Ausgabe 2 / 2018 Frauen in Bewegung von Andrea Blome

Wir bringen die Menschen auf Augenhöhe

Eine Mediatorin in Strafsachen im Porträt

Von Andrea Blome


Am Ende saßen die beiden Mädchen auf der Treppe, rauchten und sprachen miteinander. Sie hatten sich geprügelt, einander beschimpft, beleidigt, bestohlen. „Sie waren sicher: Mit der rede ich nie wieder“, sagt Katja Grünewald. „Als sie sich bei uns begegneten, schauten sie einander lange nicht an, jede in einer anderen Ecke des Raumes, möglichst weit voneinander entfernt. Wenn es gelingt, Konflikte so weit zu klären, dass doch wieder ein Gespräch möglich wird, dann sind das sehr berührende Momente.“

Katja Grünewald ist Mediatorin in Strafsachen. Zu ihr und damit in die Räume der Fachstelle für Täter-Opfer-Ausgleich in Münster kommen Jugendliche oder Erwachsene, die straffällig geworden oder von einer Straftat betroffen sind. In der Fachstelle wird das Wort „Opfer“ allerdings ebenso wenig benutzt wie das Wort „Täter“; es steht nur auf dem Briefkopf und dem Türschild. „Täter und Opfer sind Zuschreibungen, die wir vermeiden“, erklärt Katja Grünewald.

Die Initiative zu einem solchen Ausgleich geht dabei zunächst von der Polizei, der Justiz oder der Jugendgerichtshilfe aus. Bevor es zu einem gerichtlichen Verfahren kommt, können diese Stellen eine Mediation empfehlen, wenn sie den Eindruck haben, dass es zwischenmenschliche Probleme gibt, die außergerichtlich geklärt werden könnten. Im Strafgesetzbuch ist der Täter-Opfer-Ausgleich entsprechend verankert. „Entscheidend ist die Freiwilligkeit“, sagt Katja Grünewald. „Man kann Konflikte nur klären, wenn beide das wollen.“ Um das zu ermitteln, werden mit beiden Seiten jeweils getrennte Vorgespräche geführt. Danach entscheiden die  Beteiligten, ob eine Begegnung überhaupt möglich ist. Die beiden Mädchen hatten sich darauf eingelassen, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnten, der anderen je wieder in die Augen zu schauen. „Es waren so viele Emotionen im Raum“, erinnert sich Katja Grünewald und erzählt von den langsamen Schritten, die Menschen im Gespräch aufeinander zugehen, wenn Konflikte eskaliert sind, Gewalt, Verletzungen, Misstrauen und Angst im Raum sind.

Oft geht es um Delikte wie Körperverletzung, Raub oder Sachbeschädigung. Eine Mediation wird aber auch empfohlen, um etwa Nachbarschaftskonflikte zu klären, bevor sie vor Gericht landen. „Jugendlichen gelingt es tatsächlich eher, sich im Gespräch wieder anzunähern, sich zu entschuldigen, die Entschuldigung wiederum anzunehmen, zu einem Ausgleich bereit zu sein und einen Schlussstrich zu ziehen“, sagt Katja Grünewald. „Sie erkennen häufig auch, dass irgendwas in ihrem Leben schief gelaufen ist, dass sie vielleicht die falschen Leute, falsche Entscheidungen getroffen haben. Erwachsene ringen oft viel länger um eine Einigung, sie verharren länger in ihrer Position, und nicht selten haben sich die Konflikte schon über einen langen Zeitraum aufgebaut.“

Das Besondere ihrer Arbeit scheint tatsächlich die Arbeit mit den Emotionen zu sein.

„Manchmal ist der Tisch schweißnass von den Händen, die sich hier festhalten“, sagt Katja Grünewald. „Es ist eine hohe Anforderung an beide Seiten, sich dieser Situation zu stellen.“ Die geschädigte Person muss bereit sein, dem „Täter“ – in der Sprache der Fachstelle dem „Beschuldigten“ – zu begegnen. Und das ist nicht selbstverständlich, es erfordert viel Mut, der Person im Gespräch zu begegnen, die gewalttätig war, Grenzen überschritten hat, Verletzungen verursacht hat. Die beschuldigte Person ihrerseits muss die Bereitschaft mitbringen, die eigene Tat zu reflektieren, Schuld einzugestehen und irgendeine Form der Wiedergutmachung und Entschuldigung wollen. Bei der Mediation in Strafsachen kommt zu den „normalen fünf Schritten der Mediation“ [ Sachverhalt klären, Emotionen klären, Missverständnisse ausräumen, Wiedergutmachung, Vereinbarung ] das Wissen um strafrechtliche Hintergründe. „In unserer Ausbildung lernen wir die juristischen Hintergründe so weit kennen, dass wir wissen, wie Verfahren ablaufen, welche Institutionen welche Zuständigkeiten haben und so weiter.“

„Wir bringen die Menschen auf Augenhöhe“, beschreibt Katja Grünewald das besondere Setting ihrer Arbeit.

Dabei ist die Mediatorin allparteilich, sie macht sich für keine der beiden Seiten zur Anwältin. „Das ist nicht immer leicht“, sagt sie, „natürlich gibt es Fälle, in denen das Verständnis für die eine oder die andere Seite größer ist, aber unsere Rolle ist eben, nicht parteilich zu sein. Es ist wichtig, auch die eigenen Emotionen zu reflektieren.“ Was nicht bedeutet, dass der Opferschutz nicht an erster Stelle steht. „Anders als in einem Gerichtsverfahren können Geschädigte einer Straftat selbstbestimmt und für sich entscheiden, wie der entstandene Schaden wieder gut gemacht werden kann. Sie entscheiden, ob sie dem Täter begegnen wollen oder nicht.“ Bei schweren Delikten sei diese Klärung besonders wichtig. Katja Grünewald kennt die Perspektive der „Opfer“ sehr gut. Mit dem beruflichen Wechsel in die Fachstelle für Täter-Opfer-Ausgleich hat sie vor neun Jahren auch die Perspektive gewechselt. Viele Jahre war sie als Sozialpädagogin in einer Frauenberatungsstelle beschäftigt gewesen. „Die Parteilichkeit für Frauen ist immer noch Teil meiner politischen Haltung“, sagt sie, „aber in meiner jetzigen Arbeit bin ich für beide Seiten da.“ Eine erausforderung sei das gewesen, gerade zu Beginn durchaus gewöhnungsbedürftig.

Katja Grünewald bedauert, dass der Täter-Opfer-Ausgleich als im Gesetz verankerter Weg noch immer nicht in der Breite bekannt sei und auch von offiziellen Stellen zu wenig empfohlen werde. Die Fachstelle muss einen Eigenanteil finanzieren und ist lange nicht in allen Regionen des Landes erreichbar. Damit leiste das Instrument des Täter-Opfer-Ausgleichs längst nicht das, was möglich wäre, glaubt sie. Studien belegen, dass diejenigen, die in einem Ausgleichsgespräch eine Einigung erzielt haben, deutlich seltener rückfällig werden als diejenigen, die eine Geld- oder Gefängnisstrafe verbüßen. Und auch für die Geschädigten sei die Mediation von großer Bedeutung. Manchmal sei deren materielle Ausgleichsforderung überraschend gering, „eine ehrliche Entschuldigung ist manchmal sogar mehr wert.“ Selbst wenn es nach dem Ausgleichsgespräch noch zu einem Verfahren komme, gingen Geschädigte gestärkt in die entsprechenden Verhandlungen.

Ob sie mit ihrer Arbeit Frieden stiftet oder ihm sogar nachjagt?

Katja Grünewald lacht. „Ja, vielleicht. Wir sorgen zunächst im zwischenmenschlichen Kontakt dafür, dass Menschen ihre Fähigkeit zur Konfliktlösung entdecken, dass sie andere Lösungswege finden als die Gewalt. Das sollte zu einem friedlicheren Miteinander beitragen.“

Die Fachstelle für Täter-Opfer-Ausgleich
ist Teil des Netzwerks Gewaltprävention und Konfliktregelung, zu der unter anderem auch Frauenberatungsstellen und Polizei gehören. Die Einrichtungen arbeiten präventiv, beratend und im Rahmen von Weiterbildung im Bereich Mobbing, Sozialkompetenz, Konfliktregelung, Sexualisierte Gewalt, Familienkonflikte, Selbstbehauptung und Deeskalation.
Wasserstr. 9   |  48147 Münster   |  Tel: (0251) 55123
www.gewaltpraevention-muenster.de


Katja Grünewald ist Mediatorin in Strafsachen. Bei der Fachstelle für Täter-Opfer-Ausgleich in Münster begleitet sie Gespräche, in denen ein Ausgleich gesucht wird, wenn Konflikte eskaliert sind.

Andrea Blome hat Sozialwissenschaften, Theologie und Niederländisch studiert und war Leiterin der Arbeits- und Forschungsstelle Feministische Theologie an der Universität Münster. Sie arbeitet mit einem eigenen Redaktionsbüro als Journalistin und Moderatorin. – www.andrea-blome.de

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