Stell dich mitten in den Regen,
glaube an den Tropfensegen,
spinn dich in dies Rauschen ein
und versuche, gut zu sein!
Der Vers mit dem Regen war mir schon immer der liebste aus dem kleinen Gedicht „Versuch es“ von Wolfgang Borchert. Entstanden ist es möglicherweise – das Originalblatt ist undatiert – mitten im Krieg, auf jeden Fall aber zu einer Zeit, in die diese sanften, zärtlichen Zeilen so gar nicht zu passen scheinen.
Knapper und doch treffender lässt sich kaum in Worte bringen, was Menschen mit Wasser verbinden. Wie bergend und beruhigend, nährend und stärkend, ja heilend sie die Kraft des Wassers erleben. In unzähligen Liedern, Gedichten und Bildern versuchten sie zu allen Zeiten, diese existentielle, für viele zugleich reli giöse Erfahrung auszudrücken. Das Wasser, so scheint mir, ist dasjenige der vier Elemente, mit dem wir am tiefsten verbunden sind – und aus dem wir ja auch zu großen Teilen bestehen.
„Feuer verzehrt, Wasser ernährt“, heißt es in einem alten deutschen Sprichwort. Sicher kannten unsere AhnInnen, als sie sich ihre Erfahrungen so zusammenreimten, auch die andere, die bedrohliche und alles zerstörende Kraft des Wassers – und die wärmende, Leben erhaltende des Feuers. Und doch schienen sie dem Wasser mehr zu trauen. Vielleicht auch deswegen, weil in unseren Breitengraden Wasser seit Menschengedenken einfach da war? Selten zu – viel – und noch seltener zu wenig davon?
Damit allerdings ist es nun gründlich vorbei. Am 1. November 2006 melden die Nachrichten in einer einzigen Sendung:
– Die deutsche Nordseeküste erlebt die schwerste Sturmflut seit 100 Jahren; die Deiche haben gehalten – ein mitt leres Frachtschiff, das die Flut auf einen Parkplatz im Fischereidörfchen Neuharlingersiel gesetzt hat, macht aber sehr anschaulich, wie ungewiss der Schutz auf Dauer wohl ist.
– Vor Norwegen treibt eine Bohrplattform, die aus ihrer Verankerung gerissen wurde, zwischen 25 Meter hohen Wellen im Meer; in der Ostsee ist ein schwedischer Frachter gekentert, zwei Männer der Besatzung konnten nicht gerettet werden.
– In der Türkei starben 14 Menschen, als ein Kleinbus vom Wasser eingeschlossen wurde.
– Aber wenigstens geht’s dem Rhein wieder besser: Auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Brand des schweizerischen Chemiewerks Sandoz, bei dem mit dem Löschwasser 20 Tonnen Pestizide in den Rhein geschwemmt wurden und alles Leben vergifteten, schwimmen jetzt wieder Mensch und sogar Lachs in seinen sauberen Fluten. Beim nächsten Karneval können die RheinländerInnen den alten Hit der Bläck Fööss wieder ungeniert mitschmettern: „Dat Wasser vun Kölle is jut!“ Wohl wissend, dass das nur die halbe Wahrheit ist, weil das Wasser des Rheins – durch Nutzung für die Kühltürme der Kraftwerke – zu sehr aufgeheizt wird …
Längst ahnen, ja wissen wir, dass die Zeiten vergangen sind, in denen das Wasser in passenden Mengen „einfach da“ ist. Die Selbstverständlichkeit ist dahin. Fest steht: Die Wasserfrage ist im Bewusstsein der Menschen angekommen. Daher setzt diese Ausgabe der ahzw sich mit ausgewählten Aspekten der schier uferlosen Wasserthematik auseinander. Tauchen Sie also ein ins erfrischende kühle Nass – und sehen Sie, wohin das Wasser Sie trägt. Und fragen Sie sich in Ihren Gruppen, was zu tun ist, was Sie tun können, damit alle Menschen auf der Erde und auch unsere Enkelkinder noch dem „Tropfensegen“ des Wassers vertrauen und sich von ihm beleben lassen können.
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum Thema „Bauen“ ist Mitte April 2024 erschienen.
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