Ausgabe 2 / 2019 Artikel von Simone Kluge

O du ungläubiges Geschlecht!

Ein Stoßseufzer Jesu für unsere Zeit?

Von Simone Kluge

In der Heilungsgeschichte [ Mk 9,14-29 ], der die Jahreslosung entnommen ist, entfährt Jesus im Dialog mit dem Vater des kranken Jungen ein Stoßseufzer
über die (Glaubens-) Schwäche seiner Jüngerinnen und Jünger, deren Heilungsversuch erbärmlich gescheitert ist: „O du ungläubiges Geschlecht!“ Trifft dieser Satz nicht auch auf uns zu in unserer heutigen Zeit? Die EKD-Mitgliedschaftsstudie von 2014 analysiert die aktuelle (Glaubens-) Situation so:

Je jünger die betrachtete Generation der Kirchenmitglieder ist, umso stärker ist die Distanzierung zur „Kirche“. Dies geht mit einer zunehmenden religiösen Indifferenz unter den jüngeren Mitgliedern einher […] Zusammengenommen scheint es der soziale Bedeutungsverlust von Religion zu sein, welcher sich von Generation zu Generation immer häufiger (auch bei den Kirchenmitgliedern) in Form religiöser Indifferenz in den Köpfen festsetzt. Mehr und mehr nehmen Jugendliche und junge Erwachsene ihre Umwelt als vorwiegend säkular strukturiert wahr und verweisen Religiöses in den Sektor des Persönlichen […]

Es ist keine neue Erkenntnis, dass für die Tradierungsprozesse des Religiösen gerade der Sozialisation im Elternhaus eine besondere Bedeutung zukommt. So werden junge Menschen dort mit dem Glauben vertraut gemacht, erlernen wichtige religiöse Praktiken und erwerben erstes religiöses Wissen. Das Elternhaus ist nicht die einzige Sozialisationsinstanz, spielt aber in der primären Sozialisation des Religiösen eine Schlüsselrolle […] Verfügt noch ein erkennbarer Anteil der Konfessionslosen in Westdeutschland über Rudimente religiösen Wissens und religiöser Erfahrung, ist in Ostdeutschland die Situation durch eine „Kultur der Konfessionslosigkeit“ ohne große religiöse Bestände gekennzeichnet […] Die aufgrund der abbrechenden religiösen Sozialisation entstehenden Defizite im religiösen Wissen erschweren dann die Möglichkeit einer Rückkehr in die Kirche. Es fehlt schlechthin die Anschlussfähigkeit an Religion, wie sie in der evangelischen Kirche praktiziert wird.

Für die Arbeit in der Gruppe

Zeit 20 min

Tauschen Sie sich aus: Deckt diese Analyse sich mit Ihren Erfahrungen – in der eigenen Familie, in Ihrer Gemeinde? Falls Sie der Analyse zustimmen: Woran würden Sie einen zunehmenden „Bedeutungsverlust von Religion“ oder eine „Kultur der Konfessionslosigkeit“ festmachen?

In der biblischen Heilungsgeschichte gibt der Vater seinem Sohn ein Beispiel gelebten Glaubens, indem er sich Hilfe suchend an Jesus und seine Jünger*innen wendet.


Zeit 20 min
Erzählen Sie: Welche Personen waren für mich und meine religiöse Sozialisation prägend? Welche positiven – und auch befremdenden – Erfahrungen habe ich in Begegnungen mit Religion und Glauben gemacht?

Die biblische Erzählung legt nahe, dass es zur Heilung von Zerrissenheit und Sprachlosigkeit eine religiöse Rück-Beziehung braucht: „Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch beten.“[ Mk 9,29 ]


Zeit 20 min

Tauschen Sie Ihre Gedanken aus:
Wie schätzen Sie die derzeitige Situation in unserer Gesellschaft ein? Und welche Bedeutung messen Sie dem Beten zu, wenn es darum geht „zu heilen, was verwundet ist“?
Lassen Sie uns mit einer alten jüdischen Legende über das Gebet schließen:
Ein Rabbiner durchquerte ein Dorf, ging in den Wald und dort, am Fuße eines Baumes, betete er. Und Gott hörte ihn. Auch sein Sohn durchquerte dieses Dorf. Er wusste nicht mehr, wo der Baum war, und betete also an irgendeinem Baum. Und Gott hörte ihn. Der Enkel des Rabbiners wusste weder, wo der Baum war, noch, wo der ganze Wald war. Er ging zum Beten in das Dorf. Und Gott hörte ihn. Der Urenkel wusste weder, wo der Baum war, noch der Wald noch das Dorf. Aber er kannte noch das uralte Gebet. So betete er zuhause. Und Gott hörte ihn. Der Ururenkel schließlich kannte weder den Baum noch den Wald noch das Dorf noch das alte Gebet. Er kannte aber noch die Geschichte und erzählte sie seinen Kindern. Und Gott hörte ihn.
Simone Kluge ist evangelische Theologin, Mediatorin und Krisenberaterin auf der Grundlage der klientenzentrierten Gesprächsführung nach C. Rogers. Die Referentin für Frauenarbeit bei den Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland ist Mitglied im Redaktionsbeirat leicht & SINN.
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