Ausgabe 2 / 2016 Material von Jennifer Nicolay und Elisa Lapheck

Vom heiligen Schekel als Maß aller Dinge

Von Jennifer Nicolay und Elisa Lapheck

Im Jerusalemer Tempel, so steht es in der Tora, wurden nicht nur Waren berechnet, sondern auch Menschen, ­Beziehungen und Eigenschaften. Der Schekel galt als Maß aller Dinge. Ein Gespräch zwischen Rabbinerin Elisa Klapheck und INTA-Redakteurin Jennifer Nicolay.

Jennifer Nicolay: In einem Artikel über den Wert des Geldes schreiben Sie, dass mithilfe des heiligen Schekels alles berechnet werden konnte – Gegenstände wie auch Personen – unter dem Stichwort Talionsprinzip.
Elisa Klapheck: Ja. Besonders stark war diese Praxis bereits bei den Hethitern verbreitet. Dort wurde so auch die Schadensersatzregelung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ angewandt, die meist falsch verstanden wird, etwa dass man ein Auge opfern müsse, wenn man bei anderen das Auge geschädigt habe. Aber hier geht es um den Wert des Auges. Stellen Sie sich vor, jemand arbeitet mit dem Auge oder hat nur ein Auge, dann ist der Wert anders, als bei einer Person, die auf andere Weise arbeitet. Das jüdische Talionsprinzip im Talmud ist noch genauer, indem man den Wert errechnet und eine Geldsumme als Schadenersatz fordert. Interessant ist, dass das Prinzip ausdrückt, dass alles einen Wert hat, und der eigentliche Wert von Gott her kommt. All das wird über den Schekel ausgedrückt. Das muss keine reine Verdinglichung bedeuten. Unsere Beziehung, die Zeit, die ich Ihnen widme, die Sie mir widmen – da steckt ein Wert drin, und anstatt das zu verdrängen und nur das Heilige zu sehen, warum nicht auch Tacheles reden über diesen Wert? Das finde ich befreiend. Es muss nicht bedeuten, dass alles nur materialisiert wird, um es verkäuflich zu machen.

Viele Ökonom_innen oder Wirtschaftsethiker_innen meinen, Werte ließen sich nicht messen. Daher sei es unmöglich, sie in ein rationales System wie die Ökonomie zu übersetzen. Könnte man sagen, in der jüdischen Tradition findet sich doch ein gangbarer Weg dafür?
Also, wer nicht will, dass das in rationale Werte „gepresst“ wird, ist entweder ganz reich oder ganz arm (lacht). Nehmen wir zum Beispiel Eheverträge. Für Frauen schickte es sich früher nicht, über Renten oder finanzielle Absicherungen zu reden. Mit der Folge, dass wir mit einer finanziellen Naivität zu kämpfen hatten. Wenn Frauen in ihrer ökonomischen Abhängigkeit vom Mann früher nicht darauf geachtet haben, dass sie auch nach einer möglichen Scheidung abgesichert wären, weil sie die Liebe nicht in einen Vertrag pressen wollten – am Ende war die Frau die Düpierte, obwohl sie am Anfang meinte, die Liebe sei nicht materiell zu fassen. Aber wäre es nicht ein stärkerer Liebesbeweis, die eigenen Interessen zu sehen, sich selbst wertzuschätzen, und dann dies in der Beziehung zum Partner auch besprechen zu können?

gekürzt aus: Geld und Religion
inta Nr. 7, 2. Jg., Sept. 2015, S. 6f – mehr unter: www.inta-forum.net

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