Alle Ausgaben / 2007 Artikel von Margot Papenheim

Zweineunundachtzig das Pfund

Von Jahreslosung und Kaffeepreisen

Von Margot Papenheim


Kurz vor Zwölf klingelt das Telefon. In Hildes Stimme vibriert Jagdfieber: „Mensch, Anna! Hast Du schon Zeitung gelesen? Beim Aldi gibt's diese Woche Kaffee im Sonderangebot. Nur 2,89 das Pfund! Sollen wir nicht heute Nachmittag hinfahren und dann auch gleich fürs Sommerfest der Frauenhilfe einkaufen?“

Sonderangebote machen glücklich. Wenn's um Kaffee geht: vor allem Frauen. Denn Frauen, so scheint es, haben zu Preisschnäppchen beim Kaffee ein geradezu erotisches Verhältnis. Und zwar nicht nur die Älteren unter uns, denen aus Kriegs- und Nachkriegszeiten die Erfahrung in den Knochen sitzt, dass „guter Kaffee“, wenn überhaupt zu bekommen, unbezahlbar ist. Ich erinnere mich noch gut an die Tage, wenn das Paket von Tchibo kam. Es war Anfang der 60er, irgendwo im Westen Deutschlands, und ich um die sechs Jahre alt. Geradezu andächtig packten meine Mama und meine beiden Tanten aus: drei Kilo- und drei Pfundpäckchen, anderthalb Kilo für jede Familie. Und natürlich, mindestens so kostbar, für jede die zwei großen und zwei kleinen Taschentücher, in die die Kaffeeportionen eingenäht waren. Die waren wirklich gut! Ein paar davon habe ich heute noch – und ebenfalls den unzählige Male gehörten Satz im Ohr: „Kind, du weißt ja nicht, wie das ist, wenn man keinen Kaffee kriegen kann!“
Anderthalb Kilo. Das musste für das nächste halbe Jahr reichen. Denn Kaffee war teuer. Richtig teuer. Gut, dass sich die Zeiten geändert haben! Die meisten von uns müssen sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob sie nach dem Mittagessen noch einmal „richtigen“ Kaffee kochen oder doch lieber „Muckefuck“ – geschweige denn, dass es ein Problem wäre, einen ausreichenden Vorrat für die Geburtstagsfeier demnächst im Haus zu haben.


Leben für alle

Viele von Ihnen werden ähnliche Erinnerungen haben. Aber was haben Tchibopakete der 60er Jahre und Hildes aktueller Schnäppchenreflex mit der Jahreslosung zu tun? Eigentlich alles! Lassen Sie sich, bevor wir zum Kaffee zurückkommen, zu einem kleinen gedanklichen Ausflug mitnehmen.

„Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Die Jahreslosung 2008 aus dem Johannesevangelium (14,19) ist eine Zusage Jesu an seine Jüngerinnen und Jünger, die jede und jeder für sich ganz persönlich hören darf. Zugleich ist dieses Wort eine Verheißung für alle Menschen dieser Erde. Wer der Botschaft Jesu glaubt, dass Gott „Vater“ ist und darum von einem „Leben in Fülle“ für alle seine Geschöpfe träumt, hat bereits zugestimmt, das Seine, das Ihre zu tun, damit aus diesem Traum handfeste Wirklichkeit wird. Hat, so könnten wir auch sagen, einen Vertrag mit Gott unterschrieben, der sie oder ihn verpflichtet, nach Kräften mitzuarbeiten am Aufbau einer Welt, in der paradiesische Zustände herrschen.

„Paradiesische Zustände“, das übersetzen die christlichen Kirchen heute mit den drei Schlüsselbegriffen des Konziliaren Prozesses: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Aber die Einsicht, dass diese Erde nur dann ein Lebensraum für alle Geschöpfe Gottes bleiben kann, wenn Gerechtigkeit und Frieden herrschen und die Schöpfung behutsam gepflegt wird, ist beileibe – Gott sei Dank dafür! – kein kirchliches Alleinstellungsmerkmal. Wie die christlichen Kirchen haben auch andere Religionen und vor allem die in den Vereinten Nationen zusammengeschlossenen Staaten der Welt nach und nach begriffen, wie überlebensnotwendig es ist, gemeinsam für dieses Ziel zu arbeiten. Die Serie der UN-Weltkonferenzen um die Jahrtausendwende(1) ist ein eindrücklicher Beleg für das gewachsene Gefühl gemeinsamer Verantwortung.


Nachhaltigkeit

Unter die seit 1972 von der Gesellschaft für deutsche Sprache ausgemachten „Wörter des Jahres“ hat der Begriff „Nachhaltigkeit“ es noch nicht geschafft. Eigentlich verwunderlich – wurde doch kaum ein deutsches Wort in den letzten Jahren häufiger gebraucht (und missbraucht). „Nachhaltig“ soll die Telekom entwickelt werden; will sagen: die Ausgaben müssen sinken, die Gewinne steigen, Entlassungen von MitarbeiterInnen sind daher unvermeidlich. „Nachhaltig“ müssen die Löhne in der nächsten Tarifrunde angehoben werden; meint: im Portemonnaie spürbar muss es sein. Zum „nachhaltigen“ Sparen drängt die Kanzlerin ihre MinisterInnen; lies: auch im nächsten Jahr gibt's keine höheren Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt. Nachhaltigkeit, das ist inzwischen ein Amöbenwort – Sammelbegriff für alles, was als gut und richtig gilt. Für wen oder was und mit welchem Ziel auch immer.

Über der Allgegenwart des Wortes ist uns entfallen, dass noch vor 20 Jahren kein Mensch sich etwas unter „Nachhaltigkeit“ vorstellen konnte. Abgesehen vielleicht von einigen SprachforscherInnen – und von Interessierten an der Geschichte der Forstwirtschaft. Denn dort war der Begriff im 18. Jahrhundert geläufig, um das ausreichende Wiederaufforsten des Waldes nach dem Schlagen von Bäumen zu bezeichnen. Bedauerlich ist allerdings, dass der inflationäre Gebrauch des Begriffs dessen eigentliche Bedeutung verstellt. Denn „Nachhaltigkeit“ wurde ins gesprochene Deutsch zurückgeholt, um den englischen Begriff „sustainable“ zu übersetzen, der im Zusammenhang „sustainable development“ („nachhaltige Entwicklung“) verwendet wird – offiziell erstmals 1987 in einem Dokument der Vereinten Nationen, dem „Brundtland Bericht“ der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung.

„Sustainable development“, „nachhaltige Entwicklung“ oder kurz „Nachhaltigkeit“ meint eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt, ohne die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu gefährden. An den Dokumenten der UNO lässt sich ablesen, wie mit der Zeit das Bewusstsein gewachsen ist, dass dies nicht „nur“ umweltbewusstes, ökologisch sinnvolles Handeln einschließt, sondern auch eine soziale Dimension hat. Das bedeutet: Ohne Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen „denen da oben“ und „denen ganz unten“ innerhalb einer Gesellschaft, zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West und bei alldem, nicht zuletzt, zwischen Männern und Frauen kann von Nachhaltigkeit keine Rede sein. Dass ökologisch sinnvolles Handeln und sozial gerechte Strukturen als „Dritten im Bunde“ den Frieden brauchen, wenn das Ziel des Lebens für alle erreicht werden soll, liegt auf der Hand.


Sci vias

Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung: Keine dieser drei Säulen kann fehlen, wenn das Ziel erreicht werden soll. Ein kleines Holzbrett braucht eben mindestens drei Beine, um als Hocker zu gelten und einigermaßen sicheren Sitz zu bieten …

Was aber hindert „die Menschheit“ oder auch jede(n) einzelne(n) von uns daran, das als richtig Erkannte zu tun? Neben der beängstigenden Größe der Aufgabe ist da, um es umgangssprachlich zu sagen, zunächst der „innere Schweinehund“. Oder um, etwas eleganter, Theodor Fontane zu zitieren: „Wer ein Ziel will, darf den Weg nicht scheuen.“ Vorausgesetzt, diese Hürde wäre genommen, bleibt die nächste Frage: Aber wie? „Sci vias“, „Wisse die Wege“ hat Hildegard von Bingen ihr Erstlingswerk Mitte des 12. Jahrhunderts genannt, in dem sie – unter anderem – die Menschen angesichts der Missstände ihrer Zeit zu gottgewolltem sittlichen Verhalten auffordert. Und, um ein letztes Mal alte Weisheit zu zitieren: „Wer sein Ziel kennt, findet den Weg“, wusste schon Laotse, der legendäre chinesische Philosoph, der im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gelebt haben soll.

Damit schließt sich der Kreis, und wären wir wieder beim Kaffee – und Hildes Schnäppchenreflex. Der, wenn wir ehrlich sind, in jeder von uns zu reizen ist. 2,89 das Pfund! Welche könnte da widerstehen? Und überhaupt: Diesen fair gehandelten Kaffee(2) mögen unsere Frauen einfach nicht – er ist viel zu scharf gebrannt. Außerdem: Da steht zwar drauf, dass er biologisch angebaut ist und dass die ProduzentInnen dafür einen Preis bekommen, von dem sie mit ihren Familien leben können, und es ist schon klar, dass das für 2,89 einschließlich Transportkosten und Gewinnen für die Kaffeekonzerne und Einkommen für den Handel nicht zu haben ist. Aber ob das stimmt? Papier ist geduldig! Und, wissen Sie, letztlich können wir damit doch auch die Welt nicht verändern. Und – ach ja! – bei uns gibt es doch auch viele, die sich das schlicht nicht leisten können. Und, und, und. Die Argumente können wir alle mitsingen – manche mögen stimmen, andere (z.B., dass es keinen milden fair gehandelten Kaffee gäbe) sind schlicht Unsinn. Vielleicht wäre es also doch noch einen Versuch wert, in der Frauengruppe darüber zu reden?

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel
Die Frauen sollen mit der Aktion „Gerecht genießen – Tausend Gemeinden trinken fair“ von „Brot für die Welt“ bekannt gemacht werden. Und sie sollen dafür gewonnen werden, in ihrer Gemeinde verbindliche „Kaffee-Beschlüsse“ vorzubereiten.

Material
– gedeckter Kaffeetisch – in der Mitte evtl. ein Häufchen gerösteter
   Kaffeebohnen auf einem Stück Sackleinen
– Informationsmaterial zur Aktion: Aktionsflyer und Informationsbroschüre
   kostenlos erhältlich bei: Brot für die Welt, Staufflenbergstr. 76,
   70184 Stuttgart; Tel.: 0711/21590; Email: m.walker@brot-fuer-die-welt.de;
   Internet: www.brot-fuer-die-welt.de; eine geraffte Zusammenstellung von
   häufigen Fragen zum fair gehandelten Kaffee und den entsprechenden
   Antworten finden AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum
   Herunterladen
– evtl.: „Faire Kanne“ besorgen (siehe unten)
– Zettel oder Kärtchen und Stifte für alle; Plakat o.ä. zum Aufhängen der Zettel

Hinweis für die Leiterin: Der folgende Vorschlag geht sehr direkt auf die Verwendung von fair gehandeltem Kaffee zu. Wenn die Gruppe sich ausführlicher mit dem Thema beschäftigen will, könnte zuvor ein eigenes Treffen zur Hinführung stattfinden – z.B. indem der Text oben gemeinsam gelesen und diskutiert wird. Insbesondere eine Einführung in den Begriff der Nachhaltigkeit wäre für interessierte Frauen empfehlenswert.


Ablauf

Lied: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn (EG 675)


Einführung:
Mit dem Lied, das wir gerade gesungen haben, hat unser heutiges Treffen seine Überschrift: Gerechtigkeit. Genauer: Was können wir tun, damit es in dieser Welt gerechter zugeht? Eine von vielen guten Möglichkeiten wäre es, uns (evtl.: noch einmal) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob wir in unserem Frauenkreis / in unserer Gemeinde künftig fair gehandelten Kaffee trinken.

Viele – auch unter uns – tun sich nach wie vor schwer, sich mit fair gehandeltem Kaffee anzufreunden. Daher wäre es hilfreich, zu Beginn einmal all die Argumente gegen diesen Kaffee zu sammeln, unsere eigenen und auch die, die wir von anderen hören.

Murmelgruppen (5 Min.) / gefundene Argumente auf Zettelchen schreiben lassen / vorlesen und zu den Kaffeebohnen in der Mitte legen


Aktion vorstellen:

Im Rahmen seines 50-jährigen Jubiläums hat „Brot für die Welt“ die Aktion „Gerecht genießen – Tausend Gemeinden trinken fair“ gestartet: Bis 2009 sollen sich bundesweit 1000 Gemeinden, Tagungshäuser, Frauengruppen … dazu verpflichten, bei ihren eigenen Veranstaltungen nur noch fairen Kaffee auszuschenken. Kriterium ist, dass der verwendete Kaffee das TransFair-Siegel hat.


Hintergrund ist:
Trotz des Synodenbeschlusses der EKD 2002, mit dem ein klares Votum für den Fairen Handel abgegeben wurde, schenken immer noch über 90% der Gemeinden und Einrichtungen bei ihren eigenen Veranstaltungen keinen fairen Kaffee aus. Das soll sich ändern – um der eigenen Glaubwürdigkeit willen. Aber auch, weil es in der Krise des Welt-Kaffeemarktes für die Kaffee-Kleinbauern auf jede Tonne ankommt.


Argumente sammeln:
In Kleingruppen (ca. 20-30 Min.) tragen die Frauen Argumente für die Verwendung von fair gehandeltem Kaffee zusammen und notieren diese stichwortartig auf Kärtchen. Im anschließenden Plenum werden diese vorgetragen und für alle sichtbar aufgehängt (z.B. auf ein leeres Plakat mit der Überschrift „Argumente für Kaffee aus fairem Handel“). Bei Bedarf ergänzt die Leiterin aus den Informationen des Flyers und der Broschüre; diese Materialien werden anschließend zum Mitnehmen an die Frauen verteilt.
Alternativ erhalten die Gruppen Flyer und Broschüren als Arbeitsgrundlage und können sich die Argumente daraus zusammensuchen; in dem Falle wäre etwas mehr Zeit zum Lesen einzuplanen.


Aktion planen:

Nun werden die Frauen gebeten zu diskutieren, ob sie
(a) sich als Gruppe verpflichten können und wollen, künftig bei ihren eigenen Treffen nur noch fair gehandelten Kaffee zu trinken, und/oder ob sie
(b) die Gemeinde insgesamt für diese Aktion gewinnen können / wollen.


Im Fall (a):
Tun Sie's einfach – und kommen vielleicht später noch einmal darauf zurück…


Im Fall (b)
wäre jetzt (bzw. in einem nächsten Treffen) zu erarbeiten, wie die Gruppe am besten vorgeht. Handlungsmöglichkeiten wären z.B.:
– Vorbereitung und Gestaltung eines Gottesdienstes der Gemeinde zum Thema
– Vereinbarung von ähnlichen thematischen Treffen mit anderen Gruppen der
   Gemeinde und/oder auch mit Frauengruppen anderer Kirchen evtl.: 
   Durchführung solcher Treffen durch die Frauengruppe anbieten)
– Information und Werbung für die Aktion im Gemeindebrief, im
   Schaukasten etc.
– Beantragung eines entspr. Tagesordnungspunktes bei einer Sitzung des
   Kirchengemeinderates, Presbyteriums
– Ansprache von Einrichtungen der Gemeinde (Kindergarten, Altentagesstätte …)


„Schnäppchen“ sichern:
Wenn die Gruppe oder die Gemeinde sich zum Mitmachen bei der Aktion „fairpflichtet“, schickt sie ein Protokoll des Beschlusses an „Brot für die Welt“ – und erhält dafür ein Schild für die Fassade eines der Gebäude in der Gemeinde.


„Sonderangebot“:
Wenn die Gruppe sich entscheidet, künftig nur noch Kaffee aus fairem Handel zu trinken und/oder in der Gemeinde dafür zu werben, könnte dies auch sichtbar gemacht werden durch die Verwendung einer „fairen Kanne“ als „Botschafterin des fairen Kaffee-Genusses“.
Die getöpferten Kannen mit dem Schriftzug von „Brot für die Welt“ und TransFair können in den Farben braun und dunkelblau bestellt werden bei:
Helga und Thomas Gleiss, Eslingswatt, 24966 Sörup; Tel.: 04635/2196; Email: toepferei@T-gleiss.de; Internet: www.T-gleiss.de.
Eine Kanne kostet 72 € zzgl. Versand; Lieferzeit sind vier bis sechs Wochen.

Idee, Kontakt und Beratung: Karin und Harald Rohr, Walther-Rathenau-Str. 19, 39167 Niederndodeleben, Tel.: 039204/82764; Fax: 039204/82766; Email: h.rohr@gmx.de

 

Margot Papenheim, 51 Jahre, arbeitet als Ökumenereferentin und Redakteurin der ahzw bei der Ev. Frauenhilfe in Deutschland.


Literatur

1 Unter anderem sind dies: 4 Weltfrauenkonferenzen (1975 Mexiko, 1980 Kopenhagen, 1985 Nairobi, 1995 Peking); 3 Weltbevölkerungskonferenzen (1974 Bukarest, 1984 Mexiko, 1994 Kairo); UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (1992 Rio de Janeiro); UN-Klimakonferenz (1995 Berlin). Aktuell läuft die Arbeit auf globaler Ebene z.B. in der Millennium Kampagne der UN zusammen; siehe:
www.millenniumcampaign.de
2 Informationen zu fair gehandeltem Kaffee (und weiteren Produkten) siehe: wwww.transfair.org

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang