Ausgabe 1 / 2022 Andacht von Cornelia Radeke-Engst

Eine Andacht vom Tag in die Nacht

Von Cornelia Radeke-Engst

„Bei Ein- und Durchschlafproblemen wirkt XX stark für die Nacht, das pflanzliche Schlafmittel Nr. 1 wirkt mit Pflanzenkraft und ganz natürlich und ohne Gewöhnungseffekt. Erholsamer Schlaf für einen guten Tag.“

Das klingt verheißungsvoll, ebenso die Frau, die ihre Hände über die Lavendelblüten auf dem Feld gleiten lässt. Eine andere Werbung lässt mich wissen: „Guter Schlaf ist so wichtig.“

Schlafstörungen bei Frauen sind ein großes Thema. Fast die Hälfte der Frauen (45,9 %) haben mindestens einmal in der Woche Probleme beim Durchschlafen und fast ein Drittel (32,6 %) leidet unter Einschlafstörungen.

Schlafen ist ein Übergang in eine andere Wirklichkeit. Der christliche Glaube hilft, den Übergang zu gestalten.

Lied
Der Mond ist aufgegangen,
EG 482 Strophe 1+2+4

Viele Frauen haben schon eine Menge probiert und sind zu Expertinnen geworden: Bücherstapel am Bett oder die gute alte Schäfchenzählmethode, die „heiße 7“ der Schüßler-Salze, Fußbäder und Nachtspaziergänge, Akupunktur, -pressur, Übungen von Yoga bis Heileurhythmie, Atemübungen oder Body Scan (Jon Kabat-Zinn).

Aber der Schlaf lässt sich nicht zwingen. Längst wurde mit Lavendelsäckchen, schönen neuen Kopfkissen, kühlenden Bezügen, einem leichten Daunenbett oder einer schweren Therapiedecke, neuen Matratzen oder verdunkelnden Gardinen experimentiert. Alles ist getan für den guten Schlaf! Aber mein Körper weigert sich, über die Schwelle zum Schlaf in den anderen Bewusstseinszustand zu schreiten.

Austausch von Expert*innenratschlägen: Wie schlafe ich? Ich will keinen weiteren Ratschlag hinzufügen, sondern daran erinnern, dass es eine gute Tradition ist, Übergänge im Leben (wie den Lebensbeginn, das Erwachsenwerden oder den Abschied von einem Menschen) mit Ritualen zu begleiten. Schlafen ist so ein Übergang und heißt, sich aus dem aktiven Bewusstseinszustand zurückzuziehen und sich fallenzulassen in einen passiven. Es ist ein Hinabsteigen ins Vertrauen. Schlafen heißt, loszulassen, mich zu überlassen, zu Gott zu gehen.


Vielleicht hilft eine ruhiger und leiser werdende Musik dabei, die ich Abend für Abend höre und die Leib und Seele den Weg in dieses große Gehaltensein markiert. In meinen Träumen spricht mein Unterbewusstes zu mir. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hat gesagt, „Träume sind Briefe Gottes an uns.“ Es lohnt sich sehr, Träume zu erinnern, auf das Gesprochene, die Bilder und vor allem auf die mit ihnen verbundenen Gefühle zu achten.

Für viele zeigt sich in Alpträumen ein Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins. Und so ist es ja auch: Im Schlaf liefere ich mich an mein Unbewusstes, mein passives Sein aus. Man sagt, der Schlaf sei der kleine Bruder des Todes, dieses letzten Schlafs. Christus ist vorgegangen und hat von Gott gesagt: Alle, die zu mir kommen, werde ich nicht abweisen. In diesem Vertrauen kann ich mich selbst loslassen und Gott anvertrauen.

Wie beende ich einen Tag? Vielleicht in Gedanken den Tag zu durchschreiten, beginnend mit dem Augenblick, in dem ich mich gerade befinde, rückwärts bis zum Morgen. Vielleicht schreibe ich Tagebuch oder gestalte den Rückblick gemeinsam mit meine*r Partner*in. Meine Energie ziehe ich aus dem vergehenden Tag zurück, freue mich an Schönem und danke Gott für das Gelungene. Vielleicht lege ich einen Merkzettel mit Wichtigem für morgen an. Ein starkes Ritual ist auch, Zettel mit dem, was ich abgeben will, zu verbrennen. Es sind auch hier zwei wichtige, unterschiedliche Schritte: Erlebtes loslassen und Offenes wie Misslungenes in Gottes Hände legen.


In der Therapieform Focusing beginnt frau mit Entspannungsübungen und dem Wahrnehmen dessen, was ist. Was nehme ich in mir wahr? Was beschäftigt mich?

Was mich beschäftigt, nehme ich diesmal nicht in meine Gedankenkreise, sondern frage nach meinem „Bauchgefühl“: Wo im Körper spüre ich das Gefühl zu diesem Thema? Ich beschreibe die Form dieses Gefühls sorgfältig und frage dann, was dieses Gefühl braucht. Vielleicht zeigt sich eine kollegiale Auseinandersetzung wie ein Klumpen im Magen? Vielleicht braucht es dieses Gefühl, dieser Klumpen, in ein Regal gelegt zu werden.

Antworten Sie nicht mit Ihrem Verstand, fragen Sie das Gefühl!

Versuchen Sie die oben beschriebene Focusing-Übung mit einem Gefühl, das JETZT da ist.

Folgende Texte können helfen, rückwärts aus dem Tag und zu Gott zu gehen:

Ich ziehe mich aus dem Tag zurück und lege mein Tun und mich selbst in Gottes Hand. Mein eigenes Ritual beschließe ich mit einer kleinen Liturgie, einem Gebet oder einem Gedicht. „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein Du, G’TT, hilfst mir, dass ich sicher wohne.“ Ps 4,9

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt* / Und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt / Der spricht zu G’TT: Meine Zuversicht und meine Burg,* / mein G’TT auf den ich hoffe. / Denn Er errettet dich vom Strick des Jägers* / und von der verderblichen Pest. / Er wird dich mit Seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter Seinen Flügeln.* / Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, / dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht,* / vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, / vor der Pest, die im Finstern schleicht,* / vor der Seuche, die am Mittag verderben bringt. / Denn Sie hat Ihren Engeln befohlen,* / Dass Sie dich behütet auf allen deinen Wegen, / dass sie dich auf den Händen tragen* / und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Ps 91

Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein Du, G’TT, hilfst mir, dass ich sicher wohne. Ps 4,9

Weitere Lieder und Texte:
 G’TT, bleibe bei uns EG 483
Der lieben Sonne Licht und Pracht EG 479,1
 1. Mose 28


Mondnacht
Es war, als hätt‘ der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis‘ die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff

„Die Nacht ist die Decke
deines Friedens, Gott /
der Rhythmus
deiner Ruhe
für alle Menschen. /
Die Nacht
ist der Mantel
deiner Freundlichkeit, Gott /
die Wärme deiner
schützenden Hand
rings um die Erde.“

aus dem Nachtgebet der Iona-Kommunität

Cornelia Radeke-Engst, geb. 1956, ist Focusingberaterin und arbeitet in einer landeskirchlichen Pfarrstelle in der Nagelkreuzkapelle am Ort der ehemaligen Garnisonkirche Potsdam. Zuvor war sie Dompfarrerin in Brandenburg/Havel und Landespfarrerin für Frauen- und Familienarbeit der EKBO. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn, vier Stiefkinder und neun Enkelkinder.

 

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