Alle Ausgaben / 2006 Material von Ingrid Twele

Was ist Tanz für dich?

Von Ingrid Twele


Ein Frauentreffen muss vorbereitet werden. Spontan biete ich an, es mit einer Stunde Tanz zu versuchen. I. sagt:
„Ich glaube, für dich gibt es Wichtigeres als zu tanzen.“ Wie sehr sie sich geirrt hat!
Tanz ist immer Ausdruck. Ich kann aus Freude an der Bewegung, an der Gemeinschaft tanzen, ich kann Tänze fremder Kulturen entdecken und über sie im Tanz etwas erfahren. Ich kann wunderschöne Choreographien tanzen, eine großartige Leistung vollbringen und doch selbst unsichtbar bleiben, mich wie hinter einer schützenden Maske verstecken. Ich kann mich auf den sehr freudevollen oder auch schmerzvollen Weg machen, mir im Tanz selbst zu begegnen, mich zu entdecken. Alles hat Platz nebeneinander, und alles wird seine Zeit haben. Jede von uns muss ihren eigenen Weg im Tanz und mit dem Tanz finden. Wichtig ist, dass wir tanzen.
„Wer sich nicht bewegt, spürt auch die eignen Fesseln nicht.“ Viele von uns ahnen gar nicht, wie sehr wir in unseren Körpern gefangen sind. „Tanzen, das ist nichts für mich, das brauche ich nicht!“, habe ich oft gehört – und dahinter auch die Angst gespürt, sich vielleicht zu blamieren. Oder die Angst vor dem Schmerz und der Trauer, wenn ich merke, dass mein Körper es verlernt hat, sich nach Musik zu bewegen, sich in der Bewegung auszudrücken. Oder die Angst vor der Wut, wenn ich merke, wie sehr ich mich hab verstümmeln lassen, ohne mich zu wehren. Oder die Angst vor der Nähe, vor der Berührung – vor dem Berührtwerden. Die Angst, dass etwas von mir sichtbar werden kann und ich so noch verletzbarer werde. Oder auch Angst vor der ungebändigten Freude, der Lust, die ich plötzlich in meinem Körper spüre, wenn ich mich bewege.
Tanz hat soviel zu tun mit unseren Sinnen, mit unserer Sinnlichkeit. Ich spüre im Tanz, dass ich nicht nur Schritte mache, sondern, dass da etwas in mir tanzt, das mich glücklich macht. Bettina von Arnim hat in einem Brief an ihren Bruder geschrieben: „Meine Seele ist eine leidenschaftliche Tänzerin, sie springt herum nach einer inneren Tanzmusik, die nur ich höre. Alle schreiben ich soll ruhig werden, aber vor Tanzlust hört meine Seele nicht auf euch. Und wenn der Tanz auswäre, dann wärs aus mit mir.“

© bei der Autorin

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