Ausgabe 2 / 2021 Artikel von Ein Gespräch mit Peggy Renger-Berka, Carola Ritter und David Begrich

Grenzen setzen als Gemeinde

Von Ein Gespräch mit Peggy Renger-Berka, Carola Ritter und David Begrich

David Begrich konstatiert zur Lage des Rechtsextremismus‘ in Ostdeutschland, dass eine Reflexion des Themas lange abgewehrt wurde und politische Konsequenzen ausblieben – obwohl Ursachen und Verläufe erforscht und belegt sind. Gewalt, Rassismus und Wahlverhalten stehen in einer Kontinuität: Wesentliche Aspekte der Debatten um die AfD gab es bereits in jenen um DVU, NPD und neonazistische Jugendkultur.
Aber was hat sich durch die AfD verändert?

CR  2014 zog die AfD in Sachsen mit 6,4% der Stimmen erstmals in einem Landtag ein. In Sachsen-Anhalt wurde sie im Frühjahr 2021 sogar zweitstärkste Kraft. AfD-Leute nutzen nun aktiv parlamentarische Instrumente, um Demokratie zu zersetzen und Individuen massiv unter Druck zu setzen. Sie machen Kontrollbesuche bei Kulturveranstaltungen und „witzeln“: Mal schauen, wie ihr unsere Steuergelder verschleudert. Das ist mindestens beklemmend für die Anwesenden.

PRB  Die AfD schickt regelmäßig „kleine Anfragen“, um sich die Mittelempfänger öffentlicher Gelder auflisten zu lassen und als Mehrheitsgeberin in Stadträten streicht sie Mittel für Demokratieprojekte und Initiativen. D.h. sie greift handfest und nachhaltig in die Förderpolitik des Freistaates ein.


Feministische und Gleichstellungsthemen sind in der Debatte, gerade in kirchlichen Kontexten, von besonderer Schlagkraft. Warum?

PRB  Frauen in Ostdeutschland hatten, als 1989/90 zwei Feminismen aufeinandertrafen, völlig andere Fragen als die westdeutschen Frauen. Bestimmte Perspektiven des Feminismus gehen bis heute an ihren Grundfragen vorbei, zeigen aber auch Abwehrstrategien auf: Aktuelle Debatten drehen sich viel um gendergerechte Sprache. Bemerkenswert ist, dass viele, die das Gendern ablehnen, darin keineswegs eine antifeministische Haltung erkennen, sondern die Abwehr unlauterer Eingriffe des Staates in unsere Sprache. Dadurch wird das Problem einerseits verharmlost und andererseits verschoben, weil es gar nicht um eine Auseinandersetzung mit den Inhalten und Argumenten geht, sondern nur noch um reflexhaftes Sichwehren gegen staatliche Regulierungen, oder die Erzählung davon.

Auch gibt es Bilder von familiären Lebensformen, die man für erhaltenswert hält und wo Veränderungen als Bedrohung empfunden werden. In dieser Bedrohungswahrnehmung kommen konservative und rechte Christ*innen eng zusammen.

CR  Antifeministische Themen finden in der Mitte der Gesellschaft und somit in kirchlichen Kontexten statt. Die Mitte-Studie von 2020 belegt: Jeder vierte Mann, jede zehnte Frau weisen geschlossenes antifeministisches Weltbild auf.1 Dabei setzt die neue Rechte einerseits auf Retraditionalisierung und andererseits auf Fake-Feminismus – wahre Feministinnen kämpfen gegen das Kopftuch – und Femo-Nationalismus – Gleichstellung ja, aber nur für Deutsche.

PRB  Entsprechend geht es nicht nur gegen Frauen oder feministische Gruppen, sondern generell gegen Minderheiten, die vermeintlich plötzlich eine Stimme haben, sichtbar und gehört werden. Um die Angst, dass bestimmte Privilegien wie etwa der besondere Schutz der Ehe wegfallen. Unerheblich dabei ist, ob die konkrete Veränderung wirklich von Nachteil wäre. Das wird überhaupt nicht reflektiert. Man bekommt den Spiegel vorgehalten und sieht, dass man die ganze Zeit profitiert, ohne etwas dafür zu tun. Aber leichter als an sich zu arbeiten ist es, Minderheiten gegeneinander auszuspielen.

DB  Es gilt also genau hinzuhören und zu entscheiden, wem Kirche ihr Ohr leiht und ein Podium bietet. Ein Dialog mit denen, die menschenfeindliche Ideologie produzieren, bringt keinen Gewinn, sondern stärkt nur die Antidemokraten.

Wie würden Sie die Rolle der Kirchen in der Demokratisierung beschreiben?
PRB  1989/90 konnte man in kirchlichen Räumen kontroverse Gedanken diskutieren. Auch heute ist es Schatz der Kirche, ein Kommunikationsraum zu sein. Kirche wird selten inhaltlich angefragt, sondern als Raum, in dem Diskussion, offenes Gespräch, respektvoller Umgang möglich ist. Als Vermittlerin kann sie kontroverse Positionen zusammenbringen und moderieren. Das ist eine politische Aufgabe, weil wir in der Regel emphatisch und respektvoll mit Vielfalt und Heterogenität umgehen. Wenn eine Kontroverse verfahren ist, kann Kirche nochmal zum Ankerpunkt werden. Dazu braucht es geschickte und kluge Moderation und sorgfältige Vorbereitung. Man muss gleichwohl Grenzen setzen: Wen lade ich ein? Welchen Gedanken leiste ich Vorschub?

DB  Kirche ist Spiegel der Gesellschaft, ihrer Diskurse und Einstellungen. Hier finden alle gesellschaftlichen Debatten und Polarisierung statt. Wenn etwa Vertreter*innen eines Gemeindekirchenrates mit rechtsextremen Positionen auftreten, hat das Konsequenzen. Die Kirchen haben jüngst aber enorm in ihren Kontexten sensibilisiert.

PRB  Dafür sind wir in Kirchengemeinden als Referent*innen unterwegs und stellen Materialien zur Verfügung. Kurz und prägnant klären wir theologisch und sozialwissenschaftlich auf, geben Orientierung und Handlungsoptionen.2 Das ist mit viel Mühe und Herzblut verbunden. Politische Bildung steht in den Kirchengemeinden nicht ganz oben auf der Agenda.

Wir sind auf Brückenbauer in den Regionen angewiesen, Pastor*innen oder Gemeindeglieder, die sagen: „Demokratie ist uns wichtig“. Bei diesen Diskussionen kommt viel ans Tageslicht, was man nicht unbedingt hören will. Wenn man aber merkt, dass Gemeindeglieder tatsächlich auf der Grenze zwischen konservativ und rechtsextrem unterwegs sind, dann wird klar: Das ist auch bei uns ein Problem.

Haben Sie Beispiele, wo zivilgesellschaftliches oder kirchliches Engagement wirkungsvoll positioniert sind?
PRB  In Dresden wurde der Jahrestag der Zerstörung der Stadt 1945, der 13. Februar, gezielt von rechten Gruppen gekapert. Zivilgesellschaftliche und kirchliche Gruppen haben sich daraufhin zusammengeschlossen, um zu zeigen: Wir lassen uns weder die Stadt noch die Erinnerung von euch wegnehmen. Jedes Jahr zeigen Menschen und Institutionen ihr Gesicht. Das wirkt, das sind Bilder, mit denen man Geschichten erzählen kann. Starke Bündnisse zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung und Kirche sind wichtig.

DB  Bis heute sind Kirchen in Ostdeutschland wichtige Lernorte und Multiplikatorinnen lokaler und regionaler Demokratieerfahrung von unten. Überall dort, wo Kirche das Evangelium nicht nur verkündigt, sondern kreativ, authentisch und menschennah lebt und gestaltet, wo Kirche klar erkennbar ist als demokratische Akteurin, und Denk- und Handlungsräume bietet, findet Gesellschaft statt.

PRB  Es wirkt, wenn man prägnant aufzeigt, wo das Private, Politische und das Religiöse zusammengehören, wenn es empowert und nicht belehrt. In unserer Orientierungshilfe3 vor der Landtagswahl in Sachsen haben wir Alltagsfragen aufgegriffen, die Wahlprogramme gezielt daraufhin gescannt und die Menschen aufgefordert, sich wirklich mit ihrer Wahl- und Gewissensentscheidung auseinanderzusetzen.

Wie sollte die (Frauen-)Arbeit weitergehen? Wo sind Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel nötig?
PRB  In der Frauenarbeit gibt es dicke Bretter zu bohren. Hier versuchen wir, Frauen direkt zu empowern und in Leitungspositionen zu bringen. Aber die kirchlichen Strukturen sind patriarchal und unglaublich hartnäckig. Das ist nicht einladend für Frauen. Es gibt in Sachsen tatsächlich Menschen, die am Abendmahl nicht teilnehmen, wenn es von einer Frau ausgeteilt wird. Nicht nur das treibt engagierte, feministische, progressive Menschen aus der Kirche.

CR  Junge, feministische Christ*innen nutzen zwar manche Materialien der Frauenarbeit, kommen punktuell auch zu Veranstaltungen, aber die klassischen Strukturen von Frauenarbeit brauchen sie nicht, sie organisieren sich selbst. Der Selbsterhalt konservativer kirchlicher Strukturen führt dazu, dass bestimmte Themen, Queerness, Diversity, Geschlechtergerechtigkeit, marginalisiert sind und damit verlieren wir engagierte Leute.

PRB  Wir brauchen Personal. Menschen vor Ort, die Dinge voranbringen, Leute vernetzen und präsent sind. Auf überregionaler Ebene wie zentral an entscheidenden Orten und mit Budget für Veranstaltungen, Kampagnen, Material und um Leute zu begeistern. Und demokratische Arbeit muss ordentlich bezahlt werden.

DB  Das Ziel muss sein, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Region die Möglichkeit zu geben, sich zu selbstbewussten und verantwortlichen Demokrat*innen zu bilden, um Verantwortung für Solidarität und Toleranz in der Gesellschaft zu übernehmen. Das ist eine Aufgabe, die nicht nach zwei oder fünf Jahren endet, wie so viele Projekte.

Anmerkungen
1) Charlotte Höcker u.a., Antifeminismus –das Geschlecht im Autoritarismus? Die

Messung von Antifeminismus und Sexismus in Deutschland auf der Einstellungsebene, S. 249ff, S. 262, in: Oliver Decker u.a. (Hrsg.), Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments – neue Radikalität. Leipziger Autoritarismus Studie 2020, Gießen 2020.
2) Z.B. Handreichung EKM: „Reden in schwierigen Zeiten“, Handreichung EVLKS „Nächstenliebe leben. Klarheit zeigen“.
3) Orientierungshilfe zum Umgang mit politischen Parteien 2019 (https://www.
eeb-sachsen.de/assets/files/start/Orientierungshilfe_Wahljahr_2019.pdf)

Pfarrerin Carola Ritter ist seit 2021 Referentin für Theologie und Ökumene beim Ev. Zentrum Frauen und Männer. Davor war sie Leitende Pfarrerin der Ev. Frauen in Mitteldeutschland. Sie ist aktiv in verschiedenen Pilgerinitiativen u.a. bei Go for Gender Justice.

Dr. Peggy Renger-Berka ist theologische Referentin bei der Frauenarbeit der Ev.-Luth-Landeskirche Sachsens. Außerdem verantwortet sie bei der Ev. Erwachsenenbildung Sachsen den Bereich politische und religiöse Bildung. Als Mitglied der ökumenischen AG „Kirche für Demokratie und Menschenrechte“ engagiert sie sich dafür, dass sich Kirche mit Menschenfeindlichkeit und Rechtspopulismus in den eigenen Reihen auseinandersetzt.

David Begrich ist Theologe und Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. in Magdeburg.

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