Der glücklichste Moment im Leben eines Mannes ist die Geburt seines ersten Kindes. Außer bei den Vätern, die gerade auf der Autobahn in Richtung Krankenhaus rasen. Oder bei denen, die bewusstlos im Nebenzimmer des Kreißsaals liegen. Oder die keinen Kontakt mehr zur Mutter des Kindes haben. Und abgesehen von mir. Obwohl ich dabei war: körperlich anwesend, keineswegs ohnmächtig und emotional voll engagiert. …
Der glücklichste Moment in meinem Leben war drei Tage nach Toms Geburt. Nach drei Tagen voller Faszination, Überforderung und Unsicherheit. Nach 1000 Fragen, 3000 Antworten und reichlich Schlafentzug. Tom war gerade gestillt worden, wollte aber so gar nicht still sein. Im Gegenteil, er schrie wie am Spieß, sogar auf dem Bauch der besten Mutter vom Siegfriedplatz. Ich nahm ihn auf den Arm, trug ihn durch die Wohnung und redete leise auf ihn ein. Nach zwanzig Sekunden war er ruhig, nach zwei Minuten eingeschlafen. Ich legte ihn unendlich vorsichtig in sein Bettchen. Er schlief weiter. Katharina lächelte dankbar und schlief auch ein. Ich holte mir ein Bier.
In diesem Moment, mit meinem Bier auf der Wohnzimmercouch, fühlte ich, dass mein Sohn nun seine Scheu vor mir für immer abgelegt hatte. Dass er Vertrauen in mich und in unsere Beziehung gefasst hatte. Dass er sich bei mir völlig sicher fühlte. Dass er meine Gegenwart genoss. Ich fühlte mich geliebt. Ich war unfassbar glücklich.
Heute weiß ich natürlich, dass es genau umgekehrt war. Dass ich meine Scheu verloren, Vertrauen gefasst, Sicherheit gewonnen hatte. Tom war am besagten Abend so abgefüllt mit Muttermilch, dass er vermutlich auf einem Rodeo-Pferd eingeschlafen wäre. Aber was spielt das noch für eine Rolle? Dieses Erlebnis erfüllte mich mit so viel Liebe, Glück und Mut, dass ich tatsächlich Vater wurde an diesem Abend, mehr noch als drei Tage zuvor. Und vermutlich liebt jeder Junge den Mann, der mit ganzem Herzen sein Vater wird – egal ob bei der Geburt, drei Tage, Jahre oder Jahrzehnte später.
aus:
Die Ritter des Möhrenbreis –
Geschichten von Vater und Sohn
mit Illustrationen von Jens Rassmus
© Patmos-Verlag
der Schwabenverlag AG
Ostfildern
22010
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