„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Der Satz steht im Kontext einer Heilungsgeschichte mit besonderem Verlauf. Die Jünger*innen haben vergeblich versucht, einen kranken Jungen zu heilen. Der Junge ist von einem unreinen Geist, einem Dämon, besessen. Jesus selbst hatte sie zuvor beauftragt, Dämonen auszutreiben und Kranke zu heilen. Dafür gab er ihnen die Vollmacht [Mk 6,7-12]. Sie versuchten es – zunächst einmal mit Erfolg.
Hat Gott das Mitleid vergessen oder im Zorn sein Erbarmen versperrt?“ Ps 77,10 Den Psalmen, die diese Verzweiflungs- und Hoffnungsrufe für alle Glaubenden festhalten, ist es wichtig, diese Gottes-Anfragen nicht auszuschließen, sie umzuformulieren oder zu tilgen. Die Beter*innen rufen Gott gerade deshalb so herausfordernd an, weil sie auf seine Hilfe und Treue vertrauen. „Du hast mit dem Arm dein Volk erlöst“. Ps 77,16 Wir könnten ihr Flehen fortsetzen: Tu es doch wieder – jetzt – für uns!Die klagenden Beter*innen wollen sich mit der leidvollen Situation nicht abfinden. Sie erkennen aber, dass sie von sich aus nicht in der Lage sind, sie zu ändern. Allein von Gott erhoffen sie Hilfe. Die Klage wird in dieser Situation zur Handlungsmöglichkeit, die sie sprachfähig bleiben beziehungsweise neu werden lässt und ihre Verzweiflung zum Ausdruck bringt. Die Bitte um Erbarmen ist somit wie die Klage ein Teil des Glaubens, der in einer bedrängenden Situation nur diesen einen Weg sieht – und einen guten Ausgang dennoch nicht für wahr halten kann: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
Diese Heilungserzählung hat sowohl beim Jungen als auch beim Vater die Fähigkeit, handeln zu können, im Blick. Der Vater wird für seine Klage und Verzweiflung an seinem Glauben nicht abgestraft. Jesus würdigt, dass er seine letzte noch verbliebene Handlungsmöglichkeit wahrgenommen hat.
Wenn sie mit Gott allein ist, fragt sie, mitten hinein in ihre Angst: Wo bist du jetzt? Du hast doch versprochen, mich zu begleiten auf allen meinen Wegen! Davon merke ich nichts. Sie braucht eine ganze Weile, bis ihr hilfloses Gebet sich verändert. Erst nach unzähligen Tränen, Gesprächen und Gebeten, die ihr wie eine Einbahnstraße vorkommen, kann sie das, was jetzt ihr Leben ausmacht, für sich nehmen. „Sei jetzt hier, heute, lass mich sehen, fühlen, spüren, hören. Sei mir nahe – und wenn ich nicht mehr sprechen kann, sei du mein Atem, wenn ich zu dir bete.“
Es scheint etwas Selbstverständliches zu sein: Glauben und Leben gehören zusammen. Aber das Leben durchkreuzt oft das Vertrauen, das wir in guten Zeiten zusammengesammelt haben. Wie ein Katapult schleudern uns unsere Katastrophen aus dem fein geordneten Lebensplan, den wir für uns hatten. Unbarmherzig, wer dann von außen oder innen verlangt, dass es doch trotzdem weitergehen muss. Lebens-Knicke oder gar Lebensabbrüche bürsten die gesamte Ordnung gegen den Strich. Und ganz nah kommen die Seiten, die sonst im Alltagsleben nichts zu suchen haben: alles, was uns klar macht, dass wir uns doch nicht selbst sichern können, dass wir bedürftig sind. Eine Lebens-Konstante, die die ganze Zeit mitgegangen ist, aber eigentlich ständig ignoriert wurde, so wenig passte sie in Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Entfaltung. Jetzt drängt sie sich auf. Wird übermächtig. Bindet jede Energie. Raubt alle Kraft, alles Vertrauen.
Im Griechischen wird un-gläubig ausgedrückt durch „gläubig“ mit einem vorangestellten „a“. Diese Silbe „raubt“ dem folgenden Wort seine positive Füllung. Was hier auf der Sprachebene sinnbildlich wird, kann direkt auf das Erleben in einer Situation wie der eben geschilderten übertragen werden: Dem Guten und Vertrauten wird die Wärme, die Kraft, die Sicherheit entzogen. Und wir starren fassungslos das an, was geblieben ist. Und was wir uns doch genauso wärmend, belebend, ermutigend wünschen würden, wie es immer für uns gewesen ist. Möge es doch so sein! Möge es wieder so werden! In Glaubenssprache: Auch wenn ich es jetzt nicht glauben kann, erweise du dich dennoch als Gott meines Lebens! Ich glaube – hilf meinem Unglauben!
Die Jahreslosung beschreibt also eine Lebensbewegung und damit eine der wichtigsten Glaubens-Bewegungen zugleich. Nur dann, wenn die Bewegung zugelassen werden darf, kann sich beides lebendig ändern und dabei in Beziehung zueinander bleiben. Auch und gerade das ist in unseren Augen Glauben.
Zur kreativen Vertiefung: Füllen Sie eine Vertrauens-Schatzkiste. Halten Sie für sich besondere Vertrauens-Momente Ihres Lebens fest, an die sie gerne zurückdenken: eine Situation pro Zettel. Nehmen Sie sich Zeit, vielleicht im Nachgang, wenn Sie wieder zu Hause sind, zu fragen: Was war das Besondere an diesem Moment? Erinnern Sie sich an Ihre Gefühle, die dieses Vertrauen ausgelöst hat. Vielleicht basteln Sie an einem Gruppennachmittag eine besonders schöne Papierschachtel, in der Ihre Vertrauens-Zettel zu Hause sein dürfen und einen guten Platz in Ihren vier Wänden finden. Oder Sie binden sie mit einem Schmuckband zusammen und verwahren sie gut greifbar in Ihrer Nachttischschublade. Vielleicht bekommt Ihre Sammlung Zuwachs, nachdem Sie auf den Geschmack gekommen sind …
Schließen Sie diesen Schritt mit einem freiwilligen Austausch ab: Was hat Sie berührt, als Sie an diese besonderen Vertrauensmomente gedacht haben?
Um solche Kipp-Punkte zu erleben, sind Sie jetzt zu einer kleinen Körperübung eingeladen. Wer möchte, kann sich beteiligen – wer das nicht möchte, möge einfach still zuschauen.
¬ Eine Person steht in der Mitte, vor und hinter ihr und zu beiden Seiten steht jeweils eine Person – derjenigen in der Mitte zugewandt.
¬ Die Person in der Mitte schließt die Augen und hält Körperspannung. Sie neigt sich nach vorne und zurück und beobachtet dabei, wann der Punkt des Kippens kommt. Sie darf sich selbst dabei ausbalancieren – es kommt hier nicht darauf an, sich fallen zu lassen! Die vier Personen an den Seiten halten die mittlere, falls sie ins Trudeln kommt und zu fallen droht.
¬ Wer von den bisher Haltenden mag, kann anschließend selbst den eigenen Kipp-Punkt ausprobieren.
Tauschen Sie sich in den Fünfer-Gruppen der Körperübung aus: Was erleben Sie, wenn Sie an den Kipp-Punkt kommen? Wie fühlt sich das an?
Vertiefen Sie im übertragenden Sinn: Welche Lebenssituationen haben Sie an einen Kipp-Punkt gebracht? Wie war es damals? Wie war Ihr Gefühl? Wie sind Sie da durchgekommen? Was hat Ihnen geholfen? Welche gut gemeinten Ratschläge haben Sie geärgert oder verletzt?
Regen Sie als zentralen Gesprächspunkt die Frage nach dem Verhältnis von „Glauben“ und „Unglauben“ an. Schreiben Sie die beiden Begriffe auf je eine Karteikarte und legen Sie sie in die Mitte.
Mögliche Impulse:
¬ Wie würden Sie – nach dem, was wir miteinander geteilt haben aus unseren Leben, und dem, was hier im Bibeltext geschieht – „Glauben“ und „Unglauben“ beschreiben und zueinander ins Verhältnis setzen?
¬ Welches Recht haben „Zweifel“ im Glauben?
Ich steh vor dir
mit leeren Händen, Herr
EG 382,1-3
Beten Sie gemeinsam noch einmal die dritte Strophe. „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“ – Entlassen Sie die Teilnehmer*innen mit diesem nachklingenden Satz auf den Heimweg.
Katja Jochum ist Pfarrerin in der Ev.-luth. Kirchengemeinde Eidinghausen-Dehme in Bad Oeynhausen. Zuvor war sie Verbandspfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen und hat in dieser Zeit für die Evangelischen Frauen in Deutschland ökumenische Vertretungen übernommen.
Prof. Dr. Carsten Jochum-Bortfeld hat eine außerplanmäßige Professur für Evangelische Theologie/Neues Testament an der Universität Hildesheim. Das Markusevangelium war Thema seiner Habilitation.
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
Thema „Bauen“ ist Mitte April 2024
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