Ausgabe 2 / 2015 Frauen in Bewegung von Christine Müller

Voller Lust am Denken

Bloggerin Antje Schrupp im Porträt

Von Christine Müller

Sie ist Feministin und als Journalistin seit über 30 Jahren professionelle Schreiberin. Im Jahr 2012 wurde sie zur „Bloggerin des Jahres“ gewählt.

Antje Schrupp ist darüber hinaus promovierte Politikwissenschaftlerin, Phi­losophin, Buchautorin, Übersetzerin und angestellte (Teilzeit-) Redakteurin. Als Bloggerin wiederum schreibt sie in etwa sieben unterschiedlichen Blogs zu Themen wie Feminismus, Liebe, Philosophie und Religion.

Dabei kann ihre Schreibpraxis im Blog mit dem Schreiben in einem öffentlichen Notizbuch verglichen werden: „Mein erstes Aufschreiben von neuen Themen ist meistens in meinem eigenen Blog. Das hat den einfachen Grund, dass ich das nicht vergessen will. Wenn ich also ein Buch lese, oder eine Idee habe, schreibe ich das erstmal in meinen Blog“, so die Wahl-Frankfurterin. Angefangen hat sie damit im Jahr 2006. Unter dem Motto „Aus Liebe zur Freiheit, Notizen zur Arbeit der sexuellen Differenz“ notiert sie dort bis heute ihre Gedanken. Der Titel klingt vielleicht etwas sperrig, ist im Internet aber einfach unter www.antjeschrupp.com zu finden. Und er verweist auf ihre feministischen Wurzeln im Differenzfeminismus. Dieser geht von der Verschiedenartigkeit der Geschlechterrollen aus. Es soll dabei weniger um eine Gleichstellung von Frauen innerhalb eines patriarchalen Systems gehen als vielmehr darum, neue, für Frauen adäquate Zusammenhänge zu schaffen. Oder, wie sie es selbst in einem ihrer Blog-Posts schreibt: „Das Grundprinzip des Feminismus ist der Gedanke, dass Frauen nicht politische Objekte, sondern Subjekte sind.1 Das heißt, dass das, was sie sagen und denken, zählt und eine Rolle spielt, und zwar unabhängig davon, ob es im Rahmen einer männlichen symbolischen Ordnung ‚approved' (anerkannt) wird.“

Wissen ist kein Privateigentum

Prägend für Schrupps Denken waren die italienischen Feministinnen, die sie in den 1990er Jahren über Chiara Zamboni kennen lernte. Auch ihre Promotion schrieb sie über weibliche politische Ideengeschichte. Innerhalb ihrer Familie war die heute Fünfzigjährige übrigens die erste, die Abitur machte, studierte und promovierte. Um sich zu finanzieren, absolvierte sie ein „damals noch sehr gut bezahltes Volontariat“. Anschließend war sie als freie Journalistin für ARD-Sendeanstalten im Hörfunk ­tätig. „Allerdings wurden die Honorare immer schlechter und die Themen ­immer mehr Mainstream. Durch das Bloggen“, so erzählt Schrupp, „hat sich meine Arbeitsweise als selbstständige Journalistin vollständig geändert“. Sie hat sich durch ihre Blogs nicht nur in der „Blogosphäre“ einen Namen gemacht, sondern auch weit darüber hinaus. So wird sie als feministische Internetexpertin zu zahlreichen Vorträgen und Workshops angefragt. Ihre Artikel und Vorträge hat Schrupp aber bereits in den späten 1990er Jahren, also noch bevor es Blogs gab, auf ihrer Homepage veröffentlicht. Darin zeigt sich ihre Haltung, Wissen als Erkenntniszugewinn anzusehen. Als etwas, das kein Privateigentum darstellt, sondern im Austausch mit anderen beständig weiter wachsen soll.

Auch heute überwiegen für sie die positiven Aspekte des Internets – trotz ständiger Erreichbarkeit, die die neuen Medien mit sich bringen: „Viele fühlen sich gestresst dadurch, dass sich starre Gren­zen zwischen ‚Arbeitszeit' und ‚Freizeit' auflösen, dass man über Smartphones und E-Mails jederzeit erreichbar ist. Ade, du schöner, sortierter Arbeitstag von Neun bis Fünf. Ich sehe das ja anders. Ich genieße es, dass ich jederzeit und überall arbeiten kann. (…) Dafür gehe ich aber auch schon mal am frühen Nachmittag spazieren, wenn die Sonne scheint – gerade im Winter, wenn es normalerweise ja nach Büroschluss draußen schon dunkel ist. (…) Und, tatsächlich: Dann kann es passieren, dass ich mitten am Tag vier Stunden lang meine Mails nicht lese“ – so Antje Schrupp in einem Blog-Post, den sie für die österreichische Seite www.­fischundfleisch.at schrieb. Neben ihren eigenen thematischen Blogs formuliert sie ihre Gedanken also auch für kommerzielle Blogs und verdient damit einen Teil ihres Einkommens.

Ihre eigene Mediennutzung hat sich indes komplett verändert. Klassische Medien wie Fernsehen kommen bei ihr nicht mehr zum Einsatz, Tageszeitungen sind komplett abbestellt und werden höchstens noch online gelesen. Mit Hilfe von Internet-Tools („Werkzeugen“) hat sie sich ihren eigenen „möglichst interessanten Informationsstrom“ zusammengestellt, also Nachrichten, die sie über neue Medien wie Twitter, Facebook oder RSS-Feeds erhält. Als Expertin für Feminismus fühlt sie sich so sogar besser informiert, als das über die klassischen Medien der Fall war, denn: „Ich bin so gut vernetzt, dass ich weiß, dass ich die wirklich wichtigen Dinge auf jeden Fall mitbekomme. In den herkömmlichen Medien ist Feminismus, der für mich von besonderem Interesse ist, ja noch immer total unterrepräsentiert“, so die engagierte Autorin.

Feministinnen im Netz

Dass feministische Themen unter jungen Frauen wieder stärker diskutiert werden, führt Schrupp auch auf das Internet zurück. Es lässt Frauen zu Wort kommen, die sich ansonsten vielleicht nicht trauen würden, ihre Meinung zu vertreten. Gleichzeitig macht das Internet diese Debatten für eine breite ­Öffentlichkeit sichtbar. So beobachtet Schrupp, dass die „Mehrzahl der Blogs von Frauen geschrieben werden“. Und sie findet diese oft auch interessanter als jene von Männern, da „Frauen gerne, wie sie das schon immer gerne gemacht haben, eine Verbindung herstellen zwischen dem, was sie selbst erleben, und der Welt insgesamt“. Die Blogs von Männern verortet sie dagegen tendenziell in jenem Teil des „öffentlichen Diskurses, der den klassischen Konven­tionen entspricht, da Männer Blogs vor allem dazu nutzen, abstrakte, theore­tische Ideen ins Netz zu pusten“.

Schrupp selbst bedient nicht nur Medien wie Twitter, Blogs und Facebook. Sie verschickt auch etwa alle zwei Monate einen Newsletter, in dem sie auf ihre Posts verweist: „Viele ältere Feminis­tinnen sind bis heute nicht so internet­affin“, erklärt sie. Über die unterschiedliche Mediennutzung von Feministinnen schreibt Schrupp auch im Blog www.bzw-weiterdenken.de, den sie mit anderen Feministinnen gründete, um gemeinsam neue Ideen zu Politik und Philosophie in Umlauf zu bringen: „Heute kommt neben dem Altersabstand auch noch der Medienabstand dazu: Alte und junge Feministinnen nutzen tendenziell unterschiedliche Me­dien und Organisationsformen. Auch wenn inzwischen zwar fast alle irgendwie ‚im Internet' sind, so halten sie sich dort doch an verschiedenen Ecken auf. Nur wenige Feministinnen über sechzig lesen die Blogs von Feministinnen um die dreißig oder diskutieren auf Twitter mit. Jetzt können sie aber zu einem Buch auf Papier greifen, um auf dem Laufenden zu bleiben“, so Antje Schrupp in einer Rezension des Buches „Weil ein #Aufschrei nicht reicht“ von Anne Wizorek. Dort beschreibt Wizorek, warum es auf Grund von alltäglicher ­sexueller Diskriminierung von Frauen eine neue feministische Agenda braucht.

Gottblog

Wenn Antje Schrupp von ihrem Arbeitsalltag erzählt, dann wirkt dieser sehr selbstbestimmt. Sie schreibt für keine bestimmte Zielgruppe, trotzdem hat sie sich für verschiedene Themen unterschiedliche Blogs geschaffen. Seit einiger Zeit auch einen Blog zu religiösen Themen. Denn die Philosophin hat auch ein Faible für Theologie, ein Fach, das sie eine Zeit lang an der Universität studierte. Als Jugendliche wollte sie sogar Pfarrerin werden, nachdem sie in einem Pfarrhaus zum ersten Mal ein Zimmer sah, das nur mit Büchern vollgestellt war. Sie fand die Vorstellung toll, nur zu lesen und zu diskutieren – und man hat den Eindruck, dass sie ihrem Ideal von damals heute recht nahe gekommen ist. „Den Gottblog habe ich angefangen, weil ich Lust hatte, mehr über religiöse Themen zu schreiben. Ich habe aber den Eindruck, dass die Leute, die meinen Hauptblog lesen, damit nicht so viel anfangen können. Deshalb habe ich dafür einen eigenen Blog eingerichtet, so dass sich die entsprechenden Zielgruppen finden können“, so die vielseitige Bloggerin.

Dabei bildet sie in ihrem Gottblog keine innerreligiösen Debatten ab, sondern reflektiert Grundsätzliches. Sie scheut sich nicht, ihre Gedanken sowohl auf islamistische Extremisten als auch auf bibeltreue Christen zu beziehen, wobei sie die Parallelität auf einer abstrakten Ebene ausmacht: „Es ist besser, gar nicht über Gott zu sprechen als falsch. – Dieser Gedanke geht mir schon seit einiger Zeit im Kopf herum. Denn ich finde, gerade wir Gläubigen spielen oft die Gefahren herunter, die es bedeutet, wenn das zweite Gebot missachtet wird (…) Das Wort Gott wird missbraucht, wenn Menschen sich auf Gott berufen, um etwas Falsches zu rechtfertigen. Das ist eine der schlimmsten Sünden überhaupt, und sie wird gerade dann begangen, wenn das Wort ‚Gott' nicht achtlos und nebenbei ausgesprochen wird, sondern im Gegenteil ganz bewusst und mit Emphase. (…) Der ‚Islamische Staat', der uns gerade mit auf die Spitze getriebener Brutalität vor Augen führt, wohin das führen kann, ist sicher ein absurdes Extrem. Aber ich finde, das ist nicht so völlig jenseits von dem, wie viele – gerade gläubige – Menschen mit dem Begriff ‚Gott' umgehen. Man könnte auch die so genannten bibeltreuen Christen nehmen oder sonstige Religionsfanatiker überall, und natürlich sind sie mit dem IS im Ausmaß der Bösartigkeit nicht vergleichbar, aber doch in der Struktur des Arguments“.2

Gegen den Strich bürsten

Dass Schrupp mit ihren Thesen hinterfragt und provoziert, ist ihr klar. Aber sie findet nichts so langweilig, wie bereits bekannte Gedanken zu reproduzieren. Es geht ihr darum, Menschen anzuregen, aus ihren üblichen Denkschemata auszubrechen.

So unterschiedlich die Themen der Blogs von Antje Schrupp sind, es lassen sich zwei Konstanten festmachen: der Bezug zum Feminismus und der Ansatz, Gedanken gegen den Strich zu bürsten. Also nicht dogmatisch zu sein, sondern ausgehend von eigenen Beobachtungen, voller Lust am Denken, sich auf die Suche nach neuen Erkenntnissen zu machen. Und so ist es auch kein Zufall, dass Antje Schrupp dem eigenen Älterwerden sehr viel Positives abgewinnen kann, wie sie es im Blog der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb: „Wie unterscheidet sich mein heutiges Lebensgefühl von dem mit vierzig, dreißig, zwanzig? Wenn ich es auf einen Begriff bringen müsste, würde ich sagen, das Motto meines Fünfzigsten lautet: ‚Genug'. Heute habe ich ‚genug', früher nicht. Und zwar nicht nur einfach genug von diesem oder jenem, Geld, Freundinnen, Klamotten, Urlaubserinnerungen, sondern generell genug. Genug vom Leben. (…) Aber ‚genug' bedeutet doch nicht ‚zu viel', sondern: ‚das rechte Maß'. Genug ist weder zu viel, noch zu wenig, sondern eben genau richtig. (…) Das ‚Genug' meines Fünfzigseins bedeutet so viel wie: So, wie es ist, kann es bleiben, ich brauche nicht mehr mehr“.3


Christine Müller, Jahrgang 1973, hat Literatur- und Medienwissenschaften, Soziologie und Grafik & Malerei studiert. Seit 2002 arbeitet sie als Print- und Radiojournalistin in Berlin. Zudem bietet sie Medienworkshops für Kinder und Jugendliche an und übernimmt Aufträge als Bild- und Textredakteurin. – mehr unter www.cmuellerberlin.de; – mehr zu Antje Schrupp unter www.antjeschrupp.de

Anmerkungen
1) antjeschrupp.com/2014/12/22/elf-thesen-zu-feministischem-aktivismus-heute/
2) aus Gottblog https://gottundco.wordpress.com/ von Antje Schrupp
3) Antje Schrupp, http://blogs.faz.net/10vor8/author/aschrupp/

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