Alle Ausgaben / 2003 Andacht von Brigitte Trompeter

Worte, die der Vergänglichkeit trotzen

Andacht zur Jahreslosung

Von Brigitte Trompeter

(Auszug)

„Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.“ (Markus 13,31) Um Wort und Worte kreist unsere Losung: Worte, die bleiben und aller Vergänglichkeit trotzen, Worte, die Sicherheit und Halt bieten in Zeiten des Vergehens – das ist die Verheißung.

 

Worte, nichts als Worte?


Goethe hat einmal gesagt: „Ich kann das Wort so hoch wahrhaft nicht schätzen!“ Doch Goethe irrte. Gewiss gibt es Worte, die sind nichts als Geschwätz, ohne Ernsthaftigkeit, ohne Wahrheit, so schnell vergessen, wie sie gesprochen wurden. Gewiss gibt es Worte, die an uns vorbeirauschen, unbedeutende, uns nicht berührende, und innerlich bleiben wir leer. Doch da sind auch die vielen anderen Worte, die uns zu Herzen gehen, die uns treffen und bewegen. Sie verändern uns und unsere Beziehung zu dem Menschen, der sie gesprochen hat. Ein unbedachtes, falsches Wort, und meine Freundin ist im Innersten getroffen, so sehr, dass der Riss nie wieder ganz heilen wird. Eine verächtliche Beleidigung, ohne dass ich als Zuhörerin den Mut zum widersprechenden Wort finde, und die Betroffene bleibt verletzt und enttäuscht zurück. Hatte nicht Jesus beschämende Schimpfworte gar dem Töten gleichgestellt? Eine Liebeserklärung aber, die das Gesicht des Freundes, der Freundin zum Leuchten bringt, ein tröstendes Wort, das neue Kraft gibt, eine Entschuldigung, der wir die Ehrlichkeit abspüren – sie können Wege zu neuer Gemeinschaft eröffnen, Versöhnung und Frieden stiften.

Die Bibel weiß, wie hoch das Wort zu schätzen ist. „Im Anfang war das Wort“, so beginnt Johannes sein Evangelium. „Wort“ nennt er Jesus, der von Gott kommt, um Gottes eigene Worte unter uns lebendig werden zu lassen. „Sag nur ein Wort, Herr, so wird mein Knecht gesund“, spricht der Hauptmann Cornelius, und das Wort geschieht. Gott selber braucht nur das Wort, um die Welt ins Leben zu rufen. Und Gott richtet sein Wort an uns, würdigt uns, Hörende und Verstehende zu werden, so wie Gott kein anderes Lebewesen gewürdigt hat. Ist es ein Wunder, wenn alle Reformatoren das Wort ins Zentrum ihrer Erneuerung gestellt haben? Das Wort Gottes, so wie es in der Bibel zur Schrift geworden ist, ebenso wie das Wort der Predigt, die Verkündigung. „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber aus dem Hören des Wortes Gottes“, sagt Paulus. Und Luther zentriert den Inhalt seiner Lehre in den drei großen „Allein“: Allein die Schrift, das geschriebene Wort Gottes. Allein die Gnade durch Jesus Christus, der entscheidende Inhalt des Wortes Gottes. Allein der Glaube, die menschliche Antwort, die aus dem Hören des Wortes erwächst.

 

Es muss im Leben mehr als Worte geben!


Ich höre geradezu, wie der Widerspruch wächst. Hat nicht die reformatorische Konzentration auf das Wort uns in eine „Verkopfung“ und Vergeistigung der Kirchen geführt, aus der wir nur langsam wieder herausfinden? Und erst die reformierte Zuspitzung, ausschließlich das „Wort“ im Gottesdienst zuzulassen – als gelesenes Bibelwort, als gesungene Psalmworte und als gepredigtes Wort der Verkündigung! Hat nicht diese Verengung gerade in der Tradition reformierter Kirchen zu einer Leibfeindlichkeit geführt, die heute noch an vielen Orten zu spüren ist?

Frauen waren es, die in den vergangenen Jahren entdeckt haben, dass Gott uns als Menschen mit Leib, Seele und Geist geschaffen hat. Und langsam und mit oft großem Erstaunen haben wir erkannt, dass unsere Empfindungen, unser Sehen, Schmecken und Fühlen Bedeutung haben auch für unseren Glauben. Und vorsichtig, manchmal zögernd, sogar ängstlich haben wir gewagt, unseren Gefühlen Raum im Gottesdienst zu geben. Wir haben mit neuen Klängen Angst und Klage vor Gott gebracht, haben mit Farben unserer Freude und Hoffnung Lebendigkeit verliehen, haben in Bildern neue Entdeckungen gemacht und sogar mit Öl und Salben Düfte und Berührungen gewagt, die bisher allenfalls in katholischen Räumen möglich waren. Die ökumenische Gemeinschaft der Weltgebetstagsgottesdienste hat auch uns reformatorisch geprägte Frauen ermutigt, Neues zu wagen. Und gerade im Jahr der Bibel ist nicht nur unter uns Frauen das große Spektrum der kreativen Möglichkeiten deutlich geworden, sich biblischen Worten zu nähern und sie verständlich zu machen. Sollten das alles nutzlose Spielereien gewesen sein, die uns nur ablenken vom reinen Wort, es uns verbergen oder gar seinen Sinn verfälschen?

 

Jesus Christus, das eine Wort Gottes


Als reformierter Christin klingt mir die erste Barmer These im Ohr: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ Nicht Zwang spricht aus diesen Worten, auch wenn die Formulierung grammatisch so klingen mag, sondern Verheißung. Verheißung von Freiheit durch das Vertrauen auf das Wort Jesu und seine bleibende Gültigkeit. Und diese Freiheit hat in den Jahren des Hitlerregimes vielen Christinnen und Christen Widerspruch und Widerstand gegen das Unrecht ermöglicht. Denn der Inhalt der Worte Jesu, die nicht vergehen werden, ist Gottes eigenes Wort, das uns Liebe, Vergebung, Gnade und Gemeinschaft zwischen uns und Gott zusagt, trotz allem, was auf unserer Seite dagegen zu sprechen scheint. Eine Verheißung, die uns trösten und stärken will in allen Gegenerfahrungen, die wir machen.

Wie kann solche Verheißung für uns und andere erfahrbar werden, wenn sie sich nur in bloßen Worten zu Gehör bringt? Verlangt sie nicht geradezu danach, spürbar zu werden, umgesetzt zu werden in Bilder und Gerüche, in Berührungen und Umarmungen, gefeiert zu werden mit Liedern und Tänzen? Damit das Wort greifbar und erlebbar wird, damit es wirklich und wirksam wird in unserem Leben und dadurch zu einer Verheißung, die uns als Menschen erfasst, nicht nur unser Denken und unseren Verstand, sondern die uns ganz erfüllt mit all unseren Sinnen.

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