Alle Ausgaben / 2013 Artikel von Ulrike Siegel

Wenn der Hahn kräht auf dem Mist

Tierische Sprüche und Bauernregeln

Von Ulrike Siegel


„Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die kräh'n, soll man beizeiten die Hälse umdreh'n.“ Wer kennte sie nicht, die Sprichwörter, Redewendungen und Bauernregeln mit Vergleichen aus der Tierwelt?

Von den Angsthasen bis zum Hornochsen – gerne bedienen wir uns der Tiere, um menschliche Stärken und Schwächen anschaulich zu machen. Bewusst oder unbewusst führen wir die Tiere aus unserer näheren oder auch weiteren Umgebung ständig im Munde und übertragen ihr Verhalten oder das, was wir dafür halten, auf uns Menschen.


Eine Krähe hackt der anderen … – und andere tierische Weisheiten

Manche Redensarten sind uns schon von Kindesbeinen an vertraut. Als Kinder aßen wir wie ein Spatz, kamen als Dreckfinken vom Spielen am Bach nach Hause, standen wie der Ochs vor dem Berg vor der Rechenaufgabe, bekamen Schimpfe wegen der Eselsohren in unseren Schulbüchern und einen Frosch in den Hals, wenn der Lehrer mit pädagogischer Feinfühligkeit unser Spatzenhirn vor versammelter Klasse für die Eselei verantwortlich machte. Kamen wir danach schlecht gelaunt nach Hause, hieß es dort, wir sollen aus einer Mücke keinen Elefanten machen.

Auf der Basis des Beleidigungsrechts werden Spitzenpreise für Schwein und Co. erzielt – vor allem dann, wenn diese Wörter im Umgang mit Uniformträgern fallen. Wer einen normalen Autofahrer als „blödes Schwein“ beschimpft, kommt mit 500 Euro davon. Einen Polizisten „Schwein“ zu nennen, kostet bis zu 2000 Euro. Günstiger ist es, eine Fahrradfahrerin mit „Dumme Kuh“ anzureden (300 Euro) oder einen Parkwächter mit „Nasenbär“ (250 Euro).1

Beim großen Ball der Tiere wurden einige Gäste schon an der Türe abgewiesen, weil sie nicht beweisen konnten, überhaupt zu den Tieren zu gehören. Der Amtsschimmel konnte weder wiehern noch in gemächlichem Trab in die Amtstube zockeln. Nein – er sei mit den Simile-Steinen verwandt. Das Amtssimile war der Vordruck, nach dem früher die Ämter ihre Fälle behandelten. Ebenso blieben die Zeitungsente, das Bockbier und der Pleitegeier draußen. Letzterer wurde als missverstandener Pleite-Geher enttarnt.2

Auch in Sprichwörtern beziehen wir uns in bildhafter Sprache oft auf Tiere. Mit meist kurzen Reimen wurden diese Lebensweisheiten wörtlich überliefert und geben Erfahrungen weiter. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, sagen wir unserem Bankmitarbeiter, der uns viel versprechende Aktien verkaufen will. Mit Speck fängt man Mäuse, lautet dessen Strategie, und er bietet uns den Erlass der Gebühren an, um nach dem nächsten Aktiencrash dann sagen zu können, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut. Weil man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen soll, unternehmen wir nichts und finden uns damit ab, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Mit den meisten Sprichwörtern wissen wir etwas anzufangen, verstehen sofort, was damit ausgesagt werden soll. Aber wissen wir auch, woher sie stammen?

So ziemlich jede und jeder versteht den Ausspruch: „Der frühe Vogel fängt den Wurm“. Gemeint ist natürlich, dass es gilt, möglichst früh mit der Erledigung der anstehenden Dinge anzufangen, dann sind die Erfolgsaussichten wesentlich besser. Das Sprichwort rührt daher, dass der Vogel im Morgengrauen tatsächlich größere Chancen hat einen Wurm zu fangen, wagt der sich doch insbesondere in den frühen Morgenstunden an die Oberfläche, wenn die Böden vom Tau noch feucht sind. Was die meisten vielleicht nicht wissen: Der Spruch ist eigentlich keine deutsche Redensart, sondern wird hierzulande erst seit den 1980er Jahren benutzt. Ursprünglich stammt er aus dem Englischen und wurde anno 1670 erstmals in einem Buch verwendet, wo es hieß: „The early bird catches the worm“. Mit der Vogelredensart verwandt ist übrigens der Ausspruch „Morgenstund' hat Gold im Mund“; er zielt auf dieselbe Bedeutung ab und wird in Deutschland schon wesentlich länger benutzt.3

„Perlen vor die Säue werfen“ stammt, wie so viele andere Sprüche, aus der Bibel. „Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen“, heißt es in der Übersetzung der Lutherbibel von Matthäus 7,6. Und warum ist es so sinnlos, Eulen nach Athen zu tragen? Warum ausgerechnet Eulen – und nicht zum Beispiel Tauben, von denen es in Großstädten auch genügend gibt? Die Antwort auf diese Frage liegt nicht so nahe: „Die Eule gilt als Vogel der Weisheit und war das Sinnbild Athens. Daher wurden Eulen mit der Athena zusammen auf den Münzen abgebildet, welche die Stadt prägte. Die schon seit der Antike bekannte Redewendung ‚Eulen nach Athen tragen' geht auf Aristophanes zurück, der in seiner Komödie ‚Die Vögel' behauptet, die Bewohner Athens seien so reich, weil in ihren Geldbörsen ‚Eulen' Junge ausbrüteten. Daher sei es überflüssig, noch weiteres Geld in die Stadt zu bringen.“4


Bauen im April die Schwalben … – und andere Wettervorhersagen

„Das Wetter“ darf in keiner Zeitung, keinem Radio- oder Fernsehprogramm fehlen – auch wenn die Prognose, allem meteorologischen Aufwand zum Trotz, oft danebenliegt. Vielleicht auch deshalb ist eine sehr alte Form der Wettervorhersage nach wie vor so beliebt. Manche der schier zahllosen Bauernregeln sind einfach nur lustig, viele aber sagen tatsächlich das richtige Wetter vorher.5

Oft lässt sich der Ursprung der – meist in Reimform überlieferten – Bauernregeln nicht feststellen. Viele Sprüche gibt es schon seit der Antike, andere wurden von Menschen nach eigenen Erlebnissen mit der Natur entwickelt. Und besonders die Menschen, die in der Landwirtschaft tätig waren, haben im Laufe der Jahrhunderte viele Regeln aufgestellt, die uns noch heute geläufig sind. „Bauernregeln kommen aus einer Zeit, als die Haut, das Haar, das Gefühl, die Augen oder Ohren, die Nase noch nicht durch Messgeräte, Computer oder Seismographen ersetzt wurden und für alle Menschen überlebensnotwendig waren.“6 Deshalb überrascht es wenig, dass Bauernregeln zur kurzfristigen Wettervorhersage eine Eintreffwahrscheinlichkeit von 80 bis 100 Prozent haben.

Selbst die Witterungsregeln zur langfristigen Vorhersage weisen noch eine Trefferquote von rund 65 Prozent auf; damit treffen sie immerhin in zwei von drei Jahren zu. „Sonnt sich der Dachs in der Lichtmesswoch', bleibt er vier Wochen noch im Loch.“7 Diese Regel wird durch langfristige Wetteraufzeichnungen tatsächlich bestätigt. Wenn es in der ersten Februarwoche sonniger als normalerweise ist, wird es mit über 70 Prozent Wahrscheinlichkeit im Februar und März mehr Frosttage als üblich geben. Und zwar aus folgendem Grund: Bestimmt ein Hochdruckgebiet das Wetter Anfang Februar, bringt es einen klaren Himmel mit viel Sonnenschein. Oftmals bleibt das Hochdruckwetter dann über einige Wochen bestehen. Allerdings kühlt die Erde in den Nächten bei wolkenfreiem Himmel stärker ab, als die Februarsonne sie am Tag aufheizen kann. Infolgedessen sinken die Temperaturen kontinuierlich.8

Oder die: „Siehst du die Schwalben niedrig fliegen, wirst du Regenwetter kriegen. Fliegen Schwalben in die Höh'n, kommt ein Wetter, das ist schön.“ Wie das? Ganz einfach: Bei sonnigem Hochdruckwetter steigen von der erwärmten Erdoberfläche Luftblasen bis zu einigen Dekametern9 Durchmesser empor – vergleichbar mit den Dampfblasen in kochendem Wasser. In diesen aufsteigenden Luftblasen befinden sich Insekten. Das aber heißt, dass die Schwalben bei der Nahrungssuche hoch fliegen müssen. An Tagen mit geringer Sonneneinstrahlung entwickelt dieser Prozess sich entsprechend schwächer, so dass die Insekten – und damit die Schwalben – näher an der Erdoberfläche zu finden sind. Die Regel ergibt sich daraus, dass vor allem Hochdruckwetterlagen eine hohe Erhaltungsneigung besitzen und nur langsam ihren Einfluss auf das Wetter verlieren. Nach dem Abzug des Hochzentrums frischt dann der Wind schon vor dem heranziehenden Tief auf.10

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang bekanntlich der Hahn – als Wetterhahn geradezu das Symbol für die bäuerliche Wettervorhersage, wenngleich der Hahn, der sich auf unseren Kirchtürmen nach dem Wind dreht, einen anderen Ursprung hat. Sein eigentlicher Grund ist wohl die Bibelstelle, in der Jesus dem Apostel Petrus prophezeit: „Ehe der Hahn krähen wird, wirst du mich dreimal verleugnen.“ (Mt 26,75) – was der nach dem Bericht des Evangeliums nach der Verhaftung Jesu aus Angst vor Verfolgung auch tat. Als der Hahn krähte, erinnerte Petrus sich an diese Vorhersage und schämte sich sehr, verkündete dann aber bis zu seinem Märtyrertod den österlichen Glauben. Der Hahn auf dem Kirchturm mahnt also, sich nicht (länger) nach dem Wind zu drehen, sondern, wie einst Petrus, im weiteren Leben dem Glauben treu zu bleiben.11 Was den guten Diensten, die er ChristInnen wie Nicht-ChristInnen als Windrichtungsanzeiger leistet, ja keinen Abbruch tut.

„Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter – oder es bleibt, wie es ist.“ Das ist, vielleicht gerade wegen ihrer verballhornten Form, die wohl am meisten und genüsslich zitierte Bauernregel. Aber in ihrer ursprünglichen Form ist die Regel gar nicht so dumm. „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, kräht er auf dem Hühnerhaus, hält das Wetter die Woche aus.“ Lächerlich? Nicht, wenn man weiß, dass sich bei stabilen Hochdruckwetterlagen die Kleinstlebewesen auf dem Misthaufen in dessen Inneres zurückziehen, weil die Oberfläche austrocknet – und das lebensgefährlich für sie wäre. Der Hahn findet dann auf dem Mist einfach nichts mehr zu fressen.

Aber warum eigentlich der Hahn und nicht die Henne? Als die 1.April-Ausgabe meiner Tageszeitung vor Jahren berichtete, dass die Frauenbeauftragte unserer Landeskirche gefordert habe, im Rahmen der Gleichberechtigung alle Wetterhähne gegen Wetterhennen auszutauschen, habe ich dies zumindest für möglich gehalten. Die alte St.Alexander-Kirche in der niedersächsischen Gemeinde Wallenhorst trägt als Besonderheit auf ihrer Turmspitze tatsächlich eine Henne. Der Sage nach ließ Karl der Große im Jahre 772 diese Kirche nach seinem Sieg über Widukind auf den Überresten des germanischen Tempels erbauen und setzte an ihre Spitze eine goldene Henne – Zeichen dafür, dass in der Region weitere Kirchen „ausgebrütet“ werden würden. Aber auch, wenn eine Henne es einmal bereits bis auf den Kirchturm geschafft hat, warnt die Redensart „Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die kräh'n, soll man beizeiten die Hälse umdreh'n“ sozusagen unter Androhung der Todesstrafe Hühner wie Mädchen weiterhin davor, ihre klar definierte Geschlechterrolle zu verlassen. Großzügig übersehen wurde dabei allerdings lange, dass der Vergleich hinkt – kann doch ein Huhn tatsächlich von Natur aus nicht krähen, während den Mädchen keinerlei anatomische Pfeifhindernisse in den Weg gelegt sind, sondern lediglich das Gebot der „Schicklichkeit“. Übrigens bewundere ich bis heute Frauen, die es gelernt haben, auf zwei Fingern laut zu pfeifen.


Für die Arbeit in der Gruppe

– Es gibt zahlreiche Spruchweisheiten, Bauernregeln u.ä., in denen Tiere vorkommen. – Die Leiterin regt an, in Kleingruppen oder im Plenum „tierische“ (oder auch andere) Wetterregeln / Bauernregeln zusammentragen und auf Kärtchen schreiben. Diese werden, evtl. jahreszeitlich geordnet, in die Mitte gelegt. – Impuls zum Austausch: „Stimmen“ diese Regeln, die unsere Vorfahren aus der Beobachtung der Natur entwickelt haben? Können wir sie / einige davon aus eigener Erfahrung bestätigen? – Kapitel „Bauen im April die Schwalben …“ (bis zum Ende des Beitrags oben) vorlesen – Gedanken dazu austauschen

– Sprichwörter (oft auch solche mit Tiervergleichen) bekommen wir von Kindesbeinen an von Eltern, Geschwistern, Nachbarn, Lehrerinnen … immer wieder zu hören, und manche davon begleiten uns dann ein Leben lang. – Die Leiterin bittet darum, dass jede(r) für sich für einige Minuten nachdenkt, sich erinnert: Gab oder gibt es einen oder mehrere solcher Sprüche, die ich selbst zu hören bekommen habe oder vielleicht auch selbst oft verwende? (z.B.: Du bist einfach ein schlauer Fuchs! Oder: Musst Du denn immer aus einer Mücke einen Elefanten machen? Oder: Lieber der Spatz in der Hand …) – Einladung zu einer Erzählrunde (an der sich alle beteiligen können, aber keine die eigenen Gedanken und Erfahrungen äußern muss!)


Ulrike Siegel, geb. 1961, ist Landwirtin und Agraringenieurin. Die Vorsitzende des Evangelischen Bauernwerk in Württemberg e.V. ist Herausgeberin mehrerer Bücher rund um die Lebenswelt „Bauernhof“, u.a. „Immer regnet es zur falschen Zeit“,
im Landwirtschaftsverlag Münster.
Mehr unter www.ulrikesiegel.de


Anmerkungen:
1) Silvia Meixner: Warum „du blöde Kuh“ weniger kostet als „fette Sau“. DIE WELT; 31.07.2011
2) Eike Christian Hirsch: Deutsch für Besserwisser, Amtsschimmel spielt Blindekuh, München (dtv) 1988, 146/147
3) http://www.einfachtierisch.de/tierisch/der-fruehe-vogel-faengt-den-wurm-eine-deutsche-redensart-id37280/
4) Klaus Müller (Hrsg.): Lexikon der Redensarten. Herkunft und Bedeutung deutscher Redewendungen, Bassermann Verlag, München (Bassermann Verlag) 2005, 116: „Eulen nach Athen tragen“
5) Umfangreiche, gut sortierte Listen finden sich auf der Internetseite www.bauernregeln.net
6) Hans Boes: Bauernregeln – Eine Lebensgrundlage, in: Kirche im ländlichen Raum Heft 01/2006, 40
7) Den 2. Februar als Gedenktag für die „Darstellung des Herrn im Tempel“ kennt auch die Evangelische Kirche in Deutschland; das katholische Fest hieß -traditionell „Mariä Lichtmess“. – Mehr unter:
www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Maria-Lichtmess.html
8) Karsten Brandt: Was ist dran an Wetterregeln? Altes Wetterwissen auf dem Prüfstand, München (Bassermann Verlag) 2011
9) 1 Dekameter = 10 Meter
10) Hans Malberg: Bauernregeln aus meteorologischer Sicht, Berlin (Springer Verlag) 42003, 123-124.
11) http://de.wikipedia.org/wiki/Windrichtungsgeber

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang