Ausgabe 2 / 2014 Artikel von Marlene Gomez Islinger

Verlaufen?

Scheitern im Leistungssport

Von Marlene Gomez Islinger

„Ich strengte mich an – gehörte doch nie zu denen
Und schwelgte doch nur in unerreichbaren Plänen
Und am Ende war der Lohn
Frustration.“

In ihrem „Lied vom Scheitern“ erzählen DIE ÄRZTE von einer Erfahrung, die auch Menschen kennen, die im oder am Leistungssport gescheitert sind. Aber was ist das eigentlich, das „Scheitern“ im Sport? Von „Sieg“ oder „Niederlage“ kann meiner Meinung nach nur die/der Betroffene selbst sprechen. Die Bewertung als „Scheitern“ würde ich Außenstehenden nicht zugestehen. Angenommen, ich erziele bei einem Wettkampf Platz X. Ich bin damit vielleicht auch nicht ganz glücklich – habe aber in der Laufdisziplin, an der ich in letzter Zeit sehr fokussiert gearbeitet habe, einen großen Sprung gemacht. Die Sportjournalistin oder der Fernstehzuschauer sieht oft nur den Platz auf der Ergebnisliste und urteilt entsprechend über die athletische Leistung, obwohl sie für mich selbst einen Schritt nach vorne bedeutet. Aber nur die Athletinnen und Athleten selbst wissen, was ihre Ansprüche an ein bestimmtes Rennen waren, während Außenstehende oft nur mutmaßen können. Ausgenommen natürlich Trainerinnen und Trainer, Mitglieder im Betreuungsstab und Familie, enge Vertraute, die die Situation einschätzen können.

Zudem ist bei der Beurteilung die Wertigkeit eines Wettkampfes zu berücksichtigen. Es gibt „weniger wichtige“ Rennen, die oft nur zur Vorbereitung oder als Test für „höherwertige“ Veranstaltungen dienen, und Wettkämpfe, die die Höhepunkte der Saison bilden. Dennoch bedeutet eine „schlechte Platzierung“ auch hier nicht unbedingt ein Scheitern. Viele Sportlerinnen und Sportler nehmen eine – auch subjektiv so registrierte – Niederlage als Ansporn und bereiten sich dann fokussierter auf künftige Rennen vor. Niederlagen können also auch dazu beitragen, die Dinge mit anderen Augen zu sehen und sich dadurch zu verbessern. Manchmal braucht es sogar solche „Dämpfer“, um weiter an sich selbst zu arbeiten und sich nicht „auf den Lorbeeren auszuruhen“.
Selbst bei Olympischen Spielen – das Höchste, was eine Leistungssportlerin oder ein Leistungssportler erreichen kann – nicht das angestrebte Ziel zu erreichen, bedeutet noch lange kein Scheitern, solange man nichts von dem bereut, was man durch den Sport erlebt und erfahren hat. Wer sich für eine leistungssportliche Karriere entscheidet, muss oft und viel zurückstecken. Meist gilt „ganz oder gar nicht“, das heißt, dass sich das Leben gänzlich nach Training und Wettkampf ausrichtet und anderes dadurch zu kurz kommt. Ich persönlich möchte nichts von alledem missen. Die Erlebnisse und Erfahrungen haben mich geprägt – und wenn ich an den einen oder anderen Moment zurückdenke, überkommen mich jedes Mal wieder Emotionen, die ich ohne den Sport nie in einer solchen Intensität gefühlt hätte.

Richtig eingeordnet, kann Sport für Kinder und Jugendliche ein wichtiges Lernfeld „fürs Leben“ sein. Sie können dort lernen, ihre körperlichen und mentalen Grenzen auszutesten und die eigenen Fähigkeiten zu verbessern; lernen, nicht blindlings loszulaufen, sondern sich den Weg zum Ziel (allein oder im Team) taktisch klug einzuteilen; lernen, die Übersicht über das Rennen und die Konkurrenz zu behalten, sich die eigenen Kräfte einzuteilen und – bei allem Willen zum Sieg – fair zu kämpfen. Nichts, was nicht auf den Alltag in Schule, Universität, Ausbildung oder Beruf zu übertragen wäre. Ob der Sport helfen kann, Schwierigkeiten im Alltag besser zu meistern? Definitiv „ja“. Mir jedenfalls hilft er. Durch die körperliche Anstrengung finde ich einen Ausgleich zum Unialltag – und umgekehrt dankt es mir mein Körper, wenn ich geistig gefordert werde. Die richtige Balance ist nicht immer leicht zu finden. Doch mit gutem Zeitmanagement und der richtigen Portion Motivation lässt sich beides vereinbaren – und so ein weniger anfälliges Standbein neben dem Sport aufbauen. Denn der Leistungssport ist „leicht vergänglich“. Verletzungen, das Erreichen eines Alters, in dem die Leistungsfähigkeit nachlässt, Familienplanung oder –gründung: Vieles kann zum „Aus“ führen.

Um jeden Preis?

Und wenn eine Sportlerin oder ein Sportler das nicht wahr haben will? Das Lied der ÄRZTE beschreibt auch sehr genau, was ich von Doping halte: Du kannst für eine Weile dein Umfeld belügen / Doch dein eigenes Herz wirst du nicht betrügen / Man erntet, was man sät – drum wird's dein Herz sein, das dich verrät. / Ich will deinen Elan doch überhaupt nicht dämpfen / Wenn du etwas willst, musst du darum kämpfen / Nur eines versprichst du mir: Bleib immer du selbst und bleib bei dir.

Wer seine sportliche Leistung bewusst durch unerlaubte Mittel steigert, betrügt das Publikum, die eigene Familie und die Betreuerinnen und Betreuer (sofern es kein systematisches Doping innerhalb eines Verbandes ist) und sich selbst. Da nehme ich mir sogar als Außenstehende das Recht, solches Verhalten als Scheitern zu bezeichnen. Denn wer dopt, hat keine sportliche Leistung erbracht, sondern setzt für den Erfolg die Gesundheit aufs Spiel. Das hat nichts mehr mit gesundem Ehrgeiz zu tun – hier zählt nur noch der Sieg, vielleicht das Geld oder einfach das Verlangen nach Bewunderung. Aber Sportlerinnen und Sportler müssen sich auch Schwächen eingestehen können – das ist wahre Größe. Wer dopt, hat nicht den Mut, sich der Aufgabe zu stellen, mogelt sich außen herum und führt dabei die Konkurrenz an der Nase herum.

Schon im Kindes- und Jugendalter muss das Bewusstsein von „richtig“ und „falsch“ entwickelt und gestärkt werden, um dem Doping vorzubeugen. Gefragt sind hier die Verantwortlichen im Sportverein, aber auch die Eltern, deren Ehrgeiz oft als übermäßiger Druck bei den kleinen Sportlerinnen und Sportlern ankommt, ihnen den Spaß an der Sache nimmt und Werte wie Disziplin und Fairness austreibt, statt sie ihnen nahe zu bringen. In meiner Sportart, dem Triathlon, funktioniert dies schon recht gut, denke ich. Oft hatten wir Besuch von Angestellten der NADA (Nationale Anti Doping Agentur), die uns genau informierten, was wir zu melden haben und wo wir uns über verbotene Substanzen informieren können. Im Elitebereich ist das Kontrollsystem mittlerweile sehr gut ausgebaut, so dass meiner Meinung nach kaum noch die Chance eines systematischen Dopings besteht.

Und wenn es dann trotzdem einmal nicht so läuft (oder ich nicht so laufe) wie erwartet oder gewünscht? Mir persönlich hilft bei Schwierigkeiten, gleich welcher Art, mein christlicher Glaube. Ich zähle bestimmt nicht zu den streng gläubigen Katholikinnen, aber ich kann schon sagen, dass ich an Gott glaube und in meinem Glauben auch Halt finde. Oft brauche ich ein paar Minuten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, atme kurz durch, richte ein paar Worte „nach oben“ und versuche dann das Problem anzugehen. Am besten geht das sogar beim Training selbst. Wenn ich allein meine Runde durch den Wald laufe, genieße ich einfach nur die Natur und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Halt geben mir auch meine Familie und meine Freundinnen und Freunde. Inzwischen weiß ich, wem ich vertrauen kann und mit wem ich keine privaten Dinge teilen kann und will.

Gescheitert?

Wenn ich an meinen eigenen sportlichen Weg und die vielen Hürden denke, die ich nehmen musste, dann war es bestimmt nicht immer einfach. Und doch würde ich im Nachhinein nichts ungeschehen machen. Mit 16 Jahren entschied ich mich für den Leistungssport und damit für das 460 Kilometer entfernte Saarbrücken – ein Umzug quer durch die Republik, von Ostbayern nach Westdeutschland, von der tschechischen an die französische Grenze. Die Euphorie, mit der ich am Olympiastützpunkt anfing zu trainieren, verflog so schnell wie sie gekommen war. Verletzungen, Gewichtsprobleme und Heimweh machten mir schwer zu schaffen. Ohne meine Familie und Vertrauten fühlte ich mich alleine gelassen. Das wirkte sich auf meine sportlichen Leistungen aus, kurz stand sogar die Rückkehr nach Bayern im Raum. Nach reiflichem Überlegen fasste ich aber den Entschluss, nicht aufzugeben sondern etwas an meiner misslichen Lage zu ändern. Mit bewusster Ernährung, Physiotherapie, speziellen Übungen und bewusstem Training schaffte ich es zurück zu einer sportlichen Form, die konkurrenzfähig war. Ich konnte mich sogar für den einzigen weiblichen Startplatz der ersten Youth Olympic Games 2010 in Singapur empfehlen, was natürlich meine Motivation für den Sport wieder stärkte.

Die Erlebnisse im fernen Asien machten mir bewusst, wie viel mir der Wettkampfsport bedeutet – und dass ich auch nach den vielen Rückschlägen noch die Leidenschaft für den Sport mit tausenden Athletinnen und Athleten teile. Trotz Schwierigkeiten, mit denen ich wie jede und jeder von ihnen zu kämpfen habe. Trotz Niederlagen, in denen sich zeigt, wer Größe besitzt, wer den Mut hat weiterzukämpfen und wer einfach aus purer Leidenschaft und Spaß dabei ist. Trotz Erfahrungen des Scheiterns, wo es dann darauf ankommt, neue Wege zu finden, um sich zurück zu kämpfen und über sich hinaus zu wachsen.

Der zweite Schnitt, der meinen sportlichen Weg prägte, war die Entscheidung, nach dem Abitur nach Bayern zurückzukehren. Trotz Schwierigkeiten wegen der Abiturvorbereitungen und vieler Infekte im Winter konnte ich zum Ende der Saison noch ein sehr gutes sportliches Ergebnis erzielen. Als ich dennoch nicht für die Weltmeisterschaften nominiert wurde, war für mich klar, dass ich den Schritt weg vom Stützpunkt wagen wollte. Da bereits feststand, dass ohne entsprechende Platzierung bei den Weltmeisterschaften keine erneute Qualifikation für den Bundeskader möglich war, entschied ich mich kurzer Hand für das Studium „Medien und Kommunikation“ in Passau. Dies bereitet mir nun neben meinem Sport wahnsinnig viel Freude. Manchmal darf man eben nicht zurückblicken und dem nachtrauern, was einmal war, sondern muss eine gewisse Leichtigkeit entwickeln, die oft schneller zum Ziel führt als Verbissenheit. Für mich sind meine Ziele jetzt klarer definiert, und ich kann meinen Weg dahin momentan ohne Druck und mit viel Handlungsfreiheit gehen. Andere mögen es als Scheitern sehen, dass ich im entscheidenden Jahr nicht den Sprung in den Bundeskader geschafft und mich gegen das System Stützpunkt entschieden habe. Für mich war dieser Neuanfang die bisher beste Entscheidung meines Lebens. Und diese Beurteilung steht in meinen Augen auch nur mir selbst zu. Sagte ich schon, dass ich es wie DIE ÄRZTE sehe? Du bist immer dann am besten, wenn's dir eigentlich egal ist / Du bist immer dann am besten, wenn du einfach ganz normal bist.

Für die Arbeit in der Gruppe

Gestaltung der Mitte: Tuch mit einem ganzen Holzscheit und einem Scheit, das in viele Stücke „gescheitet ist“ (als Urbild des Scheiterns = ein Ganzes ist in Stücke gegangen)

Einstimmen ins Thema „Scheitern gehört dazu!?“ – Die Frauen werden aufgefordert, sich frei im Raum zu bewegen.
Impulse im Gehen: Was ist mir heute oder in den letzten Tagen richtig gut gelungen? Wie gehe ich, wenn ich daran denke? Fällt mir eine Situation ein, in der mir etwas „daneben gegangen“ ist? Wie verändert sich meine Gangart jetzt?
Alle stellen sich im Kreis auf und stellen sich mit Namen vor. Wer möchte, kann eine Minigeschichte einbringen: „Was mir neulich passiert ist …“

Andere Worte für Scheitern: In Murmelgruppen überlegen die Frauen sich Alternativworte zu „Scheitern“ und notieren diese (ein Wort – ein Blatt). Die Worte werden im Raum ausgelegt und eventuell von der Leiterin ergänzt (z.B.: daneben gehen, dumm gelaufen, schief laufen, Fehler machen, fehlschlagen, missglücken, auf der Strecke bleiben, straucheln, versagen, Schiffbruch erleiden, baden gehen)

Gemeinsam werden die Worte in einer „dramaturgischen“ Reihe mit der Bewertung 1 – 10 gelegt. (1 = nicht so schlimm, 10 = total dramatisch)
Kurzer Austausch: Was fällt uns auf? Wie wirken die Worte auf uns? Sind alle mit der Bewertung einverstanden?

Ich gehe mit dem Scheitern um: Die Worte werden umkreist, jede darf sich eins aussuchen, das sie im Moment anspricht. Alle gehen mit ihrem Wort um – im Raum und in den Begegnungen.
Impulse im Gehen: Das gewählte Wort so aussprechen, als sei es ein Geheimnis, etwas ganz Tragisches, mit freudigem, beschwingten Ausdruck …; schließlich findet jede eine Bewegung zu ihrem Wort, die gerne übertrieben werden kann. Die Gesten werden in der Gruppe vorgestellt.

Szenen des Scheiterns: Nun tun sich je drei Frauen zusammen, die mit ihren Gesten und Worten eine kleine Szene mit oder ohne Sprache entwickeln. Die Szenen werden allen vorgetragen. Die Zuschauerinnen erzählen, was sie wahrgenommen haben, und ihre Eindrücke, Gedanken und Ideen dazu. Die Akteurinnen erzählen, wie es ihnen mit ihrer Geste und im Team ergangen ist, was ihre Idee für die Szene war. Am Ende finden alle einen Titel für die jeweilige Szene.

Austausch: Was macht es uns so schwer, „scheitern“ auch positiv zu sehen, als eine Tür, die zugefallen ist und für die wir eine andere Tür entdeckt haben?
mögliche Antworten: der eigene Perfektionsanpruch / Erwartungen an Profis (im Sport, in der Politik …) / hartnäckiges Festhalten an meinen Zielen / gesellschaftlicher Umgang mit „Gescheiterten“

Musik wird eingespielt: Die Frauen bewegen sich frei dazu mit dem Impuls „Scheitern gehört dazu. Ich bin in Ordnung – gerade mit meinen Fehlern. Ich brauche nicht perfekt zu sein.“
Musikvorschläge: Gloria Gaynor: „I am what I am“ / René Aubry: „Ne m'oublie pas“ / Gabriellas Song aus „Wie im Himmel“ / Die Ärzte: „Vom Scheitern“

Abschluss: Hinter dem Wort Scheitern steckt ein uraltes Bild: ein Holzscheit, das durch das Scheitern zerteilt ist. Eigentlich ist das nicht unbedingt etwas Negatives: Um ein Feuer zu machen, brauchen wir kleine Scheite. Aus dem großen Scheit werden viele kleine, damit lässt sich auch etwas machen, etwas Neues, Anderes. Gerade unsere Schwächen, unsere Fehler machen uns zu den unvergleichlichen Frauen, die wir sind. Fehler machen dürfen, nicht perfekt sein müssen, das ist ein gutes und realistisches Lebensmotto! – Jede nimmt das Scheit in die Hand und kann sagen, was sie aus diesem Abend mitnimmt und was sie gerne da lässt.

Marlene Gomez Islinger, geb. 1993 in der Oberpfalz, hat von klein auf Sport gemacht. Zum Triathlon kam sie mit 15 Jahren durch ihren von dieser Sportart faszinierten Vater, während die Mutter und der jüngere Bruder sich dem Tennis verschrieben haben.

Vorschlag für die Gruppe: Petra Gaubitz, Referentin für gemeindebezogene Frauenarbeit der Evangelischen Frauen in Baden

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