Ausgabe 2 / 2018 Andacht von Britta Jüngst

…und er heißt Friede-Fürst

Von Britta Jüngst

In Gottes Namen beginnen wir, voller Sehnsucht nach Frieden, Hoffnung und Licht. Amen.


Zeit 30 min

Lied

Die Kerze brennt, ein kleines Licht (WortLaute, Liederheft zum EG 21) oder Seht, die gute Zeit ist da EG 18

sprechen

Nach Psalm 72

ALLE   Lasst ein Staunen losbrechen über das Wunderbare, das Gott tut, dass die Welt voll Freude werde!
A   Lass die Berge Frieden bringen, Gott, für alle Menschen, und die Hügel Gerechtigkeit.
B   Den Kleinen und Machtlosen soll Recht verschafft werden und den Armen geholfen, und die sie bedrängen, sollen verschwinden.
ALLE   Lasst ein Staunen losbrechen…
A   Wie der sanfte Regen auf die Aue, soll Gerechtigkeit herabfahren und Frieden wie die Tropfen, die das Land feuchten.
B   Die Übermächtigen und die Gewaltigen sollen zu Boden stürzen und die Menschen füreinander leben.
ALLE   Lasst ein Staunen losbrechen…
A   Den Armen, die um Hilfe schreien, soll geholfen werden, und denen es schlecht geht, weil sie keine Hilfe hatten.
B   Aus Unterdrückung und Mutwillen werden sie freikommen,  und ihr Blut wird als zu kostbar gelten, um es zu vergießen.
ALLE   Lasst ein Staunen losbrechen…
A   Voll wird das Korn auf den Feldern stehen in allen Ländern, und die Städte werden grünen wie das Gras auf Erden.
B   Ein Segen sollen die Völker einander sein und sich mit Gott freuen.
ALLE   Lasst ein Staunen losbrechen…1

Lied

Das Volk, das noch im Finstern wandelt EG 20,1

Man merkte der Moderatorin ihr Unbehagen an. Erstaunen, ja Unglauben klang in ihren Nachfragen mit. Denn Hedwig Richter – Historikerin mit einer frischen, frohen Stimme – behauptete für diese Zeiten zumindest Ungewohntes. Nämlich: dass es mit der Demokratie bei uns und weltweit gar nicht so schlecht stehe, wie oft behauptet. Historisch betrachtet natürlich. Global gesehen nehme Gewalt nicht zu, sondern ab. Die Zahl der Armen weltweit sei gesunken, früher tödliche Krankheiten seien eingedämmt, und – ganz wichtig – Frauenrechte in vielen Ländern gestärkt. Trotz Trump und AFD, trotz des politischen Erfolgs weißer, alter Männer und zunehmenden Nationalismus. Die Zeiten sind nicht schlecht, sagt Hedwig Richter, sie werden besser. Historisch betrachtet.

Die Moderatorin war verwirrt. Ich auch. Ich versuchte zu denken: „Mensch, ist die naiv!“ So könnte ich mir ihre Beobachtungen vom Hals schaffen. Doch das funktionierte nicht wirklich, denn Hedwig Richter wusste um den Demokratieabbau in Osteuropa, in der Türkei und anderswo. Sie hatte Zahlen zur Unterstützung ihrer Einschätzungen parat. Sie nannte Rassismus und Antisemitismus beim Namen. Sie findet, dass wir in Deutschland nicht genug tun für die Umwelt, zu viele Waffen verkaufen und zu wenig in den Frieden investieren.2 Hedwig Richter versteht sich als Feministin, ist keine, die uns die Wirklichkeit schönreden und westliche Privilegien erhalten will. Ich teile also vieles mit ihr.

Ich musste nachdenken. Wie kommt das, dass es mir so schwer fällt, in diesen Zeiten eine positive Nachricht zu hören? Grabgesängen und Geschichten von Gewalt und Finsternis zu glauben fällt mir offensichtlich leichter. Eine ernüchternde Erkenntnis, muss ich gestehen. Und dann auch noch im Advent!

Lied

EG 20,2-4

Das Volk, das im Finstern wandert, sieht ein großes Licht; über denen, die das Todesschattenland bewohnen, geht ein Licht auf. … Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Macht liegt auf seiner Schulter. Sein Rufname ist ‚Wunder-Rat‘ / ‚Gott ist stark‘ / ‚Mein Vater und meine Mutter auf immer‘ / ‚im Dienst des Friedens‘. Oder, vertrauter als in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache: und er heißt Friede-Fürst. Jesaja 9,1.5.6

Hätte ich das geglaubt? Hätte ich damals auf Jesajas Versprechen gehört? Das, was die Finsternis des Volkes ausmachte, das war der Krieg. Soldatenstiefel stampften durch das Land. Sie trampelten die Ernte kaputt, Hunger war die Folge. Sie hinterließen eine einzige Blutspur. Arme Leute konnten davon erzählen, wie sie ausgebeutet wurden, verachtet, getrieben von denen, für die sie arbeiten mussten. Sie konnten davon erzählen, wie der Druck, die Angst auf ihnen lastete. Es muss schrecklich gewesen sein im Todesschattenland.

Jesaja weiß genau, wie zerrissen, wie traurig und friedlos die Welt um ihn herum ist. Überall Gewalt und Unrecht!3 Er nimmt die Zerstörung des Lebens als Zerrissenheit in Gott selbst wahr: Gott zersplittert „in arm und reich, in oben und unten, in krank und gesund, in schwach und mächtig“.4  So wie auch heute der Krieg, Leiden und Unrecht Gott das Herz zerreißen. Und zugleich spürt Jesaja noch etwas anderes. Mitten in der Finsternis ist er berührt von Gottes Sehnsucht nach einem anderem, einem erfüllten und friedlichen Leben auf der Erde. So setzt der Prophet dem Todesschattenland das Versprechen eines wunderbaren Friedensreiches entgegen: „Das Volk, das im Finstern wandert, sieht ein großes Licht.“ Dann werden alle zu essen haben. Die Menschen werden frei sein, Soldatenstiefel werden einfach verbrannt. Stattdessen werden Recht und Gerechtigkeit das Leben bestimmen. Endlich Frieden!

Anders als viele Menschen heute sieht Jesaja die Veränderung nicht durch einen starken Mann in Gang gesetzt. Ein Putin, Trump, Orban, Erdogan und wie sie alle heißen, das wäre ihm kein Grund zur Hoffnung. Ausgerechnet ein Kind trägt das Versprechen. Und es heißt: Wunder-Rat, Gott ist stark, mein Vater und meine Mutter auf immer, Im Dienst des Friedens. Oder, wie es uns die Lutherbibel beigebracht hat: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Lied

EG 20,5+6

Jesaja hat Worte gefunden, die über die politischen Tagesgeschäfte hinweg eine Vision ausmalen, eine Hoffnung, die noch weiter geht als unsere Erfahrungen bis heute: Ratschläge werden Wunder bewirken können und einen nicht dumm dastehen lassen. Wunder-Rat. Gott wird stark sein, und Menschen werden einander nicht immer ihre eigene Stärke beweisen müssen. Gott ist stark. Vater und Mutter werden Geborgenheit schenken, die für ein ganzes Leben ausreicht. Mein Vater und meine Mutter für immer. Frieden wird sein. Endlich! Ein Frieden, der sogar noch mehr ist als die bloße Abwesenheit von Krieg, obwohl das schon wunderbar wäre. Dass alle genug haben und gut miteinander leben können, Wohlergehen, Zufriedenheit, all das gehört mit in diesen Frieden, den Jesaja herbeiruft.

In der christlichen Tradition wurde dieses Versprechen als ein Hinweis auf die Geburt Jesu verstanden und oft als erfüllt angesehen. Doch es ist keine „faktisch eingetroffene Prognose“5, sondern vielmehr eine Bestätigung, ein Einstimmen in diese große Hoffnung, an die Jesus glaubt. Jesajas Worte sind für ihn und können für uns sein: „Verheißungen, dass die Welt und die Menschen nicht auf ewig auf ihr So-Sein festgelegt sind.“6

Es ist doch merkwürdig, dass ich diesem alten Versprechen – das ich schon so oft gehört habe, dass ich es mitsprechen kann – traue und darauf hoffe, dass es wahr wird, obwohl ich mich mit den positiven Nachrichten über die Welt eigentlich so schwer tue. Es muss wohl mit dem Kind zusammenhängen. Der Friede-Fürst oder auch die Friede-Fürstin: ein Baby. Klein, zerbrechlich, kann weder laufen noch sprechen, kann nicht für sich sorgen, ist völlig abhängig von anderen, dünne Haut, so dass es alles spürt, und zarte Knochen, die behutsam umsorgt werden wollen. Kein starker Kerl, der’s allen so richtig zeigt. Das Kind braucht mich, uns, alle, damit es überleben und wachsen kann. In diesem Sinn ist „uns“, uns allen, ein Kind geboren. Kein göttliches Wunderkind. Wahrscheinlich, ja, ganz sicher lebt dieses Kind auch noch in uns. Das Kind lebt in unserem Erschrecken vor Gewalt, in unserer Suche nach Geborgenheit und Schutz, in dieser unverwüstlichen und so oft unrealistisch erscheinenden Sehnsucht nach einem liebevollen Miteinander, nach Frieden. Das Kind lockt uns, selbst Friede-Fürstinnen und Friede-Fürsten zu sein. Jesajas Verheißung schafft es in jeder Weihnachtszeit, meinen inneren Griesgram zu verstören und das Friedenskind in mir zu wecken. Und diesmal hilft eine Historikerin, die gute Nachrichten sammelt, dabei mit. Dafür bin ich wirklich dankbar.

Lied

Das Volk, das noch im Finstern wandelt EG 20,7+8

Gebet

Advent, das heißt: Wir freuen uns.
Frühere Enttäuschungen können uns nicht fesseln.
Die Hoffnung wird wieder groß, das Herz weit.
Und du, Gott, freust dich mit uns!

Advent, das heißt: Wir hoffen.
Wir finden uns nicht ab mit dem, was ist.
Wir sehen, wie viele leiden.
Wir glauben, Gott, du willst es anders.

Advent, das heißt: Wir warten.
Deine Verheißung von Frieden und Gerechtigkeit
ist noch nicht wahr geworden.
Wir bitten dich, Gott: halte unsere Sehnsucht danach wach.

wir beten

Vater unser im Himmel …

Segen

Gott segne dich und behüte dich.
Gottes Frieden begleite dich.
Gottes Zärtlichkeit umfange dich.
Gottes Liebe halte und stärke dich. Amen.

Lied

Tochter Zion EG 13

Der menschliche
Frieden / kommt 
 / auf nackten
Kinderfüßen  /  über
den Stacheldraht  /  der
Unmenschlichkeit.  /
So beginnt  /  der
menschliche
Frieden.

Wjatscheslaw Kuprijanow

Quellenangaben

1)  in: der gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache. Band 3: Die Psalmen, edd. E. Domay/H. Köhler, Gütersloh 1998, S. 307f
2) Vgl. den Kommentar „Das beste Deutschland aller Zeiten“ von Hedwig Richter, in: taz vom 19.9.2017, http://www.taz.de/!5445423/
3) Zur Berufung Jesajas vgl. Klara Butting, Hier bin ich. Unterwegs zu einer biblischen Spritualität, Schneverdingen 2011, 31ff
4) Fulbert Steffensky, zitiert nach Butting, 31
5) Jürgen Ebach, SchriftStücke. Biblische Miniaturen, Gütersloh 2011, 167
6) Ebd., 167f

Dr. Britta Jüngst ist Pfarrerin, Gestalttherapeutin und Supervisorin. Sie hat im Frauenreferat der Evangelischen Kirche von Westfalen und als Gemeindepfarrerin gearbeitet. Seit 2016 ist sie Krankenhauspfarrerin in Rheine und arbeitet als Supervisorin.

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