Ausgabe 2 / 2004 Artikel von Lara Dämmig, Irene Pabst

Wege zum interreligiösen Dialog

Erfahrungen aus dem Sarah-Hagar-Projekt

Von Lara Dämmig, Irene Pabst

(Auszug)

Der interreligiöse Dialog ist immer mit großen Erwartungen verbunden. Die meisten von uns schließen im Alltag – wenn überhaupt – nur eine oberflächliche Bekanntschaft mit Muslimas, Jüdinnen oder Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften. Unser Wissen über den Islam ist in der Regel bestenfalls angelesen, meist aber vor allem von Klischees geprägt. Persönliche Begegnungen können uns neue Perspektiven eröffnen. Sie können aber auch frustrierend und verletzend sein. Ein erfolgreicher Dialog ist nicht vom Zufall abhängig, wie das Beispiel des Projekts „Sarah-Hagar“ zeigt. Für unsere Zusammenarbeit haben wir uns auf „Dialogregeln“ geeinigt, die wir zusammen erarbeitet haben.

Wichtigste Voraussetzung für das gemeinsame Gespräch ist die prinzipielle Bereitschaft, voneinander zu lernen und der anderen aufgeschlossen zu begegnen. Das scheint banal, leider ist es aber gang und gäbe, dass Dialogveranstaltungen nur dazu dienen, vorgefasste Meinungen zu bestätigen. Deshalb sollten wir unser vorhandenes Wissen (das oft genug recht oberflächlich ist) am besten „auf Urlaub“ schicken und uns für neue Ideen, Anschauungen und Denkweisen öffnen. „Zu den Grundregeln des Dialogs gehört unter anderem Offenheit, gegenseitige Akzeptanz und der Verzicht darauf, die andere anzugreifen. Das klingt für manche vielleicht selbstverständlich, aber unsere alltäglichen Erfahrungen sind leider genau umgekehrt,“ hebt eine muslimische Teilnehmerin an einem unser Workshops hervor und fährt fort: „Daher ist es einfach eine große Wohltat, auch einmal in einem solchen Umfeld arbeiten zu können.“

Andere in ihrem Anderssein zu respektieren und nicht deren Anschauungen von vornherein in Frage zu stellen ist eine weitere wichtige Grundregel des Dialogs. Respekt zu erweisen bedeutet nicht nur tolerant zu sein, sondern auch, sich in die Lebenswelt der anderen einzufühlen und zu versuchen, deren Einstellungen und Lebensweisen aus deren Perspektive heraus zu verstehen. Musliminnen erleben leider immer wieder, dass sie lediglich mit Vorurteilen konfrontiert werden, ihre Lebenswirklichkeit jedoch nicht von Interesse zu sein scheint. Das beste Beispiel hierfür ist die Diskussion um das Kopftuch, das in der Öffentlichkeit ausschließlich als Symbol der Unterdrückung muslimischer Frauen wahrgenommen wird. In unserem Projekt haben wir gebildete, emanzipierte, selbstbewusste muslimische Frauen kennen gelernt, die diesem Bild überhaupt nicht entsprechen. Sie „haben mir beigebracht zu unterscheiden, dass Kopftuch nicht gleich Kopftuch ist,“ bemerkt eine jüdische Teilnehmerin: „Ich sehe, dass das Tuch für die einen Frauen religiöse Demut und auch Unterwerfung symbolisiert … Doch ich sehe auch Frauen, die das Tuch mit Stolz tragen und so demonstrieren, dass sie als gleichberechtigte und emanzipierte Mitglieder dieser Gesellschaft nicht bereit sind, auf ihre kulturelle und religiöse Herkunft zu verzichten.“

Alle Religionsgemeinschaften stehen gleichberechtigt nebeneinander. Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die wir so akzeptieren müssen. Keinesfalls dürfen wir Diskussionen zulassen, die von einer Überlegenheit der einen Religion über die andere ausgehen und vielleicht sogar noch mit dem Versuch der Missionierung verbunden sind. Fragen wie: „Jetzt sollen die muslimischen Frauen aber mal erklären, warum es in den islamischen Ländern keine Demokratie gibt. Das muss doch was mit der Religion zu tun haben!“ implizieren von vornherein eine „Minderwertigkeit“ des Islam gegenüber den vom Christentum geprägten westlichen Werten.

Gleichberechtigung bedeutet auch, tatsächlich einen Dialog zu führen. Das heißt, dass wir nicht für oder über die andere sprechen, sondern dass jede für sich selbst spricht. Alle haben die Möglichkeit, Fragen zu stellen und diese beantwortet zu bekommen. Oft laufen leider Dialogveranstaltungen so ab, dass lediglich die muslimischen oder jüdischen Frauen Rede und Antwort stehen müssen. So eine einseitige Ausfragerei führt nicht zu einem für beide Seiten fruchtbaren Austausch.

Muslimische Frauen stehen genauso wenig für den Islam wie christliche für das Christentum oder jüdische für das Judentum. Dass niemand das Christentum per se vertreten kann, erscheint vielen selbstverständlich. Aber auch der Islam ist facettenreich. Jede Muslima verkörpert eine Stimme aus der Vielfalt des Islams. Im Projekt Sarah-Hagar „fühlt sich niemand als offizielle Vertreterin einer Gruppe, die ihre Sache unbedingt verteidigen muss und nur unter sorgfältig überlegten Vorbedingungen eventuell Zugeständnisse machen kann“, unterstreicht eine christliche Teilnehmerin: „Nein – wir sind einfach Frauen, die für sich selbst sprechen und darauf vertrauen, dass die anderen nach Verständnis suchen und nicht nach Schwachstellen. Lebhaft geht es dabei oft zu. Wir haben uns ja viel zu sagen. Neugierige und kritische Fragen sind dazu da, gemeinsam dazuzulernen, nicht dazu, einen rhetorischen Sieg zu erringen.“ Es geht eben nicht um einen Schlagabtausch, um einen Wettbewerb der Argumente und darum, sich zu profilieren – wie es leider, insbesondere wenn Männer die Diskussionen dominieren, oft der Fall ist.

Und nicht zuletzt: Dialog braucht Zeit, viel Zeit. Wir müssen uns Zeit nehmen, einander zuzuhören, wir müssen einander ausreden lassen, jeder die Gelegenheit geben, sich auszudrücken. Am Anfang wird das allgemeine Bedürfnis vorherrschen, die eigene Tradition vorwiegend positiv darzustellen. Ist genug Vertrauen aufgebaut, lassen sich auch „heikle“ Fragen besprechen, wie die nach patriarchalen Traditionen in den Religionsgemeinschaften. Sicherlich lassen sich da dann auch viele Gemeinsamkeiten finden.

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