Ausgabe 1 / 2019 Frauen in Bewegung von Andrea Blome

Ise Bosch und Julia Ehrt:

Geld und Lobby für trans Menschen

Von Andrea Blome

Ise Bosch und Julia Ehrt engagieren sich weltweit für die Rechte von trans Menschen. Die eine als Geldgeberin, die andere als Aktivistin und Lobbyistin.

„Trans Menschen brauchen zuallererst Räume“, sagt Julia Ehrt. „Räume, die Schutz bieten vor Diskriminierung und Gewalt, wo sich Menschen in ihrer Geschlechtsidentität ausprobieren und leben können, ohne dass sie befürchten müssen, Gewalt, Diskriminierung oder Hänseleien zu erfahren. Einen Ort,
an dem sie nicht dem sozialen Druck ausgesetzt sind, männlich oder weiblich zu sein mit den ganzen Rollenerwartungen, die damit verbunden sind.“ Julia Ehrt ist eine trans Frau. Als trans Aktivistin und ehemalige Direktorin von Transgender Europe (TGEU) kennt sie die Probleme und Bedürfnisse von Menschen, deren Identität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde.

Trans Menschen brauchen „Safe Spaces“

Seit Anfang 2019 ist Julia Ehrt Programmdirektorin von ILGA, der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association, die weltweit für gleiche Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intersexuellen Menschen kämpft. An jedem Ort der Welt sogenannte „Safe Spaces“ zu ermöglichen, hält sie im Kampf für trans Rechte für entscheidend. „In diese Räume zu kommen, ist für viele trans Menschen ein Riesenschritt in ihrem Leben. Und ein Riesenschritt in der Selbstorganisation.“ Denn selbst in Ländern, in denen es keine staatlich legitimierte Verfolgung gibt, erleben viele trans Menschen ihren Alltag und den Kampf um ein selbstbestimmtes Leben als große Belastung. Sie sind Diskriminierungen auf der Straße, im Arbeitsleben, an ihrem Wohn- und Lebensort ausgesetzt. Sie erleben ein Gesundheitssystem, das auf ihre Bedürfnisse nicht vorbereitet ist. Die Suizidrate unter trans Menschen ist um ein Vielfaches höher als unter cis Menschen, also denjenigen, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren. Auch intergeschlechtliche Menschen erleben Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt. Oft werden bereits im Kind- und Kleinkindalter ohne Notwendigkeit geschlechtsnormierende Operationen durchgeführt, die meist lebenslange Konsequenzen wie Sterilität und notwendige Medikamenteneinnahme nach sich ziehen. Die Kinder werden nicht oder kaum an den Entscheidungen beteiligt.

Trans-Aktivist*innen geht es also letztlich um strukturelle Veränderungen, um die gesellschaftliche Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung. Für diese Arbeit brauchen Gruppen vor Ort und Organisationen, die sie dabei unterstützen, Geld.

In Deutschland fließen aber wenig öffentliches Fördergeld und private Spenden zu LSBTIQ-Gruppen, die sich für Lesben, Schwule, bisexuelle, trans, inter und queere Menschen engagieren. Das hat unter anderem die Heinrich-Böll-Stiftung 2008 in einer Studie festgestellt. 622.000 Euro an Spendengeldern flossen damals in LSBTIQ-Projekte, nichts davon aus Regierungstöpfen. Über zwei Drittel kamen von der Dreilinden gGmbH. Dieses gemeinnützige Unternehmen mit Sitz in Hamburg wurde 2005 von Ise Bosch gegründet. Die Enkelin des Industriellen Robert Bosch hatte damals entschieden, ihre Firmenanteile zu verkaufen, um mit „gemeinnützigem Privatkapital“ öffentlich und hauptberuflich Geldgeberin zu sein.

„Was macht mein Geld für einen Unterschied?“

Ise Bosch ist damit eine der wenigen sehr reichen Frauen in Deutschland, die sehr offen und öffentlich mit ihrem Vermögen und ihrer Lebenssituation umgeht. Sie setzt ihr Vermögen bewusst und strategisch für gesellschaftlichen Wandel ein. In ihrer Familie war die Einstellung des Großvaters und Firmengründers Robert Bosch prägend. Ihre Tante, dessen Tochter, sagt es so: „Kein Mensch braucht so viel Geld.“ Es war wichtiger, für Überzeugungen einzustehen als sich um den eigenen sozialen Status zu sorgen. Geld dort einzusetzen, wo es gesellschaftlich Wirkung haben kann.

Als Ise Bosch um die Jahrtausendwende Pecunia, das Erbinnen-Netzwerk initiierte, ging es ihr auch darum: Frauen zu ermutigen, bewusst mit ihrem Erbe und Vermögen umzugehen, sich auszutauschen und sich der Verantwortung zu stellen, die damit verbunden ist. „Für die Einzelne, die in der Lage ist, so viel mehr zu haben als andere, ist eine gewisse innere Arbeit vonnöten. Es geht darum sich klarzumachen: Was macht mein Geld für einen Unterschied? Wie viel will ich mich damit beschäftigen? Was macht es aus, wenn ich mit dem großen Schein an den Klingelbeutel gehe?“

„Kleine Beträge können einen Anfang machen“

„Transformative Philantropie“ nennt Ise Bosch ihr  Selbstverständnis als Geberin. Sie versteht Philantropie, das griechische Wort für Menschenliebe, als Arbeitsbegriff für ihr Engagement für Menschenrechte. „Mein Großvater sprach von Menschenwürde. Dieser Hintergrund ist mir sehr wichtig und eine großartige Richtschnur.“ Sie will die Welt verändern, genauer: „die weltweite Inklusion von Geschlechterdiversität“. Um dieser Vision näherzukommen, fördert sie Menschen, Initiativen und Organisationen sehr strategisch und sehr gezielt.

Dabei geht es nicht immer um große Summen. Julia Ehrt, die mit Ise Bosch kollegial eng verbunden ist, weiß,  dass die Budgets von Trans- und Intersex-Organisationen oft sehr klein sind. „Darum kann man hier mit wenigen Hundert oder Tausend Euro wirklich einen Unterschied machen. Denn die meisten trans Menschen sind damit beschäftigt zu überleben, selbst in einem Land wie Deutschland. Sie haben wenige Ressourcen, um sich noch außerhalb ihres persönlichen Lebens zu organisieren. Da können kleine Beträge einen Anfang machen, und das skaliert unter Umständen ziemlich schnell, wenn es erfolgreich ist.“

Der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben

Die politischen Forderungen der Trans-Bewegung sind sehr konkret: die Anerkennung von Geschlechterdiversität und –gerechtigkeit, der Schutz vor Gewalt und Diskriminierung als staatliche Verpflichtung sowie die geschlechtliche Selbstbestimmung von trans und intersexuellen Menschen.
Nach Einschätzung von Julia Ehrt ist Deutschland zwar auf dem richtigen Weg, entwickelt sich aber im internationalen Kontext sehr langsam. „Argentinien hat schon 2012 ein Recht auf geschlechtliche Anerkennung definiert, in dem eine Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags rein aufgrund der Selbstbestimmung möglich war. Jeder Mensch hat demzufolge das Recht, die eigene Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen, der Staat muss dafür die Möglichkeit schaffen.“ Eine ähnliche Gesetzgebung gibt es inzwischen in Malta, Irland, Norwegen, Schweden und Belgien. In Deutschland gibt es aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 2017 die Möglichkeit für einen dritten Geschlechtseintrag „divers“. Dass es hierzulande politisch und öffentlich keine großen Debatten gab, als das System der Zweigeschlechtlichkeit vom BVerfG als diskriminierend eingestuft wurde, ist für Julia Ehrt ein Zeichen dafür, „dass der Gesetzgeber weit hinter dem herhinkt, was gesellschaftlich längst akzeptiert ist“.

Gender-Diversität oder Frauenrechte?

Ise Bosch ist davon überzeugt, dass Gesellschaften menschlicher und stärker werden, wenn Geschlechterrollen weniger stark binär und weniger hierarchisch ausgerichtet sind. Dabei kennen sie und Julia Ehrt sehr wohl die Kritik von einigen Feministinnen und Gleichstellungspolitikerinnen, die befürchten, dass der Fokus auf Gender-Diversität dem politischen Kampf für Frauenrechte die Spitze nehmen könnte. Beide verstehen ihre Arbeit für Menschenrechte aber ausdrücklich als feministische Arbeit, die den Kampf für Diversität unbedingt einschließt.

Julia Ehrt sagt dazu: „Ich war schon Feministin, bevor ich überhaupt wusste, dass ich selbst trans bin. Mit meinem trans Coming Out habe ich immer weniger verstanden, warum Geschlechtsidentität nicht konzeptionell im Zentrum von Feminismus steht.“ In einem dualistischen Geschlechtersystem seien eben nicht nur Frauen diskriminiert, weil ihre Rollen mit weniger Macht und Einfluss ausgestattet seien. „In dem gleichen System werden Schwule und Lesben diskriminiert, weil sie den an ihr Geschlecht gestellten Rollenerwartungen nicht entsprechen. Und in diesem System werden auch trans und inter Menschen diskriminiert, weil sie das System der Binarität in Frage stellen. Geschlechtergerechtigkeit und -diversität können ein Riesenhebel sein, um an die Wurzel des Systems zu kommen.“

Ise Bosch, die sich viele Jahre lang vor allem für die Rechte lesbischer Frauen eingesetzt und hier gespendet hat, appelliert an die Frauenbewegung und die Kraft zum Dialog: „Die Tatsache, dass sowohl Trans- als auch Interthemen lange Zeit hinter Frauenfragen zurückgestanden habe, sollten wir auch betrauern. Das müssen wir anders machen. Wir sollten diese internen Auseinandersetzungen wohlwollend führen. Denn der Feind steht wirklich woanders.“

Geben mit Vertrauen

Damit solche Dialoge möglich werden, damit Menschen Freiräume haben und aus Bewegungen eine politische Praxis erwachsen kann, gibt Ise Bosch Geld. Mit der Dreilinden gGmbH arbeitet sie eng mit Stiftungen und Partner*innenorganisationen zusammen, die wiederum einen direkteren Bezug zu den Projekten vor Ort haben. Sie bleibt bei den Themen, in denen sie selbst Expertin ist, geforscht hat und sich auskennt. Und sie fördert mit Vertrauen. Gerade das bedeutet für Gruppen und Initiativen sehr viel. Wer jemals mit Projektförderungen zu tun hatte, kennt das nämlich allzu gut: Ein Fördergeber hat eine bestimmte Agenda. Und diejenigen, die für ihre Arbeit Geld bekommen wollen, versuchen ihre Projektanträge so zu stricken, dass es irgendwie passt. Dass kurzfristig der Output gemessen wird und gerade kleine Träger hier unter Druck geraten, wenn sie Projektziele nicht schnell genug erreichen, kann existenzgefährdend sein.

„Geben mit Vertrauen“ funktioniert anders: Die Organisationen vor Ort entscheiden darüber, wie sie das Geld so einsetzen, dass es die größte Wirkung erzielt. Und die Förderungen sind so langfristig angelegt, dass Strukturen sich stabilisieren können. „Ich gebe für die Organisationen, damit die Organisation lange leben kann. Oder ich gebe einer Person, damit die damit fünf Jahre tun kann, was sie für nötig hält“, sagt Ise Bosch. „Über die Zusammenarbeit mit Intermediären vor Ort fördern wir nicht nur kleine Projekte, sondern investieren in organisationale Strukturen.“

Geberin und Aktivistin: Die eine kann nichts ohne die andere

So verstanden ist Geben keine Wohltätigkeit, sondern eine andere Form des Aktivismus für ein gemeinsames Ziel. „Das Verhältnis zwischen Geberin und Aktivistin ist letztlich eine beiderseitige Abhängigkeit“, sagt Julia Ehrt dazu. „Natürlich sitzt die Person, die gibt, am längeren Hebel, denn sie kann ja den Geldhahn zudrehen. Schlussendlich jedoch wollen beide das Gleiche erreichen, können es aber nicht allein. Die Geberin kann die Welt allein nicht ändern, wie sie es möchte. Die Aktivistin kann ohne das Geld der Geberin nicht die Aktion machen, die sie machen möchte.“

Für Ise Bosch, die Frau mit dem Kapital, stellt sich immer weniger die Frage nach der Augenhöhe zwischen Aktivistin und Geberin. „Es fühlt sich für mich mehr an wie ein Schulterschluss: Man steht nebeneinander und hat das gleiche Ziel vor Augen. Dann sind Gespräche möglich, wenn es mal Schwierigkeiten gibt, und dann hat man im besten Fall auch so etwas wie eine Freundschaft gefunden. Geld ist ein Arbeitsmittel – so sehe ich das.“

Ise Bosch ist Spendenaktivistin. Die Enkelin des Firmengründers Robert Bosch ist Initiatorin des International Fund for Sexual Minorities der Astraea Lesbian Action Foundation in New York/USA, sie hat das Pecunia Erbinnen-Netzwerk und filia.die frauenstiftung mitgegründet. Ihr gemeinnütziges Unternehmen Dreilinden fördert weltweit die gesellschaftliche Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Ise Bosch ist Autorin des Buches „Besser spenden“ (2015) und wurde 2018 vom Deutschen Stifterverband für ihr Engagement ausgezeichnet. 2018 erschien ihr Buch „Geben mit Vertrauen“ über die Arbeit von Dreilinden.
www.dreilinden.org  //   www.filia-frauenstiftung.de //  www.pecunia-erbinnen.net

Julia Ehrt ist seit dem 1. Januar 2019 Programmdirektorin von ILGA, der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association. ILGA ist die weltweite Dachorganisation nationaler und lokaler Organisationen, die weltweit für gleiche Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intersexuellen Menschen kämpfen. Als trans Aktivistin ist sie seit mehr als 15 Jahren politisch aktiv, sie war zuletzt Direktorin von TGEU – Transgender Europe. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. www.ilga.org  //  www.tgeu.org


Andrea Blome hat Sozialwissenschaften, Theologie und Niederländisch studiert und war Leiterin der Arbeits- und Forschungsstelle Feministische Theologie an der Universität Münster. Sie arbeitet mit einem eigenen Redaktionsbüro als Journalistin und Moderatorin. – www.andrea-blome.de

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