Ausgabe 2 / 2017

Wie bei Kafka

Mit N in einer Ausländerbehörde

Sie schieben Deine Akte zwischen den Ämtern
Hin und Her und hetzen Dich hinterher
Auf der Flucht aus Deiner Heimat
In dies fremde Land, das Dich nicht will.

Du drehst Dich durch vergitterte Türen
Bis zu einem Wartesaal 4. Klasse.
An der Wand Tafeln mit Nummern.
Du ziehst eine Nummer und wartest.

Nach 3 Stunden Warten fast weichgekocht
Wieder Gittertür, ein Raum, ein Mensch,
der Dich fragt, mal sachlich, mal zynisch.
ob Du zur Ausreise bereit bist.

Du möchtest NEIN schreien
Und den Computer zertrümmern,
aber dann wirst Du gleich vorsorglich
in Abschiebehaft genommen.

Also sagst Du JA – möglichst leise –
Und denkst: „Ich würde so gern zurück
Zur Mutter, den Schwestern, dem kleinen Bruder,
dem Vater, der aber wahrscheinlich ermordet ist.

Ja, dahin, wo meine Sprache verstanden wird,
aber wir dürfen sie nicht sprechen,
und ich muss zum Militär und lerne,
auf meine eigenen Leute zu schießen.

Ja, ich ginge gern dorthin zurück,
wenn's dort anders wäre,
wir frei leben und reden könnten
und frei wählen, wen wir wollen,

wenn unsere Väter und Brüder nicht ermordet,
unsere Schwestern, Mütter und Frauen
nicht gequält und geschändet werden,
würde ich fliegen wie ein Vogel …“

All das möchtest Du schreien,
aber Du schweigst, sagst JA
zu dem Fetzen einer Galgenfrist,
die Dich vielleicht noch rettet.
Wie sieht es aus in Deinem Herzen?
Seh ich Dich an, macht mich zornig,
wie sie Dich hier behandeln
in diesem meinem ungastlichen Land.

aus: F. Dethloff / V. Mittermaier (Hg.):
„Zähle die Tage meiner Flucht …“
Gottesdienstmaterialien zum Thema Flucht und Asyl, Karlsruhe:
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages von Loeper Literaturverlag 2008 Karlsruhe
www.vonLoeper.de

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang