Ausgabe 2 / 2008 Material von Gerda Conrad

Winterzeit in der Laube

Von Gerda Conrad


Zeit und Ort: im Dezember 1959 in Berlin-Plötzensee …

Das Ofenrohr glüht. Der Kanonenofen heizt die kleine  Stube schnell. Mit Holz und Kohle müssen wir zum Glück nicht sparen. Es ist genug da. Der Vorrat liegt säuberlich aufgeschichtet unter dem Schuppendach hinter der Laube. Es ist Winterzeit. Der Garten ruht. Jetzt kann ich nicht  lange draußen spielen, weil es zu kalt ist. Das Regenwasser in der Tonne ist zu Eis gefroren. Der Schulweg reicht aus, um zu frieren. Deshalb spiele ich lieber drinnen. Meistens kommt eine Freundin zu mir, denn bei uns ist es wärmer als bei den anderen.

Abends sitzen wir drei, Mutti, Papa und ich, zusammen am Tisch. Wir spielen Mühle, Dame und Halma. Halma ist Muttis Lieblingsspiel und meistens gewinnt sie. Manchmal spielt Papa Mundharmonika. Wenn er besonders gute Laune hat, holt er die Ziehharmonika vom Schrank herunter und spielt ein paar Seemannslieder. Ich singe, so gut ich kann, mit. Leider kann ich nicht so gut singen. Wir knacken Nüsse und pellen Mandarinen. Papa schält Äpfel. Es sind unsere Winteräpfel. Sie lagern auf dicken Brettern im Hühnerstall. Ich darf jeden Tag einige davon hereinholen. Die Äpfel haben eine Fettschicht um sich gebildet wie einen Mantel. Sie sind grüngelb und schmecken sehr gut.

Papa schält sie mit einem scharfen kleinen Messer. Er fängt oben am Stiel an und schält rundherum den ganzen Apfel, ohne ein einziges Mal abzusetzen. Die Schale ist ganz dünn, aber sie zerbricht nicht. Ich bewundere ihn dafür. Die Schale bildet eine lustige Kringelschlange, die auf dem Tisch zusammenfällt, wenn der Apfel fertig abgeschält ist. Ich finde, er sieht dann ganz nackt aus. Papa teilt ihn in Stücke, und jeder von uns bekommt von jedem Apfel etwas ab. Ich habe heimlich schon öfter probiert, ob ich einen Apfel so schälen kann wie mein Vater. Bis jetzt ist es mir aber noch nie gelungen.


Gerda Conrad

aus:
Evas Apfelbüchlein
hg. von Evas Arche
Berlin
(c) bei der Autorin

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