Ausgabe 1 / 2016 Andacht von Sylvia Puchert

Wir pflügen und wir streuen

Andacht in Achtung und Dankbarkeit gegenüber Mutter Erde

Von Sylvia Puchert

In einer Handvoll Erde sind in Mitteleuropa mehr Lebewesen vorhanden als Menschen auf der Erde leben. Gute, lebendige Erde enthält Bakte­rien und Pilze, sie machen den Hauptanteil des Bodens aus. Dazu kommen Käfer, Larven und Regenwürmer, die den Boden durchziehen. Hier wimmelt es von Leben.

Im Frühling wird die Erde wieder aufbrechen, aus Samenkörnern werden Keimlinge sprossen, die schlafenden Augen der Rosen erwachen. So ist die Zeit zu Jahresbeginn ein schöner Moment, um sich mit Erde und Land, mit Wachsen und Gedeihen zu beschäftigen und auch der eigenen Erdverbundenheit nachzuspüren. Die Andacht lädt ein, nach den Wurzeln zu fragen, nach Natur und Natürlichkeit, und dem Kreislauf des Werdens und Vergehens achtsam und dankbar zu begegnen. Riechen, schmecken, hören, sehen und fühlen, wie Mutter Erde als Schöpfung Gottes auch im 21. Jahrhundert zu uns Menschen gehört, persönlich wie global, dazu möchte diese Andacht anregen.

Vorbereitung

– Ideal ist, wenn die Frauen im Kreis sitzen können; auf jedem Platz liegt eine Stoffserviette oder ein Taschentuch mit einer Handvoll Erde darin und ein Liedblatt.

– Die Mitte ist gestaltet mit einer Kerze, einer (noch) leeren Holzkiste, Schälchen mit Kresse-Samen.

– Kopien Lieder und Gebet – Kopiervorlagen sind für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.

Begrüßung

Liebe Frauen,
ich begrüße Sie herzlich zu unserem heutigen Frauenkreis. Unsere Mitte ist anders gestaltet als sonst, und auch auf Ihren Plätzen finden Sie etwas Ungewöhnliches vor: eine Handvoll Erde. Doch dazu später mehr. Zunächst möchte ich die Kerze in der Mitte anzünden und mit Ihnen singen:

Lied
Ein Licht geht uns auf in der Dunkelheit (EG 557)

Einführung ins Thema
„Du bist Erde“ – so heißt es in der Bibel. Die Schöpfungsgeschichten im ersten Buch Mose erzählen, wie Gott die Erde gemacht hat. Pflanzen und Tiere gehen aus dem Erdboden hervor, und auch die Menschen formt Gott aus „Erde vom Acker“ (1.Mose 2,7). Menschliches Leben ist also für immer verbunden mit dem Erdboden. So haben die Menschen damals die Verbindung zwischen Erde und Leben gesehen. Bis dahin, dass das hebräische Wort für Mensch, adam, abgeleitet es aus dem Wort adamah, Ackerboden.

Auch „nach“ dem Garten Eden mit seinem paradiesischen Leben bleiben Menschen für immer mit dem Ackerboden verbunden: „Im Schweiß deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zum Acker zurückkehrst, von dem du genommen bist. „Ja, Erde bist du, und zur Erde kehrst du zurück.“ (1.Mose 3,19) Aus diesen Worten spricht die Erfahrung, das tägliches Brot nur zu haben ist mit gutem Ackerboden, mit dem Kampf gegen Steine und Gestrüpp, mit Saat und Ernte. Und eines kam hinzu: Die Menschen waren sich sicher, dass Gott in alledem wirkte. Gott ließ den Boden fruchtbar werden, schickte Regen und Sonne zur rechten Zeit und hielt Ungezieferplagen fern. So betet Psalm 104,14: „Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Pflanzen für die Arbeit der Menschen, um Brot aus der Erde hervorzubringen.“

Land und Erdboden war auch damals schon ein Symbol für den Ort, wo Menschen sesshaft werden, Heimat finden und sich wohlfühlen. Psalm 31,9 betet: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Sicherlich kennen viele von Ihnen auch den Begriff der „Mutter Erde“. Er kommt aus der indianischen Tradition, findet sich aber auch im Umfeld der urchristlichen Tradition. Zur Zeit Jesu gab es in Israel die Gruppe der Essener. Sie lebten in einer Art urchristlicher Gütergemeinschaft und bezeichneten die Natur als „Mutter Erde“, weil aus ihr die Menschen geschaffen seien. In einem alten Text heißt es: „Ehre deine Mutter Erde, auf dass deine Tage auf Erden lange währen. Die Mutter Erde ist in dir und du bist in ihr. Sie gebar dich, sie gibt dir das Leben. Sie war es, die dir deinen Körper gab, und ihr wirst du ihn eines Tages zurückgeben.“

Mir ist der Begriff „Mutter Erde“ sehr nahe und rückt das „Macht euch die Erde untertan“ – wie Martin Luther 1.Mose 1,28 übersetzt – ins rechte Licht. Gott trägt uns Menschen auf, durch unsere Arbeit das Angesicht der Erde zu schonen, sie zu gestalten, zu verändern, sie bewohnbar und fruchtbar zu machen. „Mutter Erde“ bedeutet für mich noch mehr, nämlich: der Erde in Liebe zu begegnen und in Fürsorge, sie im Blick zu behalten und auf sie zu achten wie auf meine alt gewordene Mutter.

Lied
Jeder Teil dieser Erde ist unserm Gott heilig (EG 635, Regionalteil EKHN und EKKW)

Aktion: Eine Handvoll Erde
Erdboden, Land besitzen, Heimat finden – das ist ein altes Thema von uns Menschen. Ich möchte mit Ihnen gemeinsam nun die Brücke ins 21. Jahrhundert bauen. Aus diesem Grund habe ich für jede von Ihnen eine Handvoll Erde in ein Tuch geknüpft. Öffnen Sie es, nehmen Sie Erde in die Hände.

nach jeder der folgenden Fragen Antworten abwarten

Wie fühlt sie sich an?
Was unterscheidet diese Erde vom Acker­boden?
Welche Feuchtigkeit ist zu spüren?
Riechen Sie daran: Wie beschreiben Sie den Geruch?
Welche Erinnerungen verbinden Sie damit?
Welche von Ihnen mag, die kann auch mal daran lecken, einen Krümel probieren:
Nach was schmeckt Erde?
Und auch: was fehlt Ihnen?

Nun möchte ich Sie bitten, Ihre Handvoll Erde zu nehmen und sie in den Holzkasten in der Mitte hineinzugeben. Vielleicht sagen Sie dazu, welchen Bezug Sie zu Erde haben:
Erde ist für mich …

Die Frauen geben die Erde in den Holzkasten und gehen wieder an ihre Plätze.

Lied
Jeder Teil dieser Erde ist unserm Gott heilig; wo bekannt, evtl. stattdessen: Eine Handvoll Erde

Aktion: Gedanken teilen
Ich habe hier ein paar Kärtchen, auf denen ich Stichworte zusammengetragen habe. Sie können sich ein Stichwort ziehen – und dann haben Sie eine Minute Zeit, uns allen zu sagen, was Ihnen dazu einfällt.

Die vorbereiteten Stichworte können auch doppelt vorkommen – hier einige Beispiele: Erde, Erdboden, Bodenschätze, Eigenheim, Nahrung, wachsen, gedeihen, ­hervorbringen, Land, Feld, fruchtbar, ­Blumen, Freude, Arbeit, Acker, düngen, hacken, säen, ernten, gießen, Regen, ­Sonnenschein, Natur, draußen, Heimat

Jede zieht ein Kärtchen – jede kann kurz etwas zu ihrem Stichwort sagen. Wenn jede Frau zu Wort gekommen ist, wird die Aktion mit einem Gebet abgeschlossen.

Gebet
Gott,
auch heute noch sind wir verbunden
mit der Erde, auf der wir leben,
mit dem Boden, den wir zur Verfügung haben,
mit dem Wachsen und Gedeihen.

Die Nahrung reicht für alle Menschen auf der Erde,
Blumen und Bäume erfreuen unsere Herzen.
Und viele träumen oder leben den Traum vom eigenen Haus oder dem eigenen Stück Land.

Wir bitten dich,
lass uns achtsam sein, dass sich entfalten kann, was wachsen will.
Lass uns geduldig sein und nachhaltig handeln
für eine gute Zukunft, lebendigen Erdboden
und unsere Heimat, Mutter Erde.
Amen.

In meiner Frauengruppe würde hier jetzt die Kaffeepause folgen …

Lied
Wir pflügen und wir streuen (EG 508, Strophen 1 und 2)

„Wir pflügen und wir streuen“ – dieses Lied kennen wir alle vom Erntedankfest. Wohl kaum eine hat es jemals Anfang des Jahres gesungen. Einen Grund dafür gäbe es schon: Am 21. Januar ist der 201. Todestag des Dichter dieses Liedes – Matthias Claudius ist am 21. Januar 1815 gestorben. Ich möchte Ihnen ein wenig über ihn erzählen:

Matthias Claudius wurde 1740 in Reinfeld in Holstein geboren. Er liebte die Natur und soll einmal gesagt haben, dass er sich über eine gelbe Rose oder einen roten Apfel mehr freuen könne als über ein Baumwollhemd. Zu dieser Zeit lebte er gerade in Wandsbeck bei Hamburg und arbeitete als Journalist bei der dortigen Zeitung, dem Wandsbecker Boten.

Das kleine Gutsdorf Wandsbeck hatte sich in den Jahren um 1770 rasant entwickelt. Dem örtlichen Gutsherrn war es gelungen, Handwerksbetriebe, Mühlen und Brauereien anzusiedeln. So gab es beispielsweise einen Betrieb, der Baumwolle verarbeitete und 1.500 Arbeitern Lohn und Brot gab. Viele Menschen zogen nach Wandsbeck, auch Matthias Claudius war 1771 hierhin gekommen. Ein Jahr später heiratete er die damals siebzehnjährige Anna Rebekka Behn. Die beiden bekamen zwölf Kinder, von denen das erste kurz nach der Geburt starb. Matthias Claudius liebte seine Kinder sehr, sie standen im Mittelpunkt seines Lebens. Mit ihnen und für sie feierte er zahllose Feste. Und ihm war wichtig, seinen Kindern die Liebe zur Natur und einen festen Glauben weiterzugeben.

Die meisten Wandsbeckerinnen und Wandsbecker waren stolz auf ihren Ort, Matthias Claudius beobachtete den wirtschaftlichen Aufschwung in Wandsbeck eher skeptisch und warnte immer wieder, wie wir heute sagen würden, vor der Entfremdung der Menschen von der Natur. Durch den Platz, den das Gewerbe in Wandsbeck einnahm, musste er nun größere Spaziergänge mit seinen Kindern unternehmen, wenn er ihre Sinne für Gottes Schöpfung öffnen wollte. Er lehrte sie, Achtung und Ehrfurcht vor dem Ackerboden zu haben. Sie lernten die Namen der heimischen Pflanzen- und Tierarten. Und als die Familie bei einem ihrer Ausflüge im zeitigen Frühjahr einen Bauern das Feld pflügen sah, zeigte Matthias Claudius seinen Kindern, wie das Korn in die Erde gelegt wird und daraus Halme keimen – bis hin zur Frucht, die im Herbst geerntet wird. Dabei kam ihm der Ge­danke, Text und Melodie eines alten Bauernlieds neu zu gestalten. Die ursprünglich sechzehn kurzen Strophen beschreiben ein fiktives Erntedankfest auf dem Land. Der Anfang dieses Liedes geht aus von der biblischen Schöpfung, wie sie in 1. Mose 1 überliefert ist:

Am Anfang war's auf Erden nur finster, wüst und leer;
Und sollt was sein und werden, musst es woanders her.

Darauf folgt der Refrain:
Alle gute Gabe kam oben her von Gott,
vom schönen blauen Himmel herab.

Matthias Claudius formte daraus folgen­den Text:

Am Anfang war's auf Erden noch
finster, wüst und leer;
und sollt was sein und werden,
musst es woanders her.
So ist es zugegangen im Anfang,
als Gott sprach;
und wie es angefangen, so geht's noch diesen Tag.

Refrain:

Alle gute Gabe kommt her von Gott
dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt
und hofft auf ihn.

Wir pflügen, und wir streuen den
Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand;
der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf
und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf

Refrain

Er sendet Tau und Regen und Sonn und Mondenschein
und wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein
und bringt ihn dann behende in unser Feld und Brot;
es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.

Refrain

Was nah ist und was ferne,
von Gott kommt alles her,
der Strohhalm und die Sterne,
das Sandkorn und das Meer.
Von ihm sind Büsch und Blätter und Korn und Obst von ihm,
das schöne Frühlingswetter und Schnee und Ungestüm.

Refrain

Er lässt die Sonn aufgehen,
er stellt des Mondes Lauf;
er lässt die Winde wehen und tut
die Wolken auf.
Er schenkt uns so viel Freude,
er macht uns frisch und rot;
er gibt den Kühen Weide und seinen Kindern Brot.

Die Melodie, wie wir sie heute singen, geht auf Johann Abraham Peter Schulz zurück, der sie im Jahr 1800 in Hannover für Schulkinder veröffentlichte. Mit „Wir pflügen und wir streuen“ ist Matthias Claudius ein Werk gelungen, das bis heute sehr bekannt und beliebt ist, obwohl es nur einmal im Jahr vorkommt. Offensichtlich hat er darin das getroffen, was uns Menschen für alle Zeiten mit der Erde verbindet, mit dem, was wir in Händen halten und mit dem, was außerhalb unseres Könnens liegt.

Wachstum und Gedeihen liegen in Gottes Hand. Und doch sind wir Mitschöpferinnen und Mitschöpfer – gerade dann, wenn es darum geht, die Erde als Lebensraum zu erhalten. Wir wissen längst, dass die Ausbeutung unseres Planeten, seine Verschmutzung und das Vermüllen verheerende Folgen haben. Mutter Erde weint, und es ist allerhöchste Zeit die Tränen zu trocknen.
Besinnen wir uns darauf, woher wir kommen und wohin wir gehen: Von Erde bist du genommen und zu Erde wirst du wieder werden, heißt es in der Bibel. So ist „Mutter Erde“ Heimat und Aufgabe zugleich. Im Kleinen wie im Großen. Jede von uns hat vorhin eine Handvoll gespürt. Ein achtsames Leben ist angesagt. Dass wir den Boden bereiten für das, was wachsen will. Ganz real und auch im übertragenen Sinn. Also: ein verantwortungsvolles Leben führen, das die Schätze der Welt schont und erhält. Und das im alltäglichen Leben.

Lied
Wir pflügen und wir streuen (EG 508, Strophen 3 und 4)

Aktion: Kresse säen
Als Zeichen, dass wir den Boden bereiten, lasst uns in die Holzkiste in der Mitte diese Körner einsäen. Es ist Kresse-Samen. Und bei unserem nächsten Treffen können wir sie uns dann schmecken lassen.

Einige Frauen feuchten den Boden an und säen die Kresse.

Gebet
Wir beten miteinander und füreinander.

Gott,
wir bitten dich für uns und für Mutter Erde:
Lass uns das Leben wertschätzen,
dass wir den Erdboden hüten,
und gesunde Kraft sich entfalten kann.
Lass uns wertschätzen, was um uns
herum wächst
und sorgsam damit umgehen.
Lass uns aufmerksam sein für alles, was Leben erhält
und Heimat gibt.
Lass uns dazu beitragen
auch mit Wasser sorgsam umzugehen,
damit alle Menschen Zugang haben zu sauberem, klaren Wasser.
Bleibe du, Gott,
Quelle unseres Lebens.
Amen.

Vaterunser

Segen
Gott segne die Erde, auf der wir jetzt stehen;
Gott segne die Wege, die wir jetzt noch gehen;
Gott segne die Seele, den Leib und den Geist.
Die Güte von Gott uns die Zukunft stets weist.

Sylvia Puchert, geb. 1956, hat unter anderem 17 Jahre als Pfarrerin im Verband Evangelische Frauen in Hessen und Nassau e.V. gearbeitet. Seit 2012 ist sie Pfarrerin im Vogelsberg im Kirchspiel Crainfeld mit den Dörfern Bermuthshain, Crainfeld, Grebenhain und Vaitshain.

Verwendete Literatur
Die Informationen zu Matthias Claudius stammen aus dem Wikipedia-Artikel im Internet.
Die Bibelzitate sind nach der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache wiedergegeben.
Das Zitat zu „Mutter Erde“ bei den Essenern stammt aus dem Buch von Günter Bayerl und Ulrich Troitzsch: Quellentexte zur Geschichte der Umwelt von der Antike bis heute, Göttingen 1998, S. 41

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