Ausgabe 1 / 2009 Artikel von Sarah Käßmann

Um der Würde willen

Das Menschenrecht auf Arbeit

Von Sarah Käßmann


Arbeit scheint unser Leben zu bestimmen. Menschen fallen in ein tiefes Loch, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren und keine neue Arbeit finden. Über ihre Arbeit können sie stundenlang reden und sich beklagen.

Auch, wenn wir schon mal denken: „Warum regt er/sie sich so auf? Ist doch nur ein Job!“ – eigentlich wissen wir wohl, dass Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft die soziale Identität eines Menschen bestimmt. Wir wissen, wie gern jede/r zeigen will, dass er gebraucht wird, dass sie wichtig ist für die Gesellschaft. Oft wird der Eindruck vermittelt, dass ein Beitrag zur Gesellschaft nur durch Erwerbsarbeit zu leisten ist. Und der Wert von Arbeit wird meist mit ökonomischen Maßstäben gemessen: je höher das Einkommen desto höher der soziale Status. Wie „klein“ müssen sich Arbeitslose da vorkommen? Wie Menschen sich fühlen, die wenig verdienen und versuchen, ihre Familie mit mehreren Jobs zu ernähren? Wie die vielen Frauen, die in sozial wichtigen Berufen – etwa in den Bereichen Pflege und Erziehung – tätig sind, die schlecht bezahlt und entsprechend gering angesehen werden?

Arbeitslosigkeit ist in unserer Gesellschaft noch immer das K.O. für den sozialen Status. Keine Arbeit – keine Anerkennung. Muss es da nicht so etwas wie ein Menschenrecht auf Arbeit geben, damit sich alle Menschen auf gleicher Augenhöhe begegnen können? Ziel der Menschenrechte ist es schließlich, die Würde der einzelnen zu schützen.


vertraglich zugesichert

Tatsächlich gibt es ein solches Recht bereits: 1966 wurde der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (wsk-Rechte oder auch soziale Menschenrechte genannt) von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet und von Deutschland 1973 ratifiziert.(1) Er gilt neben dem Pakt über politische und bürgerliche Rechte (z.B. Religionsfreiheit) als wichtigstes Instrument der Durchsetzung von Menschenrechten. Diese beiden Pakte sind spätestens seit der Erklärung der Unteilbarkeit der Menschenrechte durch die Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 eng miteinander verwoben und gelten als gleichwertig. In der Realität aber werden die wsk-Rechte oft nicht als vollwertige Menschenrechte anerkannt. Dabei bieten gerade sie in den elementaren sozialen Lebensbereichen Schutz. Hierzu gehören Bildung, Gesundheit, Ernährung, angemessenes Wohnen und auch Arbeit.

In Deutschland gibt es für die wsk-Rechte bisher noch ein sehr geringes öffentliches Bewusstsein. Zwar verfolgt die Bundesrepublik außenpolitisch die Umsetzung der wsk-Rechte, wie etwa das Recht auf Ernährung und Wasser, in vielen Ministerien aber werden soziale Menschenrechte noch immer nicht als „echte“ Menschenrechte oder gar als Richtschnur politischen Handelns wahrgenommen und anerkannt. Weder in Deutschland noch in der Europäischen Union wird in einem Gesetz oder einem Vertrag das Recht auf Arbeit erwähnt. Aus dem Sozialstaatsgebot (Art. 20, Abs. 1 Grundgesetz) können jedoch einige Aspekte des Rechts auf Arbeit, wie etwa Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, abgeleitet werden.

Das Recht auf Arbeit ist ein soziales Recht, das jedoch kein Recht auf einen bestimmten Arbeitsplatz schafft. Es schützt aber zum Beispiel Kinder vor ausbeuterischer Kinderarbeit sowie alle Menschen vor Zwangsarbeit und Sklaverei. Das Recht auf Arbeit berechtigt uns, eine Arbeit aufgrund der persönlichen Auswahl und unter fairen Arbeitsbedingungen aufzunehmen oder auch abzulehnen. Es soll außerdem für alle Menschen den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt ohne jede Form der Diskriminierung gewährleisten. Und es verpflichtet den Staat dazu, Vollbeschäftigung anzustreben. Im Gegensatz zu den politischen und bürgerlichen Rechten sind die wsk-Rechte bisher nicht einklagbar. Arbeit ist aber nicht nur für die Existenzsicherung wichtig, sondern auch für die Ausbildung der eigenen Identität. Hierfür ist das Recht in der Arbeit wichtig – denn es ist nicht gleichgültig, was für eine Arbeit Frauen oder Männer ausüben und, vor allem, zu welchen Bedingungen. Aufrecht erhalten wird die Würde von Menschen nur über eine befriedigende und ausreichend bezahlte Arbeit, die sozial geachtet wird.


befriedigend, geachtet und gut bezahlt

Das Recht auf Arbeit definiert daher auch die Bedingungen einer menschenwürdigen Arbeit. Dazu gehören unter anderem: ein existenzsicherndes Einkommen, die Sicherheit am Arbeitsplatz, eine soziale Absicherung oder auch die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Organisation.

Mehr als 2,7 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiten schon heute in Deutschland für Armutslöhne.(2) Immer weniger Menschen können deswegen den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie bezahlen. Niedrige Löhne bedeuten auch, von wichtigen Ereignissen des sozialen Lebens – wie etwa der Klassenfahrt, Urlaub, Verein, Kindergarten – ausgeschlossen zu sein. Niedriglöhne verhindern daher ein Leben in Würde, Teilhabegerechtigkeit wird zerstört.(3)

Am schwersten betroffen sind Frauen: Weltweit gesehen sind 70 Prozent der armen Menschen Frauen.(4) In Deutschland gibt es 546.000 Arbeitslose ohne Leistungsbezug, davon sind 347.000 oder 63 Prozent Frauen. Ganze 74 Prozent der Langzeitarbeitslosen ohne Leistungsbezug sind Frauen.(5)

Frauen werden arm, weil sie erwerbslos sind und weil sie, wenn sie arbeiten, oft in prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind: Frauen bilden 71 Prozent der atypisch Beschäftigten, d. h. sie arbeiten z.B. in Teilzeit oder in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis.(6) Gerade im sozialen Bereich sind Frauen oft in schlecht bezahlten Stellen vorzufinden. Solange Frauen nur „zuverdienen“, reicht das Geld aus, doch sobald der Ehemann oder Partner als Hauptverdiener wegfällt, droht auch hier Armut. Sind Kinder da, erschweren mangelnde Betreuungsangebote den Zugang zum Arbeitsmarkt. Und wenn sie kein existenzsicherndes Einkommen erwirtschaften, droht im Alter Armut. Altersarmut in Deutschland ist weiblich.

Die Ungerechtigkeit der Löhne trägt ebenfalls einen großen Teil zur Altersarmut von Frauen bei. Selbst wenn Frauen voll arbeiten, verdienen sie in Deutschland durchschnittlich 25 Prozent weniger als gleich gut qualifizierte Männer. In den Chef-Etagen spielen Frauen weiterhin nur eine Nebenrolle. Im Jahr 2007 waren 49,8 Prozent der StudienanfängerInnen weiblich,(7) der Anteil von Frauen im Topmanagement der größten deutschen Unternehmen lag Anfang 2008 jedoch lediglich bei 5,5 Prozent.(8)

Am schlechtesten sieht es für Frauen mit Behinderungen aus. Nur 17 Prozent sind erwerbstätig.(9) Unternehmen zahlen lieber eine so genannte Ausgleichsabgabe, als Menschen mit Behinderungen einzustellen. So müssen 31 Prozent der Frauen mit Behinderungen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 700 Euro leben.(10)

Die Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben setzt sich im Rentensystem fort. Die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland orientieren sich deutlich an der Norm der männlichen Erwerbsbiographie, das heißt: durchgängig in Vollzeit gearbeitet und ein mindestens durchschnittliches Einkommen erzielt. Frauen, die durch Kindererziehung oder Pflege von Familienangehörigen Unterbrechungen in ihrer Erwerbsbiographie haben, verfügen dann über keine Existenz sichernden Renten oder fallen ganz aus den Leistungsbezügen heraus.

Arbeit in Würde: Angesichts der Situation von Frauen wäre da in Deutschland derzeit vor allem ein Mindestlohn zu fordern. Denn gerade Frauen arbeiten zu Niedriglöhnen – immerhin fast jede dritte vollzeitbeschäftigte Frau in Deutschland. Der Niedriglohnanteil bei den Männern liegt mit 10 Prozent weit darunter.(11) Niedrige Stundenlöhne und kurze Arbeitszeiten, auch die vor allem bei Frauen, verhindern eine eigenständige Existenzsicherung. Ein Mindestlohn könnte diese Situation verbessern.


Für die Arbeit in der Gruppe


Ziel:

Die Teilnehmerinnen machen sich bewusst, welchen Wert Arbeit in ihrem und dem Leben anderer einnimmt. Sie machen sich Gedanken über gerechte Arbeitsbedingungen und wie deren Realisierbarkeit.


Material:

-Bilder (aus Zeitschriften) oder Fotokarten zum Thema Arbeit (Bilder aus dem Internet oder aus dieser ahzw kopieren und auf Karton kleben;
für AbonnentInnen ist eine Auswahl unter www.ahzw.de / Service zum Herunter-laden vorbereitet.)
– Karteikarten DIN A 6 in unterschiedlichen Farben, Stifte, Karton, zwei große Papierbögen, an denen die Karteikarten befestigt werden können, Klebestift


Zeit:

2 Stunden


Ablauf:

– Die Leiterin fasst den vorliegenden Text zusammen und weist vor allem auf den Zusammenhang von Arbeit, Würde und Armut hin.

– Die Teilnehmerinnen sollen sich nun je eine der auf dem Boden ausgelegten Bildkarten zum Thema Arbeit aussuchen und in drei bis vier Sätzen sagen, was ihnen zu folgender Frage einfällt: Was bedeutet Arbeit in meinem Leben? Die Bildkarten dienen hier lediglich als Stütze. Die Frauen sollen also wirklich nur über sich selbst sprechen und nicht über Arbeit allgemein.

Je nach verfügbarer Zeit kann dieser Teil ausgeweitet werden, indem die Leiterin die Antworten in Stichpunkten auf Karteikarten notiert. Diese werden nach positiver und negativer Beurteilung von Arbeit sortiert und auf einen der Papierbögen geklebt. Darüber kann diskutiert werden.

– Jede Frau erhält in Kopie den folgenden Text aus dem Internet, der von einer Frau laut vorgelesen wird:
„Hallo!
Ich bin nur eine Kinderpflegerin, habe die Erzieher Ausbildung nicht gepackt, ich war überfordert. Bin nicht gut in der Schule gewesen außer in der Kinderpflege Schule. Habe 5 Monate gearbeitet und bin jetzt wieder arbeitslos und das macht mich fertig. Weine, und bin unzufrieden. Muss ich mich schämen? Bin ich noch was wert? Mehr als Bewerbungen schreiben, Stellenanzeigen in den Zeitungen und im Internet, kann ich nicht machen. Will alles versuchen noch in dem Bereich was zu finden. Würde auch Putzen gehen oder in die Firma. Bin traurig. LG Nadine“
(www.mein-kummerkasten.de)

– Die Leiterin schreibt folgende Fragen auf einen Papierbogen: Wie bewertet Nadine ihren Beruf? Was sagt sie zum Thema Arbeitslosigkeit? Wie bewertet sie sich selbst als Teil dieser Gesellschaft? Wie fühlt sie sich? Würde ihr ein Recht auf Arbeit helfen?

– Nach ca. 5 Minuten Zeit zum Nachdenken nennen die Frauen ihre Gedanken. Die Leiterin schreibt auf Karteikarten mit. Gemeinsam werden die Karten den passenden Überschriften zugeordnet. Gespräche zu den Punkten sollten nur in Maßen begrenzt werden, damit die Frauen sich über ihre Wahrnehmungen austauschen können.

– Abschließend fasst die Leiterin zusammen: Arbeitslosigkeit führt dazu, dass Menschen sich einen geringeren Wert zumessen als andere(n) Menschen und sehr darunter leiden. Sie fühlen sich in ihrer Würde verletzt.

– Danach kann das folgende Gebet gesprochen werden:

Gott, es ist schwer zu leben,
ohne anerkannt zu werden,
ohne Dank und Anerkennung zu spüren.

Es ist oft niederdrückend,
Tag für Tag eine Arbeit zu verrichten,
auf die andere herabschauen,
die nichts austrägt und die schlecht
bezahlt wird.

Und doch gibt es viele Menschen,
die so existieren müssen, die auf der
Schattenseite des Lebens stehen,
die durch Krankheit und Schicksal
und manchmal auch durch Versagen
und Schuld festgefahren sind,
die nicht zum Zug kommen,
weil sie keine Beachtung finden,
weil sie sich nicht entfalten können.

Gott, du willst nicht, dass dieser
Teufelskreis über uns herrsche.
Du weißt, dass jede und jeder von uns
ein Stück Anerkennung braucht,
um leben zu können,
und Du gibst es uns.
Aber wird sind meist blind dafür,
wie sehr du uns liebst.
Wir begreifen oft nicht,
das du uns anerkennst,
wie kein Mensch es sonst tut.
Amen.
aus: Hans Stock, Bitt- und Dankgebete, Hamburg 1962


Sarah Käßmann, 26 Jahre, ist Diplom-Politologin. Sie hat Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Friedens- und Konfliktforschung sowie Frauen- und Menschenrechte studiert. In dieser Zeit hat sie erste berufliche Erfahrungen in Praktika gesammelt, u.a. bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Manila und bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York. Seit Oktober 2008 arbeitet Sarah Käßmann als Referentin für Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung bei der EFiD.


Anmerkungen:

1 Text und weitere Informationen siehe: www.institut-fuer-menschenrechte.de (wsk-Rechte in die Suchfunktion eingeben). Ein Recht auf Arbeit schreibt auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Frau (CEDAW) 1979 in Artikel 11 fest.
2 Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt 2006
3 Ausführliche Informationen zur Lage von Frauen in Deutschland, u.a. mit Blick auf den Arbeitsmarkt, finden sich auch im CEDAW-Alternativbericht deutscher Frauenorganisationen, der im Dezember 2008 veröffentlicht wird. Den Bericht, an dessen Erstellung auch die Ev. Frauen in Deutschland beteiligt waren, und weitere Informationen dazu unter: www.frauenrat.de
4 Amnesty International, USA, 2005
5 Bundesagentur für Arbeit 2007
6 Statistisches Bundesamt 2008
7 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Hochschulstatistik
8 Hoppenstedt: Kurzauswertung „Frauen im Management“ 2008
9 Stadt Braunschweig 1999
10 Statistisches Bundesamt 2005
11 Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg/Essen am 8. Februar 2007

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