In der Geschichte der Menschheit gab es schon immer Wanderungsbewegungen, sind Menschen zwischen verschiedenen Ländern gependelt. Migration ist also keineswegs ein neues Phänomen.
Dass das Thema dennoch eine immer größere Rolle in gesellschaftlichen und politischen Debatten spielt, mag daran liegen, dass sich die Formen von Migration ändern. Einfluss hierauf haben Fortschritte im Transportwesen, aber auch im Bereich der Kommunikation und Medien in unserer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt.
Der Weltbevölkerungsbericht 2006 des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) beziffert die Zahl der MigrantInnen im Jahr 2005 auf weltweit 191 Millionen. Fast die Hälfte davon sind Frauen. Die Gründe, aus denen Frauen migrieren, sind ebenso vielfältig wie die persönlichen Geschichten der Frauen. Hinter der Entscheidung zur Migration können persönliche, finanzielle oder politische Ursachen stehen. Viele Frauen tragen in ihrem Herkunftsland die Verantwortung für Familie und Kinder und suchen daher nach besseren Perspektiven im Ausland. Die daraus resultierenden finanziellen Transferleistungen der MigrantInnen in ihre Herkunftsländer sind in einigen Ländern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und tragen zur Verringerung der Armut bei. Auf der anderen Seite stehen auch Anreize in den Zielländern, beispielsweise die Nachfrage nach Arbeitskräften in bestimmten Sektoren. Da die Beteiligung von Frauen an
der internationalen Migration immer größer wird, spricht die Forschung von der Feminisierung der Migration.(1)
Vor allem in die internationale Arbeitsmigration sind Frauen zunehmend involviert. Vielen eröffnet das Chancen auf eine bessere Zukunft für sich selbst oder ihre Familien. Aber auch für die Wirtschaft der Zielländer sind diese Frauen bedeutsam. Sie decken beispielsweise den wachsenden Bedarf an Pflegekräften für Alte und Kranke und halten Haushalte am Laufen, in denen alle Erwachsenen erwerbstätig sind. Zudem bringen sie Wissen und Fähigkeiten mit und zahlen Steuern.(2)
Im besten Falle ist die Migration von Frauen für beide Seiten von Vorteil. Häufig sind aber gerade Frauen in stärkerem Maße als männliche Migranten im gesamten Migrationsprozess Gefahren und strukturellen Nachteilen ausgesetzt. Viele Bereiche, in denen Frauen im Zielland arbeiten, gehören zum informellen unregulierten Wirtschaftssektor. Dadurch befinden sich viele Arbeitsmigrantinnen in prekären Arbeitsverhältnissen, in denen sie Opfer von Ausbeutung werden können. Paradox dabei ist, dass viele Migrantinnen, die in diesen Bereichen arbeiten, gut ausgebildet sind. Jedoch haben viele Osteuropäerinnen Tätigkeiten gelernt, die nach den Veränderungsprozessen in den Regionen nicht mehr gebraucht wurden.(3) Oder sie finden, etwa als Lehrerinnen, in ihren Herkunftsländern keine oder nur sehr schlecht bezahlte Arbeit. Die restriktive Migrationspolitik in Deutschland, die Arbeitsmigrantinnen kaum legale Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt ermöglicht, verstärkt dies noch.
Migrantinnen arbeiten in verschiedenen Wirtschaftsbereichen, viele sind allerdings im informellen Dienstleistungssektor beschäftigt: in der Gastronomie, bei Reinigungsdiensten, als Haushalts- und Pflegekräfte. Das Bundeslagebild Menschenhandel 2007 stellt fest, dass Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung schwerpunktmäßig in den Bereichen Gastronomie und Haushalt vorkam.(4)
Die Arbeit als Haushaltshilfe oder Pflegekraft in Privathaushalten zeichnet sich durch einige besondere Merkmale gegenüber anderen Bereichen aus. So ist das Verhältnis ArbeitgeberIn zu ArbeitnehmerIn häufig personalisiert. Nicht selten lernt die Migrantin die persönliche Situation und auch die persönlichen Probleme der ArbeitgeberIn im Laufe ihrer Tätigkeit kennen. Zudem ist Arbeit in Privathaushalten ein nicht regulierter Sektor, was in Bezug auf die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen und den Lohn großen Spielraum lässt. Standards zu finden, an denen sich Migrantinnen orientieren könnten, ist so kaum möglich.
Aufgrund der privaten Natur des Arbeitsbereiches haben Außenstehende keine Zugangsberechtigung, was die Kontrolle von Arbeitsbedingungen und die Aufdeckung von Arbeitsausbeutung verhindert. Zusätzlich verschärft wird die Situation der Frauen, wenn sie auch im Haushalt der ArbeitgerberInnen wohnen. Diese Merkmale machen die Arbeit in Privathaushalten besonders anfällig für ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.
Ausbeutung ihrer Arbeitskraft ist eine der Gefahren, denen die Migrantinnen bei der Arbeit in Privathaushalten, aber auch in anderen Bereichen, ausgesetzt sein können. Im Extremfall handelt es sich auch um Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, strafbar nach § 233 StGB. Hierbei sind als Merkmale die Anwendung von Zwang, Täuschung oder das Ausnutzen einer Zwangslage oder auslandsspezifischen Hilflosigkeit entscheidend.
Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sind aber meist nicht das Ergebnis offenen körperlichen Zwangs, sondern werden durch subtilere Methoden herbeigeführt: Bei fehlender Arbeitserlaubnis wird etwa mit der Denunziation bei Behörden gedroht, tatsächliche (überhöhte) oder imaginäre Schulden sind abzuarbeiten, Dokumente werden einbehalten. Den Frauen wird mit Kündigung gedroht, getroffene Absprachen zu Lohn und/oder Arbeitszeit werden nicht eingehalten. Wenn eine Migrantin im Haushalt ihrer ArbeitgeberIn lebt, kann es sein, dass sie kein eigenes Zimmer zur Verfügung hat, nicht genug Nahrung oder keine medizinische Versorgung bekommt oder sie sich rund um die Uhr zur Verfügung halten muss und keinerlei Freizeit oder Urlaub hat. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) weist in ihrer Definition darauf hin, dass für die Bestimmung von Ausbeutung nicht die Verrichtung einer bestimmten Tätigkeit ausschlaggebend ist, sondern die Beziehung zwischen ArbeitgeberIn und ArbeitnehmerIn, also das Arbeitsverhältnis.(5)
Die betroffenen Frauen haben meist nur unzureichende Informationen über die arbeitsrechtliche Situation, ihre eigenen Rechte und die Arbeitsmarktverhältnisse im Zielland. Aber selbst wenn ihnen klar ist, dass sie nur den Bruchteil des üblichen Lohns bekommen oder weit über übliche Arbeitszeiten hinaus unbezahlt arbeiten, entscheiden sie sich aufgrund fehlender Alternativen, in dem Arbeitsverhältnis zu bleiben.
Erschwerend kommt im Bereich Haushalt und Pflege das bereits erwähnte personalisierte Verhältnis zur ArbeitgeberIn hinzu. Wer im Haushalt mit den ArbeitgeberInnen lebt, fühlt sich ihnen leicht in besonderer Weise verpflichtet und wird emotional erpressbar. Zudem leben diese Frauen sehr isoliert und haben kaum soziale Kontakte außerhalb des Hauses. Und so werden diese Frauen und ihre Probleme in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
In der Bundesrepublik besteht ein dichtes Netz von Fachberatungsstellen, die betroffenen Frauen helfen können.(6) Die Angebote der Beratungsstellen stehen allen betroffenen Frauen offen. Die Beraterinnen haben langjährige Erfahrungen in der Beratung und Unterstützung von Betroffenen von Menschenhandel. Viele bieten auch Unterbringung an oder können eine sichere Unterkunft vermitteln. Dabei arbeiten sie unabhängig und stellen die Interessen und Wünsche der Betroffenen in den Mittelpunkt. Wichtig ist, dass von den Beraterinnen nicht gegen den Willen der Frauen gehandelt wird. Die Finanzierung und personelle Ausstattung der Beratungsstellen ist oft jedoch nicht ausreichend gesichert. Gerade im Bereich Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung müssen auch andere AkteurInnen, von politischer, gewerkschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene aktiv werden, um den Betroffenen bedarfsgerechten Schutz und Unterstützung zu bieten, wobei der Fokus nicht allein auf der Verhinderung von illegaler Arbeit oder dem so genannten Lohn-dumping liegen darf.
Wenn Sie Kontakt zu Migrantinnen haben, die in Deutschland arbeiten (wollen), informieren Sie sie über ihre Rechte. Auch Migrantinnen ohne Papiere haben z.B. das Recht, vorenthaltenen Lohn vor dem Arbeitsgericht einzuklagen. Es sollte allerdings immer darauf hingewiesen werden, dass das Arbeitsgericht – wie jede andere öffentliche Stelle in Deutschland – eine Mitteilungspflicht gegenüber anderen Behörden hat, so dass die Gefahr besteht, dass der Aufenthaltsstatus den Behörden mitgeteilt wird.
Häufig sind Migrantinnen nicht ausreichend darüber informiert, welche Löhne und Arbeitszeiten in verschiedenen Bereichen durch Tarifverträge festgelegt oder zumindest üblich sind. Auch die Möglichkeiten von Unterstützung und Beratung in Fällen von Arbeitsausbeutung sind ihnen meistens nicht bekannt. Informieren Sie Frauen, mit denen Sie Kontakt haben, auch über bestehende Unterstützungs- und Hilfsangebote, die auch muttersprachliche Beratung bieten.
Ziel:
Sensibilisierung für die Thematik Arbeitsausbeutung und für die Situation der Betroffenen Frauen. Die Teilnehmerinnen können sich in der Gruppenarbeit darüber bewusst werden, in was für schwierigen Situationen sich Arbeitsmigrantinnen befinden können. Zudem soll verdeutlicht werden, welche Merkmale dafür sprechen, dass es sich bei einem Arbeitsverhältnis um Ausbeutung oder gar um Menschenhandel handelt.
Material:
Karten, Stifte, Flipchartpapier
1 Hintergründe
Um die Beweggründe der Frauen für Arbeitsmigration nachvollziehen zu können, sollen die Hintergründe und ihre Lebenssituationen der Frauen in einem Rollenspiel verdeutlicht werden.
Eine Frau ist die Arbeitgeberin: Sie hat ihre Vorstellungen, was die Migrantin alles im Haushalt zu tun hat, da sie diese doch bezahlt. Eine andere Frau spielt die Arbeitnehmerin: Sie sollte sich überlegen, weshalb sie nach Deutschland gekommen ist, was ihre Wünsche waren und wie jetzt ihr Alltag aussieht. (10 Min.)
Die beiden können nach dem Rollenspiel über ihre Gefühle sprechen, die Gruppe analysiert das Verhalten der beiden Frauen. (10 Min.)
Anschließend tragen die Frauen ihr Wissen über mögliche Hintergründe, Situationen und Motivationen der Frauen zusammen. Auch eigene Erfahrungen können hier mit einfließen. Wichtige Stichworte werden auf Karten festgehalten und in die Mitte gelegt. (10 Min.) Anschließend wird das Gesamtbild diskutiert. (15 Min.)
2 Merkmale
Dann soll in 4 Gruppen herausgearbeitet werden, was die Merkmale zur Erkennung von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen im Bereich Haushalt und Pflege sein können. (Vgl. -Hinweise dazu im Beitrag oben S. 74)
Jede Gruppe erhält ein großes Stück Papier und Stifte und einen der folgenden Bereiche: Arbeitsbedingungen, Begleitumstände, Person der Opfers, Handlungen des Täters/der Täterin
Der Arbeitsauftrag ist, in den Gruppen zu diskutieren, was im jeweiligen Bereich die Merkmale sein könnten, die darauf hindeuten, dass Arbeitsausbeutung und/oder Menschenhandel vorliegt. (20 Min.)
Die gefundenen Merkmale werden auf Flipchart-Papier notiert und anschließend im Plenum vorgetragen. (30 Min.)
3 Fallbeispiele
Um zu sehen, wie nah die Erkenntnisse der Gruppe an der Realität sind, kann nun ein Fallbeispiel vorgelesen werden (s.S. 36; vgl. auch S. 40f.). Viele Fallbeispiele aus dem Bereich Haushalt und Pflege sind in den Publikationen von Helma Lutz zu finden (ein Artikel online unter http://www.eurozine.com/articles/2007-08-31-Lutz-de.html) und in dem Buch „Menschenhandel und Arbeitsausbeutung in Deutschland“ von Norbert Cyrus.
4 Abschluss
Abschließend können die Ergebnisse reflektiert werden: Gab es neue Erkenntnisse? Haben die TeilnehmerInnen mehr oder ein anderes Verständnis für Migrantinnen in der Hausarbeit und Pflege gewonnen? Fühlen sie sich informierter und sensibilisierter in Bezug auf das Thema Menschenhandel und Arbeitsausbeutung? Haben sich Wertungen in Bezug auf Arbeitsmigrantinnen in Haushalt und Pflege verändert? (15 Min.)
Sarah Schwarze, Ethnologin, ist seit 2007 Referentin beim Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – KOK e.V. Der KOK ist das einzige bundesweite Netzwerk mit diesem Fokus und beschäftigt sich mit den Themen Frauenhandel zur sexuellen Ausbeutung, Frauenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung und Gewalt an Migrantinnen. Mehr unter: www.kok-buero.de
Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu: Petrus Han, Frauen und Migration. Strukturelle Bedingungen, Fakten und soziale Folgen der Frauenmigration, Lucius und Lucius, Stuttgart 2003.
2 Vgl. Weltbevölkerungsbericht 2006.
3 Ausführliche Studien zu Migrantinnen in der Hausarbeit gibt es in den Studien von Helma Lutz von der Universität Münster.
4 Vgl. BKA 2008, Bundeslagebild 2007.
5 Vgl. ILO 2005, Eine Globale Allianz gegen Zwangsarbeit-Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, Genf. Beratungsstellen in Deutschland haben dazu auch Indikatorenlisten entwickelt, die Fachpersonen bei Bedarf vom KOK zur Verfügung gestellt werden können.
6 Eine Liste ist zu finden unter www.kok-buero.de
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