Wir haben eine Vision, und diese Vision heißt Europa. Allerdings sind Visionen unbequem, anders als Utopien! Für den Eintritt einer Utopie ist niemand verantwortlich, weil sie gar nicht eintreten kann, für die Erfüllung von Visionen sind wir es selbst. Jede Vision trägt auch das Risiko des Scheiterns in sich. Man tut also gut daran, zu wissen, was auf dem Spiel steht.
Der Entwurf Jean Monnets, Robert Schumans, Alcide de Gasperis, Paul-Henri Spaaks und Konrad Adenauers war … die Rennaissance einer 1100 Jahre alten Idee der innereuropäischen Versöhnung. Von den Enkeln Karls des Großen war sie 842 in den Eiden von Straßburg auf deutsch, französisch und lateinisch formuliert worden. Es waren die ersten schriftlichen Zeugnisse der deutschen und französischen Sprache überhaupt. … In den nächsten tausend Jahren wurde die Verpflichtung dieses Symbolismus allzu oft vergessen, mit selbstzerstörerischen Folgen für Europa. Die ethische Lektion dieser Geschichte wurde dann zur Triebkraft für die europäische Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Botschaft der Versöhnung ist die beste Botschaft, die Europa auch heute der Welt bieten kann.
Roman Herzog – Ansprache des Bundespräsidenten
am 10. Oktober 1995 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg
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