Ausgabe 2 / 2016 Bibelarbeit von Christina Duncker

Was hast Du gesehen?

Bibelarbeit zu einem schwierigen interkulturellen Dialog in Genesis 12 und 20

Von Christina Duncker

In der Familie, in die wir hineingeboren werden, erfahren und erlernen wir, nach welchen Regeln und Werten Gemeinschaft funktioniert. Hier beginnen wir auch damit, Persönlichkeit und Identität auszubilden.
Familie prägt uns ein Leben lang, selbst wenn wir uns bemühen, sie hinter uns zu lassen. Besonders in der Fremde ist sie die soziale Einheit, in der Identität, Traditionen, Religion und Werte bewahrt werden. Die Familie zu beschützen bedeutet, sich selbst zu beschützen. Dies galt auch zur Zeit Sarahs und Abrahams. Bis zu drei Generationen und alle SklavInnen umfasste die Familie. Der Patriarch musste die Versorgung und Sicherheit aller zum Vaterhaus gehörenden Menschen gewährleisten. Hierbei war das Schicksal des oder der einzelnen bedeutungslos.1 Insofern ist Sarahs Schicksal dem Wohl des Familienoberhauptes selbstverständlich untergeordnet, und Abraham gibt sie preis, um sein Leben zu retten. Nicht zum ersten Mal. Schon einmal in Ägypten (Gen 12) musste Sarah auf seine Anordnung hin das Leben ihres Mannes retten.
Gen 12 und 20 erzählen die sogenannte „Gefährdung der Ahnfrau“. In beiden Erzählungen wird Sarah in auffälliger Weise als eine passive Frau gezeichnet, die offensichtlich genau das tut, was Abraham von ihr verlangt: sich als seine Schwester ausgeben und sich nicht als seine Ehefrau zu erkennen geben. Sarah handelt hier nicht von sich aus und sagt kein einziges Wort. Dies erstaunt umso mehr, als Sarah auch ganz anders sein kann, nämlich selbstbewusst und zielstrebig (vgl. Gen 16; 18; 21). Ihr Name betont diese Seite an ihr: Sarah, die „Befehlshaberin“ (Gen 17,15).
Es gibt allerdings auch einen markanten Unterschied zwischen den beiden Erzählungen. In Gen 12 liegt der Fokus darauf, dass Gott für Sarah eintritt (V. 17), wohingegen Gott in Gen 20 vor allem Abimelech vor einer Verfehlung bewahren will (V. 6); dass das Handeln Gottes auch das Recht Sarahs als Ehefrau schützen und stärken will, wird erst in V. 18 gesagt. Zunächst ist es Abimelech, der Sarah Recht wiederfahren lässt (V. 16), indem er ihr als Wiedergutmachung eine „Decke für die Augen“ gibt: 1000 Stück Silber, die er – ausdrücklich als Rechtfertigungsgabe für Sarah – an Abraham zahlt. Am Ende, im folgenden Kapitel, setzt Gott Sarah durch die Erfüllung der Sohnesverheißung für Sarah endlich ins Recht. Isaak wird geboren (Gen 21,1). Von ihrem Ehemann Abraham erfährt Sarah in keiner der Erzählungen Anerkennung, obwohl er sich ihrer Bedeutung sehr wohl bewusst ist (Gen 12,13; 20,13).
Aber warum ist Sarah so passiv? Verhält sie sich so, weil sie in der Fremde den Lebensraum „Familie“ verlassen muss, in dem sie frei und selbstbewusst handeln kann? Ihr starkes und selbstbewusstes Auftreten bezieht sich in der Tat auf Aktivitäten im familiären Raum. Oder ist ihre Passivität ein erzählerisches Mittel, um das Handeln Abrahams betont herauszustellen? Doch welches Handeln Abrahams steht im Fokus der Erzählung?

Abraham – ein Fremder in Gerar
Anders als in Gen 20 ist es in Gen 12 noch eine Hungersnot, die Abraham in die Fremde führt. Dennoch wird beide Male der Ausdruck „als Fremder wohnen“ verwendet (Gen 12,10; 20,1). Der ger, der Fremde, wohnt dauerhaft in einem ihm fremden Land und hat den Status eines Schutzbürgers. Er hat Rechte und Pflichten in der Gesellschaft, ist aber nicht durch verwandtschaftliche Beziehungen in die Gesellschaft inte­griert.2 In der Tora wird ausdrücklich und wiederholt gesagt, dass eine Bedrückung des Fremden nicht dem Willen Gottes entspricht (Ex 22,20f.; Lev 19,33; Dtn 24,17). Doch diese Tora ist noch nicht durch Mose gegeben. Von Fremden gegenüber Israel ist hier nicht die Rede. Der „Fremde“ ist hier Abraham, nicht Abimelech oder der ägyptische Pharao in Gen 12. Nicht Abraham gewährt den Fremden Schutz, sondern Abimelech beziehungsweise der Pharao gewähren dem Fremden Abraham und seinem „Haus“ Schutz. Erzählerisch wird das Thema Fremdsein für mich als Leserin hier mehrfach gebrochen. Meine vertrauten Glaubensfiguren Sarah und Abraham sind in der Erzählung die Fremden, nicht die – mir fremden – Figuren Abimelech beziehungsweise Pharao. Letztlich jedoch sind alle Beteiligten mir durch Zeit und Kultur und im Glauben fremd. Mir kommt dabei der Ausspruch in den Sinn: „Alle Menschen sind Ausländer – fast überall“.

Die Erzählung in Gen 20 setzt deutlich voraus, dass die Leserin die Erzählung aus Gen 12 kennt. Die ersten Verse des Kapitels 20 sind so knapp, dass ohne die Erinnerungen aus Kapitel 12 vieles unverständlich wäre. So werden Abrahams Ängste nicht erneut ausgeführt (vgl. Gen 12,11-13), sondern sein Plan wird in V. 2 kurz mit den Worten Sie ist meine Schwester zusammengefasst. Ebenso unterschlagen werden die Braut­gaben Abimelechs, die der Pharao Abraham für seine „Schwester“ Sarah gab (vgl. Gen 12,15-16). In Gen 20,2 heißt es knapp: Und Abimelech, der König von Gerar, sandte aus und nahm sich Sarah. Erst nach und nach gibt die Erzählung Erklärungen preis. Durch diesen Erzählstil wird weitere Fremdheit produziert. Weil ich als Leserin erst nach und nach Hintergründe und Zusammenhänge kons­truieren kann, bleibt mir die Erzählung fremd. Also wage ich mich in eine zunächst unverständliche Erzählung vor – fast so, wie ich ein fremdes Land ­betrete und dort erst im Laufe der Zeit Sitten und Gebräuche verstehe.

Zwei Kulturen – einander fremd
Nach der knappen Einleitung folgt in Gen 20 etwas völlig anderes als in der Parallelerzählung in Gen 12. Abimelech – der König von Gerar, ein Philister3 – hat eine Traumvision. Abimelech teilt diese Erfahrung beispielsweise mit Isaak (Gen 26,23), Jakob (Gen 28), Josef (37+40ff.) und auch Salomo (1 Kön 3+9). Die Wendung: Und Elohim kam zu … im Traum in der Nacht ist da­rüber hinaus wörtlich in Gen 31,23 und Num 22,9.20 belegt. Jedes Mal spricht Gott mit einem Nichtisraeliten. Ebenso ist allen Stellen gemeinsam, dass eine Gefahr abgewendet werden soll.4 So auch in Gen 20. Gott hat aber keine freudige oder ermutigende Botschaft für Abimelech, sondern sorgt für einen Alptraum: „Du bist des Todes“, scheint Gott furchteinflößend zu wettern (V. 3). Warum? Weil Abimelech eine Frau in Besitz genommen hat, die schon einem anderen gehört. Ohne, dass Sarahs Name genannt wird, ist klar, um welche Frau es geht. Im Hebräischen heißt es: „Besitz des Eheherrn“. Ein seltener Ausdruck, der Sarahs Passivität betont – als Besitz, um den gestritten wird, der hin und her geschoben wird, der aber nicht selber handelt.

Der Erzähler hält ausdrücklich fest, dass Abimelech mit Sarah sexuell noch nicht verkehrt hat (V. 4a). Ist dieser Einschub entschuldigend zu lesen oder vorwurfs­voll: Was regst du dich denn so auf, Gott? Ist doch noch nichts passiert …! Die Antwort Abimelechs auf Gottes bedrohliche Ansage jedenfalls überrascht in zweierlei Hinsicht. Zum einen verliert er nicht den Kopf. Angst, Verwirrung? Nichts dergleichen. Zum anderen spricht Abimelech Gott mit Adonaj an – nicht mit dem Tetragramm JHWH, aber mit einer Form von adon, nämlich adonaj, die in der Hebräischen Bibel nur als Anrede für den Gott Israels verwendet wird. Der bei den Philistern breit verehrte Baal führte aber unter anderem auch den Beinamen adon. Bisher wurde in der Erzählung die Bezeichnung elohim verwendet (V. 3), mit der auch andere Gottheiten bezeichnet werden können (z.B. Ex 12,12; Ps 82). Spielt der Erzähler hier mit einer Doppeldeutigkeit? Menschen, die einander fremd sind in Kultur und Religion, treffen aufeinander. Denken Gutes und Schlechtes von einander – und hoffen auf die Führung ihrer Götter, die am Ende doch nur ein Gott sind? Abimelech jedenfalls spricht in seinem Traum mit einem Gott, der ihm offensichtlich nicht fremd ist.5
Wie auch immer, Abimelech wendet sich an Adonaj. Er erweist sich so als ein weitsichtiger und guter König, dem bewusst ist, dass seine Bestrafung zugleich eine Bestrafung seines ganzen Volkes wäre. Seine Frage an Gott: Selbst wenn das Volk gerecht (zaddik) ist, willst du es töten? (V. 4b) erinnert ein wenig an Abrahams Fürsprache für die Bewohner von Sodom und Gomorra (Gen 18).6 Für sich selbst plädiert Abimelech auf „nicht schuldig“ – schließlich habe er Sarah im guten Glauben, dass sie frei sei, zur Frau genommen (V. 5b).
Interessanterweise – und trotz der ­harschen Worte Gottes zu Beginn – räumt Gott nun ein, von der Unschuld und somit ja offensichtlich auch von der Lüge Abrahams und ­Sarahs zu wissen. Allerdings hat Gott Abimelech davon abgehalten, mit Sarah sexuell zu verkehren; dies kann Abimelech sich nicht anrechnen (V. 6). Nun aber, so Gott weiter, sei es an der Zeit, dass Sarah zu Abraham zurückkehrt, und zwar, weil Abraham ein Prophet ist;7 Sarah soll also nicht um ihrer selbst willen zurückgegeben werden. Gott setzt nach, dass Abimelech und alle, für die er verantwortlich ist – nach Abimelechs Auffassung eben sein Volk – sterben werden, wenn er Gottes Befehl nicht folgt. Wieder erstaunen die Worte Gottes, denn Abimelech hatte sich ja keineswegs uneinsichtig oder unkooperativ gezeigt.

Gefährliche Missverständnisse …
Gleich nach dem Aufstehen trommelt Abimelech seinen Hofstaat zusammen und setzt seine Leute über die Lüge ­Abrahams und Sarahs und die göttliche Traumintervention in Kenntnis. Hier kommt nun die emotionale Reaktion, die von Abimelech zu erwarten gewesen wäre: Das Volk fürchtet sich sehr (V. 8). Abimelech ist sich nach wie vor keiner Schuld bewusst. Also muss er auch nichts vertuschen; er schickt Sarah nicht heimlich fort, sondern sucht die Öffentlichkeit. Er sucht das Gespräch, sucht eine Erklärung für das absolut unverständliche Verhalten von Abraham – Sarah lässt er hier außen vor. Abimelech wüsste nicht, was er Abraham angetan hätte, dass Abraham Abimelechs Volk derart gefährden musste durch „Taten, die man nicht tun soll“ (V. 9). Er bezeichnet Abrahams Handeln als chatta, eine Verfehlung gegenüber einem Mitmenschen, die zugleich eine Verfehlung gegenüber Gott ist.8 Damit ist das menschliche und göttliche Beziehungsgefüge in Schieflage und sind mehr Menschen als Abraham und Abimelech gefährdet.
Und so setzt Abimelech nach: „Was hast du gesehen, dass du so gehandelt hast?“ (V. 10). Abrahams Antwort klingt zunächst ein wenig lahm. Eigentlich hat er nichts gesehen, das ihn hätte beun­ruhigen müssen. Er hat einfach angenommen, dass es hier in der Fremde keine Ehrfurcht vor Gott gebe und somit auch keinen Respekt vor ihm und Sarah. Taten, die man nicht tun soll, hat er erwartet. Er selbst jedoch hat keine Tat begangen, die man nicht tun soll: Sarah ist seine Halbschwester und seine Frau (V. 12).

… und religiöse Zweifel
Irritierend ist der Abschluss der Erklärung Abrahams (V. 13).9 Zwar hat sein Vertrauen in Gott gereicht, um sein Vaterhaus zu verlassen, aber nicht, um sich öffentlich zu seiner Frau zu bekennen. Als Ehefrau bedeutet die begehrenswerte Sarah eine Gefährdung für ihn; die Gefährdung Sarahs durch das Auftreten als seine Schwester ist für Abraham offenkundig vertretbar. In jedem Fall aber traut Abraham Gott nicht zu, sie beide als Ehepaar zu beschützen. So erbittet Abraham nicht von Gott Schutz, sondern von Sarah: „Dies ist deine Gnade, die du mir gewährst“ (V. 13). In der Tat wird in Gen 12,13 berichtet, wie ­Abraham Sarah hierum bittet. Ein merkwürdiges Verhalten, denn erstens hat Gott Sarah in Ägypten gerettet und zweitens unmissverständlich die Erfüllung der Sohnesverheißung an Sarah gebunden (Gen 17,15f.).10 Warum also vertraut Abraham Gott in dieser Sache nicht? Was hat sein Vertrauen erschüttert?
Schon direkt nach der Ankündigung Gottes in Gen 17, dass sich die Hoffnung auf den Sohn mit Sarah erfüllen wird, äußert Abraham seine Zweifel daran (Gen 17,17). Boten werden von Gott geschickt, um die Verheißung zu bekräftigen. Aber auch Sarah bleibt skeptisch (Gen 18). Dann ereignet sich Sodom und Gomorra. Abraham will nicht glauben, dass es gar keine Gerechten dort gibt, Gott aber sieht überall nur Ver­fehlung/chattat unter den Menschen. Dennoch lässt Gott sich darauf ein, die Städte bei zehn Gerechten zu schonen. Lot, der Neffe von Abraham und Sarah, versucht die Verfehlungen der Stadtbewohner gegenüber seinen Gästen zu verhindern, aber er scheitert und wird als Fremder beschimpft, der sich nicht anmaßen soll zu sagen, was Recht und was Unrecht ist (Gen 19,9). Dies scheint Lot in der Tat nicht so genau zu wissen – bietet er doch seine Töchter zur Vergewaltigung an, wenn nur ja das Gastrecht nicht gebrochen wird (Gen 19,8). Am Ende werden die Städte zerstört. Schweigend sieht Abraham die Zerstörung (Gen 19,27f.). Vielleicht kann er deswegen nicht glauben, dass es Ehrfurcht vor Gott bei Abimelech gibt? Weil er geglaubt hatte, sie in Sodom und ­Gomorra zu finden, und enttäuscht wurde?
Zwischen der Erzählung über Sodom und Gomorra und der Erzählung von Abraham und Abimelch steht auch noch die Erzählung über den Inzest der Töchter Lots mit ihrem Vater, aus dem die späteren Erzfeinde Moab und Ammon entstehen. Wo Abraham auch hinsieht, bei den Fremden oder in der eigenen Familie: Taten, die man nicht tun soll. Doch Gott will Abraham nicht an dieses fehlende Vertrauen verloren geben. Obwohl die Täuschung hin­sichtlich des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Sarah und Abraham an keiner Stelle von Gott gutgeheißen oder gerechtfertigt wird – der einzige, der hier keine Gottesfurcht zeigt, also Abraham ist – ­bezeichnet Gott Abraham gegenüber Abimelech als Propheten (V. 7). Mag Abraham an seiner Qualität als Fürsprecher zweifeln – Gott setzt ihn als eben diesen erneut ein (V. 7). Mag Abraham an Gott und allen Fremden zweifeln – Gott zweifelt nicht. Nicht an Abraham und nicht an den Fremden. So erfährt Abraham in der Fremde Taten, die man nicht tun soll, und Taten, die man tun soll. Gott ist grenzenlos, und darum ist auch Ehrfurcht vor Gott grenzenlos und in der Fremde sehr wohl zu finden.11 Darauf sollte Abraham vertrauen.

Tastende Schritte in den Dialog
Abimelech gibt sich mit der Erklärung Abrahams zufrieden. Mehr noch, er gibt Abraham neben Sarah selbst als Wiedergutmachung noch Kleinvieh, Rinder, Sklaven und Sklavinnen12 und lädt ihn ein bei ihm zu siedeln (V. 14f). Dann wendet er sich mit einer persönlichen Entschuldigung an Sarah selbst. Ihrem Bruder zahlt er 1000 Silbereinheiten, die Sarah rechtfertigen sollen in den Augen aller (V. 16). Durch die Bezeichnung „Bruder“ lässt Abimelech geschickt noch einmal anklingen, dass er unschuldig war und ist. Wiedergutmachung ist also eigentlich unnötig und die Geldgabe somit eine noch größere Geste seiner Rechtschaffenheit und Aus­druck seiner zweifelsfreien Integrität. Auch wenn Abimelech an Abraham zahlt, erweist er Sarah mehr Respekt als Abraham, indem er sie direkt anspricht und ihr Ansehen durch „eine Decke für die Augen“ wiederherstellt. Eine Redewendung, die klar macht: Niemand kann mehr gering von Sarah denken.13 Und er tut dies für Sarah, obwohl „nichts passiert“ ist; fast möchte man Sarah raten, bei Abimelech zu bleiben.
Im Grunde weiß Abraham, dass Sarah Gott nicht gleichgültig ist, das zeigt seine Fürbitte für Abimelech und seine Frauen. Denn „wegen Sarah“ hatte Adonaj sie alle mit Unfruchtbarkeit ­beziehungsweise Zeugungsunfähigkeit geschlagen (V. 17). Hier wird nun erstmals der Gottesname JHWH verwendet (V. 18). Auch in der Parallelerzählung wird der Gottesname in Verbindung mit dem Eintreten Adonajs für Sarah verwendet (Gen 12,17). Adonaj/JHWH ist da. An der Seite Sarahs. Adonaj ist treu und verlässlich in seiner Verheißung an Sarah. Daran besteht kein Zweifel. Ist Sarahs scheinbare Passivität vielleicht ein Ausdruck ihres Vertrauens, erneut durch Adonaj gerettet zu werden und, mit Adonajs Hilfe, die Erfüllung der Verheißung auf einen eigenen Sohn zu erleben? Die Fortsetzung der Erzählung bestätigt Sarahs Vertrauen: Und Adonaj besuchte Sarah, wie er gesagt hatte, und Adonaj tat an Sarah, wie er geredet hatte. Und sie wurde schwanger und gebar ­Abraham einen Sohn für sein Alter, zu dem Zeitpunkt, den Gott ihm angekündigt hat­te. (Gen 21,1-2). Nach der Geburt schweigt Abraham, Sarah aber redet und jauchzt voll Freude (Gen 21,6f.). Gott hat sich erneut als vertrauenswürdig, treu und verlässlich erwiesen.

Für die Arbeit in der Gruppe:

Einstieg: Fremdheit

Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten des Einstiegs, von denen die Leiterin eine auswählt für eine kurze Einstiegsrunde – um je eine spontane kurze Äußerung bitten, die von den anderen nicht kommentiert wird:
– Wie fremd bin ich hier? (Wo komme ich her, welche Lebensumstände haben mich hierher geführt?)
– Was ist mir fremd? (Austausch über befremdliche Ereignisse und Ausloten, worin die Fremdheit besteht)
– Wo habe ich mich warum fremd gefühlt?
– Bin ich schon einmal einer Familien­tradition begegnet, die mir völlig fremd war?
– Bei einer Reise nach München beobachtete eine Frau, dass ein kleiner Junge, der mit ihr aus Hamburg angereist war, von einer Münchnerin angesprochen wurde, die im schönsten Bayrisch fragte, woher er denn käme. Der Junge schaute sie sehr skeptisch an und antwortete: „Aus Deutschland!“

Vertiefung:

– Gen 20 lesen
Der Text in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache ist für AbonnentInnen unter ahzw-online.de / Service zum Herun­terladen vorbereitet. Er ist auch unter www.bibel-in-gerechter-Sprache.de in der Bibelverssuche zu finden.

– Rollenspiel
Im Kreis stehen 5 Stühle mit Schildern: Abraham, Sarah, Abimelech, SklavInnen Abimelches, Gott. Fünf „Freiwillige“ neh­men hier Platz.

Zwei weitere Frauen haben den Auftrag, die Dynamik zwischen den Rollen zu beobachten und die Frage zu bedenken: Worin liegt die Fremdheit zwischen den Rollen?

Die übrigen Frauen verteilen sich auf die Rollen und setzen sich mit etwas Abstand hinter die Rollenstühle. Im Rollenspiel können sie die Frau, die auf dem Rollenstuhl sitzt, jederzeit ablösen.

Alle werden in die Rollen eingeführt:
– Du bist Abraham, von Gott auserwählt in die Fremde zu gehen. Gottes Segen und Verheißungen begleiten dich. Doch die Erfüllungen von Gottes Verheißungen stehen noch aus. War es richtig, die Familie zu verlassen und in die Fremde zugehen?

– Du bist Sarah, von Gott auserwählt in die Fremde zu gehen. Gottes Segen und Verheißungen begleiten dich. Doch die Erfüllungen von Gottes Verheißungen stehen noch aus. War es richtig, die Familie zu verlassen und in die Fremde zugehen? Immer wieder ist dein Leben gefährdet.

– Du bist Abimelech, König von Gerar. Du bist hier zu Hause. Du trägst Verantwortung für dein Volk. Du bist ein gerechter und gottesfürchtiger König.

– Du bist eine Sklavin am Hofe Abimelechs. Du vertraust auf die Führung deines Königs, vertraust darauf, dass er gerecht und gottesfürchtig ist. Er sorgt für Frieden mit den Menschen und den Göttern.

– Du bist Gott. Du hast Abraham und Sarah auserwählt. Du hast einen Plan, aber den kennst nur Du. Alle Menschen sind deine Geschöpfe. Du bist gerecht und treu.

WICHTIG: Alles, was im Rollenspiel ­geäußert wird, ist Meinung der Rolle, nicht der Frau!!

Die Leiterin liest die Verse 1-2 vor und fragt dann eine Rolle nach der anderen:
Was hast du gerade erlebt, beobachtet? Was ist geschehen?
Was hast du in diesem Moment gefühlt?
Was war eigentlich dein größtes Bedürfnis/ deine größte Sehnsucht in dieser Situation?
Wenn du jemanden aus der Geschichte um etwas bitten könntest, was wäre das?
– Die anderen Rollen dürfen auf die Bitten reagieren!

Jeweils gefolgt von erneuten Fragerunden liest die Leiterin:
Verse 3-7 / Vers 8 / Verse 9-13 / Verse 14-18

Abschluss:
Die Leiterin führt aus den Rollen heraus: Ihr seid nicht mehr Abraham, Sarah, Abimelech, Sklavin am Hofe Abimelechs, Gott. Ich seid wieder … – möglichst die Namen der fünf Frauen, die zum Schluss auf den Stühlen sitzen, nennen

Jetzt werden zunächst die Beobachterinnen gefragt, was sie erlebt haben. Dann können die Frauen erzählen, wie es für sie in der jeweiligen Rolle war. Abschließend kurzes Rundgespräch mit allen: Was habe ich über das Thema Fremdheit erfahren?

Lied:
Was Gott tut, das ist wohlgetan (EG 372,1+2+4)

Nett wäre: Jede Frau hat etwas Neues, ihr ganz Fremdes oder ganz Vertrautes gekocht oder gebacken, das den anderen fremd ist. Der Abend klingt dann mit dem gemeinsamen Probieren aus.

Dr. Christina Duncker, geb. 1974, hat in Bethel, Heidelberg und Hamburg Theologie studiert und ist Pastorin der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland, zurzeit in Rheinfeld. Sie arbeitet zudem als Lehrbeauftrage an der Evangelischen Hochschule „Rauhes Haus“ in Hamburg.

Anmerkungen
1)
Vgl. Art.: Familie, S. 131ff..
2) Vgl. Art.: Fremde/Flüchtlinge, S. 158f.
3) Eine anachronistische Einordnung. Vgl. Zimmerli, 1.Mose, S. 96.
4) Vgl. Westermann, S. 393.
5) Vgl. Westermann, S. 394.
6) Vgl. Westermann, S. 394 und Crüsemann, S. 74.
7) Zum ersten und einzigen Mal wird Abraham hier als Prophet bezeichnet – Prophet im Sinne eines Gottesmannes, eines Frommen. Vgl. Westermann, S. 396 und Zimmerli, 1.Mose, S. 97.
8) Vgl. Art.: Sünde, S. 570.
9) Irmtraud Fischer erkennt in den Erzählungen über die „Gefährdung der Ahnenfrau“ in Gen 12; 20; 26 die Tendenz, den Mann von seinem verantwortungslosen Handeln zu entlasten und die ­Ehefrau in die „Lüge“ mit einzubeziehen. Diese Verschiebung sei auch in der Rettung Gottes erkennbar. In Gen 12 werde Sarah gerettet, wohingegen Gott in Gen 20 Abraham rette. Vgl. Fischer, S. 26.
10) Vgl. Fischer, S. 29.
11) Vgl. Crüsemann, S. 74.
12) Im Gegensatz zu Gen 12, wo der Pharao einen Brautpreis für Sarah zahlt. Vgl. Fischer, S. 26.
13) Vgl. Westermann, S. 401.

Verwendete Literatur
Frank Crüsemann, Abraham und die Bewohner des Landes. Beobachtungen zum kanonischen ­Abrahambild, in: Kanon und Sozialgeschichte. ­Beiträge zum Alten Testament, Ders. (Hrsg), 2003.
Christel Maier/Karin Lehmeier, Art.: Familie; in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel;
F. Crüsemann u.a. (Hrsg.), 2009. Christa Schäfer-Lichtenberger/Luise Schottroff, Art.: Fremde/Flüchtlinge; in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel; F. Crüsemann u.a. (Hrsg.), 2009.
Klaus Bieberstein/Lukas Bormann, Art.: Sünde; in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel;
F. Crüsemann u.a. (Hrsg.), 2009.
Walter Zimmerli, 1.Mose 12-25: Abraham, ZBK AT 1,2, 1976.
Claus Westermann, Genesis, BKAT I/2, 1981.

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