Ausgabe 1 / 2019 Artikel von Eske Wollrad und Ruth Heß

Gottes besondere Wunderwerke

Singles in der Kirche

Von Eske Wollrad und Ruth Heß

Wie fühlen sich Singles in der Kirche? Angenommen mit ihrer Lebensform oder übersehen? Werden sie als Singles angesprochen oder nicht? Möchten sie das überhaupt? Singles sind in den Gemeinden gern gesehen und gleichzeitig auch nicht. Sie gelten als gute Kandidat*innen für ehrenamtliche Tätigkeiten – mit viel Zeit und flexiblen Einsatzmöglichkeiten. In hauptamtlichen Leitungsaufgaben sieht man sie nicht gern, schließlich ist der ideale Pastor oder die ideale Bischöfin verheiratet und hat Kinder. Ist also Singlesein eine Lebensform, die die Kirche zwar nutzt, aber nicht schätzt?

Dimensionen von Singlesein

Früher hießen sie Alleinstehende, wurden „Junggesellen“ oder abwertend „alte Jungfern“ genannt. Heute gelten als Singles all jene, die keine dauerhafte Partner*innenschaft führen und die sich selbst als Single bezeichnen. Die Definition beschreibt einen Mangel: keine Beziehung. Und so wird diese Lebensform meist auch wahrgenommen – als ein bedauernswerter Zustand. Dabei kann Singlesein alles bedeuten: Einsamkeit, Unabhängigkeit, Suche nach einer neuen Partner*innenschaft, Freiheit. Es gibt glückliche Singles, die ihr Leben genießen, Singles, die sich mit dem Alleinsein abgefunden haben, und andere, die darunter leiden.

Singlesein als Lebensform ist niemandem fremd, denn jeder Menschen hat in seinem Leben Phasen des Alleinseins durchlaufen. Und: Singles gibt es wie Sand am Meer. In Deutschland sind es circa 18 Millionen. Da wundert es schon, wie wenig sie im öffentlichen Diskurs vorkommen. In Spielfilmen sind Singles meist die Demnächst-Verliebten oder ältere Personen, die sich aufopfernd um andere kümmern. In der Werbung kommen Singles nur als solche vor, die ihre Lebensform lieber heute als morgen aufgeben wollen: „Alle elf Minuten verliebt sich ein Single…“.

Ob jemand mit dem Singlesein gut zurechtkommt oder nicht, hat auch mit dem Geschlecht zu tun. Soziologischen Studien zufolge betonen weibliche Singles weitaus häufiger als männliche die positiven Chancen dieser Lebensform, nämlich Möglichkeiten der Selbstentfaltung, der Freiheit und Unabhängigkeit. Männliche Singles hingegen fühlen sich öfter einsam und wünschen sich eine neue Partnerschaft. Hier wird deutlich, wie tradierte Rollenmuster erodieren: Viele Frauen wehren sich gegen das Weiblichkeitsstereotyp des „Daseins-für-andere“ und sehen Partner*innenschaften als hinderlich für die Selbstentfaltung. Bei Männern ist das anders. Forschungsarbeiten haben nachgewiesen, dass sich bei Männern Ehe und Familie positiv zum Beispiel auf die Karriere auswirken.

Wie positiv oder negativ Singles ihre Lebensform bewerten, hat auch mit Geld zu tun. Denn Singlesein ist teuer: keine Steuerersparnis, höhere Mieten für begehrte Zwei-Zimmer-Wohnungen, höhere Kosten für kleinere Lebensmittelverpackungen und der Einzelzimmerzuschlag bei Hotelbuchungen. Armut hat nicht nur etwas mit Geschlecht und Alter zu tun, sondern auch mit der Lebensform: Die meisten armen Frauen sind alt und alleinstehend.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei

Ist Singlesein eine legitime christliche Lebensform? In der katholischen Kirche gibt es die zölibatäre Lebensform für Priester und Nonnen – sie leben keine Partner*innenschaften, würden sich aber wahrscheinlich nicht als Singles bezeichnen. Dann gibt es noch die Jungfrauenweihe, ein theologisch legitimierter Stand von Frauen, die lebenslang in der Welt im Dienst der Kirche arbeiten und Singles bleiben. In der evangelischen Kirche steht allein das Leitbild Ehe im Fokus, nicht zwingend nur die zwischen Mann und Frau, aber auf jeden Fall das Leitbild „Paar“. Dabei war Jesus selbst Single, oder?

Die Bibel kennt ganz verschiedene Lebensformen, darunter auch Singles. Jesus war – für einen Rabbi ungewöhnlich – nicht verheiratet, der Apostel Paulus war überzeugter Single. In der Zeit des nahenden Gottesreiches äußerte er sich besorgt über Paare, die ihre Energie aufeinander konzentrierten, anstatt sich ganz Gott zuzuwenden. Besser sei es, so zu leben wie er – als Single (1 Kor 7,26). Damit war nicht gemeint, einsam zu existieren, sondern traditionelle Bezüge zu verlassen und auf eine neue Form der Gemeinschaft zu vertrauen. Wer das tut um des Evangeliums willen, erhält alles hundertfach zurück: „Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgung – und in der zukünftigen Welt das ewige Leben“ (Mk 10, 29f).

Dieser Teil der biblischen Tradition verbindet (nicht nur) Singlesein mit Reichtum – an menschlicher Gemeinschaft, an Besitz und der Vision des ewigen Lebens. Bedauerlicherweiseist im Protestantismus wenig von diesem Erbe zu spüren.

Gottes besondere Wunderwerke

Zu Martin Luthers Kampf gegen Rom gehörte auch die Kritik an dem vermeintlich besonderen Stand des Priesteramts und am Zölibat. Dagegen betonte Luther, Ehe und Familie seien die einzigen gottgewollten Lebensformen: „Alles, was ein Mann ist, muss ein Weib haben, und was ein Weib ist, muss einen Mann haben.“ Zwar sei die Ehe ein „weltlich Ding“, gleichzeitig aber auch „göttlich Werk und Gebot“. Und was ist mit Singles? Im Hinblick auf solche, die heiraten könnten und freiwillig ohne Ehe bleiben, schreibt Luther: „Diese sind selten; und unter tausend Menschen ist nicht einer, denn es sind Gottes besondere Wunderwerke.“

In der evangelischen Kirche wurde Luthers Ehefreudigkeit verabsolutiert. Das evangelische Pfarrhaus mit dem nach außen wirkenden Pfarrer und der fleißigen Ehefrau und Mutter im Hause, umringt von den Kindern, prägte lange die Vorstellungen eines wahrhaft evangelischen Lebens. Heute wird die Vielfalt von Partnerschaften und Familienformen weitgehend anerkannt – das heißt aber nicht, dass Singlesein dabei in den Blick kommt.

Für eine Singlefreundliche Kirche

Eine Single-freundliche Kirche ist sensibel für die vielfältigen Dimensionen dieser Lebensform. Sie freut sich an all den kreativen Potentialen, die ihr innewohnen, und überprüft selbstkritisch ihre eigene theologische Tradition. Als Seelsorgerin unterstützt sie solche Singles, die unglücklich sind, und bietet Gemeinschaft und Halt. So wird sichtbar, was alle Menschen – ob sie als Singles leben oder in Partnerschaften – sind: Gottes besondere Wunderwerke.

Single friendly church / Single-freundliche Kirche: So heißt eine Kampagne, die 2016 in Großbritannien startete und durch ganz unterschiedliche Denominationen getragen wird – von konservativ bis liberal. Ihre gemeinsame Mission: Das Denken der Kirche über Singles positiv verändern. Die Kampagne vermittelt Denkanstöße an Kirchengemeinden, vernetzt Kirchenleitende, die allein leben, miteinander und bietet spirituelle Angebote für Singles an. – www.singlefriendlychurch.com

Solo&Co gibt es in Deutschland seit 2006. Das Netzwerk von und für christliche Singles unterhält Regionalgruppen, die gemeinsam ihre Freizeit gestalten, und bietet Urlaubswochen, Einkehrtage und mehr an. Referent_innen stehen für Vorträge, Workshops und Beratung zur Verfügung. – www.soloundco.net

Singles im Blick hat auch das Evangelische Zentrum Frauen und Männer in Hannover. Am 5. Mai 2019 wird es erstmals einen interaktiven Online-Gottesdienst zum Single-Leben geben, bei dem alle willkommen sind. Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund sind Singles jeden Mittag zu einem spirituellen Zwischenhalt ins Zentrum Geschlechterwelten eingeladen. – www.singles.evangelisches-zentrum.de

Für die Arbeit in der Gruppe

von Ruth Heß

Die Zahl der Singles hierzulande steigt, auch in der Kirche. Wie gehen wir damit um? Welche Rolle spielt die Frage, ob jemand allein lebt oder nicht, in Ihrem privaten Umfeld, Ihrer Gemeinde, Ihrer Frauengruppe? Wie kann Kirche eine Heimat für alle – mit oder ohne Paarbeziehung – sein oder werden? Es lohnt sich, diesen Fragen sensibel und differenziert nachzugehen. Hier finden Sie einige Anregungen dazu:

Lebenslinien
Material: Arbeitsblätter und farbige Stifte

Alle TN erhalten ein Arbeitsblatt und tragen ihr aktuelles Lebensalter ein. Danach zeichnet jede Person für sich zwei farbige Linien ein: (1) Lebenszeiten, in denen sie selbst ohne Paarbeziehung lebt/e. (2) Lebenszeiten, in denen sie bedeutsame Kontakte zu (anderen) Singles hat/te (Tante, Kollegin, beste Freundin etc.).

Austausch in Dreiergruppen:  Wie sieht mein bisheriges Lebensbild aus? Wo liegen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen uns? Wie erleb(t)e ich meine Single-Zeit? Was schätz(t)e ich am Single-Leben und an (anderen) Singles? Womit habe/hätte ich als Single vielleicht Schwierigkeiten?

Clip und klar
Voraussetzungen: WLAN, Computer, je nach Gruppengröße evtl. Beamer

Ein Team des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer hat Passant_innen auf der Straße gefragt, was sie übers Single-Leben denken. Schauen Sie in der Gruppe den kurzen Video-Clip an: www.singles.evangelisches-zentrum.de/trailer.htm


Fragen für den Austausch: Wenn Sie selbst Single sind oder sich in einen Menschen, der allein lebt, hineinversetzen: Wie wirken die einzelnen Ansichten auf Sie? Wo fühlen Sie sich verstanden? Was ärgert Sie? Welche Haltung gegenüber Singles wünschen Sie sich?

Aha-Effekte
Voraussetzungen: Computer, WLAN, je nach Gruppengröße evtl. Beamer, Smartphones der TN

2018 fand in Hannover eine öffentliche Anhörung zur Situation von Singles in Kirche und Gesellschaft statt. Schauen Sie gemeinsam die Dokumentation (ca. 9 Min.) an:
www.singles.evangelisches-zentrum.de/zusammenfassung.htm

An welcher These, welchem Gedanken bleiben Sie hängen? Schauen Sie sich nun ?auf Ihrem Smartphone den Expert_innenImpuls (ca. 10 Min.) an:
www.singles.evangelisches-zentrum.de/beitrge.htm

Gab es einen persönlichen Aha-Effekt? Woran möchten Sie weiterdenken?

Ideen-Loop
Vorbereitung: lange Tischreihe, je zwei Stühle gegenüberstehend

Die TN nehmen an den Tischen Platz. Jedes Tandem, das sich gegenübersitzt, tauscht sich aus: Wie könnte Ihre Kirchengemeinde (noch) Single-freundlicher werden? Nach 4 Minuten gibt die Leitung ein Zeichen, und die TN rutschen je einen Platz weiter. Wenn alle miteinander gesprochen haben, werden die Ideen gesammelt und die besten gekürt. Was davon wollen Sie als Erstes umsetzen?

Dr. Eske Wollrad ist Theologin und war Geschäftsführerin der Evangelischen Frauen in Deutschland. Seit 2016 ist sie Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer und verantwortet als Herausgeberin leicht&SINN.

Ruth Heß ist Theologische Referentin im Evangelischen Zentrum Frauen und Männer in Hannover. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem geschlechterbewusste Theologien, Frauen*gottesdienste sowie Populismus und Geschlechterpolitik.

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