Ausgabe 1 / 2014 Andacht von Kirstin Müller

Wachet und betet

Andacht um Bewahrung der Schöpfung

Von Kirstin Müller


Die folgende Andacht ist orientiert an den „Asseandachten“ – Wenn möglich, feiren Sie die Andacht in einem Kreis und draußen.

Hinführung:
Bau neuer Stromleitungen, Voraussetzung für die Energiewende, kommt 2013 keinen Kilometer voran. Klimaschutzkonferenz in Warschau endet ohne nennenswertes Ergebnis, Ausstoß von CO2 durch die weltweite Verbrennung fossiler Brennstoffe erreicht 2013 Rekordwert von 36 Milliarden Tonnen. Lage in der Atomruine Fukushima weiter außer Kontrolle. – Schlagzeilen, die den Ernst der Lage unmissverständlich deutlich machen. Umdenken ist gefragt, der Handlungsbedarf offensichtlich. Lassen Sie uns darum die Bewahrung von Gottes guter Schöpfung ins Gebet nehmen – und trauen wir uns zu fragen, was wir selbst dazu beitragen können. Welche Umweltgefahren lauern hier, in unserer eigenen Region? Wie weit entfernt liegt das nächste Atomkraftwerk oder eine Giftmülldeponie? Wie viel Strom verbrauchen wir eigentlich? Was können wir tun, damit die Zukunft unserer Kinder lebenswert ist?

Lied:
Wachet und betet (EG 789.7)
mehrfach singen – manchmal wird es unverhofft mehrstimmig …

Begrüßung:
Wir haben uns hier versammelt, um zu wachen und zu beten, denn die Schöpfung ist gefährdet durch Gifte und atomare Abfälle. Was wir hinterlassen, wird Folgen für unsere Kinder und Kindeskinder haben. Um Gottes Geist und Weisheit bitten wir, um Dinge zum Besseren zu wenden, um zu ändern, was wir ändern können.

Den Boden unter uns, den Himmel über uns, das Band der Gemeinschaft zwischen uns und Gottes Geist in uns – so sind wir hier zusammen, um zu wachen und zu beten. – Lied noch einmal singen

Gebet:
Eine/r: Am Anfang schuf Gott die Welt:
Frauen: Schuf sie und zog sie auf
Männer: formte sie und hielt zu ihr
Frauen: füllte sie mit Samen und Zeichen der Fruchtbarkeit
Männer: füllte sie mit Liebe und die Menschen mit Begabung.
Eine/r: Alles, was grün, blau, tief ist oder wächst:
Alle: Durch Gottes Hand bist du geschaffen
Eine/r: Alles, was zart, fest, duftend oder eigenartig ist:
Alle: Durch Gottes Hand bist du geschaffen
Eine/r: Alles, was kriecht, fliegt, schwimmt, geht oder reglos ist:
Alle: Durch Gottes Hand bist du geschaffen
Eine/r: Alles, was spricht, singt, weint, lacht oder schweigt:
Alle: Durch Gottes Hand bist du geschaffen
Eine/r: Alles, was leidet, mangelt, hinkt oder am Ende ist:
Alle: Durch Gottes Hand bist du geschaffen
Eine/r: Die Welt gehört Gott.
Alle: Die Welt und alle Menschen gehören Gott.

aus: Das Kleine Gottesdienstbuch, Liturgien der Iona-Kommunität, Beratungsstelle für Gestaltung, 3. überarb. Aufl., Frankfurt 1997, S. 8.

Hier kann ein eigenes, regionales Anliegen gesprochen werden, oder:

Ich mache mir Sorgen um die Menschen, die in der Asse leben und arbeiten. Dort lagern 126.000 Fässer mit atomaren Abfällen, darunter hochgiftiges Plutonium. Wenn die Fässer im Salzstock verbleiben, können sie durchrosten, und das Gift gelangt ins Grundwasser. Dann werden Menschen, Tiere und Pflanzen großen Schaden nehmen.

Ich bitte darum, dass die Verantwortlichen alles dafür tun, dass das nicht geschieht, ganz gleich, wie viel es kostet.

Lied:
Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf Dich vertrau ich und fürcht' mich nicht, auf Dich vertrau ich und fürcht' mich nicht. (Taizé)

Eine/r: Lasst uns beten.
Am Anfang, bevor die Welt begann,
als alles noch ohne Gestalt war,
warst du da,
schwebtest über dem Chaos, plantest die Gestalt,
den Geschmack, den Anblick
und den Klang der Dinge,
die Gegensätze ausbalancierend,
den Regenbogen, webend
machtest du aus Verwirrung Wirklichkeit.
Alle: Dafür loben wir dich.

Hier kann ein eigenes, regionales Anliegen gesprochen werden, oder:

Ich mache mir Sorgen um die Klimaerwärmung, deren weltweite Folgen wir nicht absehen können. Wenn wir weiter Energie mit hohem CO2-Ausstoß gewinnen, dann wird der Meeresspiegel steigen und Stürme werden weltweit Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen verwüsten.

Ich bitte darum, dass die Politikerinnen und Politiker und die in der Wirtschaft Verantwortlichen weltweit alles dafür tun, um den CO2-Ausstoß zu verringern, ganz gleich, wie viel es kostet.

Lied:
Meine Hoffnung und meine Freude

Eine/r: Bevor wir begannen,
noch im Mutterleib – ohne Form:
du warst da.
Nanntest uns dein eigen,
plantest unsere Natur und Originalität,
setztest unsere Fähigkeiten frei,
machtest uns einzigartig,
der Zufall wurde in deinem Sinne Wirklichkeit.
Alle: Dafür loben wir dich.

Hier kann ein eigenes, regionales Anliegen gesprochen werden, oder:

Ich mache mir Sorgen um Menschen, die in mit bloßen Händen Uran „gewinnen“, etwa in Indien. Ich mache mir Sorgen um Menschen, die mit atomaren Abfällen umgehen müssen, die Arbeiterinnen und Arbeiter – Liquidatorinnen, Liquidatoren genannt – die nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl eingesetzt wurden und die bis heute an den Folgen leiden. Ich mache mir Sorgen um die Arbeiterinnen und Arbeiter, die im Reaktor Fukushima Dienst getan haben und tun, um die Menschen, Tiere und Pflanzen, die dort leben.

Ich bitte darum, dass die Verantwortlichen nicht vorschnell sagen: Es besteht keine Gefahr für das Leben, sondern Fehler zugeben und nach Lebensräumen suchen, in denen die Menschen aus den verstrahlten Regionen wieder gut leben können, ganz gleich, wie viel es kostet.

Lied:
Meine Hoffnung und meine Freude

Eine/r: Und natürlich jetzt,
wo wir unsere Träume träumen
oder die Zukunft austüfteln,
jetzt, wo unsere Ideale in Frage stehen,
das weniger Bedeutende interessant wird:
du bist da.
Du bringst unsere Oberflächlichkeit durcheinander,
du widersprichst unseren Kompromissen,
du erweiterst unsere eingeschränkte Blickrichtung
durch den Anblick, den Klang und den Geschmack erfüllten Lebens.
Du hebst die verlorenen Fäden unserer Hingabe auf.
Der Zufall wird in deinem Sinne Wirklichkeit.
Alle: Dafür loben wir dich.

Hier kann ein eigenes, regionales Anliegen gesprochen werden, oder:

Ich gehe häufiger zu Fuß, nehme das Fahrrad und benutze öffentliche Verkehrsmittel, um die Umwelt nicht zu belasten. Ich schalte manchmal das Licht bewusst für eine Stunde aus, um Energie zu sparen. Ich habe meinen Stromanbieter gewechselt.

Ich bitte darum, dass wir mit Phantasie Wege suchen, um Dinge zu verändern und nicht denken, mein kleiner Beitrag nutzt doch nichts. Ganz gleich, wie viel es kostet.

Lied:
Meine Hoffnung und meine Freude

Eine/r: Und so wird es immer sein:
Denn du hast nicht gesagt: „Ich bin die Antwort“,
sondern: „Ich bin der Weg“.
Du hast nicht erwartet, dass wir erfolgreich sind,
sondern treu.
Du hast uns nicht das Paradies für morgen versprochen,
sondern, dass du bei uns bist bis zum Ende der Welt
und der Zufall in deinem Sinne Wirklichkeit wird.
Alle: Dafür loben wir dich jetzt und immer. Amen.

Biblischer Impuls:
Heile du mich, Ewige, so werde ich heil; hilf mir, so ist mir geholfen.
Jeremia 17,14 (Bibel in gerechter Sprache)

Die Schöpfung ist gefährdet, sie nimmt Schaden durch unseren Umgang mit ihr. Atommüll wird über Jahrtausende problematisch bleiben, verstrahlte Regionen schädigen Menschen, Tiere und Pflanzen. Es wäre schön, wir könnten uns an Gottes weite Brust schmiegen und Gott würde uns eine leise Melodie singen: Heile, heile Gänschen – und alles würde wieder gut werden. Einfach so. Und wir könnten aufatmen und müssten keine Angst mehr vor weiteren Schäden und Schädigungen haben.

Aber: So ganz ohne uns läuft es nicht. Und das ist auch gut so. Wir sind in die Verantwortung gerufen für die Schäden, die wir und andere verursacht haben. Wir leben mit den Schäden und müssen unser Menschenmögliches tun, um sie zu beseitigen, mindestens zu lindern. Wir sind gerufen, Verantwortung zu übernehmen, und da hilft kein: Ich war's nicht, oder: Das ist doch schon zu lange her, oder: Da fällt mir nichts zu ein, oder: Dafür bin ich nicht zuständig, oder: Wir haben es doch nicht gewusst.

Heile Du mich, Ewige, so werde ich heil; hilf mir, so ist mir geholfen – hier ist eine ganz nahe Beziehung beschrieben. Gott und ICH. ICH – jede, jeder und Du, Gott. Jede und jeder ist ein Ich und damit in Beziehung zu Gott und in Verantwortung vor Gott. Und für die Welt. Großes wird uns damit zugetraut. Und Großes versprochen. Dass nämlich heil werden kann – tatsächlich heil werden kann – was Schaden genommen hat. Auch wenn wir noch nicht wissen, wie das gehen kann.

Dazu können wir uns schon an Gottes weite Brust schmiegen, damit unsere Sehnsucht lebendig bleibt und unsere Hoffnung: Es kann noch etwas gehen. Es kann gehen, auch wenn uns zum Verzweifeln und zum Weglaufen zumute ist. Weil immer noch mehr „Schäden“ ans Licht kommen, und weil niemand uns versprechen kann, dass alles schon irgendwie gutgehen wird.

Wir können uns schon an Gottes weite Brust schmiegen, damit unsere Sehnsucht lebendig bleibt und unsere Hoffnung: Wir können die Gefahr und die Schäden ins Auge fassen und müssen nicht wegschauen, weil wir wissen, dass es Heilwerden gibt. Von Gott her gibt. Das ist Gottes Wirklichkeit in der versehr-ten Welt. Das ist der Hoffnungsraum in der ganzen Schöpfung, den Gott uns bereitstellt. Auch hier an diesem Ort. Darin können wir leben. Hinsehen ist ein Weg, der in diesen Hoffnungsraum führt. Die Wunden wahrnehmen und den Schmerz teilen gehören dazu. Und auf Gottes ABER in der Welt vertrauen. Denn wir können zwar nicht ungeschehen machen, was gewesen ist, ABER wir können das Unsrige tun, damit in Zukunft andere Dinge möglich werden.

Dazu brauchen wir einen langem Atem, damit wir weiter hoffen und anschauen und forschen und Lösungen finden. Dazu brauchen wir uns, um uns gegenseitig zu ermutigen, um Verantwortung zu übernehmen und Verantwortliche
zu suchen. Um einfach weiterzumachen: als Menschen, die hier leben und arbeiten und die Gottvertrauen haben. – Heile du mich, Ewige, so werde ich heil; hilf mir, so ist mir geholfen. Amen

Lied:
Gott gab uns Atem (EG 432)

Fürbitten:
Du Gott des Himmels und der Erde:
Im Vertrauen auf dich engagieren sich Menschen für Gerechtigkeit und die Zukunft deiner Schöpfung.

Wir bitten dich für diesen Ort und alle Orte auf der Welt, an denen gefährliche Stoffe lagern:
Schenke ihnen deinen Frieden, aus dem alles neu und gut werden kann.

Liedruf:
The peace of the earth be with you (Mennonitisches Gesangbuch 138) oder Kyrie (EG 178.12)

Wir bitten dich für die Menschen, die hier oder an anderen Orten arbeiten, an denen mit lebensbedrohlichen Stoffen umgegangen werden muss:
Achte du auf sie, dass sie gute Entscheidungen treffen, dass sie sicher arbeiten können, dass sie sich in deinem Frieden geborgen wissen, aus dem alles neu und gut werden kann.

The peace of the earth be with you

Wir bitten dich für alle, die sich in Forschung und Politik, in Bürger_innenbewegung und privat, lokal und global dafür stark machen, dass Atomkraft nicht zur Todesmacht wird:
Berge sie in deinen Frieden, aus dem alles neu und gut werden kann.

The peace of the earth be with you

Wir bitten dich für alle, die mit Gottvertrauen in deiner Schöpfung leben und lieben, arbeiten und beten, -verzweifeln und Hoffnung haben:
Lass sie deinen Frieden spüren, aus dem alles neu und gut werden kann.

The peace of the earth be with you

Vaterunser

Segen:
Gottes Segen behüte uns nun,
Gottes Frieden bei all unserm Tun.
Gottes Frieden komme über uns und bleibe bei uns, heute und alle Zeit bis in Ewigkeit. Amen.


Kirstin Müller, geb. 1963, ist Pfarrerin für Frauenarbeit der Ev.-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, zuvor war sie Pfarrerin in Wittmar, Asse, und Mitinitiatorin der Asse-Andachten.


AufpASSEn
In der niedersächsischen Asse (Region Wolfenbüttel-Braunschweig) wurden in den 1970er Jahren 126.000 Fässer mit atomaren Abfällen in einem alten Salzstock „eingelagert“ – das heißt: zu Forschungszwecken gestapelt oder einfach in die Kavernen abgekippt. In den Fässern befinden sich u.a. Uran, Thorium, Arsen und 28 Kilogramm Plutonium, das schon in kleinsten Mengen tödlich ist. Durch das eindringende Wasser rosten die Fässer langsam durch – es gibt keine Garantie dafür, dass keine Radioaktivität und kein Gift in die Umwelt oder ins Grundwasser gelangen. Zurzeit wird erprobt, ob und wie der Müll geborgen werden kann. Das wird Milliarden kosten und etwa 50 Jahre dauern. Niemand weiß, ob der Berg solange stabil bleibt.
Das gelbe A an Häusern, Autos und Kirchen mahnt, hinzuschauen und aufzupassen. AufpASSEn heißt die BürgerInneninitiative, die sich hier seit zehn Jahren engagiert. – mehr unter www.aufpassen.org

Andachten am Asseschacht
Seit 2008 werden Andachten vor den Werkstoren von Asse2 (Asseschacht) in Remlingen gehalten – immer, wenn eine neue Jahreszeit beginnt, am Sonntag um 18.00 Uhr. Die Andachten haben eine feste Form und laden ein, sich mit eigenen Gedanken und Anliegen zu Wort zu melden. Anwohner_innen aus den umliegenden Dörfern und Atomkraftgegner_innen kommen ebenso wie Mitarbeiter_innen des Bundesamtes für Strahlenschutz und der Asse GmbH, Konfirmand_innen wie Kommunalpolitiker_innen. Im großen Kreis, ohne Frontstellung können alle äußern, was sie denken und fühlen. Das Gebet ist zum Sprachraum für öffentliches Handeln und Denken geworden, es steht für geistliche Begleitung in unsicheren Zeiten und gelingende Kommunikation. Die ökumenischen Andachten werden von vielen Gruppen und Gemeinden getragen.

Gorlebener Gebet
Noch kann die funktionsfähige Pilot-Konditionierungsanlage der GNS (Gesellschaft für Nuklear-Service) zur Entwicklung von Verpackungsverfahren für radioaktive Stoffe ihren Betrieb nicht aufnehmen. Die Suche des für die Endlagerung zuständigen Bundes ist noch nicht abgeschlossen. Vor Ort aber befürchten sie, dass Gorleben Standort bleibt und daher mit wöchentlichen radioaktiven Atommülltransporten zu rechnen ist. Inspiriert von indigenen Völkern wollen die Initiator_innen des „Gorlebener Gebets“ in Visionen und Träumen eine „neue Welt“ mitgestalten – und Entscheidungen, die die Existenz der kommenden Generationen nicht bedrohen. Das Gebet findet sonntags um 14.00 Uhr im Wald statt, mit Blick auf den Förderturm am Erkundungsbergwerk. Am 29. Juni 2014 feiert die ökumenische Initiative 25 Jahre Widerstand. – mehr unter: www.gorlebener-gebet.de

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