Alle Ausgaben / 2012 Bibelarbeit von Urte Bejick

Und sie sangen ein neues Lied

Himmelsklänge in der urchristlichen Literatur

Von Urte Bejick

Den Kindergottesdienst mochte ich nicht. Wegen der Lieder. Immerzu Schäflein und Mücklein … – viel eindrücklicher war da der Erwachsenengottesdienst an der Hand meiner Oma.

Damals, in den 60-er Jahren, trugen die Gottesdienstbesucherinnen noch schwarz und schwiegen, sobald sie das Gotteshaus betreten hatten. Bis dann die Orgel losdröhnte, die Menschen sich zu einer schwarzen Wand erhoben und lauthals sangen: Wachet auf, ruft uns die Stimme. Da richteten sich mir, sechs Jahre alt, sämtliche Rückenhärchen auf, so schaurig schön klang das.

Fünfzehn Jahre später, im theologischen Proseminar, erfuhr ich, dass mir in diesem Gesang das „Numinose“ begegnet war, also das Heilige, unverhüllt von theologischer Spekulation in seinem Schrecken und seiner Schönheit. So hat der Theologe Rudolf Otto „das Irrationale in der Religion“ definiert. Ein Einfallstor dafür sind natürlich unmittelbar zu Herzen gehende Klänge, Naturgeräusche, Musik – weshalb auch der Himmel mit Klang erfüllt sein muss. Davon gehen auch die kanonischen und andere, nicht in die Bibel aufgenommene frühchristliche Schriften aus.

Schweigen – Mutter aller Klänge

Dass in meiner Kindheit vor Beginn des Gottesdienstes geschwiegen wurde, hatte seinen Sinn. Denn der Ursprung jeden Klanges ist die Stille, das Schweigen. „Sprich: Schweigen, Schweigen, Schweigen, unvergängliches Symbol des unsterblichen Gottes. Behüte mich, Schweigen“, steht auf einem über 2000 Jahre alten jüdischen Papyrus geschrieben. Hier hatte ein Mensch einen Herzenswunsch, den er der höchsten Kraft anvertraute, die er kannte: dem Schweigen.

In der frühchristlichen Glaubensrichtung der Gnosis wurde – so ist es von ihren Gegnern und noch erhaltenen Schriften bezeugt – das Schweigen als Mutter aller Dinge geehrt. Sie ist kein eisiges Schweigen, sondern eine funkelnde Stille voller Möglichkeiten. Griechisch sige, das Schweigen, galt als eine göttliche Kraft gleich der Weisheit. Wie diese, die sophia, unterlag sie dann im Laufe der Traditionsbildung und „Rechtgläubigkeit“ dem eher männlichen logos, dem „Wort“. Sige entstammt der jüdischen Tradition. Im apokryphen jüdischen Buch der „Weisheit Salomos“, das sich in katholischen Bibelausgaben findet, tritt sie im Dienst der göttlichen Weisheit auf. In einer Nacherzählung des Exodus heißt es: „Als Ruhe und Schweigen in der ganzen Welt eingekehrt und die Nacht bis zur Mitte vorgeschritten war, sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, von deinem königlichen Thron, auf die Erde“ (Weish 18,14). Dies Erscheinen des „Wortes“ in tiefer Nacht hat in die katholische Weihnachtsliturgie Einzug gehalten und klingt im Lied „Stille Nacht“ nach. Im Weisheitsbuch allerdings entspringt nicht der Heiland dem Schweigen, sondern ein kriegerischer Engel, der die israelitischen Sklaven und Sklavinnen befreit, gleichzeitig aber durch die Tötung der erstgeborenen ägyptischen Kinder großes Leid bringt. Dennoch preist das Weisheitsbuch die Weisheit und damit die mit ihr verbündete Stille als absolut lebensfreundlich – die menschlichen Taten sind es, die Menschen den Tod bringen. Die „Stille inmitten der Nacht“ böte letzte Chance zur Umkehr. Sie kann – je nachdem, wie sich die Menschen entscheiden – beides gebären: Befreiung oder Zerstörung.

In den kanonischen Schriften des NT begegnet sige nur ein einziges Mal. Sie ist keine eigenständige Wesenheit – entfaltet aber in der Offenbarung des Johannes eine eigentümliche Kraft. Sie tritt an einem äußerst dramatischen Punkt der endzeitlichen Geschichte auf. Es ist beschlossen: Diejenigen, die die Erde zugrunde richten, werden selbst zugrunde gehen. Unter Jubel und Gesängen von Engeln und Menschen hat das geopferte Lamm sechs Siegel eines verschlossenen Buches geöffnet (Offb 6). „Als das Lamm das siebte Siegel aufbrach, herrschte im Himmel völlige Stille, eine halbe Stunde lang.“ (Offb 8,1)

Den Engelschören hat es den Gesang verschlagen, die Stille ist ein letztes Atemholen, eine letzte Frist, bis aus ihr erwachsend ein Lärminferno aus Posaunen, Blitz- und Donnergedröhn über die Menschheit herein bricht, das Gericht und Strafe begleitet. Diese entsetzliche Stille unterscheidet die biblische Schilderung vom Hollywood-Katastrophenszenario. Sie macht das folgende Posaunengeschmetter noch unheimlicher – und mildert doch jedes Gefühl von Rachsucht an der verdorbenen Menschheit. Nein, der Himmel freut sich nicht über den Untergang. Er schweigt.

Himmelsklänge – Protestlieder

Überhaupt ist die Offenbarung des Johannes das lautstärkste Buch des NT. Seher Johannes werden Briefe an christliche Gemeinden diktiert – nicht etwa durch sanfte Inspiration, sondern durch einen Engel mit der Stimmgewalt des jungen Eric Burdon (Offb 1,10;22,8). Mit Posaunen werden die Unglücke angekündigt, die über die Menschen kommen (8,7-9.12.13). Die Posaune ist eine Art Sirene, ohne dass die Menschen sich jedoch noch retten könnten. Entsprechend der Schwerhörigkeit der Menschen und der Wut, mit der die ganze Schöpfung sich schließlich gegen sie wendet, schlagen die himmlischen Klänge in Tierlaute um: Donner, Löwengebrüll (8,5;10,3-4) und Adlergeschrei (8,13). Die abtrünnige Menschheit wird – ihren Bluttaten entsprechend – einer wahren Lärmfolter ausgesetzt.

Im Kontrast dazu ist die von Johannes geschaute himmlische Welt voll Gesang, eine einzige Gesangsfülle der Engel- und Menschenchöre. Es singen „Tausende und Abertausende von Engeln, eine unübersehbare Zahl“ (4,11), und auch bereits in den Himmel entrückte Märtyrer stimmen mit ein. Im Himmel wird ein politisch Lied gesungen: Immer wieder preisen Engel und entrückte Menschen das Königtum Gottes und des schwachen Lammes, immer wieder wird proklamiert, was auf Erden gerade nicht anerkannt wird, sich aber nach vollzogener Katastrophe ereignen soll (4,8-11;5,11-13;11,15-19;19,1-4). Diese Lieder ertönen unaufhörlich, sie singen gegen die irdische Realität an, gegen den Lärm der Katastrophe. Zwei Klangwelten treffen aufeinander.

Freundlich wird dieser Gesang, wo Engel- und Menschenchor in eins gehen: „Dann hörte ich eine Stimme vom Himmel her, die dem Rauschen von Wassermassen und dem Rollen eines gewaltigen Donners glich. Die Stimme, die ich hörte, war wie der Klang der Harfe, die ein Harfenspieler schlägt. Und sie sangen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier Lebewesen und vor den Ältesten. Aber niemand konnte das Lied singen lernen außer den hundertvierundvierzigtausend, die freigekauft und von der Erde weggenommen worden sind.“ (Offb 14,1-3) Die Melodie will also verstanden sein, nicht jede und jeder kann mitsingen, nur gerechte Menschen. Wo sie aber mit einstimmen, mischt sich in die „gewaltige“ Stimme der Engel auch ein zarterer Ton – der Harfenklang.

„Und sie sangen ein neues Lied … Und alle Geschöpfe im Himmel und auf der Erde, unter der Erde und auf dem Meer, alles, was in der Welt ist, hörte ich sprechen: Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit.“ (5,9-13) Das Lied ist neu – denn hier wird die Schwäche gepriesen (vgl. auch Ps 81,6-7!). In den Himmelschor werden menschliche Gebete (5,8) integriert, erste Harfentöne erklingen und selbst die Kreatur, die bald danach die harten Strafen der Menschheit mitleiden muss, stimmt mit ein. Hier ist einmal, kurz vor dem großen Schweigen und der Katastrophe, im Gesang alles so, wie es sein könnte und sollte: Engel, Menschen, die Kreatur eint ein einziger Gesang, wo sie der Versöhnung huldigen. Und so wandeln sich die Auditionen des Johannes nach vollzogenem Gericht in Visionen des Neuen. Noch einmal proklamiert eine „gewaltige“ Stimme das Ende aller Leiden, dann lockt fast schüchtern der Geist zum Wasser des Lebens (22,17).

Fassen wir zusammen: Je misslicher die Lage auf Erden, desto lauter wird im Himmel gegen diese Realität angesungen. Und es gibt für die Irdischen Hoffnung – denn: Menschen können in diesen Gesang einstimmen und damit die unerträgliche Wirklichkeit auf Erden konterkarieren. Spuren dieses Gedankens finden sich auch in der nicht-apokalyptischen Literatur: Bevor die Engel „Frieden auf Erden“ verkünden, singt Maria bereits ein Siegeslied (Lk 1,46-55). Blicken die großen Frauenlieder des
AT – der Mirjam, Deborah und Hanna – auf geschehene Befreiung zurück, ist das „Magnificat“ kontrafaktisch. Die Mächtigen sitzen ja noch behäbig auf ihrem Thron. Wenn die wüssten!

Himmlische Tanzmusik

Menschen können sich der himmlischen Welt aber nicht nur in Protestsongs annähern, sondern auch im Tanz. Die griechische Idee einer Sphärenmusik, nämlich der Laute, die die Planeten durch Reibung auf ihrer Umlaufbahn erzeugen, ist dem Urchristentum fremd, ebenso hat der himmlische Tanz keinen Eingang in die kanonischen Schriften gefunden.
In den apokryphen „Johannesakten“, einer im 3. Jahrhundert entstandenen Schrift, ist ein vermutlich sehr viel älteres, liturgisches „Tanzlied“ überliefert. Kurz vor seiner Hinrichtung fordert Jesus seine Jünger auf, einen Kreis zu bilden. Zu einem Wechselgesang wird Reigen getanzt:
„Die Gnade tanzt.
Flöten will ich, und ihr sollt alle tanzen. – Amen.
Ein Klagelied singen will ich,
und ihr sollt an eure Brust schlagen. – Amen.
Die eine einzige Achtheit lobsingt mit uns. – Amen.
Die Zwölfzahl tanzt am Himmel. – Amen.
Der ganze Himmel kann tanzen. – Amen.
Wer nicht tanzt, weiß nicht, was geschieht. – Amen.“

Es kann vermutet werden, dass die Kreise, die dieses Lied tradierten, dazu auch in ihren Gottesdiensten tanzten. Im Tanz nimmt der Mensch Anteil am Leiden Christi, er ordnet sich ein in die Harmonie des Himmels, was mit den „vollkommenen“ Zahlen 8 und 12 für himmlische Mächte angedeutet wird. Wichtig ist, dass der Tanz ein Reigen ist, der in Gesang und Gegengesang gegliedert ist – eine Vereinigung aller Gegensätze.

Der Reigen spielt in einer jüdischen apokalyptischen Schrift aus dem 1. Jh. n. Chr., die auch von ChristInnen gelesen und teilweise überarbeitet wurde, ebenfalls eine Rolle. In diesem „4. Esra“ genannten Buch verheißt Gott: „Ich mache mein Gericht einem Reigen gleich: die Letzten sind darin nicht zurück, die Ersten nicht voran“ (4. Esr. 5,42). Der „Reigen“ ist also der „demokratische“ Tanz, in dem jede und jeder sich als Mittelpunkt fühlen darf, in dem Gegensätze versöhnt und vereint werden. Die Tanzenden des 4. Esra sind somit die leichtfüßigen Pendants zu den schwitzenden Arbeitern im Weinberg, die alle gleich entlohnt werden (Mt 20). Das Gericht ein Tanzfest! Wir erinnern uns daran, wenn wir im Gottesdienst nach dem Abendmahl einen Kreis bilden und uns an den Händen halten. Für meine norddeutschen Verwandten ein Akt ungewollter Übergriffigkeit und süddeutscher Dekadenz, aber – oft unbewusster – Anklang an eine 2000 Jahre alte Tradition!

Nüchterne Botschaft – skeptisch geprüft

Sehr viel nüchterner klingen verbale Botschaften aus dem Himmel. In den kanonischen Evangelien werden drei entscheidende Stadien im Leben Jesu vom Himmel her kommentiert. Natürlich die Geburt, wo Engel als Boten den Hirten das nicht Glaubliche erläutern und mit Gesang bekräftigen: dass der Retter als Kind in einem armseligen Stall geboren sei (Lk 2,10-14). Und hier hat sie wieder heimlichen Unterschlupf gefunden – die Stille. Eine nicht in den Kanon aufgenommene Schrift, das „Kindheitsevangelium des Jakobus“, eine phantasievolle Nacherzählung der Geburt Jesu, lässt Joseph von der Geburtsstunde berichten: „Ich ging umher und kam nicht vom Fleck. Ich blickte zum Himmel und sah, wie die Luft vor Staunen still stand, und ich blickte hinauf zum Himmelgewölbe und sah, wie es in seiner Bahn innehielt, und die Vögel des Himmels flogen nicht weiter“ (18,2). Wieder hält die Welt den Atem an.

Ob Stille oder Gesang – in Hinblick auf die Geschichte Jesu sind himmlische Klänge wohl dosiert eingesetzt. Die Taufe Jesu wird ohne Vermittlung von Boten, direkt durch eine Stimme vom Himmel legitimiert: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ (Mk 1,11) Und in der Verklärungsgeschichte, als die Jünger ihren Augen nicht trauen, Jesus flankiert von Mose und Elia zu sehen, kommt eine Stimme aus einer Wolke: „Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören.“ (Mk 9,7) „Die Stimme“ ist eine Umschreibung des unaussprechlichen Gottesnamens, also Gott selbst. Sie ist Machtwort, ununterschieden vom Sprecher. Sie wird „sichtbar“ durch Taube und Wolke und stellt sicher, wer Jesus ist – mehr als sein Lehrer Johannes, ebenbürtig Mose und Elia. Gottes Stimme selbst gehört zu haben legitimiert und privilegiert auch die Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, die die Verklärung Jesu miterlebt haben: Was sie verkünden, ist wirklich und wahrhaftig wahr.

Nicht von ungefähr also wird die Berufung auf eine himmlische Stimme im NT sparsam eingesetzt. Inflationären Himmelsbotschaften wird eher skeptisch begegnet. Zwar hat Paulus selbst „unaussprechliche Worte“ des Paradieses (2 Kor 12,4) gehört, doch lässt er dies nicht als Legitimation seines Amtes gelten. Engelsbotschaften, die dem von ihm verkündeten Evangelium widersprechen, erkennt er nicht an (Gal 1,8). Mit Engelszungen reden? Wertlos, meint Paulus (1 Kor 15,1). Kriterium für die „Wahrheit“ eines Himmelsklanges ist ihm die Liebe, die darin zum Ausdruck kommt.

Dieses so skeptische wie menschenfreundliche Element, das in der christlichen Tradition unter dem Hochzeitstortenguss des „Hohenlieds der Liebe“ verschwand, hat ein interessantes Pendant in der rabbinischen Tradition, deren früher Vorläufer Paulus vielleicht geworden wäre, hätte er sich nicht dem „neuen Weg“ der Christen zugewandt. Im babylonischen Talmud wird von einer Diskussion unter Gelehrten berichtet, in der Rabbi Eliezer gegen die Mehrheit an seiner Meinung festhält. Er beweist ihre Richtigkeit durch Wunder: Ein Johannesbrotbaum verpflanzt sich selbst, ein Fluss leitet sich um, die Wände des Lehrhauses drohen einzustürzen – er findet keine Anerkennung. Zuletzt ruft er den Himmel um ein Machtwort an. Und tatsächlich erschallt eine Stimme vom Himmel: Die Weisung geht nach Rabbi Eliezer. Doch auch dies wollen die anderen nicht anerkennen. „Wir achten auf keine Stimme vom Himmel“, antwortet stellvertretend Rabbi Jirmeja. Die Auslegung der ein für allemal offenbarten Torah sei Mehrheitssache, so sei es am Sinai festgelegt worden. Hier wird das Prinzip der rabbinischen Auslegung deutlich: Die Torah ist den Menschen anvertraut, ihre (praktische) Auslegung richtet sich nach der Mehrheit, das heißt, nach der praktikabelsten und menschenfreundlichsten Weise. Und was sagt der Himmel dazu? Der lacht freudig über Argumentationsfreudigkeit seiner Kinder.(1)

Die geliebte Stimme

Menschenfreundlichkeit als Entscheidungskriterium, ob eine „Stimme von oben“ göttlich ist oder Illusion – dies meint auch Paulus, wenn er Rede in „Engelszungen“ ohne Liebe für nichtig hält. Es fällt auf, dass gerade das Unglaublichste, das gänzlich Unsägliche – nämlich die Auferweckung des gemarterten Menschen Jesus – ohne Posaunen, Triumphgesang oder Stimme von oben auskommt. Sicher, Saulus wird von einer Lichtvision vom Pferd geworfen, aber die begleitende Stimme klingt doch eher schüchtern: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ (Apg 9,4) Auch die Engel am leeren Grab sind höfliche junge Männer, die nüchtern verkünden: „Er ist auferstanden.“ Der Auferstandene spricht mit äußerster Schlichtheit: „Seid gegrüßt“ ist nach Matthäus sein erstes Wort an die Frauen (Mt 28,9). Die Jünger von Emmaus erinnern sich: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?“ (24,32) Das tröstende Wort eines Fremden berührt hier das Herz – und wird im Nachhinein als Zeugnis für die Wirklichkeit des Auferstandenen erkannt.

Der Zauber der menschlichen Stimme findet am schönsten Ausdruck in der Erscheinung vor Maria Magdalena, wie sie das Johannesevangelium berichtet: „Jesus sagte zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner… Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!“(Joh 20,15-16). Die Erkenntnis der Auferstehung erfolgt im Wiedererkennen der geliebten Stimme, die mit Namen anredet. Nicht Posaunen, Engelchöre, Sphärenklang, letztendlich ist es die menschliche Stimme, die vom Leben kündet und zum Leben erweckt.

Für die Arbeit in der Gruppe

– Einstieg
Es werden Kunstpostkarten und Fotos singender und Instrumente spielender Engel oder auch musizierender Wasserspeier ausgelegt. Jede Teilnehmerin nimmt sich eine Karte, mit der sie sich vorstellt und dabei die Frage beantwortet: Was assoziiere ich mit „himmlischem Klang“?

– Impuls
Würden Sie mit „himmlischem Klang“ auch Protestsongs verbinden? – Einführung anhand der Abschnitte über die Johannesoffenbarung.

– Gespräch in kleinen Gruppen
Erinnern Sie sich an die erste „verbotene“ Musik, die Sie heimlich oder „aus Protest“ gehört haben? Das kann die erste Beatles-Platte gewesen sein, aber auch die heimlich verborgene Roy-Black-CD. Alles darf genannt werden – eine Bewertung findet nicht statt!

Besonders reizvoll ist es, wenn die Gruppe altersmäßig gemischt ist. Hier können sich Jüngere und Ältere darüber austauschen, welcher Musikgeschmack für sie „Protest“ ist – und warum. In einer bekannten, eher homogenen Gruppe kann eine Sammlung „bewährter“ CDs ausgelegt werden – jede Gruppe einigt sich auf ein Lied, das ihren Vorstellungen am nächsten kommt. Es schließt sich ein kurzes „Wunschkonzert“ an.

– Impuls
Singen und Musik hören hat laut Bibel also etwas mit Sehnsucht nach einer anderen Wirklichkeit zu tun. „Himmelsklänge“ sind das, was das Herz berührt. Dies kann auch die Stille als Mutter aller Klänge sein. – kurzes Referat über den Abschnitt zur „Stille“

Wie Stille und geistlicher Gesang zum Aufbruch, ja zur Emanzipation führen können, schildert Marianne Hofmann in einem autobiographisch getönten Roman. Die weibliche Hauptfigur wächst in den 50-er Jahre in einem niederbayerischen Dorf auf – dort hat sie kaum Bildungsmöglichkeiten, als Jugendliche muss sie in der väterlichen Gastwirtschaft helfen. Trost spenden ihr die Nacht und ein nahe gelegenes Kloster …

Über dem Dorf liegt die Nacht. Wenn sie zu ersticken droht in der bierbleiernen Zuneigung der Männer, geht sie vor die Haustür. Im Kloster, in den Zellen der Mönche brennt Licht. Sie werden lesen. … Sie beneidet jeden, der das darf. … Am Himmel treten die Sterne hervor, und es dauert nicht lange, dann ist er bedeckt von einem Netz leuchtender Punkte. … Ein Glücksgefühl durchströmt sie: Der große Wagen, der große Wagen, ich hab ihn! Hinausschreien möchte sie es. …
Sie verlässt den brodelnden Lärm der Gaststube, die Männer am Biertisch, die Küche, den Stall und huscht durch das Dorf, das daliegt in Kargheit und Trostlosigkeit. Vorsichtig drückt sie an der Kirchentür die Klinke des schweren Schlosses herunter. … Vorne im Chorgestühl stehen die Mönche. … „In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti“, die Melodie des Gregorianischen Gesanges, die Stimmen der Mönche, ehrfürchtig und sanft strömen sie ein. Sie taucht ein in das wiederholte „Gloria Patri, et Filio, et Spiritu Sancto“, es ist das, was man Himmel nennen könnte oder auch Schoß. Sie rennt nach Hause. Keiner … weiß, dass sie brennt, hell lodernd vor Sehnsucht. … Kyrie eleison. Kyrie eleison.“
Marianne Hofmann: Es glühen die Menschen, die Pferde, das Heu. Frankfurt/M., 1998

– Austausch in kleinen Gruppen
Kennen Sie Erfahrungen der Stille, geistlicher und „weltlicher“ Musik, die eine Wende in Ihrem Leben begleitet oder die Ihnen Geborgenheit, Kraft und Mut gegeben haben?

– Plenum:
Die Teilnehmerinnen können hier in der großen Gruppe solche „Kraftlieder“ nennen, die, so allgemein bekannt, in einem „Wunschkonzert“ von allen gesungen werden.

Dr. Urte Bejick, geb. 1958, ist Theologin. Sie arbeitet als Referentin für Theologie und Seelsorge und Altenheimseelsorge im Diakonischen Werk Baden.

Anmerkungen:
1 überliefert im babylonischen Talmud, B.M. 59b

Verwendete Literatur
Das Tanzlied sowie weitere nichtkanonische frühchristliche Schriften finden sich in:
Klaus Berger, Christiane Nord (Hgg): Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Ffm./Leipzig 1999

zur gnostischen Literatur
Elaine Pagels: Versuchung durch Erkenntnis. Die gnostischen Evangelien. Frankfurt/M. 1981
Josef Schreiner: Das 4. Buch Esra. JSHRZ V, Neukirchen 2001

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