Alle Ausgaben / 2017 Frauen in Bewegung von Andrea Blome

Wasser suchen

Rutengängerin Marianne Jäger im Porträt

Von Andrea Blome

Marianne Jäger hat einen ausgesprochen guten und tiefen Schlaf. Bewusst wird ihr das vor allem, wenn sie in Hotelbetten geschlafen hat. „Natürlich steht unser Bett so, dass es keinerlei Strahlungen und Störzonen gibt“, sagt die 67-Jährige. Sie weiß: „Der Schlaf ist ein guter Indikator.“ Um zu spüren, wo Wasseradern oder Erdstrahlen in ihrem Haus Energien aussenden, braucht Marianne Jäger allerdings keine Rute mehr. Dazu reichen ihr Erfahrung, Konzentration und die erlernte Technik.

Vor fast 20 Jahren hat die ehemalige Chefarztsekretärin das Rutengehen zu ihrem Beruf gemacht. Gemeinsam mit ihrem Mann Eugen Jäger führt sie die Vereinigung Deutscher Rutengänger e.V. Ihre Aufgabe: Brunnen suchen und Wasseradern finden, Erdstrahlen messen, Störzonen ausfindig machen. „Eine ganz normale Tätigkeit.“ Das stellt Marianne Jäger gleich zu Beginn des Gesprächs klar. „Das Rutengehen ist eine Fähigkeit, die erlernt wird.“ Sie grenzt sich ab von allen, die behaupten, das Finden von Erdstrahlen habe mit übersinnlichen Kräften zu tun. „Da ist nichts Spirituelles dabei. Alles, was wir tun, lässt sich physikalisch erklären.“

Strahlensucherinnen und -flüchter

Vielleicht es ja wirklich so einfach, wie Marianne Jäger es erklärt: Auf einer Erde, die Anziehungskraft hat, wirken Energien. Der ganze Globus ist von Linien umzogen, und wo diese Linien sich treffen, sind die Strahlungen besonders intensiv. In Nord-Süd-Richtung ist der Abstand zwischen den Linien zwischen 3,20 und 3,60 Meter groß, in West-Ost-Richtung zwischen 2,40 und 2,60 Meter.

Tiere folgen diesen Energien instinktiv. Wie sonst sollten Zugvögel wissen, wohin sie fliegen müssen? Katzen legen sich auf die Kreuzungspunkte, wo die Strahlungen besonders stark sind, sie sind Strahlensucherinnen. Hunde dagegen sind Strahlenflüchter, sie meiden die intensive Wirkung der Erdstrahlen. Wasseradern zählen die Rutengänger_innen übrigens zu den fünf Erdstrahlen; Globalgitter, Currynetz, Gesteinsbruch und Verwerfungen sind die anderen vier. Wasseradern sind unterirdische Flüsse, die durch das Gestein fließen. Durch die Reibung im Gestein entsteht eine Energie, die die Rutengängerin aufspüren kann. Sollen Brunnen gebohrt werden, wird eben nicht nach Grundwasser gesucht, sondern nach diesen Fließgewässern.

„Wer eine Rutengängerin oder einen Rutengänger beauftragt“, sagt Marianne Jäger, „sucht Wasser für einen Brunnen oder hat ein gesundheitliches Problem.“ Sie erinnert sich noch an Zeiten, in denen beim Hausbau grundsätzlich ein Rutengänger geholt wurde, um zu erfahren, wo der beste Platz zum Schlafen oder zum Arbeiten ist. Eine Tradition, die auch aus alten Kulturen überliefert ist und mit dem Interesse an Feng Shui in Räumen wieder zunimmt. Bereits die traditionelle chinesische Medizin wusste von Einflüssen nicht sichtbarer Erdstrahlen. Vor mehr als 4000 Jahren habe es bereits ein Gesetz gegeben, dass kein Haus gebaut werden durfte, bevor die Erdwahrsager nicht bestätigt hatten, dass das Grundstück frei von Erddämonen, das heißt Erdstrahlen war.

„Erdstrahlen“, sagt Marianne Jäger, „haben einen enormen Einfluss auf den menschlichen Organismus. Manche Menschen sind dafür mehr, andere weniger sensibel. Eine Wasserader an sich ist nicht schädlich, man sollte nur nicht zu lange darauf schlafen.“ Dass sich immer wieder Menschen bei ihr melden, die seit Jahren unter Schlafstörungen, chronischen Krankheiten oder Beschwerden leiden, für die es keine klinische Ursache zu geben scheint, gehört zu ihrem täglichen Tun. „Aber wir sind keine Heiler“, betont sie. „Wir messen Erdstrahlen und können den Menschen sagen, wo die Störzonen sind und was sie verändern könnten. Alles andere muss die Kundin oder der Kunde dann selbst entscheiden.“

Lernzeiten

Wer Marianne Jäger zuhört, mag kaum glauben, dass sie dem Thema einmal sehr skeptisch gegenüberstand. Als sie ihren jetzigen Mann kennenlernte, arbeitete sie in einem klassischen medizinischen Bereich, „mit dem Rutengehen konnte ich nicht viel anfangen“. Ihr Mann war schon seit Jahren Rutengänger, 1982 hatte er seine Tätigkeit als Manager beendet, zwei Jahre später die Vereinigung Deutscher Rutengänger gegründet. Er hielt Vorträge zum Thema und verfolgte das Anliegen, die alte Tradition des Rutengehens und das Wissen um die Existenz und die Wirkung von Erdstrahlen auf die Gesundheit verständlich und seriös zu kommunizieren.

„Anfangs habe ich meinen Mann begleitet, wenn er zu Kunden fuhr“, erzählt Marianne Jäger, „dann habe ich im Auto gewartet.“ Im Laufe der Zeit näherte sie sich immer weiter an. Der Umbruch – für sie selbst, aber auch für das gemeinsame Unternehmen – war das Jahr 2000. „Damals lief es eigentlich nicht mehr so gut mit den Vorträgen“, erinnert sie sich. „Das Informationsverhalten der Leute änderte sich, sie kamen nicht mehr in Scharen, und wir wussten nicht so recht, wie es weitergehen sollte.“

Die Lösung kam wie aus heiterem Himmel. „Kurz nach Weihnachten stand das Telefon plötzlich nicht mehr still.“ In einem neuen Buch über Erdstrahlen und das Rutengehen war die Vereinigung Deutscher Rutengänger genannt worden. „Plötzlich kamen bundesweite Anfragen, und wir wussten: Jetzt müssen wir was machen.“ Eugen und Marianne Jäger begannen durch das Land zu reisen, und irgendwann wusste sie: „Ich muss das jetzt wie eine richtige Firma aufziehen.“ Neben der individuellen Beratung gründeten die beiden eine Rutengänger-Schule und machten regelmäßige Fortbildungsangebote. Beim ersten Seminar war Marianne Jäger auch als Teilnehmerin dabei – „und da habe ich gemerkt: Bei mir funktioniert das ja auch“. Ihre wichtigste Erkenntnis bis heute: „Wenn man es will, dann lernt man es auch.“

Was beim Rutengehen passiert

Was beim Rutengehen passiert, versucht sie, in klaren Worten zu erläutern: „Die Rute hat kein Eigenleben. Wenn Sie als Rutengängerin Wasser finden wollen, dann müssen Sie sich darauf mental einstellen und sich auf das Wasser konzen­trieren. Sie können das mit einem inneren Bild tun, sich plätscherndes Wasser vorstellen. Es gibt Rutengänger, die arbeiten mit Farben, die sie sich vorstellen, oder mit einem Geschmack. Dann schließen Sie die Augen und gehen los. Und dann werden Sie das Wasser finden. Ihre Rute neigt sich nach unten, wenn Sie an ein Ufer, also an die Wasserader kommen. Dann spannen Sie Ihre Rute neu, durchschreiten das Wasser und werden spüren, wann Sie am anderen Ufer sind.“

Was überraschend klingt, vielleicht doch ein wenig nach Einbildung, ist reine Technik, betont Marianne Jäger. „Das ist hochkonzentriertes mentales Arbeiten.“ Für jeden Typ Erdstrahlen beginne die Konzentration aufs Neue. Um eine Verwerfung, also ein sich aufdrehendes Gestein zu finden, müsse man sich selbst überlegen, mit welchem Bild man dies finden kann. In den Seminaren haben sie Verwerfungen zum Beispiel mit großen auf einen zurollenden Heuballen visualisiert. „Für alle fünf Arten braucht man ein Bild und dann sollte man einfach jeden Tag üben.“ Marianne Jäger ist längst eine routinierte Rutengängerin – auch ohne Rute spürt sie die Strahlung. Noch immer ist ihr wichtig, dass Menschen ernsthafte Beschwerden medizinisch abklären lassen, bevor sie sich Hilfe von Rutengängern versprechen.

Leidenschaft und Geschäft

Die Rutengänger-Schule haben Eugen und Marianne Jäger 2014 aufgegeben. Das bewährte Tagungshaus konnten sie nicht mehr nutzen, nach intensiven Jahren mit vielen Kursen und Teilnehmenden bleibt jetzt die Arbeit für die Vereinigung. Marianne Jäger organisiert ein kleines kollegiales Netzwerk von Rutengängerinnen und -gängern, die sie zu Anfragen in ganz Deutschland schickt. Sie selbst und ihr Mann suchen nur noch Brunnen – und gönnen sich ab und an einen schönen Auftrag wie die Untersuchung für ein Gestüt.

Ob sie sich durch das Rutengehen verändert hat? „Nein“, sagt Marianne Jäger entschlossen, „ich war immer schon ein nüchterner Mensch. Ich habe meine Einstellung zur Medizin und auch die zur Natur nicht verändert. Das Rutengehen ist jetzt mein Leben. Das ist eine große Leidenschaft, aber es ist auch einfach ein Geschäft. Ich nehme meine Tasche, ich gehe zum Kunden, ich konzentriere mich, mache die Untersuchung und dann schließe ich das ab.“ Was sich verändert hat: „Ich war früher nicht so viel in den Häusern fremder Leute“, lacht sie. Und worüber sie sich bis heute wundert: „Die Menschen suchen sich so schlechte Plätze zum Schlafen.“

Andrea Blome ist Journalistin und Moderatorin in Münster. – mehr von ihr und über sie unter www.andrea-blome.de

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