Alle Ausgaben / 2004 Andacht von Dagmar Jessen

Wer sah mich versagen, wo gebetet ward?

Eine Anregung zum fürbittenden Gebet

Von Dagmar Jessen


Sicher sind Sie alle schon einmal gebeten worden, für einen anderen Menschen den „Daumen zu drücken“ oder an ihn zu „denken“! Wie gehen Sie eigentlich damit um? Ich habe immer ein wenig Mühe, dem Bittenden klar zu machen, dass ich vom „Daumen drücken“ nur etwas halte, wenn ich die Hände falte, um für diesen Menschen zu beten.

Wir sind aufgerufen, Fürbitte füreinander zu tun. Paulus schreibt an seinen Schüler und Freund Timotheus im ersten Brief im zweiten Kapitel Vers 1: So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit. In demselben Brief beauftragt er ausdrücklich die „echten“ Witwen (d.h. die keine Familie im Hintergrund haben, die sie auffangen und versorgen könnte) mit diesem wichtigen Dienst. Warum ermahnt Paulus so dringend dazu? Gott will gebeten sein! Nicht, dass er vergesslich wäre, sondern weil wir das brauchen. Wir vergessen sonst zu schnell, wer wirklich Herr der Lage ist, und dann werden wir undankbar und hochmütig. Im Evangelischen Erwachsenen-Katechismus heißt es über die Fürbitte: Sie ist das Gebet, mit dem wir vor Gott für andere eintreten. Wir machen ihre Not und Hoffnung zu unserer eigenen. Dieses Gebet für andere kann eine ungemein befreiende Wirkung haben. Es macht unser eigenes Beten weit, es macht uns frei  von uns selber und öffnet Türen zu Menschen, die vielleicht lange schon verschlossen waren.

Ich lebe in der Diakonissen-Gemeinschaft Zionsberg. Für unsere Kommunität ist es ein großes Geschenk, dass wir von zwei Freundeskreisen umgeben sind, die sich verpflichtet haben, täglich für uns zu beten. Andererseits werden wir auch oft persönlich oder telefonisch oder brieflich um Fürbitte gebeten. Dazu kommen die Nöte, die uns sowieso einfallen: die Kriegsgebiete, das Terror-Unwesen, die wirtschaftliche Lage, die vielen Arbeitslosen, die Menschen, die im Stress leben, die Flüchtenden und Asylsuchenden, die Hungernden, die Kranken, die Nachbarn und Familien, die vielen Schwangerschaftsabbrüche, die misshandelten und missbrauchten Frauen und Kinder. Das sind so viele Anliegen, dass wir sie aufschreiben und bestimmten Wochentagen als festen Bestandteil unserer Morgenandacht zuordnen.

Solch ein liturgischer Rahmen kann sehr hilfreich sein. Wir gehen damit einen Weg zu Gott hin und fallen nicht mit der „Tür ins Haus“! Wichtig ist eine gewisse Ordnung in meiner unmittelbaren Umgebung, eine bequeme Haltung – ob stehend, sitzend, kniend, ob mit gefalteten, zusammengelegten oder geöffneten Händen, ob mit erhobenen oder hängenden Armen. Ich kann die Augen schließen, um mich zu konzentrieren, ich kann mir aber auch einen Blickfang suchen, z.B. eine Kerze, die ich als Symbol für Jesus, das Licht der Welt, sehe, oder ein Bild, ein Gedicht, ein Kreuz, ein Lied, einen Blumenstrauß. Der Sinn ist, dass mich diese „Hilfsmittel“ zu Gott hinführen, zur Stille.

Eine der Karten der Evangelischen Frauenhilfe zur Jahreslosung (1) zeigt Kerzen. Wer mag sie angezündet haben? In manchen Kirchen findet man eine Fülle von Kerzen, in katholischen Kirchen vor dem Standbild der Maria – entzündet in der Hoffnung, dass sie vor Gott für einen bestimmten Menschen eintritt. In evangelischen Kirchen finden wir das seltener, aber manchmal doch in einer Nische, die zur Anbetung oder Fürbitte einlädt. Das wird oft auch von Menschen genutzt, die nicht regelmäßig zu den Gottesdiensten gehen, die aber eine Ur-Sehnsucht in sich tragen, ihre Belange jemandem anzuvertrauen.

Zurück zu dem Bild. Ich vermute, dass die Kerzen stellvertretend für viele Menschen brennen. Mit meiner Freude an Zahlen entdecke ich bald 27 deutliche Flämmchen. Mehrere Lichter strahlen hoch aufgerichtet, andere sind wahrscheinlich vom Luftzug zur Seite gedrängt. Stehen die einen für Menschen, die sich zur Zeit auf der Sonnenseite des Lebens bewegen, und die anderen für die Unglücklichen, die von schweren Lasten niedergedrückt sind? Aber sie brennen alle! Ich will sie für Menschen und Gruppen ansehen, von deren Anliegen ich weiß und denen ich wünsche, dass Gott sich um sie kümmert.

Eine Ansammlung von Kerzen verbreitet einen festlichen Schein und vermittelt uns Freude. Zugleich werden wir erinnert an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Wir sprechen nicht umsonst vom „Lebenslicht“. Die Kerze hat eine reiche Symbolik. Sie steht für „Licht“ überhaupt, viel wirksamer als unser elektrisches Licht, obwohl dieses ja noch heller leuchten kann! Kerzen auf dem Altar erinnern uns an die Gegenwart Gottes. Die Kerzen am Weihnachtsbaum erinnern an die Geburt Jesu. Wir zünden Kerzen an zu bestimmten Gedenkzeiten: zum Geburtstag, zur Taufe, zum Zeichen der Beziehung und Verehrung – denken wir an die vielen beliebten Menschen, die auf tragische Weise ums Leben kamen wie Robert Kennedy, Lady Diana, Martin Luther King. Eine Fülle von Licht, die ausdrücken soll: Ich mag dich, und ich werde dir einen Platz in meinem Herzen einräumen und dich nicht vergessen! Irgendwie ist das in unseren Herzen verankert, unabhängig vom christlichen Glauben, der allerdings diese Beziehung noch vertieft.

Eine Kerze leuchtet immer für andere, sie brennt nicht aus Selbstzweck! Auch darum ist eine Kerze ein gutes Bild für die Fürbitte. Um wie viel schlimmer würde es in und mit unserer Welt aussehen, wenn es nicht so viele treue Beterinnen und Beter gäbe! Und um wie viel besser könnte es sein, wenn sich noch mehr dazu Gerufene fänden! Gott hat uns im 50. Psalm, Vers 15 eine Verheißung zugesagt: „Rufe Mich an in der Not, so will Ich dich erretten“. Wir nennen diesen Vers „die Telefon-Nummer Gottes: 5015″. Der Vers geht noch weiter: „Und du sollst Mich preisen!“ Das gehört dazu, dass wir Gott danken, wenn er unsere Bitte nicht nur gehört sondern auch erfüllt hat. Das vergessen leider viele.

In der Bibel finden wir viele Beispiele für erhörtes Gebet. Auf eine der Geschichten, die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) möchte ich näher eingehen. Maria, die Mutter Jesu, ist zu Gast auf einer Hochzeit. Vielleicht hatte sie dort auch irgendeine Aufgabe übernommen, das würde ihre Umsicht erklären. Jesus und seine Jünger waren auch dort. Maria erfährt, dass der Wein nicht ausreicht, er ist schon verbraucht. Sie geht zu ihrem Sohn, mit dem sie sicher schon viele Sorgen geteilt hat, und sagt zu ihm: „Sie haben keinen Wein mehr!“ Wollte sie, dass Jesus mit seinen Jüngern die Hochzeitsgesellschaft verließ? Oder sollte er oder einer der Jünger schnell neuen Wein kaufen? Ich glaube jedenfalls nicht, dass sie mit einem Wunder gerechnet hat.

Die Reaktion Jesu ist ungewöhnlich, sie wirkt zunächst etwas scharf. Wörtlich: „Frau, was zwischen dir und mir?“ Wenn ich das richtig verstehe, sollte es bedeuten: Ich bin nicht nur dein Sohn („nur“ im Sinne von ausschließlich). Ich habe dem himmlischen Vater mehr – ja absolut – zu gehorchen, und von ihm habe ich noch keine Weisung.

Maria jedenfalls ist nicht beleidigt. Sie hat ihre Sorge mitgeteilt und sie weiß: Er wird etwas tun. Aus dieser Gewissheit und im Vertrauen auf Jesus weist sie die Diener an, das zu tun, was Jesus ihnen sagen wird. Sie handelt somit in zwei Richtungen. Sie gibt ihr Anliegen in Jesu Hände und bereitet gleichzeitig die Hilfesuchenden vor, aufmerksam zu verfolgen und zu befolgen, was Jesus ihnen sagen wird! Und das war sehr wichtig, denn Jesus sagt ihnen etwas scheinbar total Verrücktes: sie sollen die Wasserkrüge, die für die üblichen Reinigungsvorschriften gefüllt waren und verbraucht wurden, erneut mit Wasser füllen! Was mögen die Diener gedacht haben? „Kennt der junge Mann denn die Vorschriften nicht? Will er uns auf den Arm nehmen? Wer ist das überhaupt? Hat er hier etwas zu sagen? Na ja, Maria hat extra gesagt, wir sollen das tun, was er sagt!“ So ähnlich mag es gewesen sein. Jedenfalls gehen sie hin, und in diesem Gehorsam vollzieht sich das Wunder, dessen Zeugen sie sein durften. Das lesen wir in der Bib el oft, dass Gott sein wunderbares Eingreifen an den Gehorsam eines oder mehrerer Menschen bindet.

Ich finde diese Geschichte deshalb so ansprechend, weil Maria hier vorbildlich handelt, was die Fürbitte angeht: Sie sagt Jesus, was sie bewegt, und erwartet, dass er etwas tut – und macht gleichzeitig die Diener neugierig auf das, was er tun wird!

Anregung:

Diese Begebenheit lässt sich anschaulich vertiefen. Tragen Sie einmal zusammen, was in dem Bericht alles vorkommt: Maria, Jesus, Jünger, Braut, Bräutigam, Diener, Wasserkrüge, Wasser, Wein, andere Gäste usw. Danach bitten Sie die Anwesenden, sich mit einer der Personen oder einem der Dinge zu identifizieren und gehen dann als Reporterin auf die einzelnen „Darsteller“ zu, etwa mit den Fragen: „Wer bist du? Was hast du gesehen, gehört, erlebt und empfunden?“
Die Fragen bestimmen die Richtung und sollen den Befragten helfen; grundsätzlich sollen die Antworten nicht korrigiert werden.
Zum Abschluss dürfen alle Mitspielenden oder auch Zuschauenden noch ihren Eindruck oder Fragen formulieren. Wir staunen immer wieder, wie viel verständlicher eine Geschichte wird, und welche neue Erkenntnisse zu Tage treten, und welche Vielfalt von Eindrücken entsteht!

Voraussetzung für jegliche Fürbitte ist eine lebendige, personale Beziehung zu Jesus, die bestimmt ist von Vertrauen, von der Gewissheit: Er wird etwas tun, und zwar nicht nur „etwas“, sondern das Richtige zur rechten Zeit, was mitunter mit meinen Vorstellungen nicht übereinstimmt. So, wie ein menschlicher Elternteil dem unbedingten Vertrauen eines Kindes normalerweise nicht widerstehen kann, so ähnlich sieht Gott uns an und lässt sich bewegen.

Beispiele gibt es in der Bibel sehr viele: Abraham bittet für Sodom und Gomorrha (1. Mose 18,22-32) – allerdings ohne Erfolg, weil er selber eine Voraussetzung formuliert hatte, die nicht zutraf. Mose bittet für sein Volk im Kampf gegen die Amalekiter (2. Mose 17,8-13). Als er während des langen Kampfes im Beten ermüdete, wurde er von Aaron und Hur buchstäblich gestützt. Hiob bittet für seine Kinder (Hiob 1,5) für den Fall, dass sie vielleicht leichtsinnig oder unwissentlich gesündigt haben. Der Hauptmann bittet für seinen Knecht (Matth. 8,6). Er traut Jesus zu, auch aus der Entfernung heilen zu können. Die kanaanäische Frau bittet für ihre Tochter (Matth. 15,22). Sie weiß, dass ihr keine Hilfe von Jesus „zusteht“, aber sie hält an seiner Allmacht und an seinem Erbarmen fest. Der Vater bittet für seinen Sohn, den die Jünger nicht heilen konnten (Matth. 17,15). Jesus selber bittet für seine Jünger und für seine Feinde, sogar noch am Kreuz.

Es gibt nichts, um das wir nicht bitten dürfen, solange es nicht dem Willen Gottes entgegen steht. Wenn ich ermüde im Gebet, dann ist es gut, eine Unterstützung zu bekommen, das hat bereits Mose erfahren. Es gibt Menschen, die haben eine besondere Gabe zum Beten. Unsere Kommunität hat eine Freundin, die offensichtlich diese Gnadengabe von Gott bekam. Aber nicht jeder Mensch hat diese Gabe; jede und jeder muss darum für sich versuchen herauszufinden, welche Gabe er bekommen hat und einsetzen sollte.

„Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch Seine Güte von mir wendet“, so jubelt der Beter im 66. Psalm. Und da können wir uneingeschränkt zustimmen. Wir haben viele Gebetserhörungen erlebt.

1 Ein Ausschnitt des Bildes ist abgedruckt auf der Seite 50 dieser Arbeitshilfe. Es kann als Farbpostkarte bezogen werden bei der Ev. Frauenhilfe in Deutschland; via Internet zu bestellen unter www.frauenhilfe.de / Jahreslosungskarten.

Sr. Dagmar Jessen ist eine von acht Schwestern der „Diakonissen-Kommunität Zionsberg, Scherfede e.V.“ Die Schwestern leben, beten und arbeiten miteinander in ihrem Gästehaus, in dem sie Einzelgäste oder Gruppen aufnehmen. Sie sind bereit zu Gesprächen, Bibelarbeiten, Gottesdiensten, Freizeitgestaltung – und was sonst so auf sie zukommt.

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