Die wirtschaftliche Situation in Deutschland fordert vielen Mobilität ab. Findet jemand in Leipzig oder Oldenburg keine Arbeit, erwartet der Staat selbstverständlich, dass der oder die Betreffende nach Württemberg oder Bayern zieht, um dort eine Stelle anzutreten. Junge Menschen können heute nicht mehr davon ausgehen, dort wohnen bleiben zu können, wo sie geboren wurden. Außerdem hat sich unsere Einstellung verändert: Die Welt ist durch Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten näher zusammengerückt, wir interessieren uns für andere Länder, lernen ihre Sprachen, wollen ihre Geschichte und Kulturen kennen lernen. Gott sei Dank ist uns dies heute leichter möglich als je zuvor.
Wenn wir losziehen, aufbrechen, haben wir einen Grund – meist, dass uns etwas fehlt, etwa die Arbeitsstelle, oder wir eben Neues kennen lernen wollen. Ich stelle mir vor, dass den jungen Mann, der zu Jesus kommt, Fragen bewegen, vielleicht auch ein Gefühl der Unzufriedenheit mit seinem Leben. Soll das alles sein – die täglichen Aufgaben erfüllen, Vermögen und Häuser verwalten? Ist das mein Leben? Oder werde ich gelebt? Wofür lebe ich? Der junge reiche Mann möchte mehr als „alles“ haben.
Also ist er losgegangen, um eine Antwort auf solche Fragen zu finden. Um einem kompetenten Lehrer seine Frage Ist das Leben?nach dem ewigen Leben, also nach vor Gott gültigem Leben zu stellen.
An dieser Stelle möchte ich innehalten und Sie einladen, Ihre Fragen zu formulieren.
Fragen, die Sie Gott stellen möchten…
„Was muss ich Gutes tun, um den Himmel, das Reich Gottes, zu gewinnen, Glück, Erfüllung zu finden?“ Solchem Denkmuster widerspricht Jesus: „Gott ist das Gute.“ In der Beziehung zu Gott werde ich frei von Leistungsdruck und Gewinnmaximierung, kann ich aussteigen aus Denkfiguren wie: „Weil ich dies
mache, werde ich jenes bekommen.“ Jesus lädt ein, auf Gott zu schauen, der mir in seinem Gut-Sein überall begegnet. Ich brauche das Gute gar nicht herzustellen. Wenn ich Ausschau halte, begegnet es mir überall – vorausgesetzt, ich nehme einmal die Brille ab, die ich mir aufsetze oder aufsetzen lasse durch Vorstellungen, wie denn das Leben sein soll. Gottes Möglichkeiten der Güte wollen entdeckt, empfangen, gespürt, angenommen und erhofft werden – ein Leben lang. Und auch am Ende des Lebens bleibt mir nur diese Möglichkeit: mich seiner Liebe ganz anzuvertrauen.
Trotz seines Einwandes lässt Jesus den jungen Mann nicht im Regen stehen. Er verweist ihn auf die Gebote, insbesondere die, die soziale Auswirkungen haben, in denen Gottes guter Wille für ein friedliches Zusammenleben mit anderen ausgedrückt ist. „Die befolge ich“, lautet die Antwort des Reichen.
„Was fehlt mir noch?“
Ja, was fehlt mir noch? Was brauche ich, um glücklich zu sein, um mein Leben so zu gestalten, dass es dem Leben dient, meine Lebenszeit übersteigt, außerhalb meiner Begrenzungen Gutes wirkt?
„Wenn du vollkommen sein willst, gib, was du hast, den Armen und folge mir.“ Eine eindeutige Antwort erhält der junge Mann. Gib deinen Reichtum denen, die nichts oder wenig haben, und lass dich auf mich ein, auf einen Weg mit mir. Gib deine Sicherheiten auf und geh mit mir: So verstehe ich Jesu Worte.
Wer von uns möchte dies schon befolgen: Sicherheit gegen Unsicherheit eintauschen, Reichtum gegen Armut, vertraute Menschen und Orte gegen Fremdsein und Wanderschaft? Dann doch lieber nicht vollkommen sein wollen – oder?
Der junge Mann geht traurig weg, zurück in seine Heimatstadt, zu Familie und Freunden. Und wir verstehen ihn! Denn das, wozu Jesus ihn da auffordert, ist einfach zu viel für ihn. Leider erfahren wir nicht, wie sein Leben weiter verlief. Möglicherweise lebte er bewusster und achtsamer nach dem Gespräch mit Jesus, wurde ein liebevollerer Ehemann und Vater, sorgte für seine alten Eltern. Vielleicht spendete er regelmäßig für die Kranken im Ort, organisierte eine „Tafel“ für Obdachlose. Immerhin hatte Jesus das Halten der Gebote als Weg zu Gott, zum Himmel bestätigt. Und vielleicht wusste er am Ende seines Lebens, dass die Entscheidung, die er seinerzeit getroffen hatte, für ihn die richtige war. Der Preis wäre zu hoch gewesen. Der Gedanke damals – „Das kann ich nicht: einfach all das Gewordene, die gewachsenen Beziehungen, mein Erbe aufgeben“ – war ein wertvolles Signal.
Würde ich als Seelsorgerin ihm als Sterbendem im Krankenhaus begegnen, ich würde ihm zuhören, wenn er mir sein Leben erzählte und nochmals neu seinen Weg zu verstehen und bewerten suchte. Im Rückblick sehen unsere Wege nochmals anders aus, weil wir wissen, was aus ihnen wurde. Auch ich würde ihn nicht verurteilen. Gerade, weil ich selbst in meinem Leben verschiedentlich ins Unbekannte aufgebrochen bin, weiß ich, dass Gehen und Aufbrechen viel Kraft, Geduld und Vertrauen braucht. Erst später merkte ich, wie viel mir vertraute Menschen, Orte und Arbeitsabläufe bedeuteten. Viel Zeit war nötig, damit Erlebnisse zu Erfahrungen wurden, Abläufe zu Gewohnheiten, neue Menschen zu Freunden. Gewiss, ich habe viel gelernt und möchte weder das noch die neuen Freunde missen. Und dennoch: Es kostete viel!
Den reichen jungen Mann würde ich vermutlich fragen, ob er glaubt, dass Gott zufrieden sei damit, wie er mit seinem Vermögen umgegangen ist. Und ich würde mit ihm beten und danken für all das, was Gott ihm an Gutem gegeben hat. Vielleicht wird er nun wissen, dass er am Ende zu Gott geht, der Himmel sich ihm öffnen wird. Manche Menschen wissen das an ihrem Lebensende. Auch das ist ein Geschenk.
Im Anschluss an die Begegnung zwischen Jesus und dem reichen Mann stellen die Jünger ihre Fragen. Sie haben schließlich alles verlassen: ihre Familie, ihren Arbeitsplatz, ihren Lebensraum. „Wofür?“, mögen sie insgeheim gedacht haben. „Wir sind Jesus nachgefolgt, weil seine Reden und sein Verhalten uns überzeugt haben. Und auch wir wollten das ewige Leben finden.“ Und Jesus hatte noch nicht einmal auf sie als Vorbild verwiesen. Ja, er verurteilt den reichen Mann nicht einmal, als er weggeht. Stattdessen zitiert er eine Art Sprichwort, das bestätigt, wie schwer es für Reiche ist, in das Himmelreich zu kommen. Wie behindert sind sie oft durch ihr Streben nach „Mehr“, nach Gewinnmaximierungen, Kostenabbau, Aktienkurse und Kampf um Marktanteile.
Die Gefahr des Reichtums liegt wohl darin, dass wir so sehr mit ihm beschäftigt sind. Aber eigentlich wissen wir: Nicht Geld ist das Gute, sondern Gott. Diese Sicht führt zu einem anderen Umgang mit dem, was ich habe, kann und bin. Wem diene ich mit meinen Gaben? Und noch davor: Bin ich dankbar für das, was ich bekommen habe – letztlich von Gott, unserem Schöpfer? Den Himmel können wir nicht machen, wir können ihn uns nur schenken lassen. Doch er wird weiter, wo Menschen andere Geschenken und mit ihnen teilen. Auch die, die alles hergeben, bleiben angewiesen darauf, dass Gott ihnen das Himmelreich eröffnet. Und wir können unsere Fragen mitnehmen zu Gott – unseren Lebensweg und unseren Dank für all das Gute, das wir empfangen haben und tun konnten. Fehlt uns dann auch noch etwas?
Vorschläge zur Vertiefung in der Gruppe
Die folgenden Vorschläge können einzeln oder in Kombination an die vorgetragene
Bibelarbeit angeschlossen werden. Denkbar ist auch, eine kleine „Reihe“ zu gestalten, bei der die Frauen in der Gruppe in die Vorbereitung einbezogen sind.
In unserem Schrifttext setzt die Handlung mit einer Frage ein: „Was muss ich tun?“ Dr. Ruth Pfau lebt seit den 60er Jahren als Ärztin und Nonne in Pakistan und Afghanistan und unter anderem behandelt sie dort erfolgreich Leprakranke.
In einem Interview erzählte sie, dass sie eine „eschatologische Frageliste“ habe, in der sie all die Fragen festhält, die sie Gott stellen möchte, wenn sie ihm nach diesem Leben begegnet. Mich hat diese Idee fasziniert – denn eine solche Möglichkeit gibt mir Raum, Fragen festzuhalten, ohne dass sie mich quälen oder ich mich ärgere, z.B. über die ungerechte Verteilung von Reichtum heute. Ich würde deshalb die Frauen bitten, eine solche FRAGELISTE zu beginnen:
„Was möchte ich Gott fragen, wenn ich ihm begegne – heute oder im Himmel?“
Nach zehn Minuten der Einzelarbeit kann die Gruppe in einen Austausch darüber treten. Es wäre meines Erachtens dabei wichtig herauszuarbeiten, dass unsere Fragen wichtige Wegweiser sind! So könnte sich daran ein Gespräch anschließen über die Frage:
„Welche Wege bin ich in meinem Leben gegangen, weil ich dieses wissen oder jenes lernen wollte?“
Wenn noch Zeit bleibt, sollte Raum sein für die Frage:
„An welche Fragen, die mir (von den Kindern, dem Ehepartner, Freunden
usw.) gestellt wurden, erinnere ich mich noch heute?“
Die Gruppe stellt eine COLLAGE her zum Thema „Ewiges Leben“. Dazu brauchen wir Illustrierte, Zeitungen und ähnliche Materialien, die zerschnitten werden können. Die einzelnen Ausschnitte, die jede gewählt hat, kleben wir gemeinsam oder abwechselnd auf eine Tapetenrolle und lassen schließlich das so entstandene Werk auf uns als Gruppe wirken. Danach sind alle eingeladen, einander Fragen zu stellen oder zu erzählen, warum eine gerade dieses Bild ausgewählt hat.
Die Leiterin kann in einem zweiten Schritt vorschlagen, die Bilder zu benennen, die Jesus gebraucht, wenn er vom Himmelreich spricht. Eventuell könnten dann in Kleingruppen diese Sprachbilder in Zeichnungen umgesetzt werden. Ein Vergleich mit der Collage bietet sich dann zum Schluss an.
Im Jahre 1183 hört ein reicher Mann in Lyon (Südfrankreich) dieses Bibelwort und macht wahr, was Jesus damals gesagt hatte: Er gibt sein Vermögen den Armen. Der Mann heißt Peter Valdés und gründet die Bewegung – heute: Kirche – der Waldenser. Es gibt sie bis heute vor allem in Italien.An dieser Stelle könnte die Leiterin von Valdés und den Waldensern ERZÄHLEN, denn er wählte den Weg, den Jesus dem reichen Jüngling nennt (vgl. Literaturvorschlag unten).
Alternativ oder anschließend: Die Frauen phantasieren das weitere Leben des reichen Jünglings (Paar-Arbeit oder Kleingruppe) und lassen ihn vor dergesamten Gruppe in Form eines Interviews erzählen, wie sein Leben nach der Begegnung mit Jesus verlaufen ist.
Weitere Varianten: Eine Gruppe bereitet Fragen an einen Reichen vor, in denen es um Lebenssinn und -zweck im Sinne unseres Bibeltexts geht, und stellt diese dann fiktiv einem reichen (jungen) Menschen unserer Zeit (z.B. Boris Becker, Claudia Schiffer, Christian Flick…). Eine andere Gruppe bereitet sich darauf vor, in die Rolle der jeweiligen InterviewpartnerInnen zu schlüpfen, und antwortet dann auf die „Interviewfragen“.
Die Leiterin bereitet pro Teilnehmerin ein PUZZLE vor, dessen Einzelteile noch
leer sind. Die Puzzles werden an die Teilnehmerinnen verteilt. Jede soll durch Symbole, Farben oder Zeichnungen ihr „Lebenspuzzle“ gestalten mit den guten Dingen, geliebten Menschen, wichtigen Orten und Daten; aber auch weiße Flächen („offene Fragen“) sind möglich.
In einer vertrauteren kleinen Gruppe können sich die Frauen anschließend gegenseitig das entstandene Bild zeigen und erzählen, was im eigenen Leben und für das eigene Leben wichtig ist, welche Menschen, Orte, Aufgaben, gute und schlechte Zeiten – und was ihnen bisher offen blieb.
Hinterher könnte jede ein Dankgebet schreiben: „Ich danke Gott für diese empfangenen Gaben: …“
In einer abschließenden Runde könnte die Leiterin die Collage (siehe 2.) oder das Puzzle (siehe 4.) nutzen, um die Frauen zu fragen, von welchen Gaben sie den anderen etwas abgeben möchten.
Als Schlusslied schlage ich vor: „Danke für diesen guten Morgen“, Strophen 2-
6 (EG 334)
Der Dank könnte münden in das Vater unser und den aronitischen Segen (Num/4. Mose 6,24-26)
Iris Susen, Jahrgang 1956, ist verheiratet, hat eine 26jährige Tochter und lebt in Moers. Sie hat 14 Jahre lang im Krankenhaus Bethanien in Moers als Krankenhausseelsorgerin gearbeitet. Zwischenzeitlich war sie für ein Jahr Gemeindepfarrerin in Fond du Lac, Wisconsin, USA. Von 2001 bis 2003 war sie zur Pfarrerin und Superintendentin des Kirchenkreises Niesky in Niesky (Niederschlesischer Oberlausitzkreis/Sachsen) berufen. Im Moment, mit 47 Jahren, gönnt sie sich ein Sabbatjahr, um dann wieder in ihren Beruf zurückzukehren.
Literatur
Hubert Frankemölle: Matthäus Kommentar 2, Düsseldorf (Patmos) 1997, S. 278-285
Eugen Drewermann: Tiefenpsychologie und Exegese, Band II – Die Wahrheit der Werke und der Werte. Olten und Freiburg/Br. (Walter) 2 1986, S. 698-707
Joachim Gnilka: Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband
(=EKK zum Neuen Testament II/2), Zürich und Neukirchen-Vluyn (Benziger und Neukirchener Verlag) 1979, S. 83-91
Peter Krusche, Dietrich Rössler, Roman Roessler
(Hgg.), Predigtstudien für das Kirchenjahr 1993. Perikopenreihe
III – Zweiter Halbband. Stuttgart (Kreuz) 1993, S. 238-245
Zum Weiterlesen
Ruth Pfau: Das Herz hat seine Gründe. Mein Weg. Herausgegeben von Rudolf Walter. Freiburg (Herder Verlag) 2003. 240 Seiten
Amedeo Molnar: Die Waldenser. Freiburg (Herder Verlag) 1994. Broschiert, 456 Seiten
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
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