Ausgabe 1 / 2010 Artikel von Marina Kiroudi

Wie mit einer heiligen Gabe

Vom Umgang mit der Schöpfung aus orthodoxer Sicht

Von Marina Kiroudi


„Damals war ich in einem solchen Geisteszustand geraten, dass fast jeder Grashalm, jede Blüte, jeder Waldstrauch, jedes Insekt, die ganze Tierwelt, die Felder, Wälder, Berge, der Boden, die Flüsse, die Wolken, die Sonne, der Mond und die Sterne, sie alle mir zuriefen: ‚Sieh hin, in jedem von uns ist Christus!'“(1)

Diese poetische Aussage des Archimandriten Spiridon spiegelt die geistliche Erfahrung eines Christenmenschen mit der Schöpfung wider, wie sie nicht anders, als aus der geistlichen Erfahrung mit Christus selbst geschöpft werden kann. Vergleicht man diese Aussage mit der gegenwärtigen Umweltkrise, so lässt sich eine tiefe Kluft feststellen, was die Einstellung der Menschen zur – und entsprechend ihren Umgang mit der – Schöpfung betrifft. Es stellt sich die Frage, wie diese Kluft zu überwinden ist und wie letztendlich die Kirche damit umgeht.
Im orthodoxen Kirchenkalender ist der 1. September als Beginn des Kirchenjahres vermerkt und gleichzeitig der Bewahrung der Schöpfung gewidmet. Das geht auf eine Initiative des Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. von Konstantinopel im Jahr 1989 zurück. Er hatte damals „die ganze orthodoxe und christliche Welt“ eingeladen, jedes Jahr zum 1. September „in Gemeinschaft mit der heiligen Mutterkirche, der großen Kirche Christi, zum Schöpfer der Welt zu beten:
mit Dankgebeten für die große Gabe der geschaffenen Welt und mit Bittgebeten für ihren Schutz und für ihre Erlösung. Gleichzeitig ermutigen wir die Gläubigen in der ganzen Welt auf väterliche Weise, sich selbst und ihre Kinder daran zu erinnern, die natürliche Umwelt in ihrer Integrität zu achten und zu bewahren. Diejenigen, die die Völker lenken und Verantwortung dafür tragen, sie zu regieren, möchten wir ermutigen, unverzüglich alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Schöpfung zu beschützen und zu retten.“(2) Diese Initiative des Ökumenischen Patriarchen zum Tag der Schöpfung wurde am Sonntag der Orthodoxie des Jahres 1992 auf panorthodoxer Ebene begrüßt.

Theologisch betrachtet ist die Terminierung des Tages der Schöpfung auf den ersten September, dem Beginn des Kirchenjahres, nicht zufällig gewählt. Der Beginn der Zeit ist eng mit dem Beginn der Schöpfung verbunden. Der Schöpfer Selbst ist ungeschaffen und existiert vor aller Zeit, während Er Seine Schöpfung aus dem Nichts ins Leben ruft. Demnach ist das Geschaffene seiner Natur nach wandelbar – die erste Wandlung ist seine Entstehung – so dass es ebenso die Möglichkeit in sich birgt, sich zum Besseren oder auch zum Schlechteren hin zu bewegen.(3) „Das einzige Geschöpf aber, das die Richtung dieser Wandlung bestimmen kann, ist der sich selbst bestimmende Mensch.(4) Sein Gang führt zur Entwicklung der Vollendung, aber auch zu Dekadenz und Verderbnis.“(5)

Der Mensch wird als „Mikrokosmos“ verstanden, der die ganze Schöpfung umfasst und dazu berufen ist, die ganze Schöpfung durch sich selbst dem Schöpfer darzubringen, das Geschaffene mit dem Ungeschaffenen zu verbinden.(6) Das eigentliche Ziel der Wandlung wird nämlich durch den Ursprung der Erschaffung bestimmt. Der Ursprung der Geschöpfe liegt in Gott, da sie ihre Existenz dem schöpferischen Wirken Gottes verdanken.

Die akute Umweltkrise drückt gleichsam die innere Krise des Menschen aus, und eine Wandlung, die sich von seinem eigentlichen Ziel entfernt. Ungeschönt wird auch in den Bittgottesdiensten zur Bewahrung der Schöpfung das Scheitern des Menschen bekannt, wenn es heißt: „Gefahren, Plagen und Untergang schweben über uns, Herr, wegen unserer vielen Vergehen, denn wir haben gesündigt, gefehlt und uns von Dir entfernt…“(7) Sie nehmen Gegebenheiten der Umweltverschmutzung wahr und erkennen die Notwendigkeit, sich Gott und seiner Mitwirkung anzuvertrauen: „In der Demut unserer Seelen flehen wir alle Dich an, Herr, und fallen nieder vor Dir: befrei' die Erde, die wir bewohnen von jeglichem Schaden und raschem Verderben und schnell wende ab von ihr und vertreibe durch Deinen Willen schädliche Strahlen, und verströme den erquickenden Tau des lebenserhaltenden Lufthauchs. Umzäune den ganzen Garten der Umwelt, Gebieter und Retter, durch Deine Macht, und schenke allen Verzeihung und Rettung und Dein göttliches Erbarmen.“(8)

Die liturgische Sprache der Bittgottesdienste unterscheidet sich von jener in den Fachwissenschaften der Ökologie und des Umweltschutzes. Dies liegt im Wesen der Kirche begründet, welche nicht darauf abzielt, als eine ökologische Bewegung, Ideologie oder Partei aufzutreten, sondern einfach als Kirche Zeugnis ablegen möchte „für eine neue Lebensweise, die ihrer spezifischen theologischen Auffassung der Beziehung der Menschen zu Gott, miteinander, und mit der Natur folgt.“(9)

Auf einer Inter-Orthodoxen Konsultation in Sofia (1987) wird diese Ebene der neuen Lebensweise als Grundlage für die Bewahrung der Schöpfung in den Vordergrund gestellt: „Die Schöpfung muss wiederhergestellt werden; dies kann aber nur dadurch geschehen, dass sie zurückgeführt wird in die Gemeinschaft mit dem Herrn, auf dass sich ihre Bestimmung erfülle und sie verklärt werde.“(10)

Aus dieser theologischen Sicht ist der Mensch nicht Konsument, sondern vor allem Priester der Schöpfung. Indem der Mensch die Schöpfung zu Gott erhebt, wird diese von ihren Begrenzungen befreit, „von der Verlorenheit zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,22). Diese Art und Weise zu existieren, in der ewigen Gemeinschaft mit Gott, ist ihre eigentliche Bestimmung. In der Heiligung der Schöpfung wird die endzeitliche Daseinsweise vorweggenommen.(11) Um seinem Ursprung und Ziel gerecht zu werden, muss der Mensch lernen mit der Schöpfung umzugehen, „wie mit einer heiligen Gabe, die er Gott darbringt, wie mit einer Opfergabe, einem Gefäß der Gnade, der Inkarnation unserer edelsten Bestrebungen und Gebete.“(12)

Die Bittgebete zum Tag der Schöpfung werden sowohl als Bekenntnis der eigenen Schwäche als auch als Akt der Metanoia, also der Buße und des Umdenkens, dargebracht; eines Umdenkens, das tätig werden will, und den Umgang mit der Schöpfung so gestaltet, wie es dem Schöpfer als Lobpreis gebührt, damit wir am Ende singen können: „O Allgute und Leben schaffende Dreiheit, nimm den Dank an für alle Deine Erbarmungen und erweise uns würdig Deiner Wohltaten; indem Du vermehrst die uns anvertrauten Talente, sind wir eingegangen in die ewige Freude unseres Herrn mit dem Siegeslobgesang: Alleluia!“ (13)


Marina Kiroudi arbeitet in der Ökumenischen Centrale der ACK als orthodoxe Referentin mit dem Schwerpunkt „Kirche und Gesellschaft“.
Anm. der Red.: Der Beitrag ist ein Auszug aus einem Aufsatz von Marina Kiroudi zur orthodoxen Schöpfungstheologie. Die ungekürzte Fassung ist für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.


Anmerkungen

1 Archimandrit Spiridon, Verstoßene Seelen, Graz 1994, S. 257
2 Zitiert nach Hermann Goltz, Ordnung des Bittgottesdienstes zu unserem Menschenfreundlichen Gott und Heiland Jesus Christus für unsere Umwelt und den Wohlstand der ganzen Schöpfung, in: Una Sancta 1992, Heft 3, S. 228
3 Vgl. Georgios Mantzaridis, Grundlienien christlicher Ethik, St. Ottilien 1998, S. 116
4 Vgl. Gregor Palamas, Homilia 22, PG 151, 2888
5 Vgl. Georgios Mantzaridis, Grundlienien christlicher Ethik, St. Ottilien 1998, S. 116
6 Maximos der Bekenner, De Ambiguis, PG 91, 130B; vgl. Georgios Mantzaridis, Grundlinien christlicher Ethik, St. Ottilien 1998, S. 115ff
7 Zitiert nach: Bittgottesdienst zu unserem menschenliebenden Gott und Retter Jesus Christus für unsere Umwelt und den Wohlbestand der ganzen Schöpfung. Geschaffen auf dem Heiligen Berg von Mönch Gerasimos Mikrayannanitis, Hymnograph der großen Kirche Christi, hrsg. von der Andreas-Gemeinde München, Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, München 2003. S. 11ff
8 Zitiert nach:Bittgottesdienst zu unserem menschenliebenden Gott…, a.a.O., S. 13
9 Umweltschutz. Beschlüsse und Empfehlungen einer Inter-Orthodoxen Konferenz, Kreta 1991, zitiert nach Athanasios Basdekis (Hg.), Orthodoxe Kirche und Ökumenische Bewegung. Dokumente – Erklärungen – Berichte 1900-2006, Frankfurt a.M. 2006, 573f
10 Schöpfung in othodoxer Sicht. Bericht einer Inter-Orthodoxen Konsultation, in Sofia 1987, zitiert nach Athanasios Basdekis (Hg.), Orthodoxe Kirche und Ökumenische Bewegung. Dokumente – Erklärungen – Berichte 1900-2006, Frankfurt a.M. 2006, S. 425
11 Vgl. dazu Vladen Persic, Gottes Heiligkeit in seiner Schöpfung und die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt, in: Una Sancta 1999, S. 287
12 Schöpfung in orthodoxer Sicht. Bericht einer Inter-Orthodoxen Konsultation, in Sofia 1987, zitiert nach: Athanasios Basdekis (Hg.), Orthodoxe Kirche und Ökumenische Bewegung. Dikumente – Erklärungen – Berichte 1900-2006, Frankfurt a.M. 2006, S. 425
13 Metropolit Trifon (Turkestanov), Akathistos „Ehre sei Gott für alles“, dt. Übersetzung zitiert nach: Nikolaj Thon, Ein Akathistos zum Lobe der Schöpfung, in Orthodoxie Aktuell 9/2008, S. 10 

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