Wer war Thekla? Die frühe Christenheit und bis heute die Ostkirche verehren sie als Apostolin und als eine der ersten Märtyrerinnen.. Eine kleine Schrift, eine Art frühchristlicher Roman, „Taten des Paulus“ erzählt von ihr. Neben der Apostelgeschichte im Neuen Testament kennen wir noch fünf weitere „Apostelakten“, zu denen auch das Büchlein „Taten des Paulus“ gehört.
„Unter den Forschern und Forscherinnen ist unbestritten“, so schreibt die katholische Theologin Anne Jensen, die diese kleine Schrift neu herausgegeben und kommentiert hat und die eine ausgewiesene Kennerin dieser frühchristlichen Zeit ist, „daß die Apostelgeschichten (die fünf Apostelakten ausserhalb des Neuen Testaments) sicher nicht einfach das Produkt der Erfindungsgabe der jeweiligen Verfasser oder Verfasserinnen sind, sondern daß diese bereits in Umlauf befindliche Traditionen und Legenden aufgegriffen und in einer romanhaften Erzählung zusammengefaßt haben“.
Ein Abschnitt in den „Taten des Paulus“ erzählt von Thekla, einer Frau in der kleinasiatischen Stadt Ikonium. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden darin Erinnerungen an eine historische Frauengestalt aufgegriffen und erzählerisch gestaltet. Thekla, verlobt mit Thamyris, hört eines Tages vom Fenster ihres Hauses aus, wie im Nachbarhaus der Apostel Paulus predigt. Sie wird von seinen Worten so gefangengenommen, dass sie darüber, zum Entsetzen ihrer Mutter, alles andere vergißt und nur den einen Wunsch hat, Paulus zu folgen. Deshalb weigert sie sich, ihren Verlobten zu heiraten. Ihre Mutter Theokleia und ihr Verlobter sind aufgebracht, enttäuscht und zornig, und Thamyris bewegt zwei Zuhörer dazu, Paulus vor dem Statthalter anzuklagen: „Prokonsul, wir wissen nicht, woher dieser Mensch ist, der die Jungfrauen nicht heiraten läßt. Er soll vor dir darlegen, weshalb er dies lehrt“, raten die Freunde Thamyris: „Sag, dass er Christ ist, dann wirst du ihn zugrunde richten.“
Nicht nur Paulus wird angeklagt, sondern auch Thekla. Sie wird zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Doch Thekla wird durch ein Gewitter, das die Flammen löscht, gerettet.
Daraufhin bittet Thekla Paulus, sie zu taufen und sie auf seine Predigtreise mitzunehmen. Paulus aber verweigert ihr die Taufe, vielleicht, weil er sie in ihrem Glauben für noch nicht ausreichend gefestigt hält, vielleicht, weil er sie vor der weiter drohenden Verfolgung schützen will. Wenigstens kann sie es durchsetzen, dass sie in Männerkleidern mit ihm reisen darf. Auf der Reise kommt es tatsächlich zu einer erneuten Anklage. Wieder wird Thekla verurteilt, diesmal zum Tod durch wilde Tiere. „Sie aber stand da, hatte die Arme ausgebreitet und betete. Als sie das Gebet beendet hatte, drehte sie sich um und sah eine große Grube voll Wasser und sagte: 'Jetzt ist der Moment, mich zu waschen'. Und sie stürzte sich hinein mit den Worten: 'Im Namen Jesu Christi taufe ich mich selbst am letzten Tag'.“ Diesmal ist die Situation jedoch anders als in ihrer Heimatstadt, in der selbst ihre Mutter und ihr Verlobter ihre Verurteilung forderten. Hier tun sich die Frauen der Stadt zusammen und protestieren lautstark gegen Theklas Verurteilung und die Vollstreckung des Todesurteils in der Arena durch wilde Tiere. Die Frauen haben zwar keinen Erfolg. Aber die wilden Robben im Wasserbecken greifen Thekla nicht an, sie wird gerettet.
Thekla zieht weiter, predigend und lehrend. Sie kommt auch in ihre Heimatstadt Ikonium. Ihr Verlobter ist gestorben. Zu ihrer Mutter, die sie verstoßen und für ihre Verurteilung gesorgt hatte, sagt sie: “ Wenn du nach deinem Kind verlangst, siehe, ich stehe an deiner Seite.“ Am Ende ihres Lebens lebt Thekla in einer Einsiedelei bei Seleukia, verehrt von vielen Menschen, Beraterin für die, die Trost suchen, die Antwort auf Fragen des Glaubens brauchen. Bevor Thekla stirbt, kommt es zu einer Versöhnung mit ihrer Mutter, die ihr so übel bei dem ersten Prozeß mitspielte.
Warum habe ich von dieser Frau erzählt? Ich bewundere ihre Geradlinigkeit, ihren Mut, für das als richtig und lebensnotwendig Erkannte einzustehen, ihre Glaubensgewissheit, die sie Ungewöhnliches tun läßt ohne Rücksicht auf Konventionen und Familienbande, ohne sich eingrenzen zu lassen durch das vorherrschende Frauenbild, wach für die befreiende Botschaft des Evangeliums und deshalb auch bereit und fähig zur Versöhnung. Und ich finde an der kleinen Erzählung bemerkenswert, wie sie von Frauen erzählt, die zusammenhalten und die sich gegenseitig stützen, die sich nicht scheuen, öffentlich ihre Stimme zu erheben und Unrecht beim Namen zu nennen, auch wenn sie mit harter Bestrafung rechnen müssen.
Was wissen wir von den frühen Christen und Christinnen? Welche Quellen kennen wir neben den neutestamentlichen Schriften (z. B. die sogenannten apopkryphen Evangelien, die sogenannten apokryphen Apostelakten)? Wie gehen wir mit romanhaften Bearbeitungen der frühen christlichen Geschichte (wie z. B. den Apostelakten oder Erzählungen und Romanen aus dem vorigen Jahrhundert bzw. aus der Gegenwart wie z. B. „Miriam“ von Luise Rinser) um und wie beurteilen wir sie im Verhältnis zu den Schriften des Neuen Testaments? Warum werden Menschen als Heilige verehrt? Kennen wir Heilige in unserem Jahrhundert?
Rosemarie v. Orlikowski
Benutzte Literatur:
Thekla – die Apostolin. Ein apokrypher Text neu entdeckt. Herausgegeben und übertragen von Anne Jensen, Freiburg 1995
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