Alle Ausgaben / 2008 Frauen in Bewegung von Emilie Steggewentze, Lisa und Jackeline Hamzeh-Holle

Vandana Shiva

Kämpferin für eine Kultur des Friedens

Von Emilie Steggewentze, Lisa und Jackeline Hamzeh-Holle


Am 5. November 1952 kam Vandana Shiva in Dehra Dun im nordindischen Uttranchal auf die Welt. Sie lernte schon als kleines Mädchen die Natur zu achten. Ihre Eltern entschieden sich, den geachteten staatlichen Dienst im Schulwesen und beim Militär aufzugeben, um als Bauern zu arbeiten.

Seit über dreißig Jahren setzt sich Vandana Shiva ein „für eine Kultur der Gewaltlosigkeit, des kreativen Friedens und des Lebens“.(1) Ihr Verständnis von Demokratie gründet darauf, dass alle Menschen einander durch Liebe und Einfühlungsvermögen verbunden sein sollten. Ökologisches Verantwortungsbewusstsein und ein nachhaltiges und gerechtes Wirtschaften sieht sie als Ziele einer sinnerfüllten Lebensführung an.(2)


Bäume umarmen

Vandana Shivas Engagement beginnt in den 1970-er Jahren in der Chipco-Bewegung. „Chipco“ bedeutet „Umarmung“. Frauen in der Himalaja-Region umarmen die Bäume, die gefällt und verkauft werden sollen. Aus dieser gewaltlosen Form des Widerstandes wächst eine erfolgreiche Bewegung: 1980 verbietet Indira Gandhi für 15 Jahre das Fällen gesunder Bäume in der Region.

Der Erfolg löst ähnliche Initiativen in anderen Regionen aus. Unterstützt werden sie von der Religionsphilosophin Indu Tikear, die in ihren Predigten die Ganzheitlichkeit und Einzigartigkeit des Lebens betont. Zu den Vorbildern der Chipco-Bewegung zählt Mahatma Gandhi, der seine Visionen in der Beschäftigung mit verschiedenen Religionen entwickelte und sich dabei intensiv auch mit christlichen Wertvorstellungen auseinander setzte.(3)


Frauen und Natur schützen

Nach ihrem Physik-Studium in Kanada entscheidet sich Vandana Shiva gegen eine akademische Karriere, da sie  Wissenschaft und Technologie von den Interessen einer Minderheit Reicher und Mächtiger dominiert sieht. 1982 kehrt sie nach Indien zurück und gründet auf dem Hof ihrer Mutter in Dehra Dun die Organisation „The Research Foundation for Science, Technology and Ecology“ (RFSTE). Sie wird von den einheimischen Frauen stark unterstützt und  entwickelt die Grundlagen einer Theorie des Ökofeminismus. Vandana Shiva  kritisiert die Herabstufung der Frauen und der Natur, wenn sie wie Rohstofflieferanten behandelt werden. Für sie sind Umweltschutz und Feminismus untrennbar miteinander verknüpft.

Vandana Shiva kämpft auch gegen genetisch veränderte Lebensmittel, da sie langfristig eher zu einer Minderung und zu einer größeren Anfälligkeit der Ernten beitragen, und gegen die  Bio-Piraterie der großen Konzerne beim Saatgut. Deren Praktiken kritisiert sie als ungerecht und unverantwortlich. Sie verstärken die Ernährungsprobleme, da sie den Bauernfamilien vor Ort zu wenig Spielraum lassen.


Frieden fördern

Heftige Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Sikhs im Punjab im Herbst 1984 führen zur Ermordung von Indira Gandhi. Im Dezember desselben Jahres treten Gifte aus einer Pestizidfabrik der US-Firma Union Carbide Corporation in Bhopal aus – die Zahl der Toten und Verletzten geht in die Tausende. Vor diesem Hintergrund gründet Vandana Shiva Navdanya – eine Initiative, die sich für ein friedliches Zusammenleben und nachhaltige  Formen der Landwirtschaft einsetzt. Ihr Ziel ist, die Rechte der Menschen auf Wissen, Artenvielfalt, Wasser und  Nahrung zu schützen.

Navdanya gehören nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 70.000 Bauernfamilien an. Die Organisation hat in 13 indischen Staaten Samenbanken  eingerichtet, um die heimische Pflanzenwelt zu bewahren, traditionelles Saatgut durch Direktvermarktung verfügbar zu halten und die Unabhängigkeit der  Bauernfamilien zu schützen. Sie lädt auch zu Seminaren ein – beispielsweise über traditionelles Wissen indischer Frauen über Ernährung und Gesundheit, über Globalisierung und Klimawandel oder darüber, was sich von Gandhi über Globalisierung lernen ließe.

Auch international setzt Vandana Shiva sich für Frieden und Nachhaltigkeit ein. Sie ist Mitglied im „Club of Rome“; das 1968 gegründete Netzwerk steht für einen globalen Gedankenaustausch über gesellschaftliche Fragen und Probleme. Sie ist Gründungsmitglied der Initiative „Weltzukunftsrat“, die globale politische Entwicklungen beeinflussen möchte. Außerdem berät sie die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Und natürlich ist ihr Solidarität unter Frauen auch im globalen Kontext ein Anliegen. Sie ruft die internationale Kampagne „Diverse Women For Diversity“ ins Leben, um Frauen weltweit für den Einsatz für biologische und kulturelle Vielfalt und Ernährungssicherheit zu gewinnen. Deutsche Vertreterin im internationalen Steuerungskomitee der Kampagne ist Christine von Weizsäcker. (4)


Gemeingut zurückfordern

In ihrer Abschlussrede des G8-Alternativgipfels im Juni 2007 beklagt Vandana Shiva, dass zahlreiche afrikanische und indische Bauern in den Selbstmord getrieben werden, weil sie von Konzernen wie Monsanto oder Bayer überteuertes Saatgut kaufen müssen. Ihre Erzeugnisse müssen sie dann zu den von der WTO vorgegebenen Bedingungen verkaufen. Ihnen bleibt keine Perspektive für eine gesicherte Existenz. Vandana Shiva fordert deshalb: „[…] unser Saatgut, unser Wasser, unsere Luft sind Gemeingüter, die wir teilen, Gemeingüter, die wir schützen müssen. Sie werden in das Eigentum der Konzerne gedrängt, was bedeutet, dass das Wasser, das wir trinken, die Saat, die wir säen, die Nahrung, die wir essen, bei jedem Schritt Profite generiert für eine Hand voll Konzerne. […] Diese Gemeingüter müssen zurückgefordert werden. Ich glaube, das ist der wichtigste ökonomische Kampf, das ist die wichtigste Friedensfrage, das ist die wichtigste Nachhaltigkeitsfrage.“(5)

Auch an der UN-Umweltschutzkonferenz im Mai 2008 in Bonn nimmt Vandana Shiva teil. Zeitgleich findet, mit initiiert vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), in unmittelbarer Nähe die Gegenkonferenz „Planet Diversity“ statt. In diesem Rahmen fordert Vandana Shiva dazu auf, den Empfehlungen des Weltagrarrates (IAASTD) zu folgen. Der Rat wurde im Rahmen der UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg ins Leben gerufen. In ihrem Abschlussbericht fordern die vierhundert Ratsmitglieder die Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden und eine gerechte und nachhaltige Landwirtschaft. Dies schließt die Unterstützung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe – etwa durch Mikrokredite – ein. Sie kritisieren Monokulturen, den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut und die zunehmende Monopolisierung im Bereich der Landwirtschaft.(6)

Für ihr Engagement ist Vandana Shiva mehrfach ausgezeichnet worden. Unter anderem erhält sie 1993 den Alternativen Nobelpreis und 2007 den von der  Stiftung ETHECON verliehenen „Blue-Planet-Award“.

Dieses Porträt ist in Zusammenarbeit mit Emilie Steggewentze und Lisa Hamzeh-Holle entstanden, zwei zwölfjährigen Schülerinnen der Ricarda-Huch-Schule in Hannover. Sie haben am Zukunftstag (Girl's Day) 2008 die Geschäftsstelle der EFiD besucht und sind bei der Vorbereitung des Artikels von Jackeline Hamzeh-Holle unterstützt worden.

Lisa und Emilie haben sich auch überlegt, welche Fragen sie Vandana Shiva gerne stellen würden: „Haben Sie manchmal das Gefühl, dass man Sie und Ihre Arbeit nicht ernst nimmt?“ Und: „Sind Sie wütend, wenn Sie sehen, was in ihrem Land passiert, oder eher traurig?“ Die Mädchen wüssten gerne auch, aus welchen Quellen Vandana Shiva nach Rückschlägen Kraft schöpft. Leider ist es nicht gelungen, einen direkten Kontakt herzustellen. Dennoch hat das Engagement von Vandana Shiva Lisa und Emilie sehr beeindruckt. Denn sie fragt nicht nur: „Wie kann es sein, dass  Bauern, die Nahrung anbauen, Hunger leiden?“(7) Sie nutzt ihr Wissen und ihre Begabung, um dagegen vorzugehen.


Anmerkungen:

1 http://www.navdanya.org/earthdcracy/index/htm>, 19.07.2008.
2 http://www.navdanya.org/about/founder-message.htm>, 19.07.2008.
3 http://www.salzburg.gv.at/rla2005pdf_bahuguna.pdf>, 19.07.2008 und: Haigh, Martin J. (1988): Understanding 'chipco'. The Himalayan people's movement for forest conservation. In: International Journal of environmental studies, Bd. 31, Heft 2&3, S. 99-110, New York u.a.: Gordon & Breach.
4 www.navdanya.org/dwd/index.htm, 19.07.2008.
5 http://www.g8-alternative-summit.org/de/media/070607%20Rede%20Vandana%20Shiva.doc, 19.07.2008.
6 http://www.planet-diversity.org/fileadmin/files/planet_diversity/Presse_release/12.05.08_WDR__UN-Treffen_und_Gegengipfel_.pdf, 19.07.2007.
http://www.tagesschau.de/ausland/weltagrarrat2.html, 19.07.2008.
ttp://www.gegenwind.info/237/planet-diversity.html
, 19.07.2008.
http://www.agassessment.org/docs/SR_Exec_Sum_280508_English.pdf,
9.07.2008.
7 Ostendorf, Hubert (2008): Roten Reis retten. In: Asphalt Magazin Februar 2008, S. 12f, Hannover: Diakonisches Werk e.V. und H.I.o.B. e.V.

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