Ausgabe 1 / 2008 Andacht von Karin Hartz-Hellemann

Vergesst die Gastfreundschaft nicht

Andacht zu Hebräer 13,2

Von Karin Hartz-Hellemann


Es gibt nicht viele Bibelstellen zum Stichwort „Gastfreundschaft“, und doch ist die Tischgemeinschaft als Bild für Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen tief im Christentum verankert. Diese Andacht möchte Gastfreundschaft zum Erlebnis werden lassen und als christliche Tugend, als christliches „Markenzeichen“ in Erinnerung rufen.

Vorbereitung: Vierer- oder Sechsertische sind dekorativ mit Kerzen, Blumen und Früchten (je nach Jahreszeit) gedeckt. Auf den Plätzen liegen Blanko-Tischkarten und Stifte. Auf einem Extratisch stehen Gläser für Traubensaft und Körbe mit Brotkonfekt bereit. Während die Frauen eintreffen, spielt im Hintergrund festliche Musik.


In der Mitte jedes Tisches liegt ein Spruchband mit einem der folgenden Bibelverse. Beim Eintreten zieht jede Frau ein Kärtchen, auf dem je eine der Bibelstellen angegeben ist, und setzt sich an den entsprechenden Tisch. Folgende Bibelstellen schlage ich vor:
– 1. Mose 18,4-5: Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen. Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen. (Abraham)
– Römer 12,13: Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind: gewährt jederzeit Gastfreundschaft!
– Matthäus 25,35: Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen.
– Lukas 10,38f: Es begab sich aber, da sie weiter zogen, kam Jesus in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Martha, die nahm ihn auf in ihr Haus.
– Lukas 19,5: Und als Jesus kam an die Stätte, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend hernieder; denn ich muss heute in deinem Hause einkehren.

Wenn alle ihre Plätze gefunden haben, liest jeweils eine Frau den „Tisch-Bibelvers“ für alle im Raum Anwesenden vor.


Die Leiterin führt nun die Frauen zum Thema der Andacht und lädt zu einer Fantasiereise ein. (Text mit viel Ruhe vortragen)

Laden Sie gern ein? – Werden Sie gern eingeladen? – Empfangen Sie gerne Gäste? – Oder fällt es Ihnen leichter, Gast zu sein?

Pause zum Nachsinnen

Ich möchte Sie zu einer Fantasiereise einladen:
– Setzen Sie sich entspannt hin, so dass Sie wirklich bequem sitzen. Schließen Sie die Augen und nehmen Sie sich Zeit, innerlich zur Ruhe zu kommen. Achten Sie auf Ihren Atem, wie er kommt, wie er geht.
– Stellen Sie sich nun vor: Sie begeben sich auf eine Reise, eine Reise zu Fuß.
– Auf Ihren Rücken schnallen Sie einen Rucksack mit dem Nötigsten, was Sie für unterwegs brauchen.
– Sie haben kein festes Ziel. Sie wollen nur wandern, gehen um des Gehens willen.
– Niemand begleitet Sie, Sie gehen allein.
– Sie verlassen jetzt Ihr Zuhause, schließen die Haustür, schauen noch einmal zurück und gehen direkt auf den nächsten Wald zu.
– Dunkel ragen die Bäume rechts und links neben Ihnen auf. Es riecht etwas moderig im Unterholz. Still ist es hier.
– Entlang Ihres Weges fließt ein Bach. Sie gehen weiter.
– Jetzt erreichen Sie den Waldrand. Vor Ihnen erstreckt sich eine große, weite Wiese. Ein kleiner Trampelpfad schlängelt sich hindurch.
– Sie gehen auf diesem Pfad weiter. 
– In der Ferne sehen Sie kleine Ansiedlungen.
– Weit und breit ist kein Mensch zu sehen, Vögel ziehen über Ihnen ihre Bahn.
– Sie kommen an einen Fluss; eine Brücke lädt Sie zum Hinübergehen ein.
– Die Gegend ist Ihnen fremd. Es wird langsam dämmerig.
– Nebelschwaden steigen vom feuchten Wiesengrund auf, die Sonne ist schon lange untergegangen.
– Sie fragen sich: Wo soll ich die Nacht verbringen?
– Der Abendstern erscheint am Himmel, auch die Mondsichel zeigt sich. Langsam spüren Sie, wie kühl es geworden ist.
– In der Ferne sehen Sie ein kleines Haus. Es duckt sich unter einem aufragenden Felsen.
– Da wird ein Licht ins Fenster gestellt. Freundlich wirft es seinen Schein in die Dunkelheit.
– Ist hier eine Bleibe für die Nacht? Wohnen dort freundliche Menschen? Werden Sie dort aufgenommen?
– Je näher Sie dem Haus kommen, desto höher schlägt Ihr Herz.
n Sie haben das Haus erreicht. Sie öffnen die knarrende Gartentür; nun stehen Sie vor der Haustür. Das Licht flackert noch immer im Fenster.
– Sie fassen sich ein Herz und betätigen den Türklopfer.
– Jemand scheint sich der Tür von innen zu nähern, die Tür öffnet sich und vor Ihnen steht in hellem Licht ein Mensch.

Pause

Werden Sie hereingebeten?
– Oder müssen Sie weiterwandern – wieder in die Nacht hinaus?
– Wie tragen Sie Ihr Anliegen vor?
– Wie reagiert der Mensch?

Zeit lassen

Öffnen Sie nun die Augen, recken und strecken Sie sich, kommen Sie zurück in Ihre Tischgemeinschaft …
Sie haben möglicherweise Ihre Wanderung unterschiedlich beendet. Tauschen Sie sich mit Ihrer Tischgemeinschaft darüber aus: Wie haben Sie den Moment erlebt, als sich die Tür öffnete? Sind Sie hereingebeten worden oder mussten Sie weiterwandern? Welches Erlebnis von Gastfreundschaft fällt Ihnen spontan ein, wo Sie sich rundherum wohl gefühlt haben?

Die Leiterin bittet nun die „Tischgemeinschaften“ um eine Kernaussage, was für sie echte Gastfreundschaft beinhaltet.

Sie notiert die Aussagen auf einem für alle sichtbaren Plakat mit dem angefangenen Satz: „Echte Gastfreundschaft ist für mich …“ (z.B.: wenn ich das Gefühl habe, willkommen zu sein; miteinander reden, trinken, lachen, essen; Erfahrungen austauschen; einander zuhören; sich mit-teilen; ein üppiges Essen)

Lied: Komm, bau ein Haus, das uns beschützt (siehe Seite 30)

Zum Vorlesen:
Gastfreundschaft war den Menschen der Antike heilig. Griechen, Juden und Römer übten in gleicher Weise Gastfreundschaft. Denn im Gast, so glaubten sie, poche Gott selbst an ihre Pforte, um Einlass zu finden. Und Gott würde den Gastgeber mit göttlichen Gaben beschenken. So erzählt es die Sage von Philemon und Baucis, einem alten Ehepaar, das im Fremden Zeus selbst aufgenommen hat.
So beschreibt Lukas Jesus, den göttlichen Wanderer, der immer wieder bei den Menschen einkehrt, um sie mit göttlicher Güte und Barmherzigkeit zu beschenken. Die frühen Christen übten Gastfreundschaft. Ohne diese Tugend hätte sich wohl das Christentum kaum in der römischen Welt verbreitet. Der Hebräerbrief mahnt die lau gewordenen Christen am Ende des 1. Jahrhunderts: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“ (Hebr 13,2).
Sowohl in der Bibel als auch in der griechischen und römischen Sagenwelt gibt es zahlreiche Geschichten, in denen Menschen, ohne auf ihren Gewinn zu zielen, Engel beherbergt haben. Ihre Gastfreundschaft brachte ihnen einen Engel ins Haus, ohne dass sie darum wussten. Von diesen Geschichten her gibt es eine enge Verbindung zwischen Gastfreundschaft und den Engeln. Die Menschen, die wir aufnehmen, können für uns zum Engel werden, der uns reichlich belohnt.
Anselm Grün, aus: 50 Engel für die Seele, Freiburg (Herder) 2000

Eine ähnliche Erfahrung, so erzählt es die Bibel in 1 Könige 17,8-16, macht auch die Witwe zu Zarpat. Sie ist nicht darauf eingestellt, Gastgeberin zu sein: Sie ist arm, hat noch ihren Sohn zu versorgen und kaum noch zu essen – eine Handvoll Mehl im Topf, etwas Öl im Krug. Das ist alles. Ausgerechnet zu ihr wird der Prophet Elia von Gott geschickt, um die Zeit der Hungersnot zu überstehen.

Wir meinen immer, dem Gast etwas bieten zu müssen. Dieser Gast erwartet nur die Bereitschaft zu teilen, was da ist. Ist das nicht dennoch schon zu viel verlangt? Wie kann teilen, wer selbst fast nichts hat? Und so wehrt sich die Witwe auch: „So wahr der Herr, dein Gott, lebt: ich habe nichts Gebackenes, nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug.“ Sie will Elia loswerden. Sie kann und will keine Gastgeberin sein. Doch Elia lässt nicht locker. Zu klar war Gottes Anweisung, diese Witwe aufzusuchen, um bei ihr die Hungersnot zu überstehen. Er hat eine Botschaft für die unwillige Gastgeberin: „Denn so spricht Gott: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem Gott regnen lassen wird auf Erden.“

Gilt diese Zusage Gottes all denen, die Gastfreundschaft üben oder sogar leben, die ein offenes Haus, ein offenes Herz haben, die auch die Not anderer sehen, die bereit sind zu teilen, auch wenn nur wenig da ist? Die Witwe zu Zarpat macht diese Erfahrung. Das Mehl im Topf wird nicht alle, der Ölkrug wird nicht leer. Gott hält sein Versprechen. Sein Segen gilt allen, die gastfrei sind, die teilen mögen, die Gemeinschaft suchen mit Freunden, mit Fremden, mit Hilfsbedürftigen.

„Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ So übersetzte Martin Luther Hebr 13,2. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt Engel mit „Gesandte Gottes“. Um Gäste als Engel, als Gesandte Gottes zu erkennen ist es wichtig, sie nicht nur gut zu bewirten, sondern auch Augen und Ohren zu öffnen, sich Zeit zu nehmen für ein tiefer gehendes Gespräch, zu signalisieren: Ich bin jetzt für dich da, diese Zeit miteinander ist geschenkte Zeit. Sie bietet die Möglichkeit sich näher kennen zu lernen, sich über Erfahrungen und Lebenseinstellungen auszutauschen und die Andersartigkeit zu respektieren.

Eine Gastgeberin, die sich nur in der Küche zu schaffen macht und keine Zeit für ein Gespräch findet, ist keine Gastgeberin, sondern eine Köchin. Es sind gerade die Frauen, die sich mit ihren Kochkünsten unendlich viel Mühe geben, mit raffinierten Speisen die Gäste verwöhnen wollen.

Ist mir das selbst als Gast angenehm – oder ist mir die Präsenz der Gastgeberin, des Gastgebers nicht wichtiger? Wenn mir die Gastfreundschaft als solche am Herzen liegt, dann gehört zur Einladung von Gästen mehr, dann wird nicht nur das Essen geteilt, sondern das Leben.
Lassen Sie uns noch einmal die Kernaussagen, die in Ihren Tischgemeinschaften aufgrund Ihrer Erfahrungen entstanden sind, vergegenwärtigen. (Plakat vorlesen)

Lied: Spar deinen Wein nicht auf für morgen (siehe Seite 31)

Nun werden die Saftkrüge, Brotkörbe und Früchte auf die Tische gestellt. Im Hintergrund erklingt wieder festliche Musik. Die Leiterin lädt die Frauen zum gemeinsamen Essen und Trinken ein.

Gebet und Segen:
Gott,
Du bist ein Gott der Gastfreundschaft.
Du lädst uns ein zu einem Gastmahl,
Du schenkst uns ein mit Freuden,
Du willst Deine Fülle mit uns teilen.
Wir haben uns Gedanken darüber gemacht,
was uns Gastfreundschaft bedeutet.
Gib uns Deinen Segen für unser Tun,
wenn wir Gäste einladen
oder selber eingeladen sind,
sei Du dann in unserer Mitte,
sei Du bei uns auf unserem Weg
zu anderen Menschen,
zu uns selber
und zu Dir.
Segne uns!
Amen.

Lied: Unser Leben sei ein Fest (EG 557)


Karin Hartz-Hellemann, Jahrgang 1955, ist seit 1999 pädagogisch-theologische Mitarbeiterin im Landesverband Braunschweig der Ev. Frauenhilfe. Sie ist verheiratet und Mutter von erwachsenen Kindern.

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