Alle Ausgaben / 2016 Material von Philipp Maußhardt

Wir nannten sie Oma Muckefuck

Von Philipp Maußhardt

Mit Motherfuckern hatte das nichts zu, was meine Oma nach dem zweiten Weltkrieg in ihrer Küche aufbrühte. Auch wenn sie diesen Ausdruck, hätte sie ihn gekannt, gerne jenen Engländern und Amerikanern entgegen geschleudert hätte, die sie dafür verantwortlich machte, dass es nach 1945 kein Kaffeepulver mehr zu kaufen gab. Stattdessen gab es Muckefuck – einen Ersatzkaffee aus geröstetem Getreide und Zichorien. Muckefuck ist eines der schönsten deutschen Wörter. So schön wie ratzfatz, Schabernack oder Kinkerlitzchen. Muckefuck stammt angeblich aus der franzö­sischen Besatzungszeit und ist eine lautmalerische Übersetzung von Mocca faux (falscher Mokka). Wir nannten sie „Oma Muckefuck“.
Der falsche Kaffee, den meine Oma nach dem letzten Krieg trinken musste, müsste heute eigentlich ein Trendgetränk sein: regional produziert und dazu noch gesund. Doch wer im Bio-Supermarkt nach Muckefuck sucht, wird sein Wunder erleben. Die Verkäuferin fühlt sich erst einmal von mir angemacht („Haben Sie Muckefuck gesagt?!“), dann führt sie mich schließlich doch zu einem abgelegenen Regal und deutet auf ein Glas mit der Aufschrift „Malzkaffee“.
In den Geburtsjahren unseres Vaterlandes machte die Firma Franck in Ludwigsburg kein schlechtes Geschäft mit einem löslichen Pulver, das sie unter dem Namen ­Caro-Kaffee verkaufte. Andere Firmen wie Darboven nannten ihren Ersatzkaffee „Koff“ oder „Bamf“ und warben: „Solang Idee-Kaffee dir fehlt, / nimm Koff, dann hast du gut gewählt.“
Jeder Muckefuck bestand aus gerösteten Wurzeln von Zichorien oder Löwenzahn, oft auch Getreide oder geröstetem Malz. Mit echtem Kaffee hatte das Getränk allenfalls die Farbe und den bitteren Geschmack gemeinsam. Koffein fehlte ebenso wie die typische Kaffeenote.
Wer ein Produkt „Bamf“ oder „Koff“ nennt, der glaubt nicht wirklich an seinen Erfolg. Und so war es denn auch. Die Zichorie, auch blaue Wegwarte genannt, wurde schon bald wieder als Unkraut links liegen gelassen und der Löwenzahn aus den Wirtschaftswunder-Vorgärten ausgemerzt und hingerichtet.
Dass junge Löwenzahnblätter einen wunderbaren Salat ergeben, hat sich inzwischen bei Kleingärtnern herumgesprochen. Der eigene „Kaffee“ aus dem Stadtgarten oder vom Rande des Feldwegs ist inzwischen ein heißer Geheimtipp.
„Kommst du heute Nachmittag zum Muckefuck zu mir?“ Die eigentlich harmlose Frage hat eine durchschlagende Wirkung, man muss es nur einmal selbst ausprobieren. Allerdings sollte man darauf gefasst sein, dass Gäste nur einmal kommen. Der Geschmack von Wurzelkaffee ist nämlich gewöhnungsbedürftig. Am ehesten trinkbar ist eine 50/50-Mischung aus echtem Kaffee und Muckefuck.
„Oma Muckefuck“ liegt schon längst unter der Erde. Kürzlich habe ich an ihrem Grab einen Löwenzahn ausgegraben, getrocknet, geröstet und in meinen Kaffee gegeben.

aus:
Geschmacksache – Vom Genießen, Herstellen und Bewahren des Essens
Brigitte Marquardt (Hrsg.)
© taz Verlags u. Vertriebs GmbH, Berlin 2015, S. 18ff

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