Ausgabe 2 / 2003 Material von Prodolliet, Simone

Wider die Schamlosigkeit und das Elend der heidnischen Weiber

Von Prodolliet, Simone

 

Wie konnte das Christentum seine Ausbreitung finden, wenn die zentrale Person einer Familie, die Gattin und Mutter, „Heidin“ blieb, während die männlichen Mitglieder der Familie Christen wurden? Durch Bildung sollte es Mädchen und Frauen ermöglicht werden, aus der bisherigen Abgeschlossenheit herauszutreten und dem christlichen Mann eine ebenbürtige Partnerin zu werden. Das Christentum würde den Menschen aus „finstere Unwissenheit“ in die Freiheit, in das „lichte Wissen“ führen. „Die Erziehung des weiblichen Geschlechts ist die Waffe in diesem Streit“, meinte Inspektor Hoffmann, und unter „Streit“ verstand er in erster Linie den Kampf um die Durchsetzung der christlichen Lehre. Deshalb wurden auf allen Stationen, sobald es die äußeren Umstände erlaubten, Mädchenschulen gegründet.

Diese Schulen waren oft internats-ähnliche Anstalten und Waisenhäuser. Die Missionare glaubten, eine rudimentäre Ausbildung für Mädchen wäre ausreichend genug. Frau Missionar Würth berichtete aus Bettigheri in Indien: „Außer im Schreiben, Lesen, Rechnen und Memoriren werden die Kinder noch in der biblischen Geschichte und im Singen unterrichtet. Diese Schulbildung genügt; wollte man weitere Lehrfächer, etwa Geschichte, Geographie, etc. hereinziehen, ich glaube, es gäbe ein solch buntes Gewirr in den Köpfen der Schülerinnen, dass für das Behalten des Einfachen und Nötigen zu bangen wäre. Bei der unglaublichen Beschränktheit des weiblichen Geschlechts in Indien ist es genug verlangt, wenn ein Mädchen ordentlich lesen, schreiben und rechnen kann.“

Auffallend ist die große Bedeutung des Handarbeitsunterrichts für Mädchen. Zum einen galt es, einen Ausgleich zur Kopfarbeit zu schaffen. Zuviel intellektuelle Beschäftigung erachtete man gerade für Mädchen als schädlich. Zum anderen war die Heranbildung brauchbarer Hausfrauen das Hauptziel. Dazu gehörte Nähen, Stricken, Häkeln. Solche Kenntnisse sollten der späteren Hausfrau in der Ausübung ihres „Berufs“ dienen. Die Kleider konnten geflickt oder gar selber hergestellt werden, was den Gang zum Schneiderund die Kosten ersparte. Gleichzeitig wurden mit diesen Handarbeit zum Teil die Lebenskosten der Anstaltsmädchen beglichen. Sie deckten den persönlichen Bedarf an Kleidern und Wäsche oder wurden verkauft.

Die Erziehung zur Häuslichkeit beschäftigte alle, die mit Frauenmission zu tun hatten… Ein nach bestimmten Regeln geplanter Tagesablauf, die Pflege von Sauberkeit und Ordnung waren die Leitsätze anständiger Christen. Die Sorge um deren Einhaltung übertrug man den Frauen: „Die Mädchen sollen ordentlich waschen, glätten, nähen, flicken, Ordnung und Reinlichkeit im ganzen Haushalt lernen. Der Heide trägt sein Kleid gewöhnlich, bis es ihm vom Leibe fällt, ein Christ soll aber auch hierin besser werden, und die Mädchen sollen zu Hüterinnen häuslicher Sitte und Zucht erzogen werden. Man hat gewöhnlich keinen Begriff davon, wie wenig so ein Negermädchen helfen kann, auch das Einfachste und Geringste, das einer halbwegs ordentlichen Haushaltung hier zu Lande jedes Mädchen von selbst lernt und wovon es sich selbst versteht, dass sie es auch tut, muss dort mit viel Geduld jeden Tag wieder gesagt und gezeigt werden.“

Die Erziehung der Mädchen zu ihrem bevorstehenden wichtigen Auftrag war eine „ernste“ Angelegenheit. Die in christlicher „Zucht“ aufgewachsenen Mädchen wussten denn auch am besten, was sich für eine christliche Mutter gehörte. Eine Missionarin berichtete erfreut: „Auch in der Kindererziehung macht sich der Einfluss des Anstaltslebens geltend. Eine bei uns aufgewachsene Mutter zeigt doch mehr Ernst, Treue und Verständnis in der Erziehung ihrer Kinder, als es die Frauen zu tun im Stande sind, welche aus dem Heidentum in die Gemeinde herübergekommen sind und selber erst lernen müssen, was christliche Sitte ist.“

aus: Simone Prodolliet, Wider die Schamlosigkeit und das Elend der heidnischen Weiber. Die Basler Frauenmission und der Export des europ. Frauenideals in die Kolonien, Zürich 1987, S. 48-63

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