Ausgabe 1 / 2023 Artikel von Elise Bittenbinder

Verwundete Seelen

Was ich über Trauma wissen muss, um Geflüchtete unterstützen zu können

Von Elise Bittenbinder

Die Zivilgesellschaft, zehntausende Menschen und hunderte Organisationen haben nach dem 24. Februar 2022, dem Beginn des Angriffskriegs Russlands, Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen und unterstützt. Sie haben Enormes geleistet und bewiesen, dass solidarische Gemeinschaften sich innerhalb kürzester Zeit organisieren können, um Sicherheit und Schutz zu bieten.

Wenn Menschen auf in Not Geratene treffen, reagieren die allermeisten ganz natürlich mit Zugewandtheit, Empathie und Fürsorge. Sie wissen auch, dass bedrängende Fragen oder aufdrängende Hilfe schutzbedürftige Menschen überfordern könnten. Gleichzeitig kann gut gemeinte Hilfe aber auch ins Leere laufen, zu Frustration bei allen Beteiligten führen oder sogar Schaden anrichten – insbesondere bei traumatisierten Geflüchteten, die extreme Gewalt erfahren mussten. Nach Vergewaltigung oder Verrat fällt es nicht leicht, wieder Vertrauen zu fassen. Fehlende rechtliche oder soziale Sicherheit und die Belastung durch quälende Erinnerungen an traumatische Situationen im Herkunftsland und auf der Flucht machen es schwer, im Exil, im Hier und Jetzt zu leben.

Wer in der Beratung und der Versorgung von Geflüchteten arbeitet, braucht ein grundsätzliches Wissen um Auswirkungen oder mögliche Schutzmaßnahmen bei Trauma, um effektiv Hilfe leisten zu können. Und auch diejenigen, die sich langfristig ehrenamtlich engagieren, sollten wissen, wie sie ihre Kräfte förderlich und segensreich einsetzen können.

Unterstützung von traumatisierten Menschen in oder aus Krisen- und Kriegssituationen geschieht in unterschiedlichen Phasen, die ineinandergreifen oder aufeinander aufbauen.1 Zuallererst brauchen Menschen, die durch Krieg, Verfolgung und Folter traumatisiert sind, Sicherheit und Schutz sowie Versorgung mit dem Lebensnotwenigen wie Wasser und Wohnraum. Zudem helfen ihnen Maßnahmen, die ihr soziales Umfeld, also etwa Familie und Nachbarschaft, stärken. Und natürlich brauchen sie darüber hinaus auch spezielle Beratungsangebote und professionelle psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe. Ideal wäre ein Angebot ineinandergreifender Maßnahmen, bei dem sich Initiativen, Hilfen und spezialisierte Einrichtungen – sowohl ehrenamtlich als auch professionell – miteinander verschränken.2 Dabei bedürfen die meisten „psychosozialen Probleme … keiner klinisch-therapeutischen Intervention, sondern haben ihre Ursachen in Stigmatisierung, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Entwurzelung, chronischer Armut, fehlendem Zugang zu Versorgungsangeboten sowie in einem zerstörten sozialen Bezugssystem.“3 Enorm wichtig für Opfer oder Zeug*innen von zerstörerischer Gewalt ist, dass ihre verletzte Integrität wiederhergestellt wird. Jede Wunde muss heilen! Der Heilungsprozess vollzieht sich bei einigen Menschen ohne jegliche professionelle Hilfe, bei anderen können durch gezielte soziale oder integrative Unterstützungsprozesse die nötigen Selbstheilungsprozesse aktiviert werden. Und bei manchen Menschen machen langwierige psychische Belastungen psycho-therapeutische oder psychiatrische Behandlungen erforderlich.

Die richtige Balance ist nicht immer einfach und letztlich nur in individueller Abstimmung mit den Betroffenen und durch gute Zusammenarbeit der Akteur*innen zu erreichen. In dieser Hinsicht mangelt es bei uns in Deutschland vielerorts an Kapazität, Netzwerken und Strukturen für Austausch, Aus- und Weiterbildung sowie zur Überwindung von Barrieren und Hürden, um für Geflüchtete einen bedarfsgerechten Zugang zur psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung sicherzustellen. Der Zustand des Wartens und das Gefühl von Passivität sind auch in diesem Lebensbereich eine alltägliche Erfahrung vieler Geflüchteter – und auch ihrer Helfer*innen.

Der Begriff Trauma kommt aus dem Griechischen und heißt „Wunde“. Er wird auch für psychische oder seelische Wunden verwendet, die durch Erschütterungen oder Gewalterfahrungen geschlagen wurden. Krieg, Verfolgung, sexualisierte Gewalt, Folter oder Zeug*innenschaft von schweren Menschenrechtsverletzungen zwingen Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Flucht bedeutet immer auch, Familie, Freund*innen, ökonomische und beruflichen Optionen, Lebenspläne, soziale Netzwerke, Gemeinschaft zu verlassen. Solche, meist kumulativen Lebenserfahrungen werden als „man-made disasters“, also „von Menschen gemachte Katastrophen“ beschrieben – im Unterschied zu sogenannten „akzidentiellen“ traumatischen Ereignissen wie etwa ein lebensgefährlicher Verkehrsunfall.

Bei menschengemachter und beabsichtigter Gewalt – etwa bei Folter, die ja darauf zielt, Menschen zu erniedrigen und ihre Persönlichkeit zu vernichten – kann es als Folge zu einer grundlegenden Erschütterung des Vertrauens in andere Menschen und in die Welt kommen, zu Selbstzweifeln, Gefühlen der Unsicherheit, der Wertlosigkeit, des Ausgeliefertseins oder der permanenten Bedrohung. Die Überzeugung, dass die Welt verlässlich ist und das Leben einen Sinn hat, geht verloren. Die Welt wird nun als eher feindselig, unberechenbar und chaotisch wahrgenommen. Damit verbunden ist die Furcht, dass ein nächstes traumatisches Ereignis zum völligen Zusammenbruch führen könnte. Hinzu kommen die Angst um die zurückgebliebene Familie und prekäre Lebensbedingungen, wie die Unsicherheit über den Ausgang des Asylverfahrens und über die Zukunft.

Menschen, die Traumatisches erlebt haben, können sehr unterschiedlich auf diese psychische Belastung reagieren. Eine häufige psychische Reaktion ist die Entwicklung einer Traumafolgestörung, ein Oberbegriff für mehrere klinische Diagnosen. Am häufigsten hören wir in diesem Zusammenhang von PIBS (Posttraumatische Belastungsstörung). Die Diagnose besagt, dass die betroffene Person einem Ereignis ausgesetzt gewesen ist, das die Fähigkeit dieses Menschen, diesen Stress zu bewältigen, übersteigt und bei fast jeder oder jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Bei der Diagnose wird auf die typischen Anzeichen von Traumafolgestörung geachtet:

Wiederkehrende Erinnerungen an das Trauma – etwa in Albträumen oder durch „Wiedererleben“ auch tagsüber in sogenannten Flashbacks: Das Gefühl, sich wieder in diesem Geschehen zu befinden, wird oft durch „Trigger“ oder Schlüsselreize wie Gerüche, Geräusche, Situationen, Kleidungsstücke oder Medienberichte hervorgerufen. Diese Reize können unerwartet extreme Angst auslösen oder eine sogenannte Dissoziation, eine Art Schutzmechanismus, um einströmender Reize zu reduzieren.

– Vermeiden von Situationen, von Kontakt zu Menschen und Orten, die solche Flashbacks auslösen oder an das Trauma erinnern: Der Versuch, all diesen Reizen aus dem Weg zu gehen, bedeutet für manche, sich zurückzuziehen und sich abzuschotten – bis hin zum völligen Rückzug aus sozialen Beziehungen oder aus dem Alltagsleben.

– Abstumpfen der Reaktionsfähigkeit und Gefühlstaubheit: Betroffene fühlen sich, als ob sie den Kontakt zu anderen Menschen oder zur sie umgebenden Welt verloren hätten, und können sich weder richtig freuen noch trauern. Für Außenstehende wirkt dies oftmals so, als wäre die betroffene Person gleichgültig; aber sie verhält sich so, weil sie die Erinnerungen nicht chronologisch, geordnet und detailliert im Gedächtnis speichern konnte. Sie sind bruchstückhaft, insbesondere in Stresssituationen können wichtige Aspekte nicht erinnert werden.

– Zustand der ständigen Übererregung: Betroffene sind schreckhaft, reizbar, innerlich unruhig und „überwachen“ ihre Umgebung. Sie leiden an Ein- oder Durchschlafstörungen, können Wutausbrüche oder Aggressionen nicht kontrollieren.

Merkmale von Trauma zeigen sich individuell sehr unterschiedlich. Einige Verhaltensweisen können für Betroffene auch nützliche Mechanismen sein, um sich vor weiteren Gefahren zu schützen, bestimmte Situationen zu vermeiden und somit Kontrolle und Handlungssicherheit zu erlangen oder wiederzuerlangen. Zugleich können sie im alltäglichen oder sozialen Leben sehr hinderlich sein. Neben dem Wissen um solch „problematisches Verhalten“ ist die Vermittlung von sozialer Sicherheit, Räumen der Zugehörigkeit oder Teilnahme und die Orientierung an den Ressourcen besonders wertvoll.

Mit der Benennung von Reaktionen auf traumatisierende Erlebnisse in klinischen Diagnosen wird anerkannt, dass die erlittene Gewalt grausame Folgen für die Psyche der betroffenen Person hat. Allerdings wird zugleich damit häufig einseitig auf die Erkrankung, die „Störung“ und die möglichen Behandlungsmethoden der Betroffenen fokussiert, was zu ihrer Stigmatisierung und Pathologisierung führen kann. Oft erzählen Klient*innen, dass sie keine Behandlung in Anspruch nehmen wollen, weil sie nicht als verrückt oder krank gelten wollen, sondern dass es ihnen darum geht, Gerechtigkeit zu erfahren. Für sie ist es wichtig, dass ihre Wahrheit, ihre Geschichte gehört wird. Sie suchen nach Anerkennung, dass ihnen extremes Leid zugefügt worden ist.

Der Arzt und Psychoanalytiker Hans Keilson4 hat darauf hingewiesen, dass eine gesellschaftspolitische Sichtweise auf Trauma Verpflichtungen, aber auch Chancen und Handlungsräume bietet. Denn: Bezieht man den sozialen und politischen Kontext mit ein, wird deutlich, dass die Reaktion der Menschen eine normale Reaktion auf massive Gewalt, Ausgrenzung, Diskriminierung und gesellschaftliche Missstände ist. Die Reaktion auf traumatisierende Gewalt ist angemessen; nicht angemessen sind die Umstände, die dies zulassen. Eine „Störung“ liegt in diesem Sinne eher auf der Seite der Täter*innen oder der Verhältnisse vor.5 Betrachten wir Trauma als Prozess innerhalb von sozialem, politischem und rechtlichem Kontext, entspricht das der Lebensrealität von Geflüchteten eher als eine statische, ausschließlich symptomorientierte Sichtweise.

Die häufigste Frage, die Beratende und auch Ehrenamtliche beschäftigt, ist: Auf was muss ich achten? Wie kann ich unterstützen und stabilisieren ohne zu retraumatisieren? Wie kann, anders gefragt, „psycho-soziale erste Hilfe“ – als eine menschliche, unterstützende Reaktion gegenüber einem Mitmenschen, der dringend Hilfe benötigt – geleistet werden? Die Antwort ist relativ einfach:
– praktische Fürsorge und Hilfe, die nicht bedrängt;
– Bedürfnisse und Sorgen erfragen;
– zuhören, wenn gewünscht, ohne darauf zu bestehen, dass gesprochen wird;
– beruhigen und orientieren;
– informieren über mögliche Unterstützung oder Hilfsangebote;
– vor weiterem Schaden schützen.

Psychosoziale erste Hilfe ist also keine spezialisierte Beratung. Und auf keinen Fall gehört dazu eine detaillierte Diskussion über die (traumatischen) Ereignisse, die den Stress verursacht haben, geschweige denn die Bitte zu beschreiben, was passiert ist, oder die Ereignisse in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Gefragt ist die Bereitschaft, den Geschichten der Menschen zuzuhören – aber nicht, mit ihnen auch über ihre Gefühle oder Reaktionen zu sprechen. Denn dies könnte Emotionen hervorrufen, die in einen geschützten Raum, etwa in einer Psychotherapie, gehören.

Wie können die Stärken und die Leistungsfähigkeit von Geflüchteten betont werden, die als Individuen oder in Familien vielleicht Orientierungshilfe und Unterstützung benötigen, aber gleichzeitig als Überlebende und Mitglieder der Gemeinschaft aktiv dazu beitragen können, die Gesellschaft zu gestalten? Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: Zusammen mit einem Künstler habe ich jahrelang eine Kunstgruppe organisiert, in der Geflüchtete und Ehrenamtliche miteinander künstlerisch gestaltet haben. Nach einiger Zeit wurde wie selbstverständlich auch zusammen gefeiert. Spontan organisierten Gruppenmitglieder Unterstützung in alltäglichen, rechtlichen, sozialen und anderen Belangen. Daraus entstanden Freundschaften. Und ganz nebenbei wurden die Teilnehmer*innen auch noch Spezialist*innen in Asylrecht. Und, nicht zuletzt, Botschafter*innen für Integration und Dialog in ihren Gemeinschaften, in Schulen und Gottesdiensten.

Die traumatischen Erlebnisse derjenigen mit Fluchterfahrung, gekoppelt mit der Unsicherheit von deren aktuellen Situationen, können den guten Willen der Unterstützer*innen an seine Grenze bringen. Denn sehr engagierte Menschen tendieren dazu, ihre Kapazität zu erhöhen, um Raum für andere zu schaffen. Aber so, wie wir Raum für Hilfen für andere schaffen, müssen wir auch Raum für unsere eigenen Wünsche und Träume, für Familie und Freund*innen schaffen. Für diejenigen, die langfristig unterstützen, besteht das Risiko, dass sie ähnliche Symptome entwickeln wie traumatisierte Geflüchtete: Übererregung, Niedergeschlagenheit oder Vermeidung, sozialer Rückzug, ein verändertes Selbstwertgefühl – „Ich kann ja doch nichts machen…“ – oder eine Weltsicht mit Fokus auf Katastrophen bis hin zu Zynismus. In der Literatur finden wir hierfür Bezeichnungen wie „Traumaspezifisches Burnout“ oder „Sekundäre Traumatisierungen“. Verantwortungsvoll zu unterstützen heißt, auf eigene Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden zu achten und sich vor Überlastung zu schützen. Nähe ist nötig, um Kontakt, Vertrauen und Empathie zu entwickeln, kann aber leicht zur Erschöpfung führen. Distanz ist nötig, um Betroffenheit oder Überidentifikation zu verhindern und mit Gefühlen der Macht (helfen können) und Ohnmacht (nicht helfen können) klarzukommen.

Die Regulierung von Nähe und Distanz ist schwierig. In jedem Fall wichtig sind Austausch sowie Reflexions- und Schutzräume. Im professionellen Kontext sind bei dieser Arbeit inzwischen Supervision oder Intervisionsgruppen ein „Muss“ und meist Selbstverständlichkeit; bei entsprechenden Angeboten für ehrenamtlich engagierte Unterstützer*innen gibt es hingegen noch deutlich Luft nach oben. Denn nur bei angemessener Unterstützung der Unterstützer*innen werden diese auch die viel zu selten erwähnte andere Seite der Medaille zu sehen ?bekommen: die Möglichkeit, unsere Gesellschaft ein Stück menschlicher zu machen – und nicht zuletzt die persönliche Bestätigung, wenn es gelingt, daran mitzuwirken und mitzuerleben, wie Menschen aus tiefer Verzweiflung wieder Mut zum Leben finden.

Anmerkungen
1) Vgl: Orientierungsrahmen für die psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung (MHPSS, Mental Health and PsychoSocial Services) in der Entwicklungszusammenarbeit. Am Beispiel des Kontexts der Syrien- und Irakkrisen. Hg.: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Zusammenarbeit mit BAfF und anderen Nicht-Regierungsorganisationen – Download unter www.bmz.de („Orientierungsrahmen für die psychische Gesundheit“ in die Suche eingeben)
2) Vgl. die grafische Darstellung im „Orientierungsrahmen“ (wie Anm. 1), S. 24. Das Bild der ineinandergreifenden „Puzzleteile“ ergänzt das häufig verwendete „Pyramiden-Modell“ des IASC (Inter Agency Standing Committee), dessen Stufen als in qualitative Hierarchie gelesen werden können.
3) Ebd., S. 24
4) Keilson, H.: Sequentielle Traumatisierung bei Kindern. Untersuchung zum Schicksal jüdischer Kriegswaisen, Gießen (Psychosozial Verlag) 2005
5) Vgl. Bittenbinder, E., & Patel, N. (2017). Systemische Praxis in globalen Zusammenhängen – zwischen Solidarität und Abwehr. Familiendynamik, 42(1), 18–26.

Zum Weiterlesen:
Für einen sensiblen Umgang in der Beratung gibt es inzwischen zahlreiche Fortbildungen. Ein auch für ehrenamtlich Engagierte verständlicher, praxisorientierter Leitfaden mit praktischen Übungen und Kontaktadressen ist:„Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden“ der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF; Download unter https://www.baff-zentren.org/produkt/praxisleitfaden/

Elise Bittenbinder ist Familientherapeutin, Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin und Supervisorin und bringt diese Qualifikationen u.a. in internationale Projekte im Bereich psychosoziale Gesundheit ein, aktuell auch zur Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen in der Ukraine. Sie ist Vorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) und Mitbegründerin des European Network of Rehabilitation Centres for Victims of Torture. www. baff-zentren.org

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Für die Arbeit in der Gruppe

Zeit / circa 2 Stunden

von Margot Papenheim

Der folgende Vorschlag ist gedacht für ein Treffen von Menschen, die sich ehrenamtlich, zum Beispiel innerhalb einer Kirchengemeinde, in der Unterstützung von Geflüchteten engagieren. Es soll für die Situation und die Bedarfe von möglicherweise traumatisierten Geflüchteten und für die Möglichkeiten und Grenzen der nicht professionellen
Unterstützung sensibilisieren. Und die Unterstützer*innen der Geflüchteten sollen sich im Austausch ihrer Erfahrungen gegenseitig bestärken und ermutigen und, nicht zuletzt, klären können, welchen Bedarf an Unterstützung sie möglicherweise selbst haben – und wie diese sich gegebenenfalls organisieren lässt. Das Ziel des Treffens sollte den TN bereits in der Einladung und noch einmal nach der Begrüßung deutlich gemacht werden.

Wenn sich diese Gruppe zum ersten Mal überhaupt trifft, gibt es möglicherweise ein großes Bedürfnis, ausführlich von den Erlebnissen bei der Unterstützung Geflüchteter zu erzählen. In dem Falle empfiehlt es sich, dem im Folgenden vorgeschlagenen ein eigenes, weniger straff strukturiertes Treffen zeitnah vorzuschalten. Kurze Impulse zum Austausch (nach einer ausführlichen Erzählrunde) könnten etwa sein: Was motiviert mich – was entmutigt mich bei meinem Engagement? Was geht mir gut von der Hand – wann fühle ich mich überfordert? Hieran kann das folgende Treffen nahtlos anschließen.

1 Erfahrungen austauschen

Für jede*n TN liegen je 5 weiße und grüne A5-Blätter oder Moderationskarten und Stifte bereit.

Laden Sie die TN ein, sich (in Stille) an ihre Begegnungen mit Geflüchteten zu erinnern: Welche positiven, guten, schönen Erfahrungen haben sie dabei gemacht? Welche negativen, belastenden, ärgerlichen Erfahrungen? Bitten Sie die TN, ihre Erfahrungen in je einem Stichwort auf den grünen (positive) und den weißen Blättern (negative) groß zu notieren. [circa 10 Minuten]

Bitten Sie die TN, reihum ihre notierten positiven wie negativen Erfahrungen kurz in einem Satz zu erläutern und die Blätter dann nach Farben getrennt in die Mitte zu legen. Die Erfahrungen werden nicht kommentiert! [circa 15 Minuten]

Wenn alle Blätter in der Mitte liegen, clustern Sie: Schauen Sie gemeinsam, ob es vergleichbare Erfahrungen gibt, und sortieren die Blätter entsprechend. Finden Sie nach Möglichkeit jeweils einen Oberbegriff für vergleichbare Erfahrungen, notieren den auf ein A4-Blatt und legen dies als Überschrift zu den verschiedenen Erfahrungsfeldern. [circa 20 Minuten]


Tauschen Sie sich über das Ergebnis aus: Hätte ich das so erwartet? Was überrascht mich?
Was irritiert mich? Was macht mich nachdenklich? [circa 10 Minuten]

2 Traumatisierte Geflüchtete richtig unterstützen

Input 1: Was ist ein Trauma? Wie verhalten sich traumatisierte Menschen? – aus dem Artikel vorlesen; nach Möglichkeit erhalten die TN den Auszug in Kopie
(von Absatz „Der Begriff Trauma …“ bis Ende letzter Spiegelstrich „… können Wutausbrüche oder Aggressionen nicht kontrollieren.“)


Tauschen Sie sich aus: Kommt mir das aus meinen Begegnungen mit Geflüchteten bekannt vor? [circa 20 Minuten]

Input 2: Wie kann ich unterstützen und stabilisieren ohne zu retraumatisieren? – aus dem Artikel vorlesen; nach Möglichkeit erhalten die TN den Auszug in Kopie
(von Beginn Absatz „Die häufigste Frage, die Beratende und auch Ehrenamtliche beschäftigt…“ bis „… die in einen geschützten Raum, etwa in einer Psychotherapie, gehören.“)

Tauschen Sie sich aus: Wenn ich darüber nachdenke, wie ich mich gegenüber (möglicherweise traumatisierten) Geflüchteten verhalte – entspricht das diesen Hinweisen? Erkenne ich Verhaltensweisen bei mir, an denen ich etwas ändern sollte? [circa 20 Minuten]

3 Unterstützung für die Unterstützer*innen

Tauschen Sie sich in Murmelgruppen zu dritt oder viert aus: Durch wen und wie werde ich in meinem Engagement für Geflüchtete unterstützt? Wann, wo, wobei fehlt mir Unterstützung? [circa 15 Minuten]

Tragen Sie die Ergebnisse zusammen. Die Leitung notiert die genannten Punkte auf zwei Flipchartbögen. [circa 10 Minuten]

Besprechen Sie gemeinsam: Welche Art der Unterstützung wäre hilfreich und im Moment für uns am wichtigsten? Wer ist dafür zuständig und kann das leisten oder organisieren? Und: Wer von Ihnen kümmert sich darum, dass wirklich was passiert? [circa 20 Minuten]

4 Abschluss

Schließen Sie mit einer kurzen Runde: Welchen ermutigenden Satz, Gedanken, Impuls nehme ich mit auf den Heimweg?

Wenn es für die Gruppe passt, singen Sie gemeinsam, zum Beispiel „Sonne der Gerechtigkeit“ eg 262 oder „Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen“ eg 266.

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