Ausgabe 1 / 2006 Material von Gertrude Lübbe-Wolff

Wie kriegen Sie das bloß hin?

Von Gertrude Lübbe-Wolff


Wir waren glücklich über unsere Tochter und wollten, dass sie auch glücklich ist. Schreiende Kinder sind nicht glücklich. Also wurde das arme Kind bei jedem Pieps aus seinem Bett geholt und bis zur völligen Erschöpfung aller Beteiligten stundenlang herumgetragen. Die Broschüren, die beim Frauenarzt auslagen, hatten bei ihren Auskünften über das Verhalten von Neugeborenen (schläft vier Stunden, trinkt zwanzig Minuten) offensichtlich die Zeitangaben verdreht. Nach drei Monaten heuerten wir eine Schülerin an, die ein paar Mal in der Woche für zwei Stunden mit dem Kinderwagen ausfuhr…

Keines der Kinder hatte Schwierigkeiten, sich an die Mitbetreuung durch eine nicht zur Familie gehörende Person zu gewöhnen. Das lag wahrscheinlich – außer an den Qualitäten der Kinderfrauen – auch daran, dass diese Mitbetreuung immer vor der „Fremdel“-Phase einsetzte. Trennungsdramen, wie wir sie bei vielen Kindern miterlebt haben, die in den ersten Jahren nur von ihrer Mutter betreut worden waren, gab es auch beim Übergang in den Kindergarten nicht. Und die Idee, dass Kindern etwas fehlt, wenn sie nicht ständig von ihrer Mutter betreut werden, fand ich immer schon sehr merkwürdig.

Ich bin auch einmal gefragt worden, ob es nicht in meiner Umgebung auf Vorbehalte gestoßen sei, dass ich mich neben den Kindern so intensiv auch der beruflichen Arbeit gewidmet habe. Solche Vorbehalte hat es natürlich gegeben, und wenn mir beim Elternsprechtag in der Grundschule die Lehrerin zuflötete, nun werde sich meine Tochter ja sicher freuen, „dass bald Sommerferien sind und sie den gaaanzen Tag die Mama hat“, waren sie deutlich genug zu hören. In direkteren und unangenehmeren Formen sind sie mir gegenüber aber nie ausgesprochen worden, und auch in dieser leisen, indirekten Form nur selten. Stattdessen habe ich of Bewunderung geerntet; auch in der Wie-kriegen-Sie-das-bloß-hin-Frage steckt ja ein Stück davon. Meinem Mann wurde übrigens diese Frage nie gestellt, und ich habe auch nie gehört, dass man ihm Komplimente für seine doppelte Tüchtigkeit als Wissenschaftler und aktiver Vater gemacht hätte. Mir ist es dafür nie, wie ihm, im Kreis der Verwandtschaft und der engeren Freunde als moralische Leistung angerechnet worden, dass ich meinem Ehepartner die Hälfte der Familienarbeit abnehme.

aus: „Wie kriegen Sie das bloß hin?“
in: Nikola Biller-Andorno u.a. (Hgg.), Karriere und Kind. Erfahrungsberichte von
Wissenschaftlerinnen
© Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2005

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