„Von Großmutter Schindler habe ich das Beten gelernt“, erzählt Ursa Krattinger in ihrem Buch „Die perlmutterne Mönchin“, und sie beschreibt die innige Beziehung, die sie zu dieser Frau hatte.
In einer Sendereihe des Deutschlandfunks zu Beginn des 21. Jahrhunderts liest Dorothee Sölle einen Brief, den sie an ihre Enkel geschrieben hat auf die Frage: „Was möchten Sie Ihren Enkeln für das Leben mitgeben?“ Drei Dinge hebt Dorothee Sölle hervor: das Singen, das Loben und das Beten. In liebevoller Weise erklärt sie ihren Enkeln, warum ihr diese drei Dinge wichtig sind. Der Brief bringt zum Ausdruck, dass eine tiefe Beziehung zwischen Großmutter und Enkeln besteht. Wenn Jesus zu Simon sagt: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre“, so sagt er es als Freund, als Vertrauter. Viele Wege sind sie miteinander gegangen, Erlebnisse haben sie einander nähergebracht, Vertrauen ist gewachsen. Jesus weiß, zu wem er spricht, Simon weiß, wer es sagt.
Glauben weitergeben, etwas für einen Menschen erbitten braucht menschliche Nähe, braucht Vertrauen. Freundschaft zu Gott braucht als Grundlage Freundschaft unter den Menschen. Der Glaube an Gott, das Vertrauen in die göttliche Kraft, die hilft und tröstet, die gibt, aber auch nimmt, die liebt und zerbricht, ist ein Beziehungsspiel zwischen Gott und Mensch. Die Frage ist: Wie entsteht oder wächst diese Beziehung? Ich will dazu zwei Beispiele erzählen. Frauen saßen zusammen im Frauenzentrum beim Kirchentag. Die Frage nach den spirituellen Vormüttern tauchte auf. Neben „großen Namen“ aus der Kirchengeschichte wurde ganz oft die Mutter, die Großmutter, die ältere Freundin, die Patentante genannt. Ähnlich war es bei einer Weltgebetstags-Werkstatt, wo es um die Vorbilder bzw. Vormütter im Glauben ging. Neben Mutter Teresa und Hildegard von Bingen waren es vor allem die Mütter, Großmütter oder Mitarbeiterinnen im Kindergottesdienst, die genannt wurden. Brauche ich also, um zum Glauben zu kommen, die vertrauensvolle, iebevolle Beziehung zu einem Menschen? Eine Großmutter erzählte mir eine Begebenheit mit ihrem fast dreijährigen Enkel. Nach dem Tischgebet „Komm Herr Jesus…“ nahm Tom ein Stück Brot, legte es auf einen leeren Teller und sagte: „Für Jesus!“ Die Großeltern nahmen ihn ernst in seinem Tun, unterstützten ihn, lobten ihn.
Carter Heyward schreibt: „Dennoch ist es wichtig für mich zu Beginn zu bekennen, dass ich an Gott glaube und dass dieses Festhalten am Glauben in meiner Erfahrung des Menschseins wurzelt. … ‚An Gott glauben' ist eine Möglichkeit, die in unserer eigenen beziehungshaften Macht und in unserer ernsthaften Würdigung dieser Macht wurzelt, die Erfahrung dessen, was uns gemeinsam belebt: Gottes Gegenwart in der Welt, Gottes Anteilnahme an der Welt, am Fleisch, an der Menschheit, Gott mit uns hier und jetzt. … An Gott glauben heißt zu glauben, dass Gott und die Menschen zusammen auf der Welt sind, vertraut und unmittelbar verbunden.“ (1)
Meine Glaubenserfahrungen wurzeln im Wesentlichen in meiner Erfahrung des Menschseins. Menschsein, das heißt in Beziehung leben. Kein Mensch lebt ohne Beziehung zu anderen Menschen. Die Qualitäten von Beziehungen sind sehr unterschiedlich, aber sie fördern immer den Schatz an Erfahrungen. Wenn man sich anschaut, was Ursa Krattiger über ihre Großmutter sagt, was Tom von seinen Großeltern erfährt oder Dorothee Sölle an ihre Enkel schreibt, wird deutlich: Wir können etwas weitergeben, wenn eine gute Beziehung dahinter steht. Glauben weitergeben, Vertrauen aufbauen in die liebevolle Zuwendung Gottes zu den Menschen braucht die liebevolle, die vertrauensvolle Beziehung der Menschen untereinander. „Gott ist das, was wir als Mutter oder Vater, Schwester oder Geliebte, Freund oder Bruder denken können.“ Carter Heyward nennt dies „die Macht in der Beziehung“. „Wenn Gott nicht leibhaftig ist, wenn ‚er' durch die Natur ‚seiner' Teilnahmslosigkeit abseits steht von menschlicher (physischer, greifbarer, sexueller, schmerz after, freudiger, schrecklicher) Erfahrung in der Welt, dann ist Gott vollkommen nutzlos für uns.“ (2)
Die Entdeckungen der feministischen Theologie haben unsere Gottesbeziehung und unsere Fähigkeit zu glauben verändert. „'Gott als destruktives Kontrollmittel' (Carter Heyward; „Der liebe Gott sieht alles“, W.L.), das in den Köpfen von Menschen konstruiert wurde, verbindet sich mit einem einseitig patriarchalischen Gottesbild, das von vielen Frauen heute abgelehnt wird. ‚Beziehung' erweist sich immer mehr als eine Schlüsselkategorie feministischen Denkens. Beziehung als Grundkategorie menschlichen Seins neu zu denken, bedeutet die Tatsache ernst zu nehmen, dass Menschen als unaufhebbar Verschiedene eine gemeinsame Welt bewohnen und gestalten.“ (3)
Auf „Beziehung“ setzen wir Frauen darum auch in der Weitergabe von Glaubenserfahrungen. Hildegund Keul nennt es „Freundinnenschaft“ und schreibt: „Es ist die intensive, füreinander und aufeinander zugehende Beziehung, die die andere und sich selbst zum Leben erweckt. In solcher ‚Freundinnenschaft' wird Gott als die zum Sprechen anstiftende Hörende, als Freundin erfahren.“ (4)
Für Carter Heyward ist es wichtig, durch Freunde und Freundschaften Gott in der Welt leibhaftig zu machen. „Dass Gott Mensch wurde, tut sich vor uns in immer neuen Dimensionen als ein Wunder auf, an dem wir selbst mit Händen, Herzen und Sinnen teilhaben“, schreibt Elisabeth Moltmann-Wendel. (5) Die vertrauensvolle Beziehung zu einem Menschen ist die gute Basis, um eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott aufzubauen. „Mit uns, von uns, durch uns lebt Gott, wird Gott, wandelt sich Gott, spricht Gott, handelt Gott.“ (6)
Ziel:
Die Frauen erinnern, wer für sie wichtige Menschen waren, die ihnen vom Glauben erzählten; sie berichten über die Beziehung zu diesen Menschen. Sie erkennen dadurch (neu) die Bedeutung der menschlichen Beziehung in der Glaubensweitergabe.
Die Frauen tauschen sich darüber aus, was sie von ihren eigenen Glaubenserfahrungen heute an die nachfolgende Generation, z.B. Enkelkinder, weitergeben möchten.
Material: Papier für Wandzeitung, Stifte in blau und rot, Zeitleiste auf Din A 4 Bogen für jede Frau; vielfältiger Strauß mit Zweigen und Blumen (für jede Frau ein Teil)
1. Mein Glaubensweg
Wir beginnen mit einem kurzen Text von Ursa Krattinger aus dem Buch „Die perlmutterne Mönchin“:
„Großmutter Schindler betete vor dem Essen. Was immer wir anderen taten, wenn angerichtet und geschöpft war: sie faltete erst die Hände im Schoß, senkte den Kopf, schloss die Augen und dankte stumm. Danke – dabei hatte doch sie das herrliche Essen auf den Tisch gestellt! Großmutter Schindler betet und dankt über den wunderbaren Gerichten, mit denen sie andere speist an Leib und Seele. Mysterium fidei! Geheimnis des Glaubens.“
Die Frauen erzählen einander, wer ihnen vom Glauben erzählt hat, was es für sie bedeutete, ob es für sie Probleme gab, welche positiven Erfahrungen sie gemacht haben. Positive und negative Aspekte der Erfahrungen werden herausgearbeitet und auf einer Wandzeitung festgehalten.
Alternativ: Jede Frau bekommt eine Zeitleiste (eingeteilt in 5-Jahres-Schritte) und trägt mit unterschiedlichen Farben ein, in welcher Altersstufe sie positive / negative Glaubenserfahrungen gemacht hat. Anschießend Austausch im Plenum oder, wenn die Gruppe sehr groß ist, in Kleingruppen. Wichtige Aspekte werden ebenfalls auf einer Wandzeitung festgehalten. Wichtig auch hier: Herausarbeiten, wer oder was in der Situation besonders wichtig war!
Abschluss dieser Runde: Was bedeuten mir diese Erfahrungen in Bezug auf meine Kinder oder Enkelkinder? (Aufzeichnungen auf der Wandzeitung in das Gespräch einbeziehen)
2. Worauf du dich verlassen kannst
Nach der Reflexion des eigenen Weges zum Glauben und der „Dinge“, die als besonders hilfreich oder hinderlich empfunden wurden, nun die Frage: Was möchte ich weitergeben – an meine Kinder, an meine Enkelkinder?
Einstieg: Zum Thema „Worauf du dich verlassen kannst“ führte der Deutschlandfunk zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Befragung bei Prominenten durch. Gedanken von Dorothee Sölle und Jörg Zink können uns in ein Gespräch darüber bringen. (7)
Dorothee Sölle schreibt: „Singen, keinen Tag ganz ohne Lied, am Abend und am Morgen, am besten mit anderen zusammen, aber auch allein… – Bitte lernt das Loben und lasst es euch nicht ausreden, es ist vielleicht das Wichtigste… – Es schadet euch gar nichts, ein paar olle Kinderlieder zu lernen, die aus nichts bestehen als aus diesem Singen und Loben, ohne Zweck und bloß so ‚Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön…' Zum Singen und zum Loben gehört noch ein Drittes, das ihr nicht beim Erwachsenwerden ablegen solltet wie ein Kinderkleid, das ist das Beten… Das Beten ist wie das Singen, wie das Loben ein Ausdruck der Liebe zu Gott.“ (8)
Jörg Zink schreibt: „Gerechtigkeit ist ein Traum, ich weiß, aber es ist einer der wenigen Träume, für dessen Verwirklichung es sich lohnt zu leben. Und dass durch euch ein wenig Gerechtigkeit entsteht – auf welcher Ebene auch immer – ist wichtiger, als dass ihr ein Rieseneinkommen einstreicht. Dass durch euch ein wenig Frieden entsteht, vor allem in eurer unmittelbaren Nähe, ist wichtiger, als dass ihr eure Interessen durchsetzt. Und dass ihr der Erde und ihren Elementen wohl tut, ist wichtiger, als dass ihr alles verbraucht, was man euch anbietet. Und dass ihr irgendeinen Menschen und sein Lebensrecht schätzt, ist wichtiger, als dass ihr selbst um eure Rechte kämpft.“ (9)
Nachdem beide Texte gelesen sind, spielen Sie eine ruhige Musik ein, damit die Frauen Zeit haben, den Inhalten der Texte nachzugehen.
Gesprächsimpuls: Wo stimme ich mit Sölle oder Zink überein? Könnte ich dies meinen Kindern / Enkeln auch sagen? Was will ich weitergeben, warum ist mir dies wichtig? Welche Situation wünsche ich mir dafür? Kann ich einen Brief schreiben, habe ich Gelegenheit zum Gespräch, gibt es die Möglichkeit einer gemeinsamen Reise?
Abschluss: Wir beschließen das Zusammensein, indem wir etwas mit einem Wunsch oder einem Segenswort weitergeben: Jede Frau nimmt eine Blume, einen Zweig aus der Vase und schenkt sie/ihn einer anderen mit einem Segenswort oder Wunsch.
Der folgende Vorschlag ist eine Alternative zum ersten Schritt in Vorschlag A. Es lohnt sich in dieser Weise vorzugehen, wenn die Gruppe nicht mehr als ca. 15 Frauen umfasst und bereit ist, sich auf eine intensive Arbeit für mindestens 2 Std. einzulassen; zudem müsste wenn es möglich sein, das Thema auf zwei Gruppentreffen zu verteilen.
Material: für jede Frau mindestens sechs DIN A 4 Bögen und einen dickeren Filzschreiber oder Dicki-Buntstift; wenn keine Möglichkeit besteht, an Tischen zu schreiben: eine feste Unterlage; Segenskarte mit Schluss-Segen für jede Frau
Ablauf:
Kurze Einführung in das Thema. Dann bekommt jede Frau das Material, und Sie leiten zu folgendem Vorgehen an: Das Thema ist: Glaube – was verbinde ich damit?
Jede Frau schreibt das Wort „Gaube“ in die Mitte ihres ersten Blattes. Nun kann sie assoziieren: „Was verbinde ich mit Glaube?“ Relativ zügig und ohne lange zu überlegen schreibt sie in jede Ecke des Blattes einen Begriff, z.B.: Kirche, Großmutter, Bibel, Beten.
Den für sie jeweils wichtigsten Begriff übertragen die Frauen auf die Mitte eines neuen Blattes.
In die Ecken werden nun wieder Begriffe geschrieben, die den Frauen dazu einfallen – und so weiter.
Auf diese Weise sollen fünf der Blätter beschrieben werden; auf das sechste Blatt wird dann nur der letzte gewählte Begriff in die Mitte geschrieben.
Danach sollte jede Frau Zeit haben, die einzelnen Blätter nochmals für sich durchzugehen, um ihren Weg in Ruhe nachzuvollziehen. Bestärken Sie die Frauen in der Gewissheit, dass die Begriffe, bei denen sie schließlich „gelandet“ sind, immer etwas mit dem Th ema zu tun haben! Bitten Sie die Frauen jetzt also darüber nachzudenken, welche Verbindung zwischen ihrem letzten Begriff und „Glaube“ besteht.
Nach der Einzelarbeit folgt ein Austausch in Kleingruppen. Aus Sicht der Gruppe wichtige Aussagen zum Thema werden festgehalten und in das Abschlussgespräch im Plenum eingebracht.
Hinweis für die Leiterin: Bei einer solchen Arbeitsweise ist zu erwarten, dass die Frauen sich an sehr persönliche Erfahrungen erinnern, die auch schmerzhaft sein können. Die Gruppenleiterin oder mindestens eine der Frauen aus der Gruppe sollte geübt sein darauf einzugehen, und es sollte genügend Zeit sein, dass die Frauen darüber miteinander reden können. Es gibt hier auch kein „richtig“ oder „falsch“: Die Leiterin achtet daher streng darauf, dass jede Erfahrung als persönliche Erfahrung stehen bleiben kann und nicht von der Gruppe diskutiert wird.
Sie schließen das Gespräch ab mit der Frage: „Welche Personen waren mir wichtig auf meinem Glaubensweg? Warum waren diese Menschen mir wichtig?“
Als Abschluss sprechen die Frauen einander folgenden Segen zu:
Möge Gott dich behüten
Möge Gott dich begleiten
Möge Gott dich stärken
Möge Gott dich segnen
Dies ist mein Wunsch,
den ich für dich habe. Amen
Die Fortsetzung des Themas setzt dann beim nächsten Treffen ein bei Schritt (2) aus Vorschlag A „Worauf du dich verlassen kannst“.
Literatur:
(1) Carter Heyward, Und sie rührte sein Kleid an, Stuttgart (Kreuz Verlag) 1982, S. 49-51
(2) ebd., S. 49
(3) Ina Praetorius, Art. Beziehung, in: Wörterbuch der Feministischen Theologie, hg. v. Elisabeth Gössmann u.a., Gütersloh 2 2002, S. 62
(4) in: Elisabeth Moltmann-Wendel, Wach auf, meine Freundin, Stuttgart 2000, S. 39
(5) ebd., S. 148
(6) Heyward, S. 52
(7) Klaus Möllering (Hg.), Worauf du dich verlassen kannst. Prominente schreiben ihren Enkeln, Leipzig (Evangelische Verlagsanstalt) 1999; vgl. auch den Auszug „Wir alle sind in Gottes Hand“ im Material zum Thema.
(8) ebd., S. 25
(9) ebd., S. 47
Waltraud Liekefett, Jg. 1940, ist Diplompädagogin. Sie arbeitet als Pädagogische Mitarbeiterin im Landesverband der Ev. Frauenhilfe Braunschweig und ist Mitglied in der Arbeitsgruppe ahzw.
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
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