der nicht getanzt wird

Von Hanna Sauter-Diesing


Das Thema Tanzen ist manchen Frauen nicht ganz geheuer, war es in strengen christlichen, gerade reformierten Familien doch ein argwöhnisch beäugtes Freizeitvergnügen. Das hat sich mittlerweile verändert: Jugendlichen wird der Discobesuch nicht mehr aus religiösen Gründen verboten, und das Tanzen gehört zu vielen Feiern einfach dazu. Doch ¬ Tanzen im Gottesdienst oder in der Gemeinde? In den Materialien zu den Gottesdiensten zum Weltgebetstag finden sich Vorschläge für Tänze, in Familiengottesdiensten gestalten oft Kinder einen Tanz. Doch vielen von uns ist das fremd, es weckt peinliche Gefühle, gehört einfach nicht dahin.

Tanz im Gottesdienst weckt nicht nur positive Gefühle. Zum Thema „Tanzen“ gehört daher auch eine Einheit, die sich kritisch mit dem Tanzen, vor allem dem Tanz im Gottesdienst auseinandersetzt. Wir haben dazu die Form einer Andacht gewählt, weil es um einen biblischen Text geht, der den Streit – Tanz oder nicht Tanz? – beschreibt. Und wir haben die Andacht geschrieben, weil es im Hören auf Gottes Wort zu einer inneren Veränderung, zu einem neuen Verständnis von „Tanz“ kommen kann.

Die Andacht ist in vier Abschnitte aufgeteilt: Zuerst kommt der biblische Text (nacherzählt), dann werden die Frauen in kleinen Gruppen (drei bis vier) das Thema für sich bearbeiten, indem sie über Stabfiguren für und gegen das Tanzen sprechen. Der dritte Teil ist das Sammeln von Lösungsvorschlägen, wie „Tanz“ im religiösen Bereich zur Zeit Davids (und damit auch heute?) für alle Beteiligten erträglich gestaltetet werden könnte. Abschließend folgen ein Gebet und ein Lied.

Zeit: ca. 1,5 Stunden; wenn Sie weniger Zeit zur Verfügung haben (sei es, weil die Frauen für einen Abschnitt mehr Zeit brauchen, sei es, weil Sie sich kürzer treffen), können Sie den dritten Teil weglassen und / oder den zweiten Teil für die Frauen vorspielen (also in Eigenarbeit vorbereiten).

Ziel: Die Frauen werden ermutigt, sich über ihre negativen und positiven Gefühle zum „Tanzen im Gottesdienst“ klarer zu werden. Sie können in den Rollen von „Michal“ und „David“ ihre Positionen zum Ausdruck bringen. In einem Gespräch kann „Tanz als Gottesdienst“ kritisch betrachtet werden.

Material:
für Teil 2: für jede Kleingruppe je eine Kopie der Figuren S. 29 (auf DIN A 4) auf weißem Papier oder Karton (Kopiervorlage für AbonnentInnen im Internet unter www.ahzw.de / Service / zum Herunterladen); Scheren, Bunt-, Wachs-, oder Filzstifte, Tesafilm, Schaschlikspieße (pro Kopie zwei); ein leeres Blatt für Notizen, Schreibmaterial. Bei Bedarf für jede Gruppe eine Kopie der David-Michal-Geschichte 2 Sam 6.
für Teil 3: Flipchart oder Tafel oder ¬ ähnliches, Eddingstifte

Ablauf: Begrüßung durch die Leiterin und ¬ einige Sätze zum Thema „Tanzen“; Sie können Teile aus dem Text oben oder aus anderen Beiträgen in dieser Arbeitshilfe verwenden.

Lied: Du meine Seele singe
(eg 302,1.2.8)

Teil 1: Die Geschichte

Eine Geschichte im 6. Kapitel des 2. Samuelbuchs erzählt eine Begebenheit aus dem Leben der Eheleute David und Michal:

Es ist etwa 1000 Jahre vor Christus, als der junge König David die Stadt Jerusalem erobert und diese Stadt zur Hauptstadt macht. Doch – eine Hauptstadt zu bestimmen ist eine Sache. Aber dass sie wirklich zum Mittelpunkt wird, dass alle zwölf Stämme Israels Jerusalem als ¬ Zentrum anerkennen, ist eine andere. Es müsste ein bestimmter Geist in dieser Stadt wehen, sie muss einfach wichtig sein. Bis dahin hatten die zwölf Stämme keinen gemeinsamen Ort gehabt, und Gott, so sagen sie, ist doch überall, wo sie Gottesdienst feiern. Eben dieser Gott Jahwe ist es, auf den sich König David beruft. Hatte Jahwe ihn nicht zum neuen König erwählt, als der alte König Saul noch an der Macht war? Nun ist Saul tot, gefallen in einem der vielen Kämpfe um das Königtum. Geschickt hatte David sich durch seine Heirat mit Sauls Tochter Michal seinen Anspruch auf den Thron gesichert. Aber richtig sicher wäre sein Königtum erst dann, wenn er alle Stämme überzeugen ¬ könnte: Zusammen sind wir stark – ein König, eine Hauptstadt. Und Gott genau dort, in Jerusalem!

Da hört David von der Bundeslade. ¬ Diese Lade, so erzählt man, war in der Zeit gebaut worden, als das Volk Israel durch die Wüste wanderte. In ihr sollen die Zehn Gebote aufbewahrt sein – das direkte Wort und Gebot Gottes an sein Volk. Wo war die Lade geblieben? Man hatte sie vergessen, abgestellt in einem der Außenbezirke des Stammes Juda. Und niemand traute sich heran, denn, so hieß es: Wer die Lade berührt, muss sterben. Und doch will David sie nach Jerusalem bringen, gilt sie doch als Garant von Gottes Gegenwart. Er plant den Bau eines Tempels für die Lade. Bauen wird ihn erst sein Sohn Salomon.

Schließlich ist es soweit: David führt die Lade nach Jerusalem. Um Gott gnädig zu stimmen, Gott zu zeigen, dass Gott der Herrscher und Herr über alles ist und bleibt, und nicht etwa David sich das anmaßt, zieht er sich nackt aus: Ohne Schutz, ohne jedes Zeichen seiner königlichen Würde tanzt er vor der Lade, um seine Demut und seine Freude vor Gott zu zeigen. Menschenmengen säumen den Weg, auf dem die Lade getragen wird. Sie jubeln und lachen, einige machen Witze über diesen König, der da so nackt auf der Straße vor Gott her tanzt. Einige fühlen sich an die heidnischen Tänze erinnert – man kann eigentlich keinen Unterschied erkennen.

Michal, Davids Frau und Königin, steht am Fenster. Sie hört das Gelächter schon von Weitem, bevor sie die Lade und ihren Mann erkennen kann. Witze über den hemmungslosen König schallen bis zu ihr hinauf. Sie zwingt sich, stehen zu bleiben, innerlich aber bebt sie vor Scham und Wut. Und dann sieht sie ihren Mann, wie er ekstatisch vor der Lade herumspringt.

Michal, Tochter eines Königs und selbst würdevolle Königin, findet es beschämend und entwürdigend, was sie da sieht. Der Jubel der Menschen klingt wie Hohn, das Lachen wie Spott. So kann man nicht mit Gott umgehen, dass ist keine Religion, dass ist ein billiges Theater! Am Abend kommt David in die königlichen Gemächer – müde, verstaubt und verschmutzt. Die Priester haben die Lade genommen und in ein Zelt gestellt. David hat geopfert und dem Volk Brot, Fleisch und Kuchen ausgeteilt. Stolz ist David auf sich und froh: Er hat die Lade, den Beweis für Gottes Gegenwart, nach Jerusalem gebracht. Doch ausruhen kann er nicht: Zitternd vor Wut und zutiefst beschämt erwartet seine Frau Michal ihn …

Teil 2: Kleingruppen

Jede Gruppe (3–4 Frauen) erhält das Blatt, auf dem David und Michal zu sehen sind.
Aufforderung der Leiterin: Bitte schneiden Sie die Figuren aus, malen Sie sie bunt an und zeichnen Sie einen Ge¬ sichtsausdruck hinein. Kleben Sie hinter die Figuren einen Holzspieß mit Tesafilm so fest, dass Sie das Ende des Holzspießes bequem unten halten können.
Schreiben Sie auf das leere Blatt, wie das abendliche Gespräch zwischen David und Michal verlaufen könnte. Später wird jede Gruppe ihr Gespräch den anderen vorspielen. (Zwei Frauen bewegen die Figuren, eine oder zwei lesen; kann im Sitzen oder im Stehen gemacht werden.)
Arbeitszeit ca. 30 Minuten; Vorspielzeit je nach Gruppengröße ca. 15 Minuten

Teil 3: Tanz im Tempel?

Hinweis für die Leiterin: Lesen Sie den folgenden Text „Tanz im Tempel?“ vor. Sammeln Sie die Lösungsvorschläge auf dem Plakat oder Flipchart. Lassen Sie am Schluss die Gruppe über das Ergebnis abstimmen.

Text: Stellen wir uns vor, wir sind die Priester in Jerusalem. Es ist klar, dass bald ein Tempel gebaut werden soll. Stimmen werden laut: „Da wollen wir auch tanzen – so wie David zur Ehre Gottes getanzt hat.“ Andere reden dagegen: „Das hat mit Religion und Ehre Gottes gar nichts zu tun. Tanzen ist etwas ganz Persönliches, man tanzt nur für sich allein und zum Vergnügen. Wir wollen keinen Tanz im Tempel!“ Die Priester müssen sich beraten, eine Entscheidung herbeiführen. Die Pläne für den Bau des Tempels werden unterschiedlich aussehen, je nachdem, ob für den „Tanz im Tempel“ entschieden wird oder nicht. Die Priester erhalten von König David und Königin Michal den Befehl, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten verständlich und annehmbar ist. Wir spielen die Priester: Welche Vorschläge haben Sie?

Teil 4: Abschluss

Gebet:
Gott, unser Vater,
wir fragen uns:
Was ist Glauben?
Wie fest muss ich dazu stehen,
was sind die richtigen Worte,
was ist das richtige Handeln?
Es fällt uns oft schwer, Gott,
vor anderen Menschen
zu unserem Glauben zu stehen
und davon zu reden.
Oft sind wir unsicher,
manchmal zweifeln wir doch selbst.
Wir haben Angst davor
ausgelacht und
nicht ernstgenommen zu werden.
Wir möchten
auf der sicheren Seite stehen,
wo uns nichts und niemand
etwas anhaben kann.
Doch Glaube an dich, Gott,
bedeutet Veränderung
und bedeutet,
meine Grenzen zu überschreiten
im Schritt auf dich zu
und auf meine Nächsten.
So hilf uns,
nicht blind zu verharren,
sondern weiterzugehen
mit dir.
Amen.

Lied: Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen (eg 272) oder: Kommt herbei, singt dem Herrn (eg 577,1-3)


Hanna Sauter-Diesing ist Gemeindepfarrerin in Budberg und Mitglied der Arbeitsgruppe ahzw. Ihr Standpunkt ist: Tanzen soll Freude machen, aber nicht erzwungen werden. Sie selbst tanzt hin und wieder ganz gern – aber eher in der Disco als im Ballsaal oder in der Kirche.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang