Alle Ausgaben / 2011 Artikel von Ursula Kress

Wie das Veilchen im Moose?

Frauen in Macht- und Führungspositionen

Von Ursula Kress


Das Thema Frauen und Führung ist fast täglich in den Medien präsent, schier unauflöslich verbunden mit den üblichen Floskeln, Verdächtigungen und neuen Karrierehemmnissen – sei es, dass Frauen aufgrund eines „spezifisch weiblichen Führungsstils“ in der Krise gefragt sind, sei es, dass Frauen die Begleiterscheinungen der Macht scheuen.

Die Rücktritte der Bischöfinnen Maria Jepsen und Margot Käßmann haben vermutlich andere Frauen in der Kirche entmutigt, sich für höhere Funktionen zu bewerben, sagt Ilse Junkermann, bis zur Wahl von Kirsten Fehrs zur Hamburger Bischöfin ein Jahr lang das einzige weibliche Oberhaupt einer Landeskirche in Deutschland. Neben der angemessenen Berücksichtigung der Geschlechter sei auch eine „Quote der Unterschiedlichkeit“ für die Beteiligung in den Leitungsebenen nötig, meint die Theologin. Frauen hätten es allerdings in kirchlichen Führungspositionen schwerer, weil sie stärker unter Glaubwürdigkeitsdruck stünden, fügt die leitende Geistliche der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hinzu.

Neben der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, de facto immer noch eine Frauenfrage, ist für die weiterhin mangelhafte geschlechtergerechte Verteilung von kirchenleitenden Positionen eine Genderdynamik im Hinblick auf die unterschiedliche Struktur der Stellen bedeutsam. So gehen beispielsweise Gemeinden nach wie vor weitgehend unreflektiert davon aus, dass dem Mann die Geschäftsführung obliegt, während die Frauen im seelsorgerlichen und pädagogischen Bereich tätig sind. Hinzu kommt, dass Frauen qualifiziert, aber seltener in dem Maße wie Männer bereit sind, Familie und andere Interessen hinter den Beruf zu stellen. Und: Sie trauen sich weniger zu als Männer mit vergleichbaren Qualifikationen und stellen höhere Ansprüche an die eigene Qualität.

Wenn innerhalb der kirchlichen Öffentlichkeit über die Situation nachgedacht wird, taucht häufig der Satz auf: „Frauen tragen die Kirche, Männer leiten sie.“ Dies weist auf einen zentralen Sachverhalt hin, der das Bild und die Gestalt unserer Kirche, aber auch unserer Gesellschaft ganz wesentlich bestimmt: die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Zwar sind die Grenzen aufgeweicht, doch immer noch sind Frauen hauptsächlich für die Familien- und Hausarbeit, für die Kindererziehung und die Beziehungsarbeit zuständig, Männer kümmern sich mehr um Beruf, Karriere und politisches Geschäft. Frauen engagieren sich eher an der Basis, Männer sind dort zu finden, wo Entscheidungen getroffen werden, wo Macht und Einfluss das Handeln bestimmen. Es ist also keine Einbildung, wenn Frauen den Eindruck haben, sie hätten zu wenig Einfluss und bekämen zu wenig Anerkennung. Die nicht leicht zu durchschauenden Strukturen unserer Arbeitswelt machen Aufstieg und Erfolg für sie wirklich schwer.

Bisweilen lassen Frauen sich aber auch von lieb gewordenen Überzeugungen und etlichen Ambivalenzen zurückhalten. Enorm widerstandsfähig sind dabei sogenannte Strategien der Selbst-Sabotage. Das sind Sätze wie: „Was zählt, ist schlussendlich die fachliche Leistung!“ Ein von Frauen bevorzugter Lösungsweg ist zum Beispiel die Weiterbildung. Oder auch „Warten wird belohnt“ – irgendwann wird es sich auszahlen. Viele Frauen haben zudem Probleme mit der Selbstdarstellung, lehnen dies als „Angeberei“ ab, wollen sich nicht verbiegen. Diese Überzeugungen schützen vor Niederlagen, vor großen Ängsten, schweren Abschieden und vor den Gefahren der Sichtbarkeit. Das ist der Gewinn. Sie haben aber auch einen Preis: Sie versperren die Aussicht auf neue Horizonte jenseits der eng begrenzten Möglichkeiten. Keine Frau, die über mehr Einfluss nachdenkt, kommt um die Güterabwägung herum.

Zu den Strategien der Selbstermächtigung gehört es, sich bewusst und absichtsvoll dem Feld unterschiedlicher Interessen zuwenden, mögliche Partner, Partnerinnen und Verbündete zu identifizieren und Beziehungen gezielt zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Im Tandem auf Erfolgskurs

Ein mittlerweile bewährtes Modell für Leitungshandeln und eine Erfolgsstrategie für Frauen ist Mentoring – eine Maßnahme der Personalentwicklung, die in einigen Landeskirchen für hauptamtliche Mitarbeitende angeboten wird. Es gibt aber auch Modelle für das Ehrenamt.

Eine Teilnehmerin des Programms als Mentee hat die Erfahrung gemacht, dass es „leitenden Frauen und Männern ermöglicht, ihr Wissen weiterzugeben, und interessierten Ehrenamtlichen, diesen über die Schulter zu schauen. Hier wird die Zielstrebigkeit junger Frauen unterstützt, die ganz bewusst ihre eigene Weiterentwicklung fördern möchten.“ Die Mentorin ist motiviert durch die eigene Erfahrung, „wie schwer es ist, die kirchenpolitischen Strukturen zu erkennen und Unterstützung für das eigene Weiterkommen zu finden.“ Mentoring will Frauen auf dem Weg in Gremien und Positionen unterstützen, damit sie ihre Interessen, Erfahrungen und Kompetenzen aktiv einbringen. Mentoring erleichtert auch den Einstieg in Leitungsämter und unterstützt in Übergängen. Es hilft die gegenwärtige Situation durch Reflexion zu klären.

Mentoring heißt: Es wird ein gemeinsamer Lern- und Austauschprozess initiiert, von dem alle profitieren – auch die Institution Kirche. Kern des Mentoring ist eine gestaltete Beziehung zwischen einer Person, die berät (dem Mentor/ der Mentorin) und einer Person, die individuell gefördert wird (dem/der Mentee). Erfahrene Frauen und Männer in Kirchengemeinderäten, Bezirkssynoden, Landessynoden, Vorsitzende von synodalen Ausschüssen, von Vorständen und Verbänden, kirchlichen Werken und Diensten sowie Kirchenämtern gewähren ein Jahr lang als Mentorinnen und Mentoren interessierten Frauen Einblicke in ihre Arbeit und bereiten sie auf die Übernahme von Leitungsämtern und kirchenpolitischen Ehrenämtern vor. Das heißt konkret:

– Fördern: Die Mentorin / der Mentor steht der Mentee bei, die eigenen Fähigkeiten auszuprobieren und zu entwickeln, ist Rollenvorbild für die Ausübung eines Leitungsamtes und Türöffner/in für kirchenpolitische Ehrenämter.

– Beraten: Die Mentorin / der Mentor steht der Mentee bei der Lösung von Problemen und beim Treffen von Entscheidungen bei und hilft ihr, Handlungsmöglichkeiten auszuprobieren (z.B. bei der Vereinbarkeit von Beruf / Familie, Einführung in kirchliche Strukturen und Einübung von strategischem Handeln).

– Unterstützen: Die Mentorin / der Mentor gibt konkrete Hilfestellungen, ebnet Wege, eröffnet Kontakte und lehrt die Mentee, informelle Kontakte innerhalb und außerhalb des bisherigen haupt- und ehrenamtlichen Engagements zu nutzen. (Bestärkung der eigenen Fähigkeiten, Ermutigung zur Selbstpräsentation, Öffentlichkeitsarbeit und Aufbau von eigenen Netzwerken).

Leiten können

Frauen und Männer sind im Prinzip gleichwertig geeignet für Führungspositionen – gerade weil sie oft ganz unterschiedlich an diese Aufgaben heran gehen. Aber nicht jede Frau und jeder Mann ist für Leitungspositionen geeignet. Wer eine Führungsaufgabe anstrebt, muss vor allem sein persönliches Leben selbst regeln können, und darf Arbeit nicht als einen entfremdeten Teil des Lebens verstehen. Darüber hinaus braucht es eine Reihe von speziellen Fähigkeiten. Wer führen will, muss
– einen Blick haben für Konstellationen, Systeme und Menschen
– Ideen entwickeln
     – für die Veränderung von Systemen
     – für die Optimierung von Abläufen
     – für die Entwicklung von Menschen
     – für deren Zusammenwirken
– Menschen gewinnen können und auch in schwierigen Zeiten die Kommunikation gestalten
– das gemeinsame Ziel in Variationen formulieren können
– kleine und große Schritte erkennen und Umwege akzeptieren
– Genauigkeit und Großzügigkeit im angemessenen Verhältnis halten können
– fremde Ideen integrieren (auch wenn es schier unerträglich ist)
– sich zurücknehmen und sich korrigieren können
– Ressourcen und ihre Grenzen nutzen können
– Konflikte nutzen

Vor all dem aber gilt es, sich einen Hinweis von Marie Curie zu Herzen nehmen: „Man muss an seine Berufung glauben und alles dransetzen, sein Ziel zu erreichen.“ Frauen, die sich diese Maxime der Nobelpreisträgerin für Physik und Chemie zu Eigen gemacht haben, werden auch mit den „typisch weiblichen“ Karriereblockern fertig – zum Beispiel, bei auftauchenden Problemen nicht alle Kraft auf deren Lösung zu konzentrieren, sondern zunächst einmal an sich selbst zu zweifeln. Vor allem aber werden sie andere Frauen in ihrer Entwicklung zur „stolzen Rose“ nicht länger missgünstig beäugen, sondern nach Kräften unterstützen.

Für die Arbeit in der Gruppe


Ziel:
Die Frauen sollen ihr persönliches Verhältnis zu Macht und zum Streben nach einflussreichen Positionen reflektieren.
Sie sollen die Schaltstellen der Macht in ihrem Umfeld identifizieren und Strategien entwickeln, damit mehr Frauen ihre Sichtweisen und Kompetenzen in die Gestaltung des öffentlichen Lebens in Kirchengemeinde und Kommune einbringen können.

Material

– beschriftetes A-4-Blatt
– Zettel, Stifte
– mehrere große Plakate oder Flipchart; dicke Filzstifte in mehreren Farben
– Zettel mit den unter „Leiten können“ aufgezählten Fähigkeiten – für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet

Die folgenden Vorschläge können einzelne oder in verschiedenen Kombinationen verwendet werden. Für Gruppen, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen wollen, empfiehlt sich eine Verteilung auf zwei bis drei Treffen.

Ablauf

Ich und die Macht
– Die Leiterin weist einleitend darauf hin, dass Frauen nach wie vor in Leitungspositionen und –gremien deutlich unterrepräsentiert sind – was auch damit zu tun hat, dass viele Frauen ein eher ambivalentes Verhältnis zur Macht haben. Sie lädt dazu ein, sich im ersten Schritt mit dem je persönlichen Verhältnis zur Macht auseinanderzusetzen.
5 Minuten

– In der Mitte liegt ein großes Blatt mit der Aufschrift „Macht (haben) ist für mich …“ – In Einzelarbeit notieren die Frauen ihre Gedanken dazu (ein Aspekt pro Zettel). Die Leiterin weist darauf hin, dass die geäußerten Gedanken der einzelnen durchaus widersprüchlich sein können und dürfen.
5 Minuten

n Anschließend tragen die Frauen ihre -Aspekte zusammen. Die Zettel werden dabei in die Mitte gelegt und zwar -sortiert nach positivem / negativem Verhältnis zu Macht. Nicht eindeutig zuzuordnende -Aspekte werden eigens abgelegt. 15 Minuten

– Im anschließenden Rundgespräch wird gemeinsam überlegt: Was steht uns als Frauen im Weg zu einflussreichen Positionen? Was hilft und bestärkt uns? Die Leiterin notiert die erkannten Punkte auf einem Plakat oder Flipchart und ergänzt evtl. um weitere Aspekte aus dem Beitrag oben.
15-20 Minuten

Landkarte der Macht vor Ort
– In der Mitte liegt ein großes weißes Plakat. Die Leiterin lädt ein, darauf die „Landkarte der Macht vor Ort“ zu zeichnen. Mit blauen Filzstiften werden Kreise aufgezeichnet und beschriftet für die Gremien, die in der Kirchengemeinde Macht und Einfluss haben – mit roten Kreisen diejenigen, die Macht und Einfluss in der Kommune haben.
10 Minuten

– Zugleich oder anschließend wird unter den Kreisen notiert, wie viele Frauen / Männer dort mitarbeiten. (Evtl. können weitere Kriterien angeschaut werden, z.B.: Mitglieder unter / über 40; Erwerbstätige / nicht (mehr) Erwerbstätige.)
10 Minuten

– Im nächsten Schritt werden Informationen darüber zusammengetragen, wie man/frau in diese entscheidenden Gremien kommt. Dabei werden in zwei Spalten (in deutlicher Zuordnung zu den jeweiligen Kreisen) die formalen Zugangswege (Wahl alle x Jahre, Berufung…) und die informellen Zugangswege (Parteizugehörigkeit, Familientradition…) notiert.
20 Minuten

Leiten können
– Die Leiterin erläutert, dass für die Mitarbeit in leitenden Gremien bzw. für erfolgreiche Arbeit in Leitungspositionen bestimmte Qualifikationen notwendig sind. Die Frauen tragen in Murmelgruppen zusammen, was eine können muss, die Leitungsmacht übernehmen soll / will. Die Ergebnisse werden stichwortartig auf Zetteln notiert und nach Nennung in der Gesamtgruppe in die Mitte gelegt.
20 Minuten

– Auf ähnlich großen Zetteln hat die Leiterin die im Absatz „Leiten können“ benannten Fähigkeiten notiert. Sie benennt diese Punkte und legt die Zettel zu denen der Gruppe. Nach einem kurzen Gespräch werden die Frauen eingeladen, sich den Zettel aus der Mitte zu nehmen, der ihrer je persönlichen Fähigkeit / Stärke entspricht – und diesen mit nach Hause zu nehmen und irgendwo anzuheften, wo er täglich in den Blick kommt.
10 Minuten

Strategien entwickeln
– Zurück zur „Landkarte der Macht“: In welche der aufgeführten Gremien müssen mehr Frauen? Die Frauen entscheiden sich für eines der Gremien, wo mehr Frauenpower am dringendsten zu sein scheint.
5 Minuten

n Murmelgruppen zu ca. 4 Frauen: Warum müssen mehr Frauen in dieses Gremium? Was soll sich verändern?
15 Minuten

– Zusammentragen im Plenum – anschließend besprechen: Was können wir tun, damit demnächst mehr Frauen dort mitarbeiten?
15 Minuten

– Was können wir tun, um die Frauen, die bei uns bereits jetzt und demnächst in leitenden Gremien mitarbeiten, zu unterstützen?
20-30 Minuten

Ursula Kress, 50 Jahre, ist Erziehungswissenschaftlerin, Coach und Gemeindeberaterin. Seit 2000 ist sie Beauftragte für Chancengleichheit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Vorschlag für die Arbeit in der Gruppe:
Margot Papenheim, Redakteurin ahzw

Zum Weiterlesen
Gabriele Bartsch/Dorothee Moser: Alphabet für die erfolgreiche Kirchenfrau. Kreuz Verlag. 1999
Cornelia Edding: Einflussreicher werden. Vorschläge für Frauen. Gerling Akademie Verlag. 2002

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