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Ulrike Meinhof – letzte Offensive und Tod

Von Jutta Ditfurth


Letzte Offensive
Stuttgart-Stammheim, Oktober 1975 bis Mai 1976
Ulrike Meinhof saß in Zelle 719 und schrieb an ihre ehemalige Lieblingslehrerin, die Nonne Maria Ambrosine, und erinnerte sich an ihre Zeit in der Liebfrauenschule in Oldenburg als der besten Phase ihrer insgesamt finsteren Schulzeit. Dass die Nonnen gegen die Nazis gewesen waren, hatte ihr viel bedeutet. Der Brief der Nonne, auf den sie am 14. Oktober 1975 antwortete, ist nicht erhalten oder lagert in den Archiven der Bundesanwaltschaft. Sie erinnerte an jenen Satz aus Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe, „Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, und es helfen nur Menschen, wo Menschen sind“, …
Es war vielleicht der letzte Brief, den sie aus Stammheim an einen Menschen schrieb, der weder mit ihr verwandt noch ein Jurist war.

Tod
Stuttgart-Stammheim, Mai 1976
Am 11. Mai 1976, dem 109. Verhandlungstag, stellte der Vorsitzende Richter Theodor Prinzing lapidar fest: „Das Verfahren gegen Frau Meinhof ist infolge ihres Todes beendet; die Verteidigeraufträge sind damit erledigt.“ Laut Le Monde fügte er noch an, dass die drei Gefangenen genug Zeit gehabt hätten, „sich an den Tod“ ihrer Genossin „zu gewöhnen“ …
Es war schwer, einen Friedhof für Ulrike Meinhof in Westberlin zu finden. Nur eine einzige Pfarrei ließ sich erweichen. Am 15. Mai 1976 wurde sie auf dem Friedhof der Dreifaltigkeitskirche in der Eisenacher Straße 61 im Berliner Stadtteil Alt-Mariendorf in einer nicht-kirchlichen Zeremonie beerdigt. Die Bedingung war, dass ihr Grab – Nummer 19, Abteilung A, Reihe 12 – in einigen Metern Abstand lag von den anderen.
Noch nach ihrem Tode wurde sie isoliert …
Helmut Gollwitzer, Klaus Wagenbach, Otto Schily, Hans-Heinz Heldmann, Klaus Croissant und Erich Fried hielten Grabreden.
Gollwitzer fragte, ob Ulrike Meinhof eine andere Entwicklung genommen hätte, wenn sich „mehr Menschen gefunden hätten, bereit mitzukämpfen für eine menschlichere Gesellschaft“. Sie habe sich das Leben schwer gemacht, indem sie „das Elend anderer Menschen sich so nahe gehen ließ“. Als er dann aber erklärte: „Ich sehe Ulrike Meinhof jetzt im Frieden Gottes“, gab es Buhrufe.

aus:
Ulrike Meinhof –
Eine Biografie
© 2009 Ullstein Buchverlage GmbH Berlin

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