Ausgabe 2 / 2017 Material von Yasin Dayan und Franziska Denker

Wenn sie versuchen, eine Familie zu sein, dann können sie es schaffen

Asyl in der Kirche

Von Yasin Dayan und Franziska Denker

„Dabei möchte ich doch nur mein Leben leben.“ Yasin ­Dayan ist 25 Jahre alt und kommt aus Somalia. Er lebt seit 5 Monaten im Kirchenasyl, ohne zu wissen, wie lange es noch dauern wird. Er hat Franziska Denker von seinen Erfahrungen im Kirchenasyl erzählt. Sie hat seine Geschichte aufgeschrieben und vom Englischen ins Deutsche übersetzt.

Da ich akut von Abschiebung bedroht bin, blieb als einzige Schutzmöglichkeit die Unterbringung in einem Kirchenasyl. (…)

Bevor ich vor ein paar Monaten von Fanny Dethloff erfuhr, was Kirchenasyl bedeutet, hatte ich eine ganz andere ­Vorstellung davon. Ich dachte, es sei ein Ort, an den man gehen kann, um zu beten und andere Menschen zu treffen. Ich hätte nie gedacht, dass dort auch andere Dinge geboten werden können. Dinge wie Menschenrechte, ­Erziehung oder Schlafplätze. Ich habe es mir so einfach nicht vorgestellt. Das hat sich jetzt natürlich geändert. Ich gehe zwar nicht in die Kirche, aber ich lebe an einem Ort, wo Menschen aus der Kirche leben. Ich teile mit ihnen die Unterkunft und alles. Wenn sie beten möchten, gehen sie in die Kirche und kommen danach wieder. (…)

Als ich wusste, dass ich bald im Kirchenasyl leben werde, habe ich versucht eine Internetseite zu diesem Thema zu finden. Ich fand ein paar wichtige Informationen, aber das war nicht genug. Vorher habe ich oft gehört, dass Kirchen­asyl nur für Menschen ist, die selbst zur Kirche gehören. Also nur für Menschen, die in der Kirche essen, beten und auch dort bleiben.

Ich halte viel von Kirchenasyl und hätte nicht gedacht, dass es eine Kirche geben würde, die so etwas macht. Die Menschen wie mir hilft und sich für ihre Rechte einsetzt. Ich war in so vielen Ländern und habe verschiedene christliche Menschen getroffen. Sie haben mir alle erzählt, dass Kirche ein Ort sei, an dem Du zu Gott beten könntest. Es hieß, dass die Kirche nicht helfen und sich auch nicht für politische Dinge einsetzen könnte, wie zum Beispiel für Flüchtlinge.

Was ich nicht wusste ist, dass jedes Kirchenasyl anders ist. Ich wusste z.B. auch nicht, dass Menschen im Kirchenasyl manchmal in einem einzelnen Raum alleine leben. Ich bin so froh, dass ich in dieser Gemeinschaft lebe.
Mir geht es sehr, sehr gut in dieser Gemeinschaft. Weißt Du, ich bin echt viel herum gekommen, aber ich habe nie so eine Vielfalt erlebt. Ich lebe mit Menschen aus Asien, Lateinamerika, Europa und Afrika zusammen. Wir sind eine internationale Gemeinschaft und zugleich eine große Familie. Wir sind Menschen aus verschiedenen Ländern der Welt, die zusammen leben und alles teilen. Wie eine richtige Familie. Außerdem kochen wir füreinander. Jeden Tag muss jemand anderes für die Familie kochen, so dass wir an einem Tag ein somalisches Gericht, an einem an­deren Tag etwas Indisches oder Türkisches und den Tag darauf etwas Deutsches essen. Das ist ein sehr multikulturelles Leben. Es ist so schön. Es freut mich, dass ich das erleben darf.

Meine Situation ist eine sehr gute. Ich hätte es vorher nie für möglich gehalten, dass so viele Menschen verschiedener Herkunft so nah zusammen leben können. Ich dachte, dass es viele Probleme geben würde, da es so unterschiedliche Kulturen und Persönlichkeiten sind. Aber jetzt weiß ich: Egal woher die Menschen kommen – wenn sie versuchen eine Familie zu sein, dann können sie es schaffen. Das ist eine sehr interessante Erfahrung für mich. Ich wünsche vielen Leuten, so etwas einmal zu erleben. Es ist toll, Menschen, die Du als Deine Familie bezeichnest, um Dich herum zu haben. Sie behandeln mich wie ein echtes Familienmitglied. Weißt Du, wenn man im Kirchenasyl lebt, hat man nicht so viele Möglichkeiten, zu tun, was man möchte. Wenn die Familie immer da ist und so immer jemand Zeit zum Reden hat, ist das gut. Wir führen schöne Gespräche und lernen viel voneinander. (…)

Alle um mich herum versuchen, ihr Bestes zu geben. Da ich aber im Kirchenasyl lebe und keine Papiere habe, darf ich nicht arbeiten. Ich darf auch nicht aussuchen, was ich arbeiten möchte. Ich darf grundsätzlich nicht das tun, was ich möchte. Die Menschen hier um mich herum, tun was sie können, um mich glücklich zu machen und mir Beschäftigung zu geben. Ich nehme auch immer an unseren Gemeinschaftstreffen teil, da können wir immer viel reden. Und wenn es etwas gäbe, was ich ohne Papiere machen dürfte, dann würden sie es für mich herausfinden. Alle tun hier was sie können.

Andererseits fehlt mir natürlich meine Freiheit. Aber die Regierung ist das Problem. Sie erlaubt mir nicht in Deutschland zu bleiben. Sie verweigert mir die Möglichkeit, das zu tun, was ich möchte. Dabei möchte ich nur mein Leben leben. Ich habe einfach nicht die Freiheit dorthin zu gehen, wohin ich möchte.

Wenn ich nicht im Kirchenasyl wäre, wäre ich nicht mehr in Deutschland. Ich würde auf den Straßen Ungarns um mein Leben kämpfen. Ich wäre einfach nicht in der glücklichen Situation, in der ich jetzt bin. Ohne sie, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.

Im Kirchenasyl habe ich gelernt, dass es Menschen gibt, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Das sind Menschen mit großen Herzen, die anderen Menschen das ­Leben retten wollen. Hier sind wirklich gute Menschen. Das gibt mir Hoffnung.

aus:
Asyl in der Kirche in Bewegung
Geschichten und Perspek­tiven zum 20-jährigen Bestehen der Ökumenischen Bundes­arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. S.26ff
© Ökumenische Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.

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