Alle Ausgaben / 2012 Artikel von Christina Kayales

Tod wird nicht mehr sein

Von der Kraft christlicher Symbole

Von Christina Kayales


Sich einrichten mit dem, was ist. Festhalten am Vertrauten. – Nichts erschüttert diese menschliche Gewohnheit so sehr, wie der Tod eines uns nahen Menschen. Die Endgültigkeit des Todes verändert vieles, zunächst in der Wahrnehmung der verstorbenen Person, aber nicht zuletzt auch bei uns selbst.

Je nach der erlebten Leidenssituation variieren auch die an Gott gerichteten Klagen und Anfragen: „Warum gerade jetzt?“ „Warum gerade er / sie?“
„Wie soll es jetzt nur weitergehen?“
Ebenso unterschiedlich ist der Umgang mit dem Abschied. Manche haben den Gedanken an den nahen Tod abgeblockt, sich eingerichtet im Hier und Jetzt und jede Möglichkeit einer Veränderung abgewehrt. Anderen machten Gedanken an die bevorstehenden Veränderungen sehr große Angst – Überlegungen, was sich durch den bevorstehenden Tod auch vielleicht verbessern könnte, hatten wenig Raum. Kommt die Nachricht völlig überraschend, kommen manche nur schwer darüber hinweg, dass nun so viel Gewohntes oder Geplantes nicht mehr möglich ist.

Aber es gibt auch diejenigen, die bewusst Abschied nehmen, die sich noch mit dieser oder jenem treffen, die alles vorher regeln, „ihr Haus bestellen“, wie es früher hieß. Nicht selten werden sie dabei durch die Gewissheit gestärkt, dass Gott sie tröstet und bei sich aufnimmt. „Gott wird abwischen alle ihre Tränen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“ (Offenbarung 21,4)

Der Umgang mit der eigenen Trauer bei einem Abschied ist wie das Durchqueren eines Flusses. Der Schmerz – vergleichbar mit dem Nasswerden – ist unvermeidbar. Manche gehen schnell, manche langsam, manche lassen sich ein wenig mit der Strömung treiben, andere gehen dagegen an. Manche suchen nach einer flachen Stelle, wollen nicht allzu nass werden, sich nicht zu sehr einlassen auf all die auf sie einströmenden Gefühle. Andere bleiben erst einmal lange im knietiefen Wasser stehen, weil sie fürchten, was passiert, wenn sie den Boden unter sich nicht mehr spüren. Besonders schwer haben es diejenigen, die am Rand stehen bleiben, weil sie einfach nicht wissen, wie sie an das andere Ufer gelangen könnten.

Doch erst am anderen Ufer kann man auch wieder loslassen und eben neu aufbrechen. Es gehört zu den wichtigsten Erfahrungen, Abschied nehmen und loslassen zu können: Wenn nach den schmerzhaften aufgewühlten Momenten ein frohes und dankbares Erinnern des oder der Verstorbenen Raum bekommen kann, verbunden mit der Gewissheit um die zugesagte Geborgenheit in Gottes Ewigkeit. Welchen Einfluss hat hierbei die christliche Bestattung? Was können christliche Rituale im Umgang mit Tod und Sterben vermitteln?


Wenn jemand im Sterben liegt

Es ist eher selten geworden, dass jemand im hohen Lebensalter zuhause im Kreis der Familie verstirbt. Die meisten Menschen in Deutschland sterben im Krankenhaus oder in einem Altersheim. Anders als noch Hiob trauen sich aber heute viele nicht, vor Gott zu klagen über das erlebte Leid. Wie anders kann Schwachsein erlebt werden, wenn gemeinsam vor Gott geklagt werden kann oder gemeinsam gebetet wird! Wenn durch Alter, Unfall oder nicht mehr zu heilende Krankheit das Gewohnte unabänderlich vorbei ist, kann es von großer Bedeutung sein, daran erinnert zu werden, dass Gott uns in dieser schweren Zeit nicht alleine lässt. Oft erlebte ich große Dankbarkeit, wenn ein im Sterben liegender Mensch noch einmal mit Familie oder Freunden ein gemeinsames Abendmahl feiern konnte. Viel zu selten nutzen Angehörige diese so innige Form von Gemeinschaft und diese gemeinsame Erinnerung an Vergebung und Verbundenheit.

Ein bevorstehender Tod macht viele sprachlos. Gutgemeintes „Wird schon wieder“ ertönt und verhindert nicht selten auszusprechen, was wirklich auf der Seele liegt. Hatte man Gelegenheit mit dem Sterbenskranken noch zu reden oder wurde eine Begegnung vermieden? Gab es etwas, was sie uns noch sagen wollte oder wir ihr? Gab es etwas, wofür wir ihn um Verzeihung bitten wollten? Nicht über den nahen Tod zu reden, nimmt vielen diese wohltuende Möglichkeit, noch bestimmte Dinge zu regeln oder auszusprechen. Dabei können dies heilsame und innige Momente sein.

Mein eigener Glaube wird in besonderer Weise gefordert, wenn es darum geht zu spüren, dass Gottes Beistand auch für diese zweifellos schweren Lebensphasen gilt. Finde ich den Mut, den anderen / die andere zu stützen und tröstend zu vermitteln, dass Gott uns nah bleibt, auch wenn uns andere nicht mehr begleiten können? Lebenserfahrene können sich gemeinsam erinnern, dass Gottes Fürsorge bleibt, auch wenn ich mich nur noch verkriechen möchte. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ (Psalm 139, 9f.) Es sind nicht selten diese Lebensmomente, in denen Phrasen entlarvt werden und spürbar wird, welche Kraft in den christlichen Glaubenserfahrungen liegt.


Wenn der Tod eintritt

Wenn der Tod eintritt, wird von einem Arzt oder einer Ärztin ein Totenschein ausgestellt, alles andere kann warten. Es besteht keine Eile – früher wurden deshalb die Uhren angehalten.
Nun gilt es innezuhalten. Vielleicht kann man ja noch eine Weile bei dem / der Verstorbenen sitzen, seine / ihre Hand halten. Eine Aussegnung am Sterbebett ist Ausdruck dieses Innehaltens. Gott wird in diesem ganz besonderen Moment im Gebet angerufen. Der Verstorbene wird Gottes Fürsorge anvertraut und es wird um Stärkung für die Trauernden gebeten. Eine Aussegnung bei dem gerade Verstorbenen vermittelt: Ich weiß um die Verbundenheit über den Tod hinaus. Im Miteinander der Trauernden spüre ich, dass der Tod nicht bedeutet, dass man nun allein ist, weder der / die Verstorbene noch die Hinterbliebenen. Wir alle bleiben verbunden und gehören zur Gemeinschaft der Heiligen.


Das Trauergespräch

Im Trauergespräch mit dem Pastor oder der Pastorin können die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle ausgesprochen werden. Es tut gut, sich gemeinsam mit anderen an die verschiedenen Stationen im Leben des oder der Verstorbenen zu erinnern – niemals verlief alles leicht und ohne Schwierigkeiten. Und so geht es im Trauergespräch um das, was im Leben des /der Verstorbenen gelungen ist, genauso wie um das, was möglicherweise schwierig war oder unvollendet blieb. Der Pastor / die Pastorin wird alles, was gesagt wird, vertraulich behandeln. Nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis werden Inhalte des Trauergesprächs auch in der Traueransprache aufgegriffen. Das Wichtige und Heilsame des Trauergesprächs ist: Gemeinsam wird erinnert. Auch das Schmerzhafte, das Schwierige darf hier vorkommen, unzensiert kann Raum bekommen, was eine/n bewegt – und sei es Erleichterung nach einem langen Leidensweg oder die Wut nach einem plötzlichen Tod. Der Pastor / die Pastorin hält mit den Trauernden zusammen aus, was sie in dieser ersten schwierigen Zeit bewegt, hört zu, freut sich über das Festhalten von schönen Erinnerungen, beruhigt, stärkt, erklärt, wie die Trauerfeier aussehen wird. Er / Sie bringt auf diese Weise viel Ruhe. Wie beim Gespräch Jesu mit den Emmausjüngern (Lukas 24) vermittelt das Gespräch über die erlebte Trauer und das Erzählen von dem oder der Verstorbenen auf ganz eigene Weise die christliche Botschaft von der Auferstehung. In der darin erlebten Intensität kann spürbar werden, dass Gottes Liebe den Tod zu überwinden weiß.


Die Trauerfeier

Der Ablauf von Trauerfeiern variiert regional. Üblicherweise begrüßt der Pastor / die Pastorin die Angehörigen, Freunde und Bekannte vor der Tür – in so einem Moment, da bleibt der „Hirte“ nah, zeigt schon durch die Begrüßung, dass dieser schwere Gang nicht alleine gegangen werden muss. Daher tut es meist ja auch so gut, wenn die nächsten Angehörigen erleben, dass so viele andere auch da sind. Es tröstet, zu erleben, dass gemeinsam getrauert wird. Ganz ohne Worte zeigt die Anwesenheit: Wir nehmen Anteil! Als christliche Gemeinschaft gilt es schließlich, einander in schweren Zeiten zu stützen und zu trösten, auszuhalten und zuweilen miteinander zu schweigen. Beim Besuch der Trauerfeier kann zudem auch all derer gedacht werden, um die darüber hinaus getrauert wird. Denn Abschiede erinnern immer auch an andere Abschiede von Menschen, die uns nahe waren.

Die Glocken läuten, in Dorfkirchen mit kirchlichem Friedhof manchenorts auch schon am Abend vor der Beerdigung, weil mit den Glocken verkündet wird: Eine, einer aus unseren Reihen ist verstorben. Und dann läuten sie zu Beginn der Trauerfeier, um alle daran zu erinnern: Jetzt nehmen wir Abschied. Alle, auch die, die verhindert sind, können, wo immer sie sind, an den Verstorbenen / die Verstorbene denken und für ihn oder sie beten. Nicht selten überträgt sich die Intensität eines gemeinsamen Gebets. Die eindrückliche Atmosphäre vermittelt sich zuweilen sogar am Fernseher bei Übertragungen von großen Trauerfeiern.

Die bei der Trauerfeier gesungenen Lieder erinnern alle daran, tief durchzuatmen in dieser schweren Situation, die einer die Luft abschnürt. Wenn man dann mit unsicherer Stimme anfängt, ist es wie auch sonst im Miteinander: Gemeinsam gestützt, fängt sich die eigene Stimme und stimmt ein, oft in wohltuende, vertraute Verse, die uns verbinden mit all denen, die vor uns getrauert haben. Die Musik, die uns auf ganz eigene Weise anzurühren weiß, lässt uns klangvoll die Zusage Gottes hören, dass wir uns seiner Fürsorge anvertrauen dürfen und dass wir den Verstorbenen nun bei dem geborgen wissen dürfen, der für uns das Kreuz auf sich genommen und für uns den Tod überwunden hat. „Nun legen wir den Leib ins Grab und zweifeln nicht: durch Gottes Gab' wird, was wir hier verweslich sä'n, einst unverweslich auferstehn.“ (EG 520) Oder wie es Paul Gerhard formulierte: „Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand, der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland.“ (EG 529)

In den Gebeten dürfen wir klagen! Wir dürfen all dem Raum geben, was uns aufwühlt. Wir dürfen auch unsere Zweifel und unsere Ohnmacht vorbringen, denn das Dunkel um uns, es hat genau hier seinen Platz: im gemeinsamen Gebet zu Gott.

Die Traueransprache vermag, was die Betroffenen meist nicht schaffen: sich öffentlich erinnern, das gesamte Leben mit den jeweiligen Höhen und Tiefen, mit den schönen und schweren Seiten zulassen, Abschied nehmen und dieses gesamte Leben nun Gott anvertrauen. Es tut gut, wenn sich jemand erinnert. Es ist heilsam, wenn die verstorbene Person gewürdigt wird. Dann ist es bei allem Schmerz auch möglich, den Abschied gemeinsam auszuhalten.

Die Aussegnung erinnert alle daran: Nein, dies hier ist nicht das Ende. Der Schmerz, die Veränderung des Bestehenden ist nicht das, was bleibt. Was bleibt, ist die Zusage Gottes: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20) Diese verlässliche Begleitung möchte uns ermutigen, die anstehenden Veränderungen anzugehen.

Das gewählte Bibelwort erläutert für uns: Die Zusage Gottes bleibt. Die Auferstehung bleibt. Die Gnade, die Liebe Gottes bleibt. Auch wenn wir – unser Leben lang – lernen müssen loszulassen. Deshalb werden wir aber gerade im Angesicht des Sarges noch einmal daran erinnert: „Und nun gilt es Abschied zu nehmen von … Name der bzw. des Verstorbenen … Wer sie geliebt hat, möge diese Liebe hinaustragen und später davon weiterschenken. Die, die sie geliebt hat, mögen ihr danken für das, was sie schenken konnte. Wer ihr einmal oder öfter etwas nicht geben konnte, wer ihr etwas schuldig geblieben ist, möge hier in der Stille um Gottes Barmherzigkeit bitten. Wem sie einmal oder öfter weh getan hat, möge ihr vergeben und daran denken, dass auch er, dass auch sie von der Vergebung lebt. Gott, du hast Himmel und Erde geschaffen, auch … .
So vertrauen wir sie dir nun an.“

Der Erdwurf am Sarg symbolisiert, dass diese Erde nun das Vergangene vom Neuen trennt. Denn neues Leben beginnt dort, wo Altes auch abgeschlossen werden konnte. Leben greift wieder da um sich, wo ich loslassen und vergeben gelernt habe. Neue Facetten werden sichtbar, wenn Abschiede als Teil dieses Lebens erfahrbar werden. Doch dafür muss ich aktiv werden, dafür muss ich die Erde in die Hand nehmen und auf den Sarg schütten – ein altes Symbol für das Wissen: Ich muss mich lösen, von Personen, von alten Verletzungen, von Schuldgefühlen. Zu hören, wie diese Erde auf den Sarg fällt, zuweilen richtig poltert, kann erschrecken. So, wie Veränderungen eben erschrecken können.

Und so möchte auch der Segen zum Abschluss diesen Anstrengungen antworten: Vergiss nicht: Gottes Segen begleitet dich. Vergiss nicht: Du bist nicht allein, Gottes Vision gilt auch für dich. Für das Heute hier, aber auch für dein Morgen, wo immer es sein wird.

Abschied nehmen kann dann gelingen, wenn der Schmerz über die Veränderung nicht als „letzte Antwort“ erlebt wird, sondern zumindest ein Funke spürbar ist, der daran erinnert: Es gibt ein Danach. Deshalb sind Kerzen auch so wunderbare Symbole der Hoffnung bei Beerdigungen: sie vermitteln uns ganz ohne Worte, dass wir diesem Licht vertrauen dürfen, diesem Licht, das uns aus der Dunkelheit führt und uns zu dem geführt, der dieses Licht erschaffen hat.


Für die Arbeit in der Gruppe

-Hinführung
Die Leiterin führt anhand des Beitrags oben in das Thema „Umgang mit dem Tod von nahe stehenden Menschen“ ein. Die Einleitung kann auch (ganz oder in Auszügen) bis zur Zwischenüberschrift „Wenn jemand im Sterben liegt“ vorgelesen und/oder für alle kopiert und gemeinsam gelesen -werden.
Kopiervorlage für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.

– Schrifttext
Gemeinsam wird die Emmausgeschichte (Lukas 24) gelesen.

– Lied
Befiehl du deine Wege (EG 371, 1+6+7)

– Austausch
in Kleingruppen (evtl. auch als Murmelgruppen mit jeweils 2-3 Frauen):
Von welchem Abschied, der uns tief getroffen hat, würden wir einer / einem Fremden erzählen?

– 3 Gesprächsrunden mit Symbolen
Steine verteilen / Austausch: Was hält uns, was macht Veränderung so schwer? – anschließend die Steine an einem Kreuz ablegen
Kerzen verteilen und anzünden / Austausch: Was hilft uns, den Weg aus dem Dunkel zu finden?
Düfte riechen – zum Beispiel einige duftende Dinge herumgehen lassen
jahreszeitlich ausgewählt, etwa ein kleines Bündel Lavendel, eine Duftrose, ein Tütchen mit frisch gemahlenem Kaffee, Tütchen mit stark riechenden Gewürzen wie Curry, Zimt …) / Austausch: Was sind unsere Visionen? Was erhoffen wir uns? Woran orientieren wir uns?

–  Lied
So nimm denn meine Hände (EG 376)

–  Abschluss
Kerzen zünden wir an,
um Stille zu finden.

Vielleicht
hilft uns das Licht einer Kerze,
um tiefer zu sehen.

Vielleicht
hilft es uns erspüren, dass unser Leben
mehr ist als das,
was uns unmittelbar vor Augen ist.
Mehr als dunkle Erfahrungen,
die sich manchmal wie schwarze Schatten
auf unsere Seele legen.

Vielleicht
hilft uns das Kerzenlicht zur Gewissheit,
dass nichts so dunkel bleiben muss,
wie es jetzt sein mag.


Dr. Christina Kayales ist ev.-luth. Pastorin und arbeitet als Krankenhaus-Seelsorgerin und im Bereich Interkulturelle Beratung an der Asklepios Klinik
St. Georg in Hamburg.

In der Edition Ruprecht ist ihr Buch „Trauer und Beerdigung. Eine Hilfe für Angehörige“ erschienen.

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