Ausgabe 1 / 2017 Artikel von Katrin Berger / Carmen Khan

Work-Love-Balance

Eine interreligiöse Ehe im evangelischen Pfarrhaus

Von Katrin Berger / Carmen Khan

Carmen Khan heiratete als Vikarin einen Muslim und wurde deshalb fristlos entlassen. Drei Jahre später hat sie ihren „kirchenrechtlichen Krimi“ für die Zeitschrift INTA* noch einmal im Rückblick erzählt. Katrin Berger hat ihre Worte mitgeschrieben.

Vor dem Vikariat, der praktischen Ausbildung zur Pfarrerin, wollte ich noch mal raus in die Welt. Für die ersten sechs Wochen ging ich nach Bangladesch, um eine Bank kennen zu lernen, die Kleinkredite vergibt. Dort habe ich Monir Khan kennengelernt. Sein Englisch war sehr gut und weil er Betriebswissenschaftler war, konnte er das Kreditwesen super erklären. Zwischen uns bahnte sich eine Beziehung an. Ich bin zwar erst einmal weiter nach Kalkutta gereist, aber entgegen meiner ursprünglichen Pläne danach wieder zurück nach Bangladesch gegangen. Dort konnten wir uns regelmäßig sehen und das war wunderbar. In dieser Zeit habe ich meinen Eltern in einer Mail geschrieben, dass ich einen Freund habe, der Muslim ist. Mein Vater, der ja auch Pfarrer ist, antwortete gleich mit dem Paragraphen aus dem Pfarrdienstrecht, der besagt, dass der Partner einer Pfarrerin evangelischen Glaubens sein muss, aber dass man auf Antrag eine Ausnahmegenehmigung bekommt (§19 Absatz 2, Württembergisches Pfarrergesetz).

Kirchengeschichte schreiben?

Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber erstmal nur die Idee, dass Monir doch auch meine Welt kennenlernen könnte. Dafür brauchte er ein Touristenvisum. Nachdem wir sechs Wochen lang ständig in der deutschen Botschaft in Bangladesch gewesen sind, die das Visum aufgrund „mangelnder Verwurzelung im Heimatland“ nicht ausstellen wollte, konnte Monir schließlich mit einem italienischen Visum nach Europa einreisen. Er hat sogar beim Umzug in meine Vi­ka­riatsdienstwohnung geholfen. Ganz selbst­verständlich habe ich Monir dabei meinem Ausbildungspfarrer als meinen Freund vorgestellt. Er schien interessiert und ich bin mir sicher, dass er damals gesagt hat: „Vielleicht werden Sie ja Kirchengeschichte schreiben! Pfarrer, die mit Muslimen verheiratet sind, das wird sicher bald kommen.“ Bald war das Thema im Gemeindekirchenrat. Sie wollten wissen, wann denn mein Freund mit mir in der Dienstwohnung übernachtet. Uns war bewusst, dass Monirs Visum bald auslaufen würde und wir wieder voneinander getrennt wären. Deshalb habe ich mich an die Pfarrervertretung in Württemberg gewandt und um Rat gefragt. Erstmals spielten wir nämlich ernsthaft mit dem Gedanken zu heiraten.

„Ich will dir nicht im Weg stehen“

Der Islambeauftragte Pfarrer Rothe hat uns bestärkt in unserer Beziehung und darin, Fakten zu schaffen. Weil die Kirchenleitung auf unsere Anfragen nur ausweichend reagierte, verlobten wir uns. Damit hatten wir einen Grund, mit dem Oberkirchenrat einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Zuerst wurde der Termin ständig verschoben, dann kam es nur zu einem Gespräch, bei dem Monir gar nicht dabei sein konnte. Wir hatten eigentlich gedacht, dass man sich mit Monir unterhalten und ihn fragen würde, inwiefern er damit leben kann, dass ich Pfarrerin werde und wie er mich darin unterstützen kann. Jetzt sagte man mir, dass mit der Ausnahme in dem Paragraphen nur Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) gemeint seien. Wenn wir heirateten, würde ich fristlos entlassen. Als ich Monir nach dem Gespräch anrief und ihm davon erzählte, sagte er: „Wenn das so ist, dann gehe ich zurück nach Bangladesch und stehe dir nicht weiter im Weg.“ Darauf habe ich erwidert: „Wenn du so was sagst, dann heirate ich dich auf jeden Fall.“

‚Las Vegas' gibt es auch in Dänemark

Inzwischen standen wir unter Zeitdruck, ein Visum für Monir zu bekommen. In Deutschland sollte es sehr kompliziert sein, aber dann kam ein Tipp: Tonder in Dänemark, ein Las Vegas für Paare wie uns. Wir schickten schnell unsere Papiere dorthin und bekamen noch in derselben Woche einen Heiratstermin. Wir schliefen in der Jugendherberge. Wir beteten zusammen. Es war Ramadan und Monir fastete. Das war seine Art zu beten, auch für unsere Ehe. Ich hatte das Brautkleid meiner Mutter an. Meine Eltern waren überraschend angereist und sorgten dafür, dass es eine richtige Hochzeit wurde. Schon da war uns aber auch klar, dass wir auch noch kirchlich heiraten wollten.

Ein Muslim als Pfarrmann?

Zurück in Deutschland habe ich gleich unsere Heiratsurkunde an den Oberkirchenrat geschickt und auf Antwort gewartet. Auch meiner Vikariatsgemeinde habe ich erzählt, dass wir geheiratet haben. Von da an ließ mein Ausbildungspfarrer mich nichts mehr machen. Per Telefon haben wir dann vom Oberkirchenrat erfahren, dass ich fristlos entlassen sei. Die Pfarrervertretung erklärte, dass eine Entlassung schriftlich erfolgen muss. Der Brief ließ auf sich warten, das war eine sehr unangenehme Situation. Währenddessen bekam ich einen Brief von meinem Dekan, in dem er behauptete, dass ich entlassen sei. Doch ein Dekan kann nicht einfach eine Vikarin entlassen: Das Schreiben war wertlos. Als ich dann endlich mein Entlassungsschreiben hatte, war mir klar, dass ich dagegen klagen würde. Vielleicht würden sich die Gerichtsverhandlungen länger hinziehen als das Vikariat dauert und ich könnte so meine Ausbildung ­beenden. In meiner Klage ging es juristisch darum, ob ich als Vikarin schon nach Pfarrdienstrecht behandelt werden kann. Mir ging es natürlich inhaltlich eher darum, dass ein Muslim ein Pfarrmann sein kann, aber das konnte nicht Inhalt einer Klage sein.

Geschiedene und  Homosexuelle kennen das Leid

Zeitgleich bekam ich Unterstützung von anderen VikarInnen und PfarrerInnen meiner Landeskirche und als ich um ein Interview mit der Stuttgarter Zeitung gebeten wurde, war ich bereit, an die Öffentlichkeit zu ­gehen. Ich wusste, dass ich nichts zu verlieren hatte. Ich entschied mich zu kämpfen, auch mit den anderen, die so gerne für mich kämpfen wollten. Durch die Öffentlichkeit habe ich wahnsinnig viel Aufmerksamkeit, vor allem Bestärkung, erfahren. Es haben mir Geschiedene, viele Homosexuelle und Menschen aus konfessions- und religionsverbindenden Ehen geschrieben und ich habe gemerkt, wie oft Menschen in Konflikt mit den Ehevorstellungen der Kirche kommen und wie viel Leid das schon verursacht hat. Zwei Mal habe ich sogar Post von Menschen bekommen, deren Angehörige sich aus diesen Gründen das Leben genommen haben. Das hat mich alles sehr berührt.

Imageschaden für die Kirche?

Die Wende kam, als der Mann einer Freundin aus Berlin in der Gruppe der Grünen Fraktion, die sich mit kirch­lichem Arbeitsrecht beschäftigt, von mir erzählte. Da saß nämlich auch die damalige EKD-Präses Katrin Göring-Eckhardt. Sie rief mich an und sagte, der Imageschaden für die Kirche sei ja enorm und fragte, was ich denn wolle. Ich antwortete, dass ich zufrieden wäre, wenn ich irgendwo mein Vikariat zu Ende machen könnte. Natürlich wollte sie auch wissen, ob ich bereit wäre, mich völlig aus den Medien herauszuhalten und die Klage zurückzuziehen, was ich bejahte. Sie brachte meinen Fall vor den Rat der EKD. Es stellte sich heraus, dass die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ihre Vi­kare nur privatdienstrechtlich anstellt und sie deshalb nicht dem Pfarrerdienstrecht unterstehen. Sie war bereit mich aufzunehmen. Das war für mich eine gute Lösung. Dass ich meine Klage zurückziehen musste, bedeutet leider, dass ich nicht mehr bis zum Europäischen Gerichtshof gehen kann und es somit auch kein Grundsatz­urteil in dieser Sache geben wird. Allerdings habe ich im Februar 2012 in Württemberg von der Offenen Kirche den Preis für Zivilcourage, den Amospreis, bekommen. Das hat uns extrem gut ­getan.

Kirchlicher Gehorsam und Gottes Wille sind nicht dasselbe

Ich glaube, dass die Württembergische Landeskirche sich erschrocken hat, als das Wort „muslimisch“ fiel. Diese Praxis, interreligiös zu heiraten, kennen sie dort einfach noch nicht, während es das in Berlin schon vor Jahren im Pfarrhaus gab. Interreligiöse Ehen sind heute Realität, aber die Kirche hinkt hinterher. Immer wieder höre ich: „In 20 Jahren wird das alles kein Problem mehr sein.“ Ich denke dann: Wenn wir das jetzt schon wissen, warum machen wir uns das Leben so schwer? Ich finde nicht, dass der Paragraph viel mit Theologie zu tun hat. Besonders schwierig war für mich, dass viele Menschen dachten, dass ich nicht nur gegen kirchliches Gesetz verstoße, sondern gegen Gottes Willen. Aber kirchlicher Gehorsam und Gottes Wille sind nicht dasselbe. Gott gesteht uns viel mehr Freiheit zu als wir das tun. Es ist einfach gemein, uns selber so zu beschränken und ihm dafür die Verantwortung zu geben.

Wir glauben an denselben Gott

Mein Vater hat uns mittlerweile auch kirchlich getraut, wobei Monir nicht vor dem Kreuz mit der Jesusfigur knien wollte. Ich konnte das gut verstehen. Unsere Eheversprechen haben wir aber beide „mit Gottes Hilfe“ geschlossen und gesegnet wurden wir im Namen des Gottes Abrahams, Ismaels und Isaaks. Wir planen, uns auch noch in der Moschee die Treue zu versprechen. Es ist unsere gemeinsame Überzeugung: Wir glauben an denselben Gott und es gibt nur einen Gott. Nur sind wir in unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen. Dazu gehört auch, dass wir unterschiedlich zu beten gelernt haben, in unterschiedlichen Sprachen mit unterschiedlichen Worten und Ritualen. Aber das macht es ja so interessant! Das ist sozusagen unser Hobby, herauszufinden, wie der andere was macht! Ich glaube, das hört überhaupt niemals auf bei uns! Man kann und muss einen Menschen ewig kennen lernen, das ist ja bei allen so. Auch, dass man unterschiedliche Kulturen in die Partnerschaft mitbringt, ist bei allen so. Bei uns lässt es sich eben leichter benennen. Kürzlich habe ich selber ein interreligiöses Paar getraut und Monir hat auf ihren Wunsch hin den Koran auf Arabisch gelesen. In dem Zusammenhang hat mir Monir sein Tagebuch gezeigt. Darin hatte er viele Koranverse gesammelt, in denen es um interreligiöse Heirat geht. Er hat damals wirklich intensiv Theologie betrieben!

* Der Artikel erschien zuerst in INTA 3 „Frei(en)“

Katrin Berger, Jahrgang 1983, ist evangelische Theologin und absolvierte als Vikarin eine Jahreshospitanz beim WDR, Redaktion: Religion–Theologie–Kirche.

Carmen Khan, Jahrgang 1983, arbeitet als Pfarrerin im Kirchenkreis Berlin-Tempelhof.

Zum Weiterlesen
Die „Offene Kirche“ ist eine kritische Initiative innerhalb der evangelischen Kirche Württembergs. Seit 2001 verleiht sie alle zwei Jahre den Amos-Preis. Im Jahr 2013 ging diese Auszeichnung an die Vikarin Carmen Häcker. Ihre Rede, die Laudatio von Prof. Dr. Stefan Schreiner sowie Reden der Jury-Vorsitzenden Ulrike Stepper und dem Schirmherrn Dr. Erhard Eppler sind hier dokumentiert:
www.offene-kirche.de/?id=112

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