Ausgabe 1 / 2013 Material von Katja Heidemanns

Verändert AIDS die Kirche positiv?

Von Katja Heidemanns

Die Pietà ist kraftvolles Symbol einer Welt, die den Schöpferwillen pervertiert, weil sie es zulässt, dass Mütter wie Maria ihre vor der Zeit gestorbenen Töchter und Söhne begraben müssen. Auch deshalb haben sich Künstlerinnen und Künstler das Motiv seit dem Ausbruch der Pandemie immer wieder zu eigen gemacht: Maria als Mutter eines in jungen Jahren an AIDS gestorbenen Mannes, der Gekreuzigte als HIV-Infizierter, gezeichnet von den typischen Zeichen der Immunschwäche. Nicht wenige Christen fühlen sich von solchen Darstellungen provoziert und in ihren religiösen Gefühlen verletzt.

Wie Wolfram Kayer, AIDS-Seelsorger in einer deutschen Diözese, zurecht bemerkt, engagieren sich Kirche und Gemeinden hierzulande vor allem dort, wo es möglich ist, aus sicherer Distanz mit AIDS umzugehen, ohne ihm nahe zu kommen, ohne selbst „unrein“ zu werden. Sie unterstützen die Kirchen in den am stärksten betroffenen Regionen, fördern Hilfsprojekte, beteiligen sich an Pharmakampagnen und betreiben Lobbyarbeit. Dieses Engagement ist wichtig und notwendig und soll in keiner Weise in seiner Bedeutung geschmälert werden. Wenn AIDS aber als Herausforderung an das missionarische Handeln der Kirche verstanden werden soll und Mission als Teilhabe am Heilshandeln Gottes nicht nur ein Merkmal neben anderen ist, sondern die Identität der Kirche ausmacht, geht es um mehr. Es geht um das Wesen der Kirche selbst, die nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern ihre Identität im Heilsplan Gottes mit seiner Schöpfung findet.

„Verändert AIDS die Kirche positiv?“ lautet eine populär gewordene Formulierung, die schon mancher Veranstaltung und auch diesem Beitrag ihren Titel gegeben hat. Das heißt nichts anderes als: Wird die HIV/AIDS-Pandemie als ein Kairos erkannt, die eigene Sendung und damit die ihre wahre Identität als Kirche Jesu Christi besser und tiefer zu verstehen? Bischof Kevin Dowling, der langjährige Leiter des AIDS Büros der Südafrikanischen Bischofskonferenz hat diesen tiefergehenden und umfassenden Anspruch in zahlreichen Interviews auf den Punkt gebracht: „Wir als eine Gemeinschaft der Gläubigen haben AIDS.
Es ist ja nicht so, als wäre die Kirche irgendwo ,da draußen' befasst mit der pastoralen Sorge für Menschen, die HIV infiziert sind, während wir selber nicht betroffen sind. Nein, wir als Gemeinschaft sind unmittelbar betroffen. Wir müssen uns selber sehen – uns, die Kirche, als Leib Christi mit AIDS: Die Kirche hat AIDS.“

Die südafrikanische Theologin Denise Ackermann zitiert in einem Beitrag über die Herausforderung, die HIV und AIDS für die Kirche darstellen ein Gedicht des brasilianischen Bischofs Dom Helder Camara:
Ich bete unaufhörlich / für die Bekehrung / des -Bruders des verlorenen Sohnes / Immer klingt mir im Ohr / die schreckliche Mahnung: / „Der erste ist aufgewacht aus seiner Sünde. / Der zweite – / wann wird er aufwachen / aus seiner Tugend?“

Ist die Kirche aus ihrer Tugend aufgewacht? … HIV und AIDS können dazu beitragen, dass Kirche ein Missionsverständnis überwindet, das den anderen als bloßes Objekt ihres Handelns wahrnimmt, und ihr helfen, Mission als ein Beziehungsgeschehen zu verstehen, in dem sie sich selber als bedürftig erfährt und aus sich heraus tritt, sich herausfordern lässt die eigene Sendung neu zu lesen, Veränderungen zuzulassen und eindeutiger zu werden. Ein kirchlicher Diskurs zu HIV/AIDS ist dann ein verantwortlicher Umgang mit der Katastrophe, wenn er in dem Bewusstsein geführt wird, in der Verkündigung der frohen Botschaft Jesu vom liebenden Gott angewiesen zu sein auf den Anderen, der es der missionierenden Kirche ermöglicht, selbst neu Erfahrung mit diesem Gott zu machen. Dass dieses Verständnis kirchlicher Sendung auch eine schöpferische Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition beinhaltet und die Überprüfung herkömmlicher Sprach- und Bewertungsmuster erfordert, wird gerade am Beispiel der HIV/AIDS-Pastoral überaus deutlich. Nur so wird es möglich sein, jede Begegnung offen und hörbereit als mögliche Gottesbegegnung zu sehen, das heißt, sich selbst und andere für die befreiende Gegenwart Gottes zu sensibilisieren.

aus:
Grenzen erkunden –
zwischen Kulturen,
Kirchen, Religionen
hgg. v. Katrin Kusmierz u.a.
© Verlag Otto Lembeck
Frankfurt am Main 2007

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang