Ausgabe 2 / 2010 Artikel von Katrin Keita

Wölfinnen im Schafspelz

Die Darstellung von Täterinnen in den Medien

Von Katrin Keita


Das Foto geht um die Welt: Eine amerikanische Soldatin hält eine Hundeleine in der Hand, an deren Ende ein nackter irakischer Gefangener festgebunden ist. Er liegt am Boden, ist offensichtlich gequält worden. 2004, als dieses Foto im US-Militärgefängnis Abu Ghraib im Irak aufgenommen wird, ist Lynndie England 21 Jahre alt.

Ein anderes Bild zeigt Lynndie England Arm in Arm mit ihrem damaligen Verlobten Charles Graner, im Vordergrund mehrere Körper nackter irakischer Gefangener, die auf einem Haufen übereinander liegen. England und Graner lachen, halten ihre Daumen nach oben. Auch von anderen amerikanischen Soldatinnen und Soldaten existieren ähnliche Fotos, doch das Interesse der Medien gilt Lynndie England. Offensichtlich eignen ihre Person und ihre Taten sich besonders gut für eine mediale Inszenierung.(1)

Am Beispiel von Lynndie England konnten die Medien das Besondere an dem Folterskandal von Abu Ghraib hervorheben: Die Beteiligung von Frauen löste weltweit fast genau so große Bestürzung aus wie die Folterungen selbst. England hatte offenbar nicht nur gegen geltende Gesetze verstoßen, sondern auch die Grenzen der Geschlechterordnung übertreten. Aggressivität und Grausamkeit sind Eigenschaften, die immer noch eher Männern zugeschrieben werden. Wenn Frauen gewalttätig werden, suchen die Öffentlichkeit und in ihrem Gefolge die Medien mehr als bei männlichen Tätern nach Erklärungen. JournalistInnen bedienen sich bestimmter Erklärungsmuster, sobald eine Frau verdächtigt wird, eine Gewalttat begangen zu haben. Eine spannende Frage ist: Gibt es in der Darstellung von Täterinnen Unterschiede zwischen den Boulevardzeitungen und seriösen Medien? Und: Dürfen Frauen überhaupt böse sein?


viktimisiert

Im Dezember 2009 steht Heike S. in Augsburg vor Gericht. Sie soll ihren Ehemann im Schlaf erschlagen und der Leiche hinterher die Beine abgesägt haben, um sie transportieren zu können. Heike S. wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) titelt auf ihrer Internetseite (15.12.2009) mit einem Zitat des zuständigen Richters, das die Haltung der Gesellschaft zu weiblichen Gewalttaten insgesamt wiederzugeben scheint: „Eine unvorstellbare Tat!“ Der Beitrag setzt ein mit einer Beschreibung der Kleidung und des Aussehens der Angeklagten – ein häufiges Element in Berichten über Täterinnen. Dann werden die Erkenntnisse des Gerichts über die Ehe von Heike S. beschrieben: Ihr Ehemann sei „dominant, rechthaberisch, aggressiv“ gewesen und habe seine Frau geschlagen. So wird die Täterin Heike S. als Opfer beschrieben. Dieses Erklärungsmuster findet sich häufig.(2) Es heißt Viktimisierung, von engl. victim, Opfer.

Glauben wir den Medien, war auch Lynndie England ein Opfer der Umstände. Sie „hat auf den ersten Blick keine einfache Biographie. Aufgewachsen als Tochter eines armen Eisenbahners in einem Wohnwagen-Park in Fort Ashby, West Virginia …“ (Hamburger Abendblatt, 07.05.2004). Der Spiegel (10.05.2004) ergänzt: „In die Armee geriet sie, weil sie das Geld fürs College zusammensparen will.“ Mit der Formulierung „geriet sie“ wird England eine eigene Entscheidung abgesprochen. Fraglich ist für die FAZ auch, ob sie selbst entschieden hat, sich lachend vor nackten, gequälten Gefangenen fotografieren zu lassen, ob sie „eher Täter oder menschliches Tatwerkzeug“ (08.05.2004). Schließlich, auch dies eine Spielart der Viktimisierung, wird Lynndie England „vom Farmermädchen zum Sündenbock“ (SZ, 12.05.2004) – muss also herhalten für die Schuld anderer, ist nicht selbst verantwortlich für das, was sie getan hat.


dämonisiert

Anders als die SZ sieht die BILD-Zeitung Heike S. nicht als Opfer an. Am 16.12.2009 lautet die Überschrift: „Hier wird die schöne Säge-Killerin für immer weggesperrt“. Auch der folgende Text baut auf der Spannung von „dämonischer Tat“ und „harmlos-attraktivem Aussehen“ auf: „Vor Gericht mimte sie die Unschuldige, jammerte über ihre Ehe-Hölle […]. Fast wollte man diesem schönen Engels-Gesicht glauben.“ Der Autor bezieht eindeutig Stellung gegen die Angeklagte, unterstellt ihr Lügen und beschreibt ihr ansprechendes Aussehen so, als sei es eine Maske, hinter der sich eine Bestie versteckt. BILD wählt hier das Erklärungsmuster der Dämonisierung, das eine tief verwurzelte LeserInnenerwartung zu bedienen scheint: Täterinnen werden verteufelt, werden als „Hexe“, „Bestie“ oder „Folter-Schergin“ tituliert. Das Bild dahinter ist das der Wölfin im Schafspelz. Dass sich hinter der vermeintlich harmlosen weiblichen Fassade Grausamkeit verbergen kann, schockiert viele LeserInnen – und weckt zugleich Interesse am Text.

„Engel“ wurde auch die amerikanische Studentin Amanda Knox genannt. Knox wird 2009 in Perugia (Italien) angeklagt, gemeinsam mit zwei männlichen Studenten ihre Mitbewohnerin sexuell missbraucht und ermordet zu haben. Anders als Heike S. hatte sie die Tat nie gestanden. Die Boulevardpresse etikettiert Amanda Knox als „Engel mit Eisaugen“, was die seriöse Berichterstattung dankbar aufgreift: „Der ‚Engel mit den Eisaugen' weint“ (FAZ online, 5.12.2009). Besonders in der „Regenbogen-Presse“, aber nicht nur dort, wird wieder der Gegensatz zwischen angeblich engelhaftem Äußeren und brutaler Tat aufgebaut. Als „Engel voller Schuld“ bezeichnet sie SZ online (5.12.2009). „Eiskalter Engel erscheint lachend vor Gericht […]. Es ist ein Lachen, das Gänsehaut verursacht …“, schreibt BILD online (16.01.2009). Auf der Internetseite der Welt (15.06.2009) ist zu lesen: „Amanda Knox erschien in Weiß vor ihrem Richter, wie eine Braut, warm lächelnd. (…) Es sah apart aus, wie alles an der engelgleichen Amerikanerin, die seit zwei Jahren für teuflische Schlagzeilen weit über Italien hinaus sorgt.“

Auch in der Berichterstattung über Abu Ghraib finden sich dämonisierende -Elemente – mehrere Medien nannten Lynndie England „Folter-Hexe“ (Focus Online, 08.05.2004) oder „Folter-Braut“ (Spiegel online, 03.08.2004). DIE WELT findet wahlweise die Bezeichnung „sadistische Bestie“ (08.05.2004) oder „elende Domina“ (08.05.2004) passend. So wird weibliche Gewalt zur individuellen Verfehlung, zur absoluten Ausnahme erklärt – und können sich Leserinnen und Leser leichter von den Täterinnen distanzieren.


sexualisiert

Für den Fall Amanda Knox bot sich noch ein weiteres typisches Erklärungsmuster an: sexuell hemmungslos und triebgesteuert. Knox „führte ein reges Sex-Leben und brachte ständig Leute mit in die WG in Perugia“ (BILD online, 5.12.2009). Suggeriert wird: So eine ist dann natürlich auch zu einem Sexualmord fähig. Hier greift das Erklärungsmuster der Sexualisierung, in dem die Tat einer Frau mit ihrer Sexualität begründet wird. Unterstellt wird eine abweichende, eine perverse Sexualität, eine sexuelle Frustration oder eine angeblich typisch weibliche, unkontrollierte Triebhaftigkeit.

Auch bei Lynndie England lag dieses Erklärungsmuster nahe, weil die Fotos, die sie mit den misshandelten Gefangenen zeigen, an pornographische Inszenierungen erinnern. Prompt weisen die Medien auf diesen Aspekt wiederholt hin, so der Spiegel, der die Misshandlungen der Gefangenen als „Exzesse von Sex und Gewalt“ (10.05.2004) beschreibt. England wird die Rolle der „sadistischen Domina“ (SZ, 12.05.2004) zugewiesen, die offenbar Lust an der Quälerei der irakischen Gefangenen empfindet: „Lynndie Englands Grinsen verrät Genuss, nicht Unsicherheit, keine Spur von Angst.“ (Die Welt, 08.05.2004). Die Soldatin wird so als rein triebgesteuert beschrieben und damit als unfähig, moralischen Maßstäben gemäß zu handeln.


verführt

Eng verwandt mit dem Erklärungsmuster der Sexualisierung ist das das uralte Motiv der verführten Täterin. Suggeriert wird, dass die Täterin nicht aus eigenem Willen heraus gehandelt hat. Kaum ein Bericht versäumt im Fall von Lynndie England darauf hinzuweisen, dass sie mit dem Soldaten Charles Graner liiert war. „Ins Innere der Anstalt zog es die junge Frau dann, weil sie in Liebe zum Feldwebel Charles Graner, 35, entbrannt war.“ (Spiegel, 10.05.2004) Der habe sie aufgefordert, mit den nackten Gefangenen zu posieren, und habe die meisten der Folter-Fotos geschossen. Nur aus Liebe zu ihm habe sie bei den Folter-Inszenierungen mitgemacht. Graner erscheint als der aktive, der dominante Part, während England als passiv beschrieben wird, vor Liebe blind, wenn nicht gar unzurechnungsfähig. Dass sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Folter-Fotos von Graner schwanger war, passte gut ins mediale Bild.


infantilisiert

In eine ähnliche Richtung zielt das Deutungsmuster der Infantilisierung, der Verkindlichung: „…ausgerechnet die kleine Lynndie England im Irak“ (Welt, 08.05.2004). Ihre geringe Körpergröße und ihr jugendliches Alter werden hervorgehoben. Auch die Bezeichnung als „Mädchen“ findet sich wiederholt: „Ein Mädchen im Zentrum des Wirbelsturms“ (SZ, 08.05.2004). England wird als eine naive, unreife, unselbständige Person dargestellt, die nicht aus eigener Entscheidung, sondern auf Anweisung anderer gehandelt habe.


vermännlicht

Und schließlich lässt sich der Angst machende Zusammenhang von „Frau“ und „Gewalt“ aufzulösen, indem die Täterin als „Nicht-Frau“ dargestellt wird. Auch die Erklärungsstrategie der Vermännlichung wird im Falle Lynndie Englands angewendet. „Die Eltern schildern ihr Mädchen (…) als willensstark, mutig, taff wie ein Kerl, hart im Nehmen und Austeilen, abenteuerlustig und sportlich. Als Kind in Kentucky, als sie mit ihren Geschwistern jagen und fischen ging, habe sie ihr Dickkopf in Gefahr gebracht“ (Welt, 08.05.2004). Alle für England verwendeten Attribute sind männlich konnotiert – und auch der SZ fällt ihre „knabenhafte Figur“ auf (SZ online, 01.05.2005).

Alle beschriebenen Erklärungsmuster in der Berichterstattung über Täterinnen versuchen, die Verantwortung der Täterin für ihre Tat zu verringern, sie ihr gar abzusprechen – oder sie grenzen von der Täterin ab, indem sie sie dämonisieren. Beides soll unser Weltbild aufrecht erhalten: Gewalt ist vorwiegend männlich, Frauen schenken und erhalten Leben und zerstören es nicht.(3) Dieser Erklärungen bedient sich der Boulevardjournalismus wie die seriöse Presse. Während sich im Fall von Heike S. der stichprobenartig untersuchte Text der SZ zumindest um Sachlichkeit bemüht und sich damit von der BILD-Berichterstattung abhebt, lassen sich in den Fällen von Amanda Knox und Lynndie England kaum Unterschiede zwischen den Genres ausmachen. Die Internetplattformen von SZ und WELT berichten ähnlich plakativ wie die Boulevardzeitungen. Gemeinsam neigen sie auch dazu, die Täterinnen in ihre jeweiligen Erklärungsmuster einzuordnen. Dürfen Frauen also böse sein? Für einen Großteil der Medien muss die Antwort lauten: eindeutig nein. Lieber wird die Verantwortung verkleinert oder verschoben oder werden die Frauen verteufelt. Beides wird weder Täterinnen noch ihren Opfern gerecht. Dass gewalttätige Frauen die Grenzen ihrer Geschlechterrolle übertreten, wird ihnen kaum weniger angekreidet als die Tat selbst. Es ist deshalb an der Zeit, eine realistischere Berichterstattung über Täterinnen einzufordern.


Für die Arbeit in der Gruppe:


Ziel

Die Frauen nehmen wahr, wie Täterinnen in den Medien dargestellt werden. Sie werden sich eigener Erklärungsmuster weiblicher Gewalttaten bewusst und setzen sich mit der eigenen Verantwortung auseinander.


Material

– Artikel über einen aktuellen Fall oder die im Artikel genannten Fälle aus dem Internet (Internetportale der Boulevard-Presse wie der seriösen Presse)
– Plakat oder ein Stück Tapetenrolle, Zettel, dicke und dünne Stifte


Ablauf

Einstieg: Die Frauen sitzen um einen Tisch, in der Mitte liegt ein großes Plakat mit der Aufschrift „Täterinnen“. Die Leiterin bittet, Assoziationen zu dem Begriff aufzuschreiben und die Notizen anderer zu kommentieren. Leitfrage: Was löst das Wort „Täterinnen“ bei Ihnen aus? Am Ende lesen mehrere Frauen die Notizen vor.

Gruppenarbeit: Jede Gruppe erhält einen Internet-Artikel über eine Täterin. (1) Wie wird die Täterin beschrieben? (2) Welche impliziten und expliziten Erklärungen der Tat werden den LeserInnen angeboten? Auswertung in der großen Gruppe

Input: Die Leiterin informiert über die Erklärungsmuster, die in der Berichterstattung über Täterinnen fast durchgängig angewendet werden, und über deren Zweck (Verantwortung reduzieren, Distanzierung von der Täterin, damit unser Frauenbild nicht beschädigt wird).

Abschluss: Haben Sie sich selbst schon einmal aus der Verantwortung gezogen mit dem Argument, Sie seien eine Frau? (z.B. Finanzen, Auto-Reparaturen). Austausch in Murmelgruppen


Dr. Katrin Keita, Jahrgang 1969, arbeitet als freie Theologin und Journalistin in Dinslaken.


Anmerkungen:

1 Vgl. auch im Folgenden, Susan Banihaschemi (2006)
2 Dass tatsächlich viele Frauen, die z.B. ihren Partner töten, vorher von ihm misshandelt worden sind, steht außer Frage. Es geht hier aber allein um die Darstellung in den Medien.
3 Dieses Weltbild ist ja nicht völlig falsch: Nicht von ungefähr sind 95 Prozent der Strafgefangenen in Deutschland männlichen Geschlechts. Aber es kann eine differenzierte Sicht auf die Problematik weiblicher Gewalt verstellen.

Verwendete Literatur:

S. Banihaschemi: Die mediale Vergeschlechtlichung des „Folterskandals Abu Ghraib“, in: IFF Info 23. Jg, Nr. 31/2006, S. 21- 37
M. Bereswill: Mediale Inszenierungen von Weiblichkeit und Kriminalität, in: J. Elz (Hg.'in), Täterinnen. Befunde, Analysen, Perspektiven, Wiesbaden 2009, S. 89-101
P. Henschel/U. Klein (Hg.innen): Hexenjagd. Weibliche Kriminalität in den Medien, Frankfurt am Main 1998

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