Alle Ausgaben / 2017 Material von Jörg Zink

Vom Ursprung im Wasser

Von Jörg Zink

Vom Wasser spricht Jesus als vom Element unserer Herkunft, und er spricht bei Johannes immer wieder von ihm. Was will er damit andeuten? (…)
Die Heilung eines Gelähmten findet bei Johannes am Wasser des Teiches Betesda statt. Als Jesus einen Blinden heilt, sagt er ihm, er solle seine Augen in der Quelle Schiloach waschen. Den verängstigten Jüngern in ihrem Boot erscheint Jesus auf dem Wasser gehend. Auf der Hochzeit zu Kana wandelt sich das Wasser in Wein. Immer wieder spielt das Wasser eine zentrale Rolle in den Geschichten des Johannes bis hin zu der schwebenden Atmosphäre jenes frühen Morgens am See, in der Jesus als der aus dem Tod Erstandene seinen Jüngern erscheint. Was ist denn „Wasser“, wenn es so wichtig ist? Was empfinden wir, wenn wir es sehen, wenn vor uns Meer ist, wenn wir durch den Regen wandern, wenn wir Wolken aufsteigen sehen? Was regt es in unserer Seele an?
Das Wasser hat viele Gestalten. Es erscheint als Quelle, als Bach, als Fluss, als See und Meer. Als Wolke, als Nebel, als Schnee und Eis. Es fließt durch die Adern von Pflanzen und Tieren. Es löst sich auf in der Luft und wird zu unsichtbarer Feuchtigkeit. Es liegt als Tau auf den Gräsern. Es heilt als Moorsee oder Schwefelquelle. Es hat keine bleibende Gestalt.
Es wandelt sich ständig und ist das Grundelement des Lebens eben durch seine Wandlungsfähigkeit. Es erinnert mich, der aus dem Wasser und mit dem Wasser lebt, daran, dass ich an dieser Wandlungsfähigkeit teilhaben muss, wenn ich denn leben will. Jeder Tag fordert mich in einer neuen Gestalt, und ich gehe, wenn ich wohlgeraten bin, mit in dem großen Spiel der Wandlungen.
Ich muss einmal zur Wolke werden und frei über das Land reisen. Ich muss das andere Mal herabregnen und zur Pfütze in irgendeiner Ackerfurche werden. Ich muss mich reinigen lassen wie das Wasser in der Tiefe der Erde. Ich muss fließen und ruhen und wieder ans Licht kommen. Wenn ich meine Gestalt bewahren will, verliere ich mein Wesen. Nur wenn ich sie preisgebe, wächst sie mir am anderen Tag in neuem Sinn wieder zu.

aus:
Dems., Dornen können Rosen tragen,
1997 Kreuz Verlag GmbH, Stuttgart, S. 247+249
© Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Br.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang