Ausgabe 2 / 2018 Artikel von Frauke Lisa Seidensticker

Er sang, er klang und er rauschte

Wege zum inneren Frieden

Von Frauke Lisa Seidensticker

Vergangenes Jahr hatte ich ein einzigartiges Erlebnis. Inmitten einer Zeit, in der ich vor lauter Aufregungen kaum noch aus den Augen gucken konnte. Ich saß im Wohnzimmer im Sessel, als ich mich vollkommen unerwartet in einem inneren Frieden wiederfand, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Er sang, er klang und er rauschte. Er verblüffte mich über alle Maßen. Ich saß da, und es herrschte Frieden. Es war offensichtlich, dass er nicht an eine Bedingung geknüpft war. Er war kein Lohn dafür, dass ich so großartig nach einem anderen Menschen schaue oder so kluge Fragen stelle. Er war auch keine Hilfe, weil ich ein armes Wurm bin. Er war einfach nur. Und ich verstand auch, dass er immer ist.

Es wäre natürlich schön, wenn ich ein Rezept gefunden hätte, wie ich das nun immer haben kann. Einfach nur das und jenes tun, lassen, denken, und da ist er, der Frieden. Es gibt doch bestimmt eine Technik, oder vielleicht lässt sich der liebe Gott doch aufs Handeln ein – und da ist es, das gute Leben?

Stattdessen hangele ich mich, wie wir es alle tun, nach wie vor von Hochs zu Tiefs und von Tiefs zu Hochs und wundere mich weiter über das Leben. Frieden ist nach diesem Erlebnis allerdings zu einem noch höheren Wert für mich geworden. Mir ist klar, wie bedeutend innerer Frieden für ein Leben im Einklang mit der Seele ist. Ich bin Coach, und meine Klientinnen und Klienten plagen sich mit fragwürdigen Mitmenschen, unerwarteten Veränderungen und Herausforderungen herum, auf die sie gar nicht scharf waren. Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass Frieden bei ihren Lösungen eine ganz große Rolle spielt. Aber wie? Ist es Frieden wegen – oder trotz – unserer Erfahrungen? Oder inmitten dieser Erfahrungen? Unabhängig von ihnen? Durch sie? Unbeschadet ihrer? Lassen Sie uns das einmal durchgehen.

Ein Klient, nennen wir ihn Anton, ein sattelfester und sturmerprobter Kommunikationsexperte, ist damit konfrontiert, dass sein neuer, unsicherer Vorgesetzter kreuz und quer agiert, hier jemanden vor den Kopf stößt, dort mit der Presse spricht, obwohl das Gegenteil abgemacht war. Mein Klient versucht zu retten, was zu retten ist, mit dem Ergebnis, dass er letztlich ausscheidet. Kochend sauer über seine Erfahrungen, ist er patent genug, sich sein neues Leben gelungen einzurichten. Er hat seinen Frieden im Grunde unabhängig von seinen Erfahrungen gemacht. Mit viel Sport und einem ungewöhnlichen Job führt Anton heute ein wunderbares Leben. Er hat sich nicht unterkriegen lassen und die Augen offen behalten für neue Möglichkeiten.

Eine andere Klientin, für uns heißt sie Bettina, hatte es ebenfalls mit einer Vorgesetzten zu tun, die ohne Absprachen agierte und munter unterminierte, was sie mühsam aufgebaut hat. Das Thema war uns vertraut: Sie hatte schon früher schwierige Stellen im Süden wahrgenommen, in denen sie sich organisationsintern mit Intrigen und Korruption und im Umfeld mit tribalen Strukturen herumschlug. Schon da hatte sie in unseren Sitzungen entschieden: Ich lerne, mit allen Menschen umzugehen! Schwierige Kolleg*innen, komplizierte Chefs, sperrige Dorfbevölkerung: Ich möchte das können! Ich habe Bettina schon damals für diese Haltung bewundert. Der Prozess, den sie damit durchlaufen hat, wäre es wert verfilmt zu werden. Sie hat’s einfach drauf. Jeder andere Mensch an ihrer Stelle würde sich grün und blau ärgern oder explodieren. Sie sagt sich: Ach ja, fürchterlich! Wie biege ich das jetzt gerade? Sie geht mit der Situation um, als müsse sie eine komplexe Maschine bedienen. Legt dort einen Hebel um, dreht etwas, führt ein Gespräch, schreibt hier noch schnell eine klärende Nachricht und hat gute Laune. Sie sucht wirklich den Frieden und hat den meisten von uns damit eine Menge voraus.

Dann kam vor einigen Monaten die Wissenschaftlerin Cecilia zu mir, die eine Führungsposition übernehmen sollte und wollte. Erstmal für einige Zeit, aber durch eine anspruchsvolle Phase mit logistischen wie organisatorischen Veränderungen. Mein Ansatz in unserer Zusammenarbeit war es, herauszufinden, wo wohl ihre Stärken als Führungskraft liegen. Was kann sie schon, was versteht sie, hat sie irgendwo Wissenslücken? Wir gingen eine ganze Reihe der Herausforderungen durch, die an sie herangetragen wurden: Hier braucht eine Anerkennung. Da ist einer eifersüchtig. Hier will jemand über alles und jedes informiert werden. Vorgesetzte geben nicht ausreichend Rückendeckung für schwierige Prozesse. Wir glichen ihre Möglichkeiten mit ihren Ideen, meinen Erfahrungen und meinem Wissen ab, doch mir ist klar: Führen lernt frau wie man nur aus gut reflektierter Praxis, und letztlich muss sie sich darauf verlassen, dass ihr im Moment eine angemessene Lösung in den Sinn kommt. Sie kann nicht schnell zum Lehrbuch flitzen und nachschlagen. Und wenn sie dann die Lösung vorschlägt und jemand mit guten Argumenten widerspricht, wäre es schön, wenn einer dann eine schöne Alternative und vielleicht noch ein dritter Weg in den Sinn kommt. Es bedarf einer ausgeruhten Haltung, um zuzuhören, tief durchzuatmen und dann zu sagen: Dann machen wir es eben so! Innerer Frieden, getragen von ausreichend Selbstvertrauen, ist die Grundlage, aus der angemessene und geeignete Lösungen entstehen. Und genau diesen Frieden sah ich bei Cecilia. Sie hat jede Menge gesunden Menschenverstand, den sie selbstbewusst, aber nicht rechthaberisch zum Tragen kommen lässt.

Sie sehen: Anton hat seinen Frieden mit einer unmöglichen Situation gemacht, indem er sie verlassen und Neues in seinem Leben entdeckt hat. Es war nicht das, was er sich wünschte, reden wir das nicht schön, aber die neuen Aufgaben machen ihm einen Riesenspaß. Er kann ihnen viel abgewinnen. Bettina hat den Frieden aktiv gesucht, und sie hat eine wunderbare Fähigkeit entwickelt, ihn dann auch zu entdecken. Ihr Ziel ist es, immer den Frieden zu sehen – durch Konflikte lässt sie sich nicht beirren, sondern stupst sie freundlich auf die Seite, bis sie wieder Frieden sieht. Cecilia schließlich hat entdeckt, dass die Quelle ihrer Fähigkeit, ein Team durch anspruchsvolles Gelände zu führen, innerer Frieden ist. Sie versiegt nie, diese Quelle, und wenn gerade nichts kommt, legt Cecilia die Aufgabe für den Moment auf die Seite – sie weiß, dass sie eine Lösung sehen wird, wenn die Zeit reif ist.

Gespräch in der Gruppe

Erste Reflektionsrunde
Was bedeutet es, den Frieden zu suchen? Was man sucht, muss ja irgendwo sein – es gilt also, den Frieden zu erkennen, nicht zu erschaffen. Ist es vielleicht ein menschlicher Irrtum zu meinen, wir müssten ihn erschaffen? Geht es vielleicht vielmehr darum, ihn zu sehen?

Zweite Reflektionsrunde
Menschliche Konzepte vom Frieden sind auf Handlungen angelegt und die Vorstellungen davon, wie Frieden herzustellen sei, sind vielfältig. Beliebte Methoden zur Herstellung von Frieden sind Krieg, die Aufnahme von Handelsbeziehungen, Friedensverhandlungen, zähneknirschendes Händeschütteln. Welche Maßnahmen zur Herstellung von Frieden kommen Ihnen in den Sinn? Welche überzeugen Sie?

Dritte Reflektionsrunde
Was heißt es für uns alle, wenn wir Frieden sehen und erkennen könnten, wo wir bislang Konflikt gesehen haben? Wenn wir Frieden mit den vielen Migrantinnen und Migranten schließen, die zu uns kommen, müssen wir die dann alle aufnehmen? Wenn wir Frieden mit Menschen schließen, die eine andere politische Meinung als wir haben, reden wir dann mehr mit denen? Oder gehen ihnen aus dem Weg?

Paar-Gespräch

Frieden suchen!
Das Paargespräch folgt einigen einfachen Regeln: Jede bekommt eine festgelegte Zeit, gut sind 20 Minuten. In dieser Zeit hört ihr die Gesprächspartnerin aufmerksam zu und stellt nur wenige Fragen, die weitgehend vorgegeben sind. Nach der vereinbarten Zeit wird das Gespräch mit umgekehrten Rollen wiederholt. – Jede TN erhält ein kleines Blatt mit den folgenden Sätzen zur Gesprächseröffnung und den weiterführenden Fragen.

Eröffnen Sie das Gespräch
Schauen Sie sich nach einer Situation in ihrem Leben um, die Sie beschäftigt. Fassen Sie sie in wenigen Sätzen zusammen.

Fragen Sie dann
Wie könnte sich Frieden hier entfalten? Wo liegt der Frieden in dieser Situation?
Im Weiterwandern? Im Verzeihen? Im Verstehen? Im Beistehen? Im Aufgeben? In der Erkenntnis, dass es für Sie gegenwärtig nichts mehr zu tun gibt und Sie die Sache in Gottes Hände legen müssen? Hören Sie Ihrer Gesprächspartnerin einfach gut zu, und wenn sie in Schweigen versinkt, lassen Sie sie schweigen. Wenn Sie den Eindruck haben, dass eine Frage weiterhelfen würde, fragen Sie einfach wieder: Wie könnte sich Frieden in der Situation entfalten? Und dann seien Sie still und hören zu …

Frauke Lisa Seidensticker coacht und berät seit 2011 von Berlin aus. Sie blickt auf 25 Jahren Führungserfahrung in Menschenrechtsorganisationen zurück, in einem Spektrum zwischen Basisgruppen bis zu Einrichtungen der Europäischen Union, und verfügt über eine breite Ausbildung in Management und Coaching. www.seidenstickercc.eu

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